Die Schöne und das Biest - 2

Biene blies sich gerade eine viel zu lange, ungekürzte Strähne aus der Stirn. Der Frisör ihres Vertrauens hatte mit den Schild „Wir sind diesen Monat im Urlaub" deutlich gemacht, dass sie sich den falschen Moment ausgesucht hatte, um jenen dieses halbe Jahr zu besuchen. Aber den Rest ihrer Liste hatte mit Hilfe des 24-Stunden Supermarktes am Ende des Viertels geschafft. Zum Glück!

Sie saß also in diesem Café, indem freies W-lan versprochen wurde und von dem Biene seit zwanzig Minuten versuchte Gebrauch zu machen. Es regnete draußen, weshalb sie sich fühlte wie ein begossener Pudel und alles andere als hübsch für eine Verabredung. Ihr vermeintliches Date ließ auf sich warten wie das W-lan. Ihr blieb also nichts anderes übrig als die fragenden Blicke der Kellner wegzulächeln und die anderen Gäste zu beobachten, während ihr Blick hin und wieder nervös zur Tür oder zur Uhr glitt. Tick-tack... Schon eine halbe Stunde Verspätung.

Neben älteren Damen, die sich angeregt über das Liebesleben des jungen Nachbarn unterhielten und lauthals über ihre eigenen Erfahrungen lachten, gab es noch eine Hand voll Pärchen, die irgendwo zwischen verliebt anstarren und genervt auf dem Handy rumspielen waren. Bienes direkter Nachbar war ein Geschäftsmann in Anzug und Krawatte. Er war mittleren Alters, glatzköpfig und offenbar nicht verheiratet, denn dir Krawatte passte farblich nicht zum Hemd. Auch er spielte auf seinem Handy rum, irgendwas strategisches. Offensichtlich seine Mittagspause, denn vor ihm stand ein dampfender Coffee-to-go. Biene versuchte ihn nicht zu offensichtlich zu beobachten. Doch sie fragte sich insgeheim, ob er mit diesen riesigen Ohren fliegen konnte. Sie waren so groß, wie Biene es noch nie gesehen hatte. Irgendwas zwischen Segel und Elefant. Und dazu dann dunkle, ölige Haare, die ihm daraus hervorwuchsen. Mit Hygiene schien er es nicht so zu haben, schlussfolgerte Biene und sah sich mit den unordentlich geschnittenen Fingernägeln bestätigt. Er zog geräuschvoll die Nase hoch. Biene starrte ihn mit auf die Hand gestützten Kopf an. Der Mann faszinierte sie auf seine eklige, hässliche Art. Alles an ihm wirkte abstoßend, selbst sein Geruch, der mit jedem Luftzug des Ventilators zu ihr flog war scheußlich. Schlecht gewähltes Deo kam dazu. Und doch... die Handbewegung mit der er jetzt seinen Kaffee an die schmalen Lippen hob wirkte arrogant. Biene starrte den Mann nun ungeniert an, sich bewusst, dass sie damit extrem unhöflich war. Es juckte ihr in den Fingern ihn dazu zu provozieren sie anzusehen, damit sie sah, ob er auch in der Frontalen so hässlich war.

Sie starrte ihn also eine ganze Weile fasziniert an, ehe er endlich von seinem Handy aufschaute und etwas bemerkte. Wie auf einen geistigen Befehl drehte sich sein Kopf zu ihr und man, war der hässlich, dachte sie. Klar konnte man nichts für seine Erbanlagen unf Biene sah es auch nicht als Beleidigung an, sie stellte es fest. Genauso wie man feststellte das der Kühlschrank leer war und man wieder einkaufen musste. Oder eben hungrig das Haus verließ. Nicht das sie das heute morgen so erlebt hätte und sich ärgerte nicht auch was für sich am Vortag eingekauft zu haben.

