Bittersweet
Die Nacht war längst hereingebrochen und bedeckte die Stadt, die dennoch hell leuchtete. Es war kühl, jedoch lag es mehr am Wind, welcher bereits am Abend aufgefrischt hatte und nun deutlich stärker geworden war. Er umspielte die pechschwarzen Haare des Schurken, welcher seit geraumer Zeit auf dem Balkon stand und in die Ferne blickte.
An Schlaf war irgendwie nicht zu denken und wenn er ehrlich war, dann frage er sich, warum er nicht längst gegangen war. Immerhin tat er es sonst auch. Wieso blieb er heute also länger als üblich? Kurz warf er einen Blick über die Schulter, sah zu der allem Anschein nach schlafenden Person, die dank der Nachttischlampe zu erkennen war.
Wegen ihm war er geblieben, und wegen der Aussicht auf erholsamen Schlaf in diesem überaus gemütlichen Bett. Und doch hatte er keine Ruhe gefunden und stand nun hier, die dritte Zigarette zwischen den Fingern und immer wieder in den wirren Gedanken versunken. Wann genau wurde das hier zur Gewohnheit? Und wo war Dabis Hass und das Misstrauen gegenüber dem jungen Helden geblieben?
Schließlich hatte er nie vorgehabt, dem Blonden zu vertrauen. Und nun stand er auf seinem Balkon, während der Held selbst selig und völlig unbekleidet schlummerte. Wann also war aus ihnen mehr geworden, wo er sich doch sicher sein konnte, dass Hawks nur ein Spion war und all das irgendwann zu Grunde gehen würde ...
Trotzdem verrannten sie sich in dieser - zunächst nur körperlichen - Beziehung. Von Liebe war nie die Rede geweswn, aber es kam diesem Gefühl doch sehr nah. Sie wollten stets mehr und mehr, ohne Rücksicht auf Verluste und wissend, dass sie doch eigentlich Feinde und keine Freunde waren.
Seufzend wandte er sich von dem Schlafenden ab und zog erneut an der fast aufgerauchten Zigarette. Sie kannten sich eigentlich nicht einmal. Wussten nichts über einander, nicht einmal ihren wahren Namen. Zwischen ihnen, so viele Geheimnisse, so viele Hürden und Schwierigkeiten. Und doch konnte und wollte Dabi gar nicht mehr ohne ihn. Er fühlte sich zu ihm hingezogen und irgendwie auch wohl.
Kaum zu beschreiben, denn diese Art der Zuneigung und Gefühle waren dem Schurken beinahe gänzlich fremd. Irgendwie hatte es dieser verfluchte Held geschafft, sein erkaltetes Herz wieder aufzutauen, Gefühle aus ihm hervorzulocken, die längst vergessen waren. Welch Ironie es doch war, denn obwohl die Flammen der Rache so hoch und heiß in ihm loderten, vermochten sie die Kälte nicht zu vertreiben, welche seit so vielen Jahren in ihm wütete. Die Rache an seiner Familie, an seinem Vater, die ihn stets angetrieben hatte und es immer noch tat.
»Dabi ...« Ein müdes Murmeln ertönte aus dem Raum und er sah wieder hinein. Hawks hatte sich leicht aufgesetzt und sah zu der offenen Tür, durch welche die kalte Luft hineinströmte. »Wie lange willst du da noch stehen? Es ist kalt.« Der Held klang heiser und völlig verschlafen. Doch die Kälte, welche sich langsam aber sicher in der gesamten Wohnung ausgebreitet hatte, musste ihn geweckt haben. Zwar hatte er sich in die Decke gekuschelt, aber die Wärmequelle neben ihm war verschwunden und hatte der Frische der Nacht Platz gemacht.
»Ich komme gleich rein«, antwortete Dabi, zog ein letztes Mal an der Zigarette und schnippte sie anschließend in die Tiefe, dann schlenderte er langsam ins Innere der Wohnung. Hawks hatte sich die Decke um den zitternden Körper geschlungen und betrachtete den Schwarzhaarigen, wie er immer näher kam. Wenn auch die Tür nun geschlossen war, so hatte sich die Temperatur im Raum deutlich abgekühlt und stimmte den Helden alles andere als zufrieden.
Kritisch betrachtete er den Älteren, welcher sich bereits neben ihn gesetzt hatte und grinste. Dabi strich eine der vom Schlaf zerzausten Strähnen zur Seite und gab Hawks einen entschuldigenden Kuss auf die Stirn. Wieder einmal eine Geste, die so untypisch für ihn war, aber er konnte es in dem Moment einfach nicht lassen.
