Essen auf Rädern - 5

„Einmal die 32 für Tisch Nummer 12!", rief Biene in die große, hoch moderne und äußerst betriebsame Küche des Restaurants. Das Lamm auf Rukola mit einer Raspeln vom Trüffel und Senfdip. Dazu ein Glas Rotwein und eine Flasche Wasser für die Dame. Der Klassiker. Wenn man sich unter den anderen Gerichten des Hauses nichts vorstellen konnte und auch keine Experimente starten wollte. Ausgezeichnete Wahl, wie jede andere auch, Hauptsache der Gast bekam ein gutes Gefühl, wenn er sich zurück lehnte und seine Begleitung anlächelte. Biene hängte die Bestellung an die Wäscheleine für die Küche und drehte sich um. Der nächste Tisch wurde besetzt. Ein Stammkunde. Der Alte kam jeden Tag, bestellte sich einen Wein, trank ihn langsam und in Gedanken versunken um dann wieder still zu gehen. Biene hatte ihn schon gezeichnet und beschrieben in ihrem Buch. Ein komischer Kauz, aber so schweigsam wie er auch war, so liebenswürdig war er auch.

Mit schnellem Schritt ging Biene auf seinen Tisch zu. Er erwiderte ihr Lächeln, als er sie sah. „Das Übliche, Herr Wern?", fragte sie, ohne die Karte noch vor dem Herren aufzuschlagen. Er schätzte das eh nicht und winkte gleich ab, wenn man das tat. Nun nickte er und sagte das, was er jeden Tag sagte: „Ein Glas des Faustino, Jahrgang ‚64, bitte." Biene musste es sich nicht notieren, sie wusste auswendig, was er wollte. „Wie immer eine ausgezeichnete Wahl! Ich bringe es Ihnen sofort.", erwiderte Biene wie gewohnt und registrierte das Nicken des Herren, ehe sie sich zu dem nächsten Tisch umwandte. Den Mann kannte sie, er war schon ein paar Mal hier gewesen. Sein Aftershave hing wie eine schwere, teure Wolke um ihn herum. Trotz seiner langsam ergrauenden Haare wirkte er außerordentlich gutaussehend und stielvoll, kaum so alt wie sein Haar es ihm vorgab. Seine Begleitung war diesmal eine junge Frau mit einem Gesicht wie aus einer Modezeitschrift. Biene kannte die Frau nicht, jedes Mal wenn sie den Herren sah hatte er eine andere Frau dabei. Allesamt Schönheiten erster Güte, sodass Biene am Anfang eifersüchtig auf deren perfekte Modelmaße gewesen war. Bis sie herausgefunden hatte das diese Frauen für spezielle Dienste gebucht wurden und der Herr sie nur über das Wochenende „gemietet" hatte. Klar war natürlich, dass sie nicht für jeden arbeiteten, sie waren durchaus mit Niveau, hatten ihre Ansprüche. Aber klar war auch, dass sie nach wie vor taten was sie eben taten. Dafür wurden sie bezahlt. Als Begleiterin oder für die Nacht danach.

Biene kam beschwingt am Tisch der beiden an und ließ jeweils eine Karte elegant vor den Gästen aufschlagen. Der Herr lächelte. „Darf ich Ihnen schon etwas zu trinken bringen, oder wollen Sie erstmal aussuchen?", fragte Biene professionell. Der Herr schaute kurz auf die Karte, dann zu seiner Begleitung und sein Lächeln vertiefte sich. Die schwarzhaarige Schönheit bemerkte seinen Blick. „Einen perlenden Schampanier für diesen wunderschönen Abend.", bestellte er. Biene nickte, notierte es sich auf einem Zettel. Dann bedankte sie sich und ließ die beiden allein. Abend... war es schon Abend? Biene schaute auf die Uhr. Tatsächlich, in einer Stunde hatte sie Feierabend.

