37. Kapitel
"Dein Auge sieht nicht so gut aus." Die Stimme ist eklig. Sie klingt wie das leise Zischeln einer Schlange. Hinterhältig und arrogant. Ich kenne dieses Gesicht viel zu gut, um etwas anderes zu erwarten. Der König persönlich erhebt sich von seinem Stuhl und schlendert betont langsam und selbstgefällig in meine Richtung: "Ich denke du solltest es kühlen, damit es nicht anschwillt." Natürlich hätte ich mittlerweile gelernt haben sollen, dass jemanden anzuspucken, nicht gerade die beste Alternative ist, aber ich kann den Reflex einfach nicht unterdrücken, wenn es nun einmal das Einzige ist, was ich in meiner Position tun kann. Was auch immer ich jetzt von ihm erwartet hatte, das brüllende Lachen, das aus seiner Kehle steigt, überrascht mich. "Ich weiß, warum er dich mag", sagt er, noch immer nach Luft ringend. Mein verwirrter Blick muss ziemlich perfekt gelungen sein, denn er wird auf einen Schlag wieder ernst und starrt mich mit diesen leuchtenden Augen an: "Dein Freund." Unbeabsichtigt zucke ich zusammen. Woher weiß er von Lijah? Er mustert mich aufmerksam; seine Pupillen sind unnatürlich geweitet: "Komm mit! Ich zeig dir was." Sein schlanke Hand winkt mich hinter ihm her. Das Lachen, das nun den Raum erfüllt, muss von mir sein, denn ich sehe seine Lippen sich nicht bewegen. Sein Blick erinnert mich an den eines Kleinkindes, das nicht weiß, was es falsch gemacht hat, dass man so darüber lachen muss. Dann scheint ihm jedoch ein Licht aufzugehen und er klopft an die Tür. Dreimal. Ziemlich schnell hintereinander. Mein Bauch fängt sofort wieder an zu brennen, als der Schrank den Raum betritt und mich mit seinem grimmigen, breiten Gesicht anschaut. Ohne ein Wort kommt er näher und ich versuche mich so klein wie möglich zu machen, um so wenig Angriffsfläche, wie möglich zu bieten, doch der erwartete Schlag kommt nicht. Stattdessen löst sich die Spannung um meine Handgelenke und ich kann meine Arme endlich wieder bewegen. Auch meine Füße sind frei. Dann sehe ich die Tür. Sie steht offen; wie eine Einladung in die endgültige Freiheit. Ich könnte einfach davonlaufen, aber mein Verstand sagt etwas anderes. Ich wüsste doch gar nicht wohin. Hier ist alles für mich fremd und wer weiß, vor wie vielen verschlossenen Türen ich noch stehen würde, bevor ich endlich die frische Luft genießen kann. "Cleveres Mädchen." Die Überraschung in seiner Stimme entgeht mir nicht, aber ich verziehe keine Mine. Hinter mir bewegt sich der riesige Berg Fleisch und packt mich grob an den Armen. Sein Griff ist so fest, dass ich fürchte, meine Knochen könnten durch ihn einfach zerbrechen. Anscheinend habe ich kurz aufgeschrien, denn der König richtet seine glühenden Augen jetzt auf Mister Schrank. "Das wird weder nötig, noch verlangt sein! Ihr habt ihr schon genug Leid zugefügt." Der Riese lässt mit seinen fleischigen, fetten Fingern von mir ab und grummelt irgendetwas unverständliches. "Dürfte ich die Dame dann bitten, mir zu folgen?" Ich wage nicht, zu sprechen, obwohl ich ihm am liebsten alle Adjektive an den Kopf werfen würde, die ihn beschreiben. Zum Beispiel: hinterlistig, arrogant, egoistisch und noch so einiges mehr. Schon bei meinem ersten Schritt brennt mein Bein, als wären tausende Scherben hineingebohrt. Ungewollt entweicht ein Zischen zwischen meinen Lippen und lenkt die Aufmerksamkeit des Königs wieder auf mich, anstatt auf den Weg vor ihm. Ohne ein Wort greift er unter meinen Arm und stützt mich, als würde er mich zu einem feierlichen Anlass führen. Seine eisigen schlanken Finger ekeln mich an und eine Gänsehaut kriecht meine Haut hinauf, von dem Punkt aus, wo er sie berührt. Aus einem Impuls heraus, ziehe ich meinen Arm weg und knicke sofort wieder ein, von der Last, die wieder auf meinem Bein liegt. Diesmal etwas hartnäckiger greift er zu und ich habe keine andere Wahl, als ihn gewähren zu lassen. Entgegen all meiner Erwartungen ist er stark. Ich kann die Muskeln seiner Oberarme spielen sehen, als er mich auf die Füße zieht. Außerdem ist er viel jünger, als er auf den Veranstaltungen immer wirkte, die er gegeben hat. Seine Züge sind hart und kantig, aber er ist nicht unattraktiv. Niemals würde ich einen derartigen Charakter hinter diesem Gesicht erwarten, wenn ich ihm auf der Straße begegnen würde. Zögernd und vorsichtig setze ich einen Fuß vor den anderen. Mein Bein schmerzt noch immer, aber ich breche durch seinen Arm als Stütze nicht mehr zusammen und schaffe es durch die Tür. Der Gang dahinter ist nicht viel anders als der Raum selbst. Perfekte Mauern, akkurate Böden. Ab und an mal ein paar Wachen mit Fackeln in den behandschuhten Händen. "Keine Sorge. Es wird natürlich noch viel schöner während unseres kleinen Spaziergangs."