»Kannst du nicht schlafen?«, fragte der Blonde und legte sich wieder zurück in sein Kissen, die Flügel ließ er halb vom Bett gleiten und machte Dabi Platz, damit dieser sich neben ihm hinlegen konnte. Kaum dass er zur Seite gerückt war, schlüpfte auch Dabi unter die Decke und zog sie über die Beiden. Er antwortete lediglich mit einem Schnauben, dann zog er Hawks an sich.
Dem Helden war bewusst, dass es sinnlos war, weiter zu fragen, denn er würde von Dabi keine Antwort bekommen. Er bekam nie Antworten auf seine Fragen, dabei wüsste er so gerne, was sich alles hinter dieser emotionslosen Fassade verbarg. Er war nicht nur der eiskalte Mörder, der er vorgab zu sein. Da war so viel mehr und er würde es gerne erfahren. Mehr über Dabi wissen.
»Schlaf einfach, ich bleibe hier«, flüsterte der Schwarzhaarige schließlich und drückte Hawks dabei noch ein Stück fester an sich. Seine blonden Locken streiften Dabis Gesicht, während sein warmer Atem über seine entblößte Brust kitzelte. Hawks umarmte den Schurken und schloss sogleich die Augen. Die Wärme, welche Dabi verströmte, sie war so angenehm, genauso wie sein Duft.
Allein seine Anwesenheit vermochte den Blonden zu umgarnen und völlig irrational handeln zu lassen - irrational für einen Helden wie ihn. Aber er konnte nicht anders, er war ihm gänzlich verfallen, und das, obwohl sie sich zu Anfang nun wirklich nicht leiden konnten. Das kam davon, dass sie mehr Zeit miteinander verbracht hatten, als ihm eigentlich lieb gewesen war. Betont auf war, denn mittlerweile hatte sich seine Einstellung zu dem schwarzhaarigen Schurken gänzlich verändert.
Ob das nun wirklich gut war, oder nicht, das war für ihn irrelevant, jedenfalls in diesem Moment.
»Bis zum Morgen?«, erkundigte sich der Blonde vorsichtig, denn er wusste, dass Dabi sonst einfach verschwinden würde. Nie wusste er, wohin der Schurke ging, oder wann er ihn wiedersehen würde. Aber er wollte nicht alleine aufwachen, seiner Wärmequelle beraubt. In solchen Situationen fühlte er sich immer so leer und verlassen.
Es bereitete ihm Angst, wenn er daran dachte, dass morgen alles vorbei sein könnte, dass sie sich jederzeit als Feinde gegenüberstehen könnten. Feinde, welche sie ja eigentlich immer noch waren. Doch Feinde liebte man eigentlich nicht und Keigo selber verspürte genau das. Liebe zu einem Mann, der sein Verderben sein könnte.
»Mal sehen«, flüsterte Dabi und fuhr mit seiner Hand zum Nacken des Helden. Dort verweilte sie, umspielte die wirren Haare und strich immer wieder über die empfindliche Haut. Hawks seufzte langgezogen, es war nicht das, was er hören wollte. Nicht, dass er wirklich etwas anderes erwartet hätte. Schließlich achtete Dabi gewissenhaft darauf, dass niemand von ihrer Beziehung, oder viel mehr ihrem Verhältnis, erfuhr.
Jedoch nicht aus egoistischen Gründen, wie man hätte vermuten können. Nein, Dabi tat es für Hawks, für seinen Ruf und seine Tarnung. Irgendwie profitierten beide Männer davon und vermutlich, nein ganz sicher, war es das Beste für sie. »Schlaf einfach, mach dir keine Gedanken darüber, ob ich da bin, oder nicht.«
»Bleib bitte«, flüsterte der Blonde und umarmte Dabi fester, so als könnte es ihm Gewissheit und Sicherheit darüber geben, dass dieser nicht einfach gehen könnte, es nicht tun würde. Wie töricht das war, wusste er dabei selber und doch wollte er in diesem Moment nichts anderes mehr, als am nächsten Morgen neben Dabi zu erwachen. Ein gemeinsamer Start in den Tag, ein gemeinsames Frühstück. Doch ihre Welten waren zu verschieden, als dass so etwas zwischen ihnen Platz hätte.
Dabi antwortete nicht, seufzte leise und schloss die Augen, während er Hawks unentwegt über die Federn strich und immer wieder daran zupfte. Er haderte mit sich selbst. Zwischen dem, was er wollte und dem, was er sollte. Und Dabi wollte bleiben, sehnte sich nach einem Stück Normalität, welche er bei dem Helden gelegentlich verspürte.
»Ich kann nichts versprechen«, antwortete er nach langem Zögern. Er hatte so lange geschwiegen, dass er dachte, Hawks sei einfach eingeschlafen. Aber er war es nicht. Er küsste den Schurken auf die Brust und schwieg einfach. Irgendwann war er dann einfach eingeschlafen, genauso wie der Schwarzhaarige, der ihn fest in den Armen hielt.
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