An der Bar erzählte Biene die zwei Bestellungen und schaute zu, wie Niko Gläser vorbereitete. „Schau nicht so auffällig zur Uhr. Das kommt nicht gut.", meinte Niko wie nebenbei und Biene seufzte stumm. Er drehte ihr gerade seinen wohlgeformten, recht muskulösen Rücken zu, der einen selbst durch das Hemd erahnen lässt, wie der Rest seines schlanken Körpers aussah. „Ich weiß, das musst du mir nicht sagen. Aber irgendwie bin ich heute neben der Spur." Niko warf ihr einen Stirnrunzeln über die Schulter. Seine blonden Locken lösten sich langsam aus dem Zopf und fielen ihm in die Augen. „Das hört sich nicht gut an. Aber nicht vergessen, du lebst hier für die Wünsche der Kunden. Danach können wir aber gerne was trinken gehen, dann erzählst du mir was los ist.", sagte er mitfühlend, reichte mir das Glas Wein und schob den Schampanier in einem Eiseimer auf einem Rollwagen um die Theke. Biene lächelte gequält. „Danke, Niko. Aber heute kann ich nicht, vielleicht morgen." Biene stellte den Wein auf ein silbernes Tablett. „Morgen geht nicht, John und ich wollen mal schick ausgehen. Das haben wir in letzter Zeit viel zu wenig gemacht.", entschuldigte sich Niko. „Aber du kannst mich immer anrufen, wenn du mal eine tröstende Schulter brauchst." Biene begann zu lächeln. Es war ein Jammer das Niko schwul war, John war so glücklich mit ihm verheiratet zu sein. „Danke, aber so schlimm ist es nun auch wieder nicht. Mach dir keinen Kopf.", winkte Biene ab und ging wieder los, um die Bestellungen zu überbringen. Niko schien nicht zufrieden zu sein, jedenfalls sagte das sein Gesicht als sie sich abwandte und sich wieder den Gästen zuwandte.

Wortlos servierte Biene das Weinglas von ihrem Tablett und erntete ein weiteres bestätigendes Nicken. Er schwenkte es kurz, schloss die Augen und hielt sich das Glas dann unter die Nase wie ein edles Parfum. Biene blieb einen Moment zu lang neben ihn stehen, da wanderte sein Blick schon zu ihr, voll Überraschung ob ihrer Präsenz. "Ich rufe, wenn ich noch einen Wunsch habe.", murmelte er langsam.  "Ja, natürlich... Verzeihen Sie mir, ich war in Gedanken.", sagte Biene schnell und schob dann den Champanier-Wagen weiter zum Tisch neben dem Fenster. Etwas absiets der anderen hatte sich der Herr gerade eine Zigarre angezündet und lachte über etwas, was seine Begleitung gesagt hatte. Jetzt war es soweit, Biene musste die Flasche öffnen. Eine Sache die ihr seit seiner Bestellung quer gelegen hatte. Sie präsentierte die Flasche kurz, ehe sie zu einem schneeweißen Tuch griff und langsam den Verschluss lockerte. Es durfte kein Tropfen des teuren Getränkes verschüttet werden, sonst wurde es ihr vom Gehalt gekürzt werden. Und so viel bekam sie auch nicht, es war schließlich nur ein Nebenjob. Ganz vorsichtig hob sie also den Verschluss an, Zentimeter für Zentimeter, bis er schließlich mit einem Ploppen in ihre von dem Tuch geschützte Hand schoss. Geschofft, es sprudelte nicht heraus. Der Herr lächelte ihr zu, als hätte er nichts anderes erwartet und ließ sich und seiner Begleitung einfüllen. "Haben Sie sich schon entschieden, was sie gerne Essen wollen?", fragte Biene, nachdem sie die kalt dampfende Flasche in das Eisbad gelegt hatte. Die beiden bestellten und Biene notierte es sich auf ihrem Merkzettel. "Eine sehr gute Wahl. Ich werde es sofort servieren." Gerade als Biene sich wieder zur Küche drehen wollte hielt der Herr sie am Arm auf. "Gibt es noch etwas, was ich tun kann?", fragte sie freundlich, doch er winkte ab und hielt ihr stattdessen eine schwarze Visitenkarte hin. Verdutzt nahm Biene die Karte. Heinz Reinwill, von der Reinwill Agentur. "Ich würde es begrüßen wenn Sie anrufen. In Ihnen sehe ich großes Potetial, wenn Sie verstehen was ich meine.", fügte er hinzu und Biene erntete promt einen eifersüchtigen Blick der Schwarzhaarigen. Biene gab sich nicht die Zeit, die ganze Visitenkarte zu lesen, nickte nur und bedankte sich. Größtenteils deshalb, weil sie dachte er hätte ihr gerade angeboten ihn auf die gleiche Weise zu betreuen wie die Frau ihm gegenüber.

Eilig ging Biene gab die Bestellung in der Küche ab und stopfte die Karte tief in ihre Hosentasche. Wie viel konnte denn noch passieren heute? Sie fühlte sich überfordert und etwas angeekelt, wollte sich in ihrem Bett verkriechen. Aber Abend war noch lang, denn gerade kamen die nächsten Gäste rein und die Lautsprecher begannen Gaudete zu spielen. So leise, dass das Lied in den Gesprächen verschwand und zu einem Hintergrund, zu einer Stimmung wurde. Und für einen Moment hielt Biene inne, um die Klänge zu vernehmen.

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