„Wollen Sie irgendwas?", fragte der Herr nun, während sich eine Falte zwischen seinen Augenbrauen bildete. Biene schüttelte schulterzuckend den Kopf, wandte den Blick aber nicht ab. „Nö", meiste sie locker und schaute den Mann an, wie die Gedanken in seinen Augen spielte. Sollte er böse sein? Oder sie einfach ignorieren? Sein geschlossener Mund bewegte sich überlegend. Biene lächelte nicht, als sie sich vorlehnte und den Mann fragte: „Stört Sie das?" Sie meinte es bitterernst. Wenn sich der Mann gestört fühlte wurde sie nur heimlich schauen. „Ich war sowieso gerade fertig.", sagte er Mann, nahm seinen Becher, steckte sich das Handy in die rechte hintere Hosentasche und verließ das Café. Biene schaute ihm nach. Sehr schlaksig. Er war auf ihrer Liste der Kuriositäten gelandet, die sie im Kopf führte. Heute Abend würde sie sein Aussehen in ihr Buch schreiben und versuchen ihn zu zeichnen. Diese Bilder ähnelten eher Karikaturen und besondere Merkmale - Nase, Ohren, Hände, etc. - waren überspitzt dargestellt, aber Biene gefiel es. Nun konnte sie ein weiteres Exemplar ihrer Sammlung beifügen.

Im nächsten Moment wurde sie aus den Gedanken gerissen, als ein junger Mann durchschnittlichen Aussehens vor ihrem Tisch stand. Er war groß, nervös und schaute auf Biene herab wie ein übergroßer Welpe. „Bist du Sabine Teufel? Von Lovely Lines?", fragte er und Biene nickte automatisch. Er lächelte erleichtert und setzte sich ihr Gegenüber. „Nenn mich Biene. Mit ie. Ist ein Insider aus der Schulzeit.", erklärte Biene schnell, bevor er etwas sagte. Sie mochte der Namen Sabine nicht, er schien nicht zu ihr zu passen wie sie fand. Sabines waren starke, unabhängige Frauen, die immer alles im Leben auf die Reihe bekamen und mit einem guten Löffel Selbstvertrauen in den Tag starteten. Geschäftsführer, Bankmanager oder Kauffrauen hießen Sabine. Sie war einfach nur Biene. Tollpatschig, verplant und... naja, oftmals viel zu pessimistisch. „Na gut, Biene mit ie. Ich würde zu gern die Geschichte hinter diesem Insider hören. Nenn mich Fabi.", stellte er sich vor und lächelte. Biene zog die Augenbrauen hoch. „Wollen wir uns nicht erstmal was bestellen? Ich bin im Übrigen keine gute Erzählerin.", sagte sie mit einem kurzen Lächeln. Fabi zuckte mit den Schultern. „Das soll mich nicht stören. Ich nehme einen Kaffee schwarz und du?" Biene versuchte nicht ganz so offensichtlich zu zeigen, dass sie gerade keine Lust hatte es ihm zu erzählen und schlug die Karte zum zweiten Mal an diesem Tag auf. Aus Langeweile hatte sie sich das Angebot schon durchgesehen und wusste nun eigentlich schon ganz genau was sie wollte. Nicht wirklich erstaunt stellte sie fest, dass sie nicht nervös war oder aufgeregt. Fabi war bestimmt ein netter Typ, aber sie wusste jetzt schon das da maximal Freundschaft war. Keine echte Verliebtheit. Mal wieder...

„Ich erzähle es dir später, okay? Jetzt nehme ich erstmal das Schoko-Spagettieis und einen Milchkaffee." Fabi ahmte - ob bewusst oder unbewusst - ihre Sitzhaltung nach und legte seinen Kopf auf seine Hand. Unauffällig änderte Biene ihre Position und lächelte ungeniert. Der Kellner kam, nahm ihre beiden Bestellungen auf und verschwand wieder in einem langsam voller werdenden Café. Es war bald Nachmittag, Touristen gesellten sich zu den Einheimischen.

