Vogelgrippe
Kaum, dass er die Tür geschlossen hatte, lehnte er sich mit dem Rücken an diese an und betrachtete dabei mit verschleiertem Blick den Raum. Bereits am frühen Morgen fühlte er sich, als wäre es besser, einfach nur zu Hause zu bleiben. Der Schnupfen und die Halsschmerzen waren – noch vor wenigen Stunden – kaum der Rede wert und irgendwie hatte er es geschafft zu funktionieren.
Doch jetzt war es anders. Mit jedem Schritt, den er tätigte, konnte er fühlen, wie ihn die Kraft langsam aber sicher verließ. Und obwohl er seinen sonst so wärmenden Heldenanzug anhatte, wollte die Kälte nicht von ihm weichen. Selbst dann, als er die Schwelle zu seiner Wohnung längst überschritten hatte. Er hatte wirklich keine Ahnung, wie er es aus eigener Kraft geschafft hatte, hierher zurückzukehren, doch er dankte sich im Geiste dafür.
Auf wackeligen Beinen steuerte er sein Schlafzimmer an, irgendwie schaffte er es auf dem Weg dorthin, sich seiner beigen Jacken zu entledigen, die kurz darauf von seinen Schultern glitt und zu Boden fiel. In dem Moment hatte nichts, aber auch gar nichts eine Bedeutung für ihn. Er wollte sich einfach nur noch in seinem warmen Bett wiederfinden, von dem er den ganzen Tag bereits träumte.
Zuvor noch hatte er vorgehabt, duschen zu gehen, doch jetzt war er sich sicher, er würde es gar nicht bis dahin schaffen. Also beschloss er, dass er lediglich seine Kleider wechseln würde. Er setzte sich auf die Bettkante und entledigte sich seines schwarz-goldenen Oberteils, das kurz darauf auf dem Boden landete und gegen ein graues und deutlich lockeres Shirt getauscht wurde.
Wenig später folgte auch der Rest seiner Kleidung, die zu einem unordentlichen Haufen gestapelt wurde, während er sich selbst in seinem Bett wiederfand. Sein Gesicht in das Kissen gekuschelt und die Decke fest um seinen Körper gewickelt.
Immer wieder krochen kalte Schauer über seinen Körper, weshalb er sich nur noch fester zusammen rollte und verzweifelt versuchte, gegen die Kälte anzukämpfen. Eigentlich wollte er sich zusätzlich mit seinen Flügeln bedecken, doch dann fiel ihm ein, dass er im letzten Kampf beinahe alle Federn verloren hatte und ihm lediglich zwei kleine Flügelchen blieben. Sie waren kaum größer als die so mancher Vögel.
Nun erinnerte er wirklich an ein gerupftes Hühnchen, wobei er sich noch schlimmer fühlte. Wie das passieren konnte, war ihm schleierhaft. Aber eines war klar, noch einmal sollte er es nicht so weit kommen lassen. Oft genug hatte er bereits gehört, dass Männer bei Krankheit mehr litten als Frauen und nun konnte er sich von genau dieser Aussage überzeugen.
Einst, als Mirko in der gleichen Situation war wie er, beschloss er, sie zu besuchen und sich zu vergewissern, dass es ihr gut ging. Immerhin fehlte sie ein paar Tage und meldete sich gar nicht erst, natürlich war er besorgt. Doch als er bei ihr aufkreuzte, musste er schnell feststellen, dass seine Sorgen unbegründet waren. Natürlich war sie krank, genauso wie man es ihm bereits mitgeteilt hatte.
Jedoch sah sie nicht aus, als würde es ihr besonders schlecht gehen, nicht so wie gerade in diesem Moment bei ihm. Im Gegensatz zu ihm hatte sie den ganzen Tag auf ihrem Sofa gesessen und sich Serien angesehen, für die sie sonst kaum Zeit gehabt hatte. Und genau darüber war er neidisch. Sie konnte alles machen, während er selbst es gerade noch so aus seiner Kleidung geschafft hatte.
Er schloss die Augenlider und hoffte, dass er schnell einschlafen würde. Durch den Schnupfen, würde er früher oder später vermutlich durch die verstopfte Nase oder Trockenheit im Mund wach werden. Doch er wollte einfach nur schnell einschlafen und dieser Folter entkommen.
