19. Juni 3091
5.27 Uhr An Hope,
Die Suchtrupps sind seit gestern ununterbrochen draußen und noch immer gibt es keine Spur von dir. Das kann ein gutes Zeichen sein. Vielleicht bist du auch einfach nur irgendwo gestorben, wo wir es nicht vermuten, aber das glaube ich nicht. Wenn du nicht sofort tot warst, dann bist du jetzt auch noch am Leben. Du bist zu schlau, um zu verbluten. Ich weiß, dass deine Freundin dir gezeigt hat, wie man Blutungen notdürftig stillt. Wir haben allerdings noch nicht einmal ein Zeichen gefunden, das darauf schließen lässt, dass du überhaupt dort warst. Natürlich wissen wir alle, dass du zu den Mitgliedern des Trupps gehört hast, aber wir finden weder deine Waffe noch sonst irgendwas. Allerdings konnten wir uns noch nicht in die Straßen in der Nähe des Hauptquartiers vorwagen. Jedes Mal kommen meine Leute mit den Berichten von immer mehr und mehr Soldaten, die ständig patrouillieren, zu mir. Vermutlich würden wir niemanden mehr dort finden, selbst wenn wir es einmal schaffen sollten, einen Blick in die Gassen zu werfen. Daher kann niemand mit Gewissheit sagen, ob du lebst oder nicht. Egal, wo du bist oder wie es dir momentan geht, ich habe etwas, dass ich dir dringend sagen muss. Ich hätte es dir viel viel früher schon sagen sollen, aber ich hatte nicht den Mut dazu. Es ist mir nur möglich zu hoffen, dass du das hier eines Tages wieder in deinen Händen halten kannst und es ließt. Den Eintrag, den du an mich adressiert hattest, habe ich heute morgen gelesen. Luisa kam wutentbrannt in mein Zimmer gestürmt und wedelte mit diesem Buch vor meiner Nase herum. Ich wusste zuerst gar nicht, was sie wollte, muss ich gestehen. Immer wieder hat sie mich als herzlos bezeichnet bis sie mir dieses Buch irgendwann an den Kopf geworfen hat und davon gebraust ist. Ich vermute, dass sie irgendwann zurückkommen und verlangen wird, dass ich ihr das Buch wiedergebe, aber bis dahin möchte ich das hier aufgeschrieben haben. Du hast Recht und sie eigentlich auch. Ich bin herzlos. Du hast von deiner Mutter erzählt. Wie sie dich beschützt hat und wie du dich gefühlt hast, als sie gestorben ist. Natürlich hatte ich auch eine. Sie war so lieb zu mir, wie deine und ich habe sie geliebt, genau wie du deine Mutter geliebt hast. Für mich war sie so perfekt.- Ich bin es nicht. Als ich dieses kleine Bündel in meinen Armen gehalten habe, wusste ich, dass ich mich niemals so gut um sie kümmern könnte, wie sie es verdient. Ich hatte schon bei meinem Sohn so schrecklich oft versagt. Hannah war so klein. Sie wurde zwei Monate zu früh geboren und es war ein riesiges Glück, dass sie trotz der zerstörten Technik, die es früher einmal gegeben hatte, überlebt hat. Sie war so stark. Ich wollte nicht ihr Leben zerstören, nur weil ich die schlimmste Mutter bin, die es auf der ganzen Welt gibt. Jedes Mal, wenn ich sie angesehen habe, fühlte ich mich, wie eine Versagerin und schaffte es nicht, mutig genug zu sein, es zu versuchen. Dann hat sie schreckliches Fieber bekommen und ich witterte meine Chance. Ich weiß, das klingt scheußlich, aber weißt du, was sie zu mir sagten, als sie geboren wurde? "Ihr Kind hat so viel Pech in dieser Zeit geboren zu sein. Ein kleiner Mensch, der aufwachsen wird in einer Welt, die so verachtenswert ist." Ich habe tatsächlich überlegt, ob ich sie lieber umbringen soll, aber ich schaffte es nicht. Trotzdem war ich zu feige, mich um sie zu kümmern. Immer und immer wieder habe ich sie von mir gestoßen. Als sie drei war, konnte sie laufen und sprechen und das alles schon fast so gut, wie heute. Sie war so schrecklich schlau. Ich habe nie erfahren, woher sie wusste, dass ich ihre Mutter war, aber von da an, wollte sie immer in meiner Nähe sein. Ich habe sie angeschrien, geschlagen und verjagt, aber sie kam immer wieder zurück. Dann habe ich die Jäger gegründet und sie hat sich uns einfach angeschlossen. Nie mehr hat sie mich direkt angesprochen, aber sie war immer da und ließ mich jeden Tag spüren, wie sehr sie mich hasst. Ich hatte gehofft, dass sie jemanden finden würde, der sich um sie kümmert, aber erst in dir hat sie jemanden gefunden, dem sie vertraut und den sie mag. Jetzt bist du fort und sie ist wieder so zerbrochen, wie sie es war, als ich sie von mir stieß. Als sie sich auf deine Seite geschlagen hat bei dem Treffen meines Rates, dachte ich, sie hätte mich endlich aus ihrem Leben verband und hätte nun dich, aber sie braucht dich. Du bist ihre Stütze, ohne die sie nicht alleine stehen kann. Ich meine, was erwarte ich auch. Sie ist erst fünf. Ein Kind und keine Erwachsene, die einfach so vergisst. Ich weiß nicht mehr, wie ich mich jetzt verhalten soll. Wenn ich jetzt zu ihr gehe, um mich zu entschuldigen, dann wird sie mich von sich schieben, so wie ich es getan habe und trotzdem kann ich auch nicht mit ansehen, wie sie daran zugrunde geht, dass du vermisst wirst. Es wäre viel leichter, wenn du wieder hier wärst. Ich muss mich bei dir entschuldigen. Dafür, dass ich deine Hand zerbissen habe, dafür dass ich dich fast zum Tode verurteil hätte, dafür dass du noch eine Last hattest mit Hannah und dafür, dass ich dir nicht vertraut habe, als du mir sagtest ich könnte einen Fehler machen. Es reicht aber nicht, wenn ich mich hier auf dem Papier dafür entschuldige. Ich muss endlich einmal mutig genug sein, es dir ins Gesicht zu sagen und mit deiner Reaktion zu leben. Niemals werde ich mutig genug sein, um mit Hannah zu sprechen, aber mit dir kann ich reden. Mit dir muss ich reden. Ich kann nicht mein Leben lang zu feige sein, meine Fehler einzugestehen. Du hast Recht. Ich sollte mich nicht die Anführerin der Jäger nennen und ich fürchte, über diesen Posten wird viel gesprochen werden müssen, aