16. Gebet

„Psst! Du weckst ihn noch auf!", vernahm ich eine Stimme.

„Was sollen wir Aarón dann sagen?", erklang eine Zweite. Wer war bitte alles hier?! „Etwa, dass er zusammengeklappt ist?!"

Langsam öffnete ich meine Augen. Mein Schädel brummte und meine Seite tat wieder weh. Es fühlte sich an, als hätte ich überhaupt nicht geschlafen.

„Toll, jetzt ist er wach!", schimpfte die erste Stimme vorwurfsvoll. 

Verwirrt sah ich mich um. Ich hatte keine Ahnung warum, aber mir war leicht schwindlig. Lag wahrscheinlich daran, dass ich fast nichts getrunken hatte. Ich lag immer noch auf dem Bett im Gästezimmer. Unverändert und mit schmerzenden Muskeln. Vor mir standen Keno und Cosmo. Beide sahen frisch geduscht aus und trugen andere Klamotten. Wie spät war es bitte?!

„Wie geht's dir?", wollte mein Bruder besorgt und ungewohnt zärtlich wissen. Er hatte sich vor das Bett gehockt, damit er mit mir auf Augenhöhe sein konnte.

Ich kniff kurz die Augen zusammen. „Wie überfahren."

„Ja, so siehst du auch aus", meinte Keno murmelnd. Doch auch er konnte seinen besorgten Unterton nicht verbergen. 

Was hatten die denn alle? Ächzend richtete ich mich auf. Cosmo verfolgte jede meiner Bewegungen, um mir notfalls zu helfen. Ich war doch kein kleines Kind mehr! Trotzdem gefiel es mir, dass er mir helfen wollte und offenbar zu mir stand.

Als ich dann auf der Bettkante saß, erklärte Keno, „Aarón wollte, dass wir dich holen. Es gibt Abendessen und auch Julia hat sich Sorgen gemacht, weil du einfach verschwunden bist."

„Mir geht's gut, bin nur müde."

Während Keno mich zweifelnd ansah, schlug Cosmo mir gegen die Schulter. „Dir geht's überhaupt nicht gut! Erinnerst du dich an das Gespräch, was wir erst vor ein paar Tagen hatten?!" Der Silberhaarige wurde ruhiger. „Hör mal, ich mach mir Sorgen! Ich will, dass du mir sagst, wenn es dir schlecht geht und dich nicht verkriechst", schimpfte er und mit seinen künstlich braunen Augen sah er mich durchdringlich an. „Denn das selbe würdest du auch von mir verlangen. Wir sind füreinander da", ergänzte er noch. 

Natürlich hatte er recht. Ich würde genauso reagieren. Die Angst den jeweils anderen zu verlieren, hatte uns beide im Griff. Ich nickte, als Zeichen, dass ich verstanden hatte.

„Gut, kommst du mir runter?" Ich sah zu Keno auf, der mich mit hochgezogenen Augenbrauen ansah. „Oder, sollen wir dir etwas hochbringen?"

Schnell schüttelte ich den Kopf. So weit kam es noch! „Nein, ich komm mit runter. Was sollen wir denn sonst Aarón sagen?"

Die beiden nickten und so halfen sie mir zur Treppe. Draußen war es bereits dunkel, als ich zum Fenster sah. Ich hatte wohl doch eine Weile geschlafen, nur fühlte ich mich nicht so. An der Treppe gab es dann doch ein paar Probleme. So musste ich mich wieder unwillkürlich auf Cosmo stützten. Als dieser versehentlich meine Verletzung streifte, zischte ich auf.

„Morgen gehen wir definitiv zu meiner Mum, am Ende hat sich die Verletzung noch entzündet!", bestimmte Keno, der sich das alles nicht gern ansah.

„Das hat sie schon", murmelte Cosmo kleinlaut. Danke!

Kenos Augen wurden groß. „Was?!" Tief atmete er durch. „Leute, das geht so nicht. Ihr könnt das nicht geheim halten!"

„Du hast es aber versprochen!", argumentierte mein Bruder. Böse funkelte er den Braunhaarigen an. 