Natürlich könnte er sich in die Küche begeben, etwas zu trinken holen und irgendwelche Tabletten einwerfen, die ihm gegen die Erkältung helfen könnten. Nur vermochte nichts ihn aus seinem gemütlichen Bett herauszubekommen, immerhin hatte es viel Mühe gekostet, sich dort überhaupt wiederzufinden. Außerdem war er fest davon überzeugt, dass ihm der Schlaf gut tun würde und er bald wieder auf den Beinen stünde.
Aber der Schlaf wollte ihn einfach nicht überkommen. Es war vielmehr ein Halbschlaf. Obwohl er seine Augen geschlossen hatte und er das Gefühl der Schwerelosigkeit empfand, hörte er immer noch den Lärm der Stadt. Allem Anschein nach war irgendwo ein Fenster offen und dafür verfluchte er sich innerlich. Diese Tatsache störte ihn immens und doch hatte er keinerlei Kraft übrig, damit er daran etwas ändern könnte. Er konnte einzig und allein warten und hoffen, dass es ihm alsbald besser gehen würde.
»Wozu hast du eigentlich ein Telefon, wenn du nie dran gehst, Spatzenhirn?«, hörte er die tiefe Stimme direkt über sich ertönen. Murrend öffnete er die Augen und sah auf die neben dem Bett stehende Gestalt. Für die ersten paar Sekunden analysierte er das Gesagte, genauso wie die Silhouette, gehüllt in Schwarz.
Es dauerte, bis alle Informationen bei ihm ankamen und er sie verarbeiten konnte; bis er begriff, was um ihn herum geschah. Dank seines Zustandes, hatte er das eigentliche Treffen mit der dort stehenden Person völlig vergessen. Allem Anschein nach war er hergekommen, da er keinerlei Lebenszeichen von Keigo bekommen hatte.
»Dabi.« Seine Stimme war schwach, was der Schurke sofort bemerkt hatte. »Wie bist du …«
»Es war offen«, antwortete er, indem er ihn unterbrach. Dabi beugte sich zu ihm herunter, legte die Hand auf seine Stirn und stellte fest, dass er Fieber hatte. Hawks erzitterte bei der Berührung und verzog seine Brauen und Nase, was für seinen Partner äußerst belustigend wirkte. »Hast du Medizin genommen?«
Hawks schloss die Augen und schüttelte leicht mit dem Kopf, worauf Dabi kraftlos seufzte. Ob Keigo an diesem Tag das Haus verlassen hatte, brauchte er nicht zu fragen, schließlich kannte er ihn gut genug um die Antwort zu kennen. Obwohl er doch ein Held war, benahm er sich gelegentlich doch sehr unvernünftig. Doch wenn er ehrlich war, fand er es irgendwie amüsant. Er kümmerte sich um andere, aber wenn es um sein eigenes Wohlbefinden ging, war es nicht so wichtig.
Nachdem der Blonde kein weiteres Wort seitens des Schurken vernommen hatte, entschloss er sich erneut, in sein Kissen zu kuscheln. Normalerweise würde er nun hinter ihm laufen, damit er sich vergewissern konnte, dass er seine Wohnung nicht in die Luft jagte. Doch jetzt hatte er einfach keine Lust und Kraft dazu. Auch wenn es sich hier um Dabi handelte.
Es bereitete ihm bereits Schwierigkeiten, den Schwarzhaarigen nicht aus seiner Wohnung auszuladen. Er mochte es nicht wirklich, wenn jemand zu besuch kam, während er krank war. Hawks wollte doch einfach nur allein sein und diese furchtbare Zeit hinter sich bringen, während es mit dem Schwarzhaarigen an seiner Seite beinahe unmöglich war. Schließlich kannte er seinen Charakter und wusste genau, was er bei ihm zu erwarten hatte.
»Hier, nimm.« Nur wenig später hatte er bereits die Gelegenheit, sich von dem zu überzeugen, woran er gedacht hatte. Als er den Älteren mit einem Glas Wasser und Tabletten erblickte, seufzte er unzufrieden. Denn dadurch war er gezwungen, sich aus seinem warmen Kokon zu befreien.
