1. K A P I T E L
~Our tears will dry, but our love will stay forever.~
„Komm jetzt endlich, Lou. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit." Ungeduldig streckte mir meine Mutter ihre Armbanduhr entgegen und begann demonstrativ darauf zu tippen.
„Ist ja gut, ist ja gut. Ich bin gleich fertig!", rief ich ihr besänftigend zu. So schnell wie mir möglich schlüpfte ich in meine Schuhe und zog mir meine Jacke an. „Ist Papa auch schon bereit?" Kopfschüttelnd sah sie mich an. „Aber nein, er fährt erst später los, das weißt du doch und jetzt los."
Wie eine Irre schlug sie die Tür hinter uns zu und war schon in Windeseile auf der Fahrerseite ihres Combis eingestiegen. „Was schaust du denn so? Wir sind eh schon zu spät!" Genervt ließ ich einen tiefen Seufzer von mir und stieg ein.
„Musst du denn immer so Stressen?",aufgebracht versuchte ich ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. Verplant wendet sie ihren Kopf zu mir, drehte in aber gleich wieder in Richtung Straße als geradewegs ein LKW auf uns zu steuerte. „Verdammt!", schrie meine unverwechselbare Mutter auf, riss den Lenker herum und blieb am Fahrbahnrand stehen. Alles passierte so schnell, dass ich mich verschluckte und in einem Hustenanfall verzweifelt nach Luft rang.
„Das war knapp. Was hast du gefragt, Schätzchen?" Voller Unschuld blickten mich ihre haselnussbraunen Augen an, als wäre nichts gewesen. „Nichts, Mama. Bring mich einfach schnell in die Schule."
„Oh mein Gott, stimmt die Schule, dass du auch immer zu spät kommen musst." Natürlich ich, Mama.
Nach nicht enden wollender Fahrt kamen wir endlich vor dem Gebäude meiner Alpträume an. „Los jetzt. Steig schon aus!"
„Und viel Spaß!", rief sie mir noch hinterher, als ich bereits ausgestiegen war. Den werd ich sicherlich haben.
Theatralisch lachte ich auf, winkte ihr zum Abschied und bewegte mich auf den Eingang zu. Ab in die Höhle des Löwen.
-
Der Unterricht hatte schon längst begonnen und ich wusste bereits jetzt, dass die uneingeschränkte Aufmerksamkeit auf mir liegen würde. Wie ich es hasse. Die blöden Kommentare kann ich jetzt schon riechen.
Zögerlich klopfte ich an die Klassenzimmertür, nervös auf und abwippend wartete ich auf eine Antwort und bekam endlich das „Ja" auf welches ich gewartet hatte. Ich drückte die Klinge herunter und setzte einen Fuß über die Türschwelle. Augenblicklich zog ich meinen Kopf ein und versuchte unbemerkt auf meinen Platz neben meinen besten Freundinnen zu huschen.
Nicht erfolgreich.
„Na wen haben wir denn da? Die süße Lou beehrt uns auch mal mit ihrer Anwesenheit, wie aufmerksam.", erklang die unangenehme Stimme meiner Lehrerin. Vorsichtig richtete ich meinen Blick auf sie und bemerkte die vielen starrenden Augen meiner Klassenkameraden. Viele sahen mich hämisch an und ich wusste in der Mittagspause würde einer von ihnen mir wieder das Leben um einiges schwerer machen.
„Entschuldigt", flüsterte ich mehr als das ich sagte, aber Gott sei Dank ging sie nicht weiter darauf ein, sondern drehte sich nur wieder zur Tafel und begann weiter zu unterrichten.
„Alle okay bei dir?", ertönte die glockenhelle Stimme meiner besten Freundin, als ich mich neben sie auf den Platz in der letzten Reihe fallen ließ. Sie klang ehrlich besorgt.
„Mach dir keine Sorgen, Mara. Ich werde mit ihnen schon fertig!" Aufmunternd versuchte ich sie anzulächeln, konnte ihren Blick aber nicht lange stand halten. Innerlich schrie ich mich an. Warum sag ich ihr nicht einfach die Wahrheit? Nichts ist okay. Heute werde ich wieder ein Mal viel Lied ertragen müssen, aber das ist okay, ich werde mich nicht brechen lassen.
Vertrauenswürdig fing Aylin, meine andere beste Freundin, an meine Hand zu tätscheln. „Lass dich nicht von dem Biest einschüchtern. Alles nur große Klappe und nichts dahinter." Sie verdrehte ihre Augen und deutete mit ihrem Kinn Richtung „Biest" und ließ schließlich von mir ab.
Ich seufzte auf. „Was würde ich nur ohne euch tun?" Beide lachten auf und grinsten sich gegenseitig an. „Dich in Selbstmitleid verlieren.", sprach Mara aus, was wir alle insgeheim dachten.
Plötzlich schlug eine faltige Hand auf die Tischplatte vor uns. Wir schrieen gleichzeitig auf vor Schreck und verstummten augenblicklich. Langsam glitt unser Blick auf die alte Lehrerin vor uns. Panik spiegelte sich in unseren Augen wieder.
„Wenn ihr jetzt nicht sofort still seid, dann geht es mit euch allen drei zum Direktor. Das ist meine erste und letzte Verwarnung." Wütend fuchtelte sie mit ihrem Zeigefinger vor unseren Gesichtern. „Lou, Mara und Aylin, immer ihr drei, andere wollen in diesem Gebäude lernen und nicht, sowie ihr, ein Kaffeekränzchen halten und jetzt richtet bitte eure uneingeschränkte Aufmerksamkeit auf die Bücher vor euch."
