21. März 3091
8.13 Uhr Liebes Tagebuch,
Ich weiß gar nicht, warum ich das hier überhaupt alles aufschreibe. Was bringt das schon? Niemand wird es jemals wirklich lesen und wenn doch, dann wird es denjenigen nicht interessieren. Das hier wird nur eine dumme junge Frau geschrieben haben, die nirgendwo anders hin mit ihren Gedanken wusste. Erbärmliches Wimmern und Beten für etwas unmögliches. Verfasst von einer Person, die kurz vor dem Wahnsinn steht und ihre Wahnvorstellungen hier niederschreibt. Eine von vielen Menschen auf diesem Planeten, die nichts wert sind. Unnötig. Sinnlos. Lästig. Doch all das bin ich nicht. Meine Gedanken sind klar und deutlich, jedes Wort, das über mich gesprochen wird, verstehe ich und ich bin nicht dumm. Alles, was ich hier schreiben werde, ist die Wahrheit. Ohne einen Mantel, ein Kostüm, das es schöner wirken lässt, als es ist. Nur die Wahrheit. Vielleicht bin ich für die wenigen Menschen, die denken etwas besseres zu sein, jemand der kurz vor dem Abgrund steht, aber in Wirklichkeit bin ich einfach nur eine der Wenigen, die sich traut, genau das aufzuschreiben, was sie denkt. Vor dem Krieg gab es ein Lied. Ich habe es geliebt und geachtet. Immer wenn ich es gehört habe, musste ich lächeln. Die Gedanken sind frei. Jetzt singe ich es jeden Tag vor mich hin. Es ist zu meinem persönlichen Rhythmus, meinem persönlichen Motto geworden. Deshalb schreibe ich. Ich will beweisen, dass niemand das Recht hat, zu bestimmen wer wir sind oder was wir denken sollen. Wir alle sind frei und sollten es auch für immer bleiben, aber das wichtigste ist: Wir sind alle gleich. Niemand ist besser als andere; niemand ist mehr wert. Diejenigen, die vor sieben Jahren alle Macht an sich gerissen haben, denken, sie wären klüger, schöner und wichtiger als wir, doch sie täuschen sich. Sie halten uns für Abschaum. Nervige Probleme, die es in jedweder Form zu beseitigen gilt. Man behandelt uns wie Ungeziefer. Wie Ratten in der Kanalisation. Vielleicht denken sie auch wir wären gefährlich; verseucht. Ich aber bin mir sicher, dass sie das nicht tun, weil sie uns für extrem zurückgeblieben halten. Nein. Sie fürchten sich vor uns, haben Angst, dass wir doch nicht so dumm und unfähige sind, wie sie denken, machen sich Sorgen, dass wir stärker sind, als angenommen wird. Deshalb machen sie uns klein. Lassen uns alle in dunklen, übel riechenden Gassen verrotten. Verhaften uns, wenn wir auch nur ein einziges unerwartetes Geräusch ertönen lassen. Behandeln uns, wie Tiere. Frauen werden vergewaltigt, Kinder verscheucht, Männer verprügelt. Sie wollen uns zeigen, dass sie alle Macht über uns haben, dass wir keine Chance gegen sie hätten, wenn wir einen Aufstand planen würden, das wir nichts weiter sind als schwache Wesen aus Haut und Knochen, die sich glücklich schätzen können, dass sie überhaupt leben. Man demonstriert uns ihre Stärke, um uns abzuschrecken und uns ruhig zu halten. Keiner soll es wagen aufzuspringen, zu schreien und die Wahrheit zu sagen. Die Wahrheit darüber, dass keiner von uns zu schwach ist und darüber, dass man uns nur manipuliert. Es wird versucht das Feuer der Wut schon in der Glut zu ersticken, aber sie schüren es nur. Jedes Wort, das sie sagen und jede Strafe, die sie vollziehen, sind ein weiteres Stück Holz und weiterer Schritt auf den Pfad, der sie alle in ihr verderben führt. Noch sind die Flammen unsichtbar, kalt und erzeugen keinen Rauch, aber das wird sich ändern. Immer höher werden sie schlagen und immer heißer werden sie sein. Auf den ersten Blick mag es so aussehen, als wären wir schwach und ängstlich, aber würde man genauer hinsehen, könnte man die Wut und die Entschlossenheit in den Augen der Menschen sehen. Dieses eiskalte Funkeln und der verkrampfte Kiefer. Zeichen, die nur ein dummer, naiver Mensch übersieht. Jemand, der sich für das Beste hält, das je existiert hat. Die Lunte ist fast herunter gebrannt. Eine Explosion wird folgen. Es ist wie ein brodelnder Kessel, der überkocht und seinen heißen Inhalt überall verteilt. Bald werden sich Männer, Frauen und Kinder zusammenschließen. Der Schatten wird unser Schutz, die Dunkelheit unser Tag. Vereint durch den Wunsch endlich wieder frei zu sein. Sie wollen nicht mehr der Gnade eines anderen ausgeliefert sein und jeden Tag dafür beten müssen, dass sie den Abend noch erleben dürfen. Man sollte ein wildes Tier niemals in eine Ecke drängen, so dass es keinen Ausweg mehr siehst außer den direkten Angriff. Angst macht jemanden zu einer rasenden Bestie, die sich nicht zurückziehen wird, bis sie gewonnen hat oder gestorben ist, denn einen Rückweg gibt es nicht. In größter Not zerkratzt man seinem Peiniger mit der eigenen Hand das Gesicht, wenn sich eine Waffe nicht finden lässt. Den panischen Ausdruck in den sterbenden Augen des Feindes vergisst man nie, doch es ist ein Preis, den jeder für seine Freiheit und den Schutz seiner Lieben zahlen wird. Den Stolz eines Menschen kann man nicht einfach brechen, denn er ist das einzige, was einem Menschen bleibt, wenn er sonst nichts mehr hat. Er kann unterdrückt werden, aber nicht einfach verschwinden; lässt sich nicht wie eine kleine Flamme ersticken. Sie können uns bestrafen, uns foltern, uns töten, uns einsperren, aber sie können uns nicht verbieten wir selbst zu sein. Je mehr man uns peinigt, desto rücksichtsloser werden wir sein. Das Mitgefühl für die, die uns all das antun, wird uns aus dem Leib gebrannt und hinterlässt nichts als Wut, die wie Eis durch unseren Körper schießt. Man kann versuchen uns zu verbieten wir selbst zu sein, aber ohne auf Erfolg hoffen zu können. Es ist als würde man uns verbieten zu atmen. Uns verbieten das Einzige, was uns noch am Leben erhält, einzustellen und den Sauerstoff nicht mehr in unseren Körper zu lassen. Man kann es versuchen, aber wir atmen trotzdem weiter. Es ist ein Reflex. Immer weiter.
Hope
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