27. März 3091

22.17 Uhr  Liebes Tagebuch,

ich weiß noch immer nicht so genau, ob es richtig ist alles aufzuschreiben, aber heute ist mir etwas merkwürdiges aufgefallen. Auf der täglichen Suche nach Geld, um mir etwas zu essen kaufen zu können, bin ich jemandem begegnet, der von sich behauptet hat, reich zu sein. Er hat es die ganze Zeit geschrien. Wie ein Wirbelwind ist er über den Marktplatz gelaufen und rief die ganze Zeit: "Ich bin der reichste Mensch auf dieser Welt." Ich bin einfach nur stehen geblieben und habe ihn beobachtet. Seine Art hat mich verwundert. Dieses Lachen in seinem Gesicht wirkte so befreit. Die Menschen, die an ihm vorbei gehetzt sind, beachteten ihn nicht oder beleidigten ihn, als Irren; Verrückten, doch er hat nicht ein einziges Mal aufgehört zu lachen. Fröhlich sah er aus, nicht verzweifelt oder krank und auch nicht verrückt. Seine heruntergekommene Kleidung und der Schmutz in seinem Gesicht verrieten jedoch das Gegenteil. Er lebt genauso wie ich und die meisten anderen in dieser Stadt auf der Straße und trotzdem. Irgendetwas an ihm ließ ihn erhobener auf mich wirken. Ich kann nicht genau sagen, was es war. Alles an ihm schien zu einem Mann zu gehören, der nicht Hunger litt und nicht mit der ständigen Angst leben musste, zu sterben. Seine gesamte Erscheinung. Er drehte sich im Kreis, wie ein Kind beim spielen. Glückselig. Es glich einem Tanz, dessen Schritte nur er erlernte und dessen Bedeutung nur er erkennt. Seine Füße bewegten sich zu einer Melodie, die nur er allein hören konnte und er klatschte mit den Händen zu einem Rhythmus, den keiner sonst verstand. Nach einer ganzen Zeit entschloss ich mich, ihn einfach zu fragen, was ihn denn so glücklich mache, dass ihm alles um ihn herum egal wurde. Mit einem warmen freundlichen Lächeln sah er mir in die Augen, nahm mein Gesicht in seine Hände und flüsterte mit zitternder Stimme: "Er ist geboren. Mein Sohn ist geboren. Gesund und munter." In seinen Augen funkelten Tränen der Freude und brachten sie zum Leuchten. Erst jetzt, wo ich hier sitze und es niederschreibe, begreife ich richtig, wie er seine Worte gemeint hat. Für ihn ist reich keine Definition für jemanden, der Unmassen an Geld sein Eigen nennen kann. Reich sein, bedeutet für ihn glücklich zu sein. Die Sorgen, die in unser aller Leben alltäglich sind, wenigstens für einen Augenblick vergessen zu können. Jeder konnte ihm ansehen, dass es ihm nicht viel besser ging als allen anderen, aber man hätte auch erkennen können, welche Freude seine Augen versprühten. Ein Regen aus Funken, wie die Explosionen am Himmel bei einem Feuerwerk. In diesem Moment fühlte sogar ich mich den Bruchteil einer Sekunde lang glücklich, konnte verstehen, wie er sich fühlen musste. Ein Wimpernschlag, aber es reichte, um etwas bleibendes zu hinterlassen. Irgendwo in meinem Herzen. Jetzt spüre ich es. Wie ein kleines Feuer wärmt es meinen Seele von innen heraus und lässt mich nachdenken. Ich sitze hier und beobachte die Menschen um mich herum genau. Mir gegenüber sitzt ein älterer Herr. Er ist für mich kein Unbekannter. Oft haben wir im Winter zusammen an einem winzigen Häufchen Glut gesessen und versucht uns aufzuwärmen. Seine Geschichte kenne ich fast so gut, wie meine eigene. In seinem Leben hat das Glück keine Rolle gespielt. Für ihn bestand jeder einzelne Tag nur aus dem Versuch zu überleben. An Freude in seinem Gesicht kann ich mich nicht erinnern und ich kenne ihn schon seit fünfzehn Jahren. Ein Lächeln habe ich nie gesehen und ich kann mir nicht vorstellen, wie seine Erscheinung wirken würde, wenn er etwas wenigstens für eine Sekunde ein Lachen schenkt. Auch vor dem Krieg war er so. Schon damals hat er die Regierung für schrecklich, brutal und grausam gehalten. Hätte man ihm damals geglaubt, wer weiß, wie es für uns weitergegangen wäre. Etwas weiter entfernt auf einem Metallfass in dem sich einmal Öl befunden hatte, sitzt ein junges Mädchen. Sie ist fünfzehn und hat ihre Eltern genau wie ich bei Kriegsausbruch verloren. Jetzt muss sie sich in der eiskalten Welt einen Platz verschaffen und kümmert sich noch um ihre jüngeren Brüder. Schon lange wirkt sie nicht mehr wie ein Teenager. Nein. Sie ist Erwachsen, ihrer Kindheit beraubt. Wer in dieser Welt nicht erwachsen wird, muss sterben. Für Kinder ist hier kein Platz, wenn sie keine Eltern haben von denen sie beschützt werden. Auch sie sehe ich nur selten lachen. Manchmal, wenn ihr fünfjähriger Bruder ihr eine Geschichte erzählt, die er irgendwo gehört hat, dann schmunzelt sie, wünscht sich tief in ihrem Herzen noch einmal so unbeschwert und frei sein zu können, wie ein Kind. Wenn sie alle drei, in eine Decke gekuschelt und an eine Mauer gelehnt, dasitzen, wirken sie oft so friedlich, dass man meinen könnte, den Krieg hätte es nie gegeben. In einem alten verlassenen Holzhaus, mit morschen Dielen und eingeschlagenen Fenstern, lebt eine junge Familie. Ein junger Mann, etwas älter als ich und eine genauso junge Frau zusammen mit ihren Töchtern. Zwillinge. Ich kann mich noch an die Geburt der beiden erinnern. Eine Hebamme, jedenfalls war sie eine bevor der Krieg über uns hinweg gerollt ist, hat ihr geholfen und ich habe sie dabei unterstützt. Der Vater der beiden ist die ganze Zeit panisch auf und ab gelaufen und betete, dass alles gut gehen solle. Zwischenzeitlich hatte es tatsächlich so ausgesehen, als würde alles schief laufen, aber durch ein kleines Wunder ging doch noch einmal alles gut. Er ist auf der Straße zusammengebrochen und hat Freudentränen geweint, als ich ihm sagte, dass er zwei Töchter hat, die beide wohlauf sind. Den ganzen Tag schwamm er in einem Wechselbad der Gefühle. Mal hat er vor Freude gelacht und ein anderes Mal geweint, weil seine Kinder in so einer Welt leben müssen. Die Freude hat gesiegt. Jetzt sind die beiden Mädchen zwei Jahre alt. Diese Menschen sehe ich lächeln. Immer wenn die beiden spielen oder aufgeregt erzählen, was sie erlebt haben, dann grinsen ihre Eltern, sind glücklich, zusammen zu sein. Dann denken sie nicht an all die Not und das Elend. Vergessen den Hunger und die Angst. Sind einfach nur glücklich. Ich wünsche mir auch einmal so fröhlich sein zu können. Einfach nur blind für all die Qual um mich herum.

Hope

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