Verwirrt schlage ich die Augen auf. Was ist passiert? Ich kann mich noch wage daran erinnern, dass ich mit dem König durch den Palast gelaufen bin und auf eine grüne Wiese geschaut habe, die gerade durch künstlichen Regen bewässert wurde, doch danach ist vollkommene Schwärze. Schlapp versuche ich mich aufzurichten, doch etwas hält mich auf. Erschrocken muss ich feststellen, dass meine Hände und Füße erneut in Ketten liegen, aber diesmal hänge ich nicht in der Luft, sondern ich liege auf einer Art Tisch. Er fühlt sich an, als wäre er aus Stein, denn die Kälte sickert durch den dünnen Stoff meines Kleides. Panik steigt in mir auf. Ich bin mir ganz sicher, dass ich vorhin noch kein Kleid getragen habe. Verzweifelt rüttele ich an den Ketten, aber sie bewegen sich keinen Millimeter. Ich will schreien, doch gerade in diesem Moment öffnet sich eine Tür hinter mir, die ich nicht sehen kann. Ein Hand mit schlanken Fingern streicht über meine Haare, meine Wange hinab. "Habe ich ein schönes Kleid herausgesucht?" Das Zischen ist so nah an meinem Ohr, dass ich zittere. "Hab keine Angst. Das bin nur ich." In diesem Moment wünsche ich mir einfach nur den Schrank zurück, der mich schlägt und über mich lacht. Alles ist besser als das hier. "Du hättest weglaufen sollen. Dann hätte ich dich vielleicht getötet und dir wäre das hier erspart geblieben, obwohl - ", er macht eine Pause in der er sich mit einem fragenden Gesichtsausdruck über das Kinn streicht, "Vermutlich doch nicht. Es wäre genau das selbe passiert. Schließlich brauche ich dich noch. Bis es so weit ist, können wir aber doch ein bisschen Spaß miteinander haben." Seine Finger streichen über meine Lippen und ich drehe meinen Kopf weg. Wieder erklingt dieses brüllende Lachen aus seinem Mund und er packt mein Gesicht; reißt es zu sich herum: "Man macht, was der König sagt!" Ich nehme all meinen Mut zusammen und sehe ihm direkt in die Augen: "Ihr habt niemals gesagt, dass ich euch ansehen soll." So schnell, dass ich seinen Bewegungen nicht folgen kann, zieht er etwas glänzendes aus seiner Tasche. Sein Blick ist so verrückt als er mir das Messer an die Kehle hält, dass mir das Blut in den Adern gefriert. Dieser Mensch hat keinen Verstand mehr. Er spielt mit der Klinge an meinem Hals und setzt das kalte Metall immer wieder an, ohne zu schneiden. Dann holt er aus und rammt mir das Messer in meine Handfläche. Der Schmerz verursacht eine Explosion in meinem Kopf. Sterne springen vor meinem inneren Auge auf und ab und ich schreie gequält auf. "Das passiert, wenn du frech bist, dummes Kind", flüstert er mit einer hohen krächzenden Stimme, die mich an das kleine Männchen aus einem Märchen erinnert, das meine Eltern mir einst vorgelesen haben. Ich beiße mir auf die Lippe bis sie blutet, um den Schmerz zu verdrängen, aber es hilft nicht. Meine Hand pocht und ich fühle das warme, klebrige Blut, das aus der Wunde schießt. Gerade als ich glaube, dass die Qual etwas erträglich wird, reißt er das Messer wieder aus meiner Hand heraus und ich habe das Gefühl als würde sie brennen. Ohne ein Wort oder ein Laut verlässt der König daraufhin den Raum und schlägt die Tür hinter sich so laut zu, dass es mir in den Ohren dröhnt. Er lässt mich hier, um zu verbluten. Erstaunlicherweise, bin ich ganz ruhig. Meine Hand ist pure Folter, aber ich werde sterben. Ich weiß, was nach dem Tod auf mich wartet. Endlich kann ich wieder mit meiner Mutter zusammen sein. Der König wird sein Spielzeug verlieren, das er scheinbar in mir haben wollte. Trotzdem drängt sich ein Gedanke in das bisschen Verstand, das noch richtig funktioniert. Was passiert mit Lijah, Lui und Hannah? Schockiert muss ich feststellen, dass ich die ganze Zeit über, noch nicht einmal an sie gedacht habe. An keinen der drei. Ich liebe sie so sehr und doch habe ich sie einfach verdrängt. Wie es ihnen jetzt wohl geht? Ich frage mich, ob sie nach mir suchen oder ob sie davon ausgehen, dass ich tot bin. Hoffentlich glauben sie nicht mehr daran, mich noch leben zu finden. Es würde ihnen nur noch mehr das Herz brechen, wenn sie dann erführen, dass ich doch gestorben bin. Sie sollen glauben, ich wäre im Feuer verbrannt. Es ist besser als zu wissen, dass meine letzten Stunden voller Qualen waren. Ob sie mein Tagebuch gefunden haben?