Mit diesen Worten, strich sie sich über ihren Rock und hielt ihren langweiligen Vortrag, über englische Literatur, weiter.
-
Endlich klingelte es zur Pause und wie der Wind stürmte die ganze Klasse Richtung Cafeteria. Die wirklich Hölle in diesem ganzen Gebäude. Kreischende Mädchen auf der einen und grölende Jungs auf der anderen Seite versuchten aller Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Ich verstehe sie nicht, wie schön ist es einfach seine Ruhe zu haben und still und leise in einer versteckten Ecke der Cafeteria zu essen. Niemand der auf einen achtet und niemand dem man unangenehm aufallen könnte. Einfach einmal Stille. Ruhe.
Aber Jeden Tag sind es die selben Personen die sich besonders cool fühlen und jedem, besonders mir, das Leben hier zur Hölle machen.
So langsam wie möglich packte ich meine Tasche und lief Richtung Flur. Ich ließ meinen Blick schweifen auf der Suche nach meinen besten Freundinnen bis ich sie in der Menschenmenge entdeckte.
Mara war dabei wie wild mit ihren Armen zu fuchteln, um meine Aufmerksamkeit zu erlangen. Fragend sah ich sie an.
„Kannst du uns einen Platz reservieren, Lou? Mara und ich sind noch kurz auf Toilette!", schrie mir Aylin noch zu, bevor sie mit Mara um die Ecke verschwand. Na toll. Meine letzte Rettung war weg.
Mit eingezogenen Schultern probierte ich das was ich immer versuchte, heimlich in den großen Raum zu schleichen, von niemanden bemerkt. Auf leisen Sohlen betrat ich die Mensa und steuerte auf unseren Platz zu.
Stöhnend ließ ich mich auf die Bank fallen. Geschafft. Ich ließ meinen Blick schweifen, Niemand schien mich bemerkt zu haben. Ich wiegte mich schon in Sicherheit, als eine Stimme ertönte die mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.
„Sitzt hier die kleine Schlampe mal wieder alleine." Höhnisch sieht er zu mir runter und wendete sich zu seinen ekelhaften Freunden um dort jubelndes Grölen zu erlangen.
„Lass mich in Ruhe, Bent.", leise versuchte ich ihn los zu werden. „Verstehst du es denn nicht, kleine Lou? Ich werde dich niemals in Ruhe lassen, denn jedesmal wenn ich dich sehe, muss ich daran denken wie viel Scheiße auf dieser Welt existiert und meine Aufgabe ist es diese zu beseitigen."
Ängstlich sehe ich in seine verrückt leuchtenden Augen, ich wusste wie unberechenbar Bent war. ‚Ignoriere ihn so wie du es immer getan hast.' wiederholte ich gedanklich immer wieder, wie ein Mantra. Mein Hals war Staub trocken, das Schlucken viel mir immer schwerer, kein Wort wollte meinen Lippen entweichen. Still, wie immer sah ich ihn nur an, ihn, der mir mein Leben so viel schwerer macht. Immer weiter starre ich ihn nur an, als wäre ich nicht mehr in meinem Körper, sondern nur eine unbeteiligte Person, die daneben steht und zusieht. Mich von oben herab beobachtet.
Theatralisch verbeugte er sich und lächelte mich mit kranker Vorfreude an. Ein ungutes Gefühl breitete sich in meinen Bauch aus und machte mich komplett wehrlos. Ich fühlte mich wie gelähmt.
Plötzlich drehte er sich um, öffnete seine Arme und rief voller Arroganz: „Hört alle her! Ich werde die Erde jetzt um ein Dreckstück erleichtern!", stolz packte er mich am Kragen meines Pullovers und stieß mich gegen die Wand. Schmerz zuckte durch meinen Rücken, war wie kaltes Wasser, wodurch ich aus meinem Albtraum, mich nicht bewegen zu können, aufwachte.
Schreiend und kratzend versuchte ich mich nun aus seinen Fängen und der erdrückenden Nähe der Wand zu befreien. Immer fester drückte er sich gegen mich und ließ mir keinen Platz zum Atmen. „LASS MICH LOS", wie eine Wilde schreiend, kratzte ich über seine Wange, sie färbte sich rot und das Blut tropfte auf meine Hand. Ich verstummte und starrte wie hypnotisiert auf meine blutverschmierten Finger, er machte mich zu dem was ich nie sein wollte...ihn.
„Ent...schuld...ige.", erschüttert fing ich an zu stottern, doch es war schon zu spät, er war fuchsteufelswild. Davor war es nur ein Spiel für ihn, jetzt ist es purer Wahnsinn der ihn antreibt.
„Das hättest du nicht tun sollen.", knurrte er. Außer sich ging er mir an die Kehle und drückte meinen Hals immer fester zu. Alles schmerzte. Keine Luft füllte mehr meine Lunge und meine Glieder wurden immer schlaffer. Erschöpft sah ich hinter ihm. In all diese Gesichter.
Wieso sieh nichts tun? Sie brauchen das. Dieses Drama, diesen Kick im langweiligen Schulalltag, den Schmerz in den Augen des Opfers, die Momente wenn sie den Lebenswillen langsam verschwinden sehen.
Es ist ihre Sucht. Sie können ohne dem nicht leben.
Schwarze Flecken zierten meine Sicht und ich wurde immer schwächer. „Stirb, du Miststück.", ertönte Bents Stimme leise neben meinem Ohr.
Ich gebe auf. Es ist alles zu viel, ich kann nicht mehr. Dunkelheit nimmt mich in ihre einladenden Arme und tröstet mich mit ihrer Stille. So muss sich sterben anfüllen. Kein Licht, nichts, nur diese allumfassende, wunderschöne Dunkelheit.
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