Erstaunlich, wie schnell er umschlagen konnte, sobald es um mich ging. Keno seufzte nur. Die Unterhaltung führte zu nichts und das wusste er auch. Es machte jetzt einfach keinen Sinn zu streiten. Deswegen hielt er auch den Mund und begleitete uns runter. Dabei erzählte er uns auch, dass er bereits mit Aarón gesprochen hatte und hier übernachten durfte.

„Endlich", meinte Julia, die den großen Topf gerade abstellte. Die Zwillinge deckten derweil den Tisch. „Ace, du siehst wirklich nicht gut aus. Auch heute Morgen schon nicht."

Eilig kam sie auf mich zu und drückte ihre Hand auf meine Stirn. Fieber hatte ich zum Glück nicht. Noch nicht. Mein Blick fiel auf den Spiegel im Flur, den ich von hier aus leicht sehen konnte. Wie heute Morgen war ich blass und mir war ja auch schwindlig. Zudem dröhnten alle Geräusche unangenehm in meinen Ohren.

„Nicht, dass du krank wirst", sagte sie besorgt.

Keno schob sich dazwischen. „Wahrscheinlich nur eine Erkältung. Es wäre besser, wenn er morgen nicht arbeiten würde und ich ihn stattdessen mit zu meiner Mutter nehme, damit sie ihn abchecken kann."

„Oh ja, das ist eine gute Idee." Julia sah zu ihrem Mann, der nickte und mich seltsam ansah. 

Ich erwiderte seinen Blick und es schien, als würde er etwas wissen, denn plötzlich lächelte er komisch. „Dann wird Ace sich die nächsten Tage schonen", bestimmte er und überrascht sah ich ihn an.

Cosmo hatte seine Hände auf meine Schultern gelegt und drückte mich auf einen der Stühle. Auch die anderen setzten sich und stumm lauschte ich dem Gebet, welches Aarón mit geschlossenen Augen sprach. 

„Herr, danke für den erfolgreichen Tag und, dass wir hier heute zusammensitzen können. Danke für das Essen, welches du uns gegeben hast und danke, dass Keno heute Abend hier bei uns ist." Er machte eine kurze Pause und sein freundlicher Gesichtsausdruck wurde ernster. „Aber du siehst auch, wenn es uns nicht gut geht, und du hast uns versprochen, dass du uns helfen wirst. So bitte ich dich, dass wenn es dein Wille ist, du Ace heilen und helfen wirst... Amen."

Damit öffnete er die Augen und ich sah ihn perplex an. Mir war während seiner Worte die Kinnlade heruntergeklappt. 

Er betete für mich?! Woher wusste er überhaupt von der Verletzung? Und dachte er wirklich, dass ein Gebet zu seinem Gott etwas daran ändern würde?! Sprachlos sah ich ihm in die Augen. Doch er lächelte nur.

„Glaubst du etwa nicht, dass Gott dir helfen kann?", wollte Paula urplötzlich wissen.

Überrascht drehte ich meinen Kopf zu ihr. Was sollte ich denn darauf sagen? Etwa, dass ich noch nie etwas mit Gott zu tun hatte und keinen Glauben für Wunder oder Ähnliches übrighatte?

„Oder glaubst du gar nicht an Gott?", löcherte mich nun auch Adrian. 

Oh man, die wollten Sachen wissen! Ich räusperte mich und sah unsicher zu Cosmo. Mit Sicherheit gab es einen Gott. Nur hatte er mir bisher auch nicht geholfen, warum also sollte er es jetzt? Und außerdem war ich kein Unschuldslamm...

„Ich glaube eher, dass er mir nicht helfen wird, beziehungsweise will", antwortete ich ruhig. Wer half schon einem Mörder? Außerdem hatte ich von alle dem doch überhaupt keine Ahnung.

Die Zwillinge und alle anderen am Tisch sahen mich merkwürdig an. Alle, außer Aarón. Er sah auf seinen Teller und aß. Keiner stellte eine Frage mehr, weswegen sich alle der Suppe widmeten. Nur meine Gedanken sprangen im Dreieck und ich stellte mir kurioserweise die Frage, was wäre, wenn meine Verletzung morgen wirklich besser wäre?

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