Pech ist subjektiv - 4

Ein neuer Tag, ein neues Glück. Jedenfalls musste Biene sich ja irgendwie selbst motivieren und diesem erneut regnerischen Tag ein freundliches Gesicht zeigen. Was hätte sie jetzt um ein bisschen Sonnenschein gegeben, aber wie das Wetter eben so spielte, wurde dieser erst für den Abend vorausgesagt. Oder auch nicht, bei Wetter-Apps wechselten die Voraussagen ja bekanntlich schnell.

Es war also ein ganz normaler Tag in der Uni. Mit Vorlesungen, Langeweile und einem Block auf denen sich zwischen Notizen Kritzelleien aller Art kringelten. Und dennoch fühlte sich Biene nach der Uni irgendwie ausgelaugt und schlapp. Vielleicht war sie zu spät ins Bett gegangen, oder aber zu früh. Sie fühlte sich auf jeden Fall alles andere als motiviert, als sie sich von der Universität zur Bahn schleppte.

Allesamt uninteressante Leute. Normal gekleidete Individuen die abwechselnd auf ihr Handy und dann auf die Gleise starrten. Biene entschloss sich mit der Menge zu schwimmen und zog ihr Handy aus der Hosentasche. Vivienne hatte geschrieben. Ein subtiler Hinweis der besagte: Ruf mich an. Die drei Ausrufezeichen dahinter ließen Biene seufzen. Sie hatte mal wieder einen Anruf von Vivienne verpasst, dass musste jetzt nachgeholt werden. Sonst würde sie es bereuen... Ganz sicher.

„Ja?", fragte nach einigen Freizeichen Viviennes verschlafene Stimme. Biene rollte genervt mit den Augen. „Du hast mich angerufen.", sagte sie kurz angebunden in den Hörer und hörte wie ihre Freundin auf der anderen Seite die Nase geräuschvoll hochzog. „Ach stimmt... Das war vor zwei Stunden." Biene zuckte mit den Schultern, obwohl Vivienne es natürlich nicht sehen konnte. Über die Schienen flatterte eine alte Zeitung und der zugige, leicht muffige Wind verwirbelte Bienes Haare. „Naja, egal jetzt. Kannst du mir einen Gefallen tun?", fragte Vivienne in den Hörer mit ihrer zuckersüßen Stimme, die sie immer nur dann anwandte wenn sie was wollte. Biene knirschte innerlich mit den Zähnen. Immer war sie der Laufbursche für alle. „Ich muss jetzt zur Arbeit, ich" - „Du hast noch einen gut bei mir, Biene!", unterbrach Vivienne sie streng und ließ Biene seufzen. „Außerdem ist doch wohl eine Apotheke auf deinem Weg... Danach kannst du ihn mir ja mitbringen." Biene legte die Stirn nachdenklich in Falten und überlegte ob auf ihrem Weg wirklich eine Apotheke lag. Schwer zu sagen, aber in einer der Nebenstraßen war bestimmt eine. „Und was soll ich dir bringen?", gab Biene schließlich nach und sah die Bahn in der Ferne kommen. Eines der älteren Modelle, die lauten, ungeölten Metallraupen, die immer stanken.

Die Türen öffneten sich und die Leute vom Gleis stiegen ein, als würde der Zug sofort wieder abfahren. Unnötiger Stress wenn man bedachte, dass der Zug hier immer eine fünfminütige Rast einlegte, ehe er weiterfuhr. Aber auch Biene stieg schonmal ein, drinnen war es immerhin nicht so zugig. Das Handy immer noch ans Ohr gedrückt ließ sie sich auf einen freien Sitz des nahezu leerem Abteil plumpsen. „Vivi? Bist du noch dran?", fragte Biene, als sich das Schweigen in die Länge zog. Wieder zog Vivienne die Nase hoch. War sie erkältet? Das würde auf jeden Fall die Apotheke erklären. „Was soll ich dir denn jetzt mitbringen?", wiederholte sie und bemühte sich freundlich zu klingen. Sie hatte eigentlich wenig Lust heute überhaupt irgendwas zu machen, Arbeiten war da schon genug, aber treuherzig wie Biene nunmal war, würde sie Vivienne was holen gehen. Wenn es half. „Das ist mir so peinlich...", sagte Vivienne selten emotional in den Hörer. Biene wusste nicht was sie dazu sagen sollte und wartete die Erklärung einfach ab, die folgte. „Hör zu, ich hab ja vor ein paar Wochen mit meinem Freund Schluss gemacht. Er war ein Idiot, hat seinen Job und seine Freunde über mich gestellt" - „Ja, aber das weiß ich doch. Das habe ich doch auch miterlebt. Wir waren bei der Apotheke.", unterbrach Biene ihr Geschnatter mit leicht genervten Ton. Das Gespräch dauerte länger, als sie wollte. Vivienne lachte leise und freudlos in den Hörer. „Also gut... Hol mir einfach einen Schwangerschaftstest, okay?", rückte Vivienne jetzt mit den Sprache raus. Es folgte eine sehr angespannte Stille.

