25. Flashback
Zitternd drückte ich mich noch näher an die Hauswand hinter mir. Der Regen peitschte mir seitlich ins Gesicht und meine Kleidung war klatschnass. Es war Mitte Juli und die Regenzeit hatte begonnen. Das war alles andere als gut für uns. Wir konnten uns vor der Nässe nicht schützen und die angenehme Wärme half dabei nicht wirklich, wenn man komplett nass war und sich nachts in einer Seitengasse versteckte.
Zwar hatten wir manchmal Zuflucht in leerstehenden Gebäuden gefunden, doch heute schien das Glück nicht auf unserer Seite.
Neben mir spürte ich Cosmos kleinen Körper. Er war gerade mal acht Jahre alt und gehörte nicht auf die Straße! Doch den Staat interessierte das herzlich wenig. Es gab unzählig viele Straßenkinder und Obdachlose, da machten zwei mehr auch nichts aus. Allerdings hatte das auch etwas Gutes. Wir konnten uns gegenseitig helfen.
„Mir ist kalt", fing Cosmo plötzlich neben mir mit zittriger Stimme an und ich legte meinen Arm beschützend um ihn.
„Ich weiß", erwiderte ich bloß.
Was sollte ich auch schon sagen? Etwa, dass mir genauso kalt war und mein Magen unaufhörlich knurrte, weil er gestern meine Portion hatte, damit wenigstens er satt war? Oder vielleicht, dass ich jede Hoffnung aufgegeben hatte? Nein, garantiert nicht, er sollte sich keine Sorgen machen.
Das tat ich schon für uns beide genug.
Cosmo kuschelte sich noch etwas mehr an mich und versuchte hierbei beinahe in meine Tasche zu schlüpfen. Sein Gesicht hatte er dabei unter meiner geöffneten Jacke an meiner Brust versteckt und ich spürte seinen Atem durch mein dünnes Shirt. Ihn schien es nicht zu stören, dass ich nass war. Meine Körperwärme war ihm offenbar wichtiger.
„Können wir nicht woanders hin?", fragte mein Halbbruder unsicher.
Kopfschüttelnd strich ich durch seine nassen, braunen Haare. Sie hingen kraftlos über seine Stirn und waren definitiv etwas zu lang. „Wo willst du denn hin?"
„Keine Ahnung. Irgendwo hin halt." erklärte er leise. „Dort, wo es warm ist."
Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Ich kannte einen solchen Ort, nur wollte ich da nicht hin. In Mexiko herrschte eine große Bandenkriminalität und die guten Orte wurden von älteren besetzt. Die jüngeren in der Straßenszene standen ganz unten und mussten sich erst durchbeißen, ehe sie das Privileg hatten, ein besseres Leben zu führen.
Aber darüber konnte man sich streiten. Denn ein besseres Leben war es meiner Meinung nach nicht. Vielleicht hatte man mehr Geld, mehr Essen und einen festen Schlafplatz, aber dafür hatte man auch viele Probleme.
Probleme, die ich nicht haben wollte!
Drogen und Waffen waren da nur zwei Sachen von vielen und davon wollte ich fernbleiben! Und ich würde alles dafür tun, dass Cosmo niemals damit in Kontakt kommen würde!
„Bitte, Ace!", jammerte er und ich seufzte gequält. Der Kleine machte es mir nicht leicht. „Ich bin auch leise, versprochen!" versuchte er es weiter. Zwar hatte er keine Ahnung von den Gefahren dort, aber er wusste, dass es einen Grund geben musste, warum ich nicht hinwollte.
„Cosmo, Nein", murmelte ich und schloss die Augen. Ich würde ihn einfach ignorieren.
Doch der Braunhaarige ließ nicht locker und zupfte an meiner Jacke. „Bitte, bitte! Ace, mir ist kalt und ich hab Hunger."
„Woher willst du wissen, dass es dort etwas zu Essen gibt?", wollte ich wissen und könnte mich schon im nächsten Moment dafür schlagen. Ich wollte ihn doch ignorieren! Nur wickelte er mich geschickt um den kleinen Finger und das mit voller Absicht!
Mit seinen großen Augen sah er zu mir auf und meinte, „Tai hat bestimmt etwas!"
„Er gibt uns aber nichts!", hielt ich sauer dagegen. Ich wollte nicht, dass er ständig mit Tai ankam, wenn es Probleme gab. Aber Cosmo gehörte definitiv nicht zu der Art Mensch, die einfach aufgaben. Er setzte seinen Willen eigentlich fast immer durch und war schlau genug, um zu wissen, wie man Menschen manipulieren konnte. Auch, wenn er das nicht immer bewusst tat.