„Erzähl mal was von dir Biene. Du wirst wie eine interessante Frau.", forderte Fabi sie auf und lächelte verliebt zu ihr rüber. Oh na toll, sie hasste es, wenn man so etwas Unkonkretes wollte. Zudem versuchte sie sich möglichst kumpelhaft zu zeigen, um ihm auch die richtigen Signale zu zeigen. „Was genau willst su denn wissen?", fragte sie. Er zuckte nur mit den Schultern. „Irgendwas. Was studierst du?" Seine Frage war ganz schön unkreativ, vor allem weil Biene sich daran erinnerte dies schon beantwortet zu haben. Beim Schreiben. „Biologie mit Nebenfach Soziologie. Zweites Semester. Du arbeitest als Bankkaufmann bei der AOK, richtig?", erinnerte sich Biene und Fabi nickte bestätigend. Kaufmännische Berufe hatten sie noch nie sonderlich interessiert, deshalb fuhr sie nun rasch fort, um möglichen Gesprächen auf diesem Gebiet aus dem Weg zu gehen. „Ich bin eigentlich Brillenträger, aber die ist mir vor ein paar Tagen in der Bahn kaputt gegangen, weshalb ich nun halb blind durch die Welt laufe.", plauderte sie weiter. Und immer weiter, dass sie eine jüngere Schwester hatte, eine Hundehaarallergie, für Tierrechte demonstrierte und wie sehr es Biene ärgerte, dass alle kreischend auf die Stühle sprangen, wenn sie eine Spinne sahen. „Ich meine, die armen Tiere. Wenn die sich zeigen werden sie grundlos mit einer Pantoffel oder sonst was getötet. Sie beißen nicht, sie greifen nicht an, sie existieren einfach. Das sind arme, missverstandene Kreaturen.", endete Biene gerade und nahm einen Schluck von ihrem mittlerweile angekommen Milchkaffee. Fabi sah sie einen Moment irritiert an, dann lachte er leise. „Sind Spinnen deine Lieblingstiere? Nicht das du dir am Ende welche zuhause hälst.", kicherte er weiter. Biene verzog mürrisch den Mund. „Nein, sie sind nicht meine Lieblingstiere. Das sind Katzen... Außerdem wäre es Quälerei für eine exotische Spinne in einem Terrarium eingepfercht zu sein."

Bienes Stimmung war irgendwie im Keller. Sie fühlte sich von Fabi nicht ernst genommen und das störte sie gerade sehr. Im allgemeinen konnte sie es nicht ab, wenn man ihre Worte weglachte. „Ach Biene, jetzt sei doch nicht so. Ich hab doch nur einen Spaß gemacht.", versuchte Fabi sie zu beschwichtigen, doch sie zuckte nur mit den Schultern. „Ich meine das aber ernst.", murmelte sie leise. Fabi lachte wieder leise. „Schon gut. Jeder hat etwas was er mag. Du magst eben Spinnen. Ich mag dich. Wenn wir später... Dinge tun, dann spielt das eh keine Rolle mehr." Bienes Kopf ruckte hoch. Ein kalter Ausdruck lag in ihren Augen. Er glaubte doch wohl nicht... sicher nicht nach dieser Aktion. Vielleicht auch schon davor nicht, denn der Funken war nicht übergesprungen. Und er redete zu seinem Unglück weiter. „Ich toleriere alles was du machst, und machen willst. Muss ich ja nicht gut finden. Hauptsache wir sind körperlich auf einem Level. Das würde mich echt freuen. Denn ich glaube, dass du einen super hübschen Körper unter diesen Klamotten versteckst. Den würde ich wirklich gerne mal sehen... und wer weiß, was dann p-" „Ich muss los. Ganz vergessen, dass ich heute noch einen Termin beim Zahnarzt habe. War echt nett.", fuhr Biene scharf dazwischen und stand auf. Fabis Augen weiteten sich. „Oh... okay. Ich kann dich auch fahren.", bot er sichtlich irritiert an. Biene schüttelte den Kopf und rauschte schon an ihm vorbei. Seine nächsten Worte konnte sie nicht mehr verstehen, denn da riss sie schon die Eingangstür auf und trat in den Regen.

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