Biene musste mehrere Male schlucken um wieder genug Speichel zum Sprechen zu haben. „Vivi du glaubst, dass du...?" Sie brachte es nicht über die Lippen. Vivienne war die letzte, der Biene ein Kind zutraute oder sich überhaupt eines bei ihr vorstellen konnte. So weit sie wusste, hatte Vivienne sich strickt gegen Kinder ausgesprochen. Über Sterilisation nachgedacht. Aber so eine Sterilisation führten Ärzte nicht in ihrem Alter durch, weshalb sie sich sehr auf Verhütung gestützt hatte. Beinahe alles was es gab hatte sie schon ausprobiert und achtete immer genau darauf, auch nichts zu vergessen. Woher Biene das wusste? Vivienne war ein sehr gesprächiges Plappermaul.

„Jaja,... Kaufst du jetzt einen ST?", fragte Vivienne ungeduldig in den Hörer. „Einen ST?", fragte Biene. War das eine Marke? Sie kannte sich nicht mit sowas aus, geschweige denn den Preis. „Schwangerschafts Test, einen ST.", sagte Vivienne gedehnt, als wäre Biene schwer von Begriff. Biene verdrehte die Augen. „Alles gut, ich hol dir so ein Teil. Aber kein Gemurre, wenn ich den falschen kaufe. Ich hab da nämlich keine Ahnung.", sagte Biene nun endgültig zu und sah, wie sich die Zeiger der Uhr im Zug drehten. „Glaubst du ich?", fragte Vivienne gespielt empört in den Hörer, schon um einiges aufgeheiterter. „Danke! Wirklich! Wir sehen uns später. Hab dich lieb." Dann legte sie auf und die Bahn fuhr los.

Biene sah noch einige Zeit lang auf ihr Handy. Es kam ihr wie ein unglaublich langer Augenblick vor, obwohl die Fahr von ihrer Uni bis zum Ort wo sie arbeitete nur 10 Minuten betrug. Die Zeit verging wie Kaugummi, zäh mit einem Geschmack von künstlicher Kirsche. Alles drehte sich plötzlich, es war irgendwie komisch. Als hätte sich alles mit einem Anruf geändert. Waren Biene und Vivienne wirklich schon 21? Hatte sie nicht immer angenommen jünger zu sein? Und jetzt das... Ein Riss zwischen Kindheit und Erwachsen-Sein. Biene war seltsam zumute. Als wäre sie es, die hier schwanger war, nicht ihre Freundin.

Die elektrische Stimme sagte ihre Haltestelle voraus. Irgendwas mit Altstadt, so genau hatte Biene noch nie hingehört. Sie schob das Handy in ihre Tasche und stand auf. Obwohl sie total verwirrt war nach diesem Telefon. Ihr Kopf setzte auf Verdrängen. Arbeit war jetzt wichtig, sie musste jetzt ein Lächeln aufsetzen und sich auf ihre guten Manieren besinnen. Schließlich arbeitete sie im ‚La Revolution'. Eines der angesagtesten fünf Sterne Restaurant, der Altstadt und Lieblingstreffpunkt von berühmten Persönlichkeiten. Selbst Elvis Presley soll schonmal vorbeigekommen sein. Aber das war lange, bevor Biene dort gearbeitet hatte, also nur ein Mythos mit einem kleinen verstaubten Bild an der Wand.

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