Kaum, dass er das getan hatte, schlug ihm die Kälte mit ganzer Kraft entgegen. Auf seinem Körper bildete sich eine Gänsehaut. Er streckte die zitternde Hand aus und nahm die Medizin entgegen. Für seinen gereizten Hals fühlte sich die Tablette an, als hätte sie die Größe eines Tischtennisballs.
Gleich danach nahm er zwei kleine Schlucke und murmelte sich dann wieder zurück in seine Decke, dabei drehte er seinem Partner den Rücken zu. Dieser wandte zu keinem Zeitpunkt seinen Blick von dem zitternden Helden ab. Auch er musste schon hier durch, genauso wie jeder andere Mensch auch, doch Hawks traf es wohl besonders schwer. Es reichten bereits wenige Minuten, damit man merkte, wie miserabel es dem Helden ging.
Währenddessen hatte Keigo die Hoffnung, dass Dabi nun einfach seine Wohnung verlassen würde. Gerade jetzt wollte er sich nichts von ihm anhören müssen, wo er doch gar nicht darauf eingehen konnte. Doch seine Hoffnung verschwand kurz darauf. Hinter sich konnte er spüren, wie sich die Matratze senkte und so zwang er sich dazu, die Augen erneut zu öffnen.
Doch das, was er kurz darauf erblickte, verwunderte ihn. Verdutzt sah er den Schwarzhaarigen an, der sich neben ihn gelegt hatte, und öffnete dabei den Mund etwas. Er hatte seinen schwarzen Mantel ausgezogen und lag lediglich in sein weißes Shirt gekleidet, das die Hälfte seiner Brust offenbarte.
»Komm her, Spatzenhirn«, seufzte der Schurke und zog Keigo sogleich an sich , welcher zu Beginn keine Lust dazu hatte. Doch als er den warmen Körper seines Partners berührte, wich jeglicher Widerstand, und so kuschelte er sich an ihn. Seine Hände legte er an dessen Brust, während er das Bein zwischen seine Schenkel schob. Er wollte so viel wie möglich von dieser Wärme.
Der Schwarzhaarige lehnte seine Stirn an die des Blonden und sah ihm dabei in die goldenen Augen, in denen die Erschöpfung deutlich zu sehen war. Hawks konnte sich gut vorstellen, was aktuell durch Dabis Kopf ging und wie gerne er es gesagt hätte. Wie gerne er sich über den Helden lustig machen wollte.
Aber Dabi tat es nicht. Immer noch stellte er sich die Frage, wieso er es nicht tat. Hatte er etwas Mitleid mit ihm? Normalerweise hätte er nie so eine Geste seitens des Schurken erwartet. Er hatte wirklich erwartet, dass Dabi ihm blöd kommen würde, oder sogar ignorieren würde und ein anderes Mal wiederkäme. Jedoch war der Ältere allem Anschein nach wirklich besorgt, auch wenn er es nicht zeigte.
»Vogelgrippe?«, fragte er mit einem provokanten Grinsen auf den Lippen. Als Antwort darauf lehnte Hawks seinen Kopf etwas zurück und stieß ihn gleich darauf gegen den des Schwarzhaarigen. Doch das entpuppte sich als eine schlechte Idee. Denn statt Dabi, musste er stattdessen leiden.
Nun war sich der Schurke ziemlich sicher, dass Keigo sie nicht mehr alle hatte. Er schloss die Augen, verfluchte sich wieder einmal innerlich über seine geniale Idee und für den pulsierenden Schmerz, der zum Glück nach und nach verschwand. Nichtsdestotrotz war er irgendwie froh darüber, dass Dabi zu ihm gekommen war.
Vielleicht war es nicht schlecht allein zu sein und die Krankheit auszuharren. Aber noch besser war es, die Nähe und Wärme, wie auch Gesellschaft des Schurken zu spüren. Und genau deshalb konnte der Schurke wenig später dem gleichmäßigen und ruhigen Atem seines Partners hören. Immer wieder spielte er mit seinen Haarsträhnen, beobachtete dabei den Schlafenden und wie er leicht lächelnd neben ihm schlief. Das Wissen, dass es ihm gut ging, erleichterte ihn.
Und Dabi brauchte genau das, Gewissheit, dass es seinem Vögelchen gut ging.
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