Donʼt Cry

Ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen, flog Hawks über die Stadt. Er hatte einige Tage frei und so beschloss er kurzerhand, sich ein wenig zu amüsieren. Die abendliche Stadt zog an ihm vorbei, immer wieder betrachtete er das rege Treiben auf den Straßen. Niemand sah, wie er über die Gebäuden der Metropole flog, doch seine Augen erkannten alles.

Wie auch die Gestalt, die allein auf einem der Dächer ausharrte. Sie kam ihm zu bekannt vor. Was machte er da? Hawks verzog die Braue. Gerade einmal eine Stunde war es her, als der Blonde bei ihm angerufen hatte und sich bezüglich eines Treffens erkundigt hatte. Doch dieser lehnte ab, sagte, er hätte noch Arbeit vor sich. Enttäuscht hatte er aufgelegt, doch er verstand die Situation, auch wenn sie sich seit mehr als zwei Wochen nicht mehr gesehen hatten.

Doch jetzt, als er sah, dass der Schwarzhaarige ihn angelogen hatte, war er es leid. Langsam flog er hinab und landete leise auf dem flachen Dach. Dabi saß mit dem Rücken zu ihm, seine Beine angewinkelt und an sich gezogen.

»So, so. Das nennst du also arbeiten?«, fragte Hawks vorwurfsvoll. Der Ältere antwortete nicht, er schlang seine Arme um die Knie und vergrub darin sein Gesicht. Hawks setzte sich wieder in Bewegung, ging langsam zu Dabi und setzte sich unweit von ihm. Da sein Kopf gesenkt war, konnte der Blonde sein Gesicht nicht sehen.

»Wieso antwortest du mir nicht?«, murrte der Jüngere leise. Natürlich war er wütend. Erst wurde er belogen und nun wurde er auch noch ignoriert. Doch als er weitere Minuten lang schwieg und keine Antwort zu erwarten war, da reichte es Keigo. Grob packte er Dabi am Arm und zog ihn weg. Was er jedoch sah, hatte er nie erwartete. Die Wangen des Schwarzhaarigen schimmerten rötlich, während aus seinen türkisen Augen immer wieder blutige Tränen flossen.

»Verflucht, was willst du von mir?«, knurrte der Schurke. Früher, da wäre der Blonde zurückgewichen, hätte sich erschrocken. Doch heute wusste er genau, dass Dabi ihm nichts tun würde. Ohne groß nachzudenken, breitete Keigo seinen Flügel aus, legte ihn über die Schulter des Schurken und zog ihn an sich heran. »Verzieh dich«, fügte Dabi hinzu und schob Hawks von sich weg. Er wollte nicht, dass man seine Tränen sah, doch daraus machte Keigo sich nichts. Er ignorierte den Protest des Schwarzhaarigen und nahm sein Gesicht zwischen die Hände.

»Was ist los?«, fragte er. Beinahe hätte er ›mein Liebster‹ gesagt, doch bis heute wusste er nicht genau, in welcher Art von Beziehung sie sich befanden, weswegen er es nicht aussprach. Im Grunde schliefen sie miteinander. Seit etwas über einem Jahr bereits.

Jeder normale Mensch hätte längst die Schnauze voll gehabt und wäre abgehauen. Nicht jedoch der Blonde. Denn er verliebte sich wie ein Vollidiot Hals über Kopf in den Schurken. Nie hatte er geglaubt oder erwartet, dass Dabi seine Gefühle erwidern könnte. Doch irgendwo, im letzten Winkel seines Gehirns, hatte er es gehofft …

»Dabi, rede mit mir.« Auch dieses Mal kam keine Antwort. Zu Keigos Überraschung, lehnte der Ältere den Kopf an seine Schulter und vergrub sein Gesicht in der beigen Jacke.
»Ich …«, presste er hervor. »Ich weiß, dass uns beide nichts verbindet, aber könnten wir so bleiben? Bitte …« Seine Stimme war brüchig und zittrig, worauf Keigo seinen Arm um ihn schlang und die Hand auf seinen Kopf legte. Zärtlich streichelte er über die pechschwarzen Haare.

»Du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst?«, fragte der Blonde leise. Dabi nickte leicht und befreite sich sogleich aus der Umarmung.
»Ich wollte das alles nie ...«, begann er. Hawks wusste nicht, worüber der Schurke sprach, doch gab er ihm zu verstehen, dass er fortfahren sollte. »Ich wollte nie zu einem Schurken werden. An allem ist mein Vater Schuld, die Narben, das Alles …«

Er brach ab, verwischte die blutigen Tränen mit der Hand und wieder zog der Blonde ihn an sich. Dieses Mal kam kein Protest. Es verging eine ganze Weile, ehe Dabi fortfuhr. »Manchmal wünschte ich mir, ich könnte zurückkehren. Zurück zu meiner Familie. Sie beschützen, vor ihm und vor dem, was er uns angetan hatte.« Er schluckte. Keigo konnte lediglich zuhören, immer wieder strich er ihm beruhigend über die Haare. Solange, bis Dabi ihm alles erzählt hatte, seine ganze Geschichte.

»Es ist alles gut, ich bin bei dir«, wisperte der Held, nie hätte er erwartete, dass Dabi sich ihm anvertrauen würde. Seine Geschichte erzählt, oder sogar … seine Identität offenbaren würde. Doch genau das hatte der Schurke getan und Keigo war schockiert. Schockiert über den Schmerz in der sonst so rauen Stimme des Schurken und schockiert über die Taten seines Idols. Denn wer hätte so etwas erwartete? Vermutlich niemand.

»Danke«, flüsterte der Schwarzhaarige.
»Du musst dich nicht bedanken …« Der Blonde blickte zu ihm. Der Schurke hatte sich aufgerichtet und blickte nun in die goldenen Iriden des Helden, dann umfasste er sein Gesicht und küsste ihn.

Nicht das erste Mal, es war nichts Ungewöhnliches. Während sie miteinander schliefen, küsste Dabi ihn oft genug. Jedoch war das hier anders. Intensiver und voller ehrlicher Gefühle. Es dauerte nicht lange, ehe sich der Schurke von ihm löste, sein Blick gesenkt, doch das was er sagte, ließ Keigos Herz höher schlagen.

»Ich liebe dich, Keigo …«

»Und ich dich, Touya.«

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