„Wir können ihn ja beklauen!", schlug er nun begeistert vor und ich verdrehte schmunzelnd die Augen. Was hatte ich ihm da nur beigebracht? „Also?", hakte er nach und pikste mir in die Wange.
Früher hatte er ordentlich Respekt vor mir! Doch offenbar war ich zu weich mit ihm, denn sein Mut mir gegenüber nahm immer mehr zu. Oder aber, es war seinem verspielten, kindlichem Ich zu verschulden, immerhin war erst acht Jahre alt.
Irgendwann gab ich dann doch nach. Selbst der Regen konnte Cosmo von seinem Plan nicht abhalten. Also rappelte ich mich auf, wobei mein Nacken knackste, der total steif war, und verließ die Gasse.
„Danke, Ace", grinste der Kleine nur und nahm meine Hand.
Ich hingegen brummte nur und führte ihn durch die dunklen Straßen zu einem heruntergekommenen Gebäude. Davor waren einige Obdachlose mit Schlafsäcken und einzelne Zeitungspapiere lagen auf dem Boden. Angewidert rümpfte ich die Nase und zog meinen Schützling weiter. Dieser sah sich interessiert um und schien nicht wirklich zu wissen, dass wir eigentlich noch ärmer waren. Nur waren wir viel schlauer und fitter!
„Was ist das für weißes Zeug?", wollte er interessiert wissen, doch ich antwortete nicht. „Ist das Zucker?"
„Ja, aber der ist ekelig!"
„Warum ist es dann Zucker?" Cosmo zog an meiner Hand, aber ich ging weiter. Mit gestrafften Schultern zog ich ihn mit. Er brauchte nicht zu wissen, dass das Heroin war, was sich Leute dort reinzogen und damit das Hirn wegballerten!
Erst als wir im Gebäude waren, hielt ich an. „Du bleibst bei mir und bist leise!"
„Jap", versicherte er und linste frech zu mir hoch. Der Kleine war auf seine Weise irgendwie niedlich, aber auch verdammt anstrengend!
„Ace!", hörte ich eine laute Stimme durch den großen, dreckigen Raum lallen. Einige Junkies drehten ihre Köpfe zu uns, doch ich sah sie nur eisig an. „War klar, dass du wieder kommst."
Widerwillig drehte ich meinen Kopf zu Tai, der mir schwankend entgegenkam. Er sah abgeschossen aus und stank bestialisch. Seine typisch mexikanisch dunklen Haare waren wirr auf seinem Kopf und seine dunkle Haut war von Dreck überzogen. Ich hatte ihn vor etwa einem Jahr bei einer Schlägerei kennengelernt und seitdem wich er mir kaum von der Seite.
Das ging mir aber oft auf die Nerven, weswegen ich das Weite suchte und ihn weitestgehend ignorierte. Er war nur ein kleiner Dealer, mehr nicht und das bedeutete, er brachte Probleme mit!
„Na, Kleiner?", begrüßte er Cosmo. Dieser versteckte sich hinter mir und krallte sich an mein rechtes Bein fest. Normalerweise mochten sich die beiden, doch Cosmo hatte Tai eben noch nie high gesehen. „Heute nicht so gesprächig, hm?", feixte er.
„Du bist high", brummte ich nur und er grinste dümmlich.
Vorsichtig traute sich Cosmo hervor, hielt aber meinen Oberschenkel immer noch umklammert. „Hast du was zu essen?"
„Och, Kleiner!", stieß Tai aus und wollte Cosmo über den Kopf streichen, doch ich packte ihn am Unterarm und zog ihn wieder vor, woraufhin Cosmo erschrocken zusammenzuckte. „Ich hab was, aber das hat seinen Preis", sagte er schließlich, dabei sah er mich vielsagend an.
Natürlich. Alles hatte seinen Preis. Hier auf der Straße gab es nichts umsonst! Außer vielleicht ne Tracht Prügel.
Mit zusammengekniffenen Augenbrauen funkelte ich ihn an und knurrte, „Was willst du?"
„Einen Gefallen?", riet er schulterzuckend und ich stieß genervt die Luft aus. Nickte aber dann und wir folgten ihm in den hinteren Teil des Gebäudes. Hier war es etwas sauberer, aber die Menschen hier waren gefährlich. Deswegen würde ich heute Nacht auch kein Auge zu machen!
Während Tai Cosmo einen matschigen Burrito gab und dieser darüber unglaublich glücklich war, kickte ich die leeren Spritzen weg und fragte mich, was für einen Gefallen Tai wohl wollte.
*****
Hallo, heute mal ein etwas anderes Kapitel. Was haltet ihr von Ace und Cosmos Kindheit?💗
Zudem bin ich am Überlegen mehr solche Kapitel, also Flashbacks einzubauen. Was haltet ihr davon? Lasst es mich wissen und ich wünsche euch noch einen schönen Tag❣️
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