Warmes Licht scheint auf mein Gesicht. Die Abendsonne kitzelt meine Nase und ich blinzele gegen sie an, um meine Augen öffnen zu können. Schon in den ersten Sekunden weiß ich, dass ich nicht tot bin. Der dumpfe Schmerz in meiner Hand erinnert mich daran. Diesmal habe ich keine Ketten und ich liege auch nicht in einem geschlossenen Raum. Über mir ist ein Dach, aber zu meiner Rechten sehe ich Gras. Müde richte ich mich auf. Wie viel Zeit mag wohl vergangen sein? Ich habe das Spiel, dass der König mit mir spielt allmählich satt. Er scheint so viele verschiedene Gesichter und Stimmen zu haben, dass ich keine weiteren mehr kennen lernen will. Die ersten beiden waren schlimm genug. Mein Blick fällt auf meine Hand. Sie ist bandagiert und sauber. Ich trage noch immer das Kleid und meine Haare sind gekämmt. "Du bist sein Druckmittel." Mehr gelangweilt als überrascht suche ich nach dem Ursprung der Stimme. Zu meiner Linken steht ein Mädchen. Sie lehnt lässig an der Wand und betrachtet mich neugierig: "Das ist dein Glück." Ich frage mich, ob sie einfach weiter spricht, wenn ich sie nur schweigend anstarre. "Es hat sich die Situation ergeben, in der er dich wirklich braucht." Noch immer verstehe ich nicht genau, was sie mir eigentlich sagen will, aber ich habe mich entschieden zu schweigen und das werde ich auch tun. Vermutlich kann sie meine Gedanken erraten, denn sie stöhnt entnervt und erklärt weiter: "Er will sich an Elijah Dorn rächen, da er sich öffentlich widersetzt hat. Außerdem weiß er, dass Amalie Heller sehr in dich vernarrt ist und so wird er dich als Geißel benutzen, um die Jäger zur Niederlage zu zwingen. Deutlich genug?" Natürlich habe ich sie verstanden, aber antworten werde ich ihr trotzdem nicht. Es könnte wieder ein dummes Spiel sein. Ihr Augen schimmern milchig, als würde sie gleich anfangen zu weinen, aber so sieht sie mir eigentlich nicht aus. Irgendetwas an ihr stimmt nicht. Die Art, wie sie da steht und das Weiß in ihren Augen. Dass sie blind ist, habe ich gesehen, aber es ist noch etwas anderes. Ich kann nicht genau bestimmen, was es ist. Sie scheint etwas hinter ihrem Rücken zu verstecken. Etwas, das groß genug ist, um eine Lücke zwischen ihr und der Mauer entstehen zu lassen. Sie scheint meinen Blick irgendwie gespürt zu haben: "Keine Sorge. Das ist kein Schwert, um dir die Kehle durchzuschneiden." Gelassen greift sie hinter sich und zieht einen dicken Stapel Papier heraus. Sie reicht ihn mir mit einem Lächeln und drückt mir einen Bleistift in die Hand: "Du solltest weiter schreiben. Es könnte dir hier die Zeit vertreiben, denn es wird ziemlich langweilig werden. Allerdings darf außer mir niemand wissen, dass du schreibst, also versteck es gut." Ich nicke, bis mir aufgeht, dass sie mich nicht sehen kann: "Wer bist du?" "Die Schande des Königshauses", lacht sie amüsiert. Meine Gedanken können mit dem bisschen Information nicht viel anfangen, aber ich wage nicht noch einmal nachzufragen, doch sie scheint es mal wieder zu erahnen: "Ich heiße Rose und ich bin die Tochter des werten Königs Kestor."
Hey Leute,
mit dem Kapitel habe ich mich einmal ernsthaft schwer getan. Ich hoffe es gefällt euch trotzdem ein bisschen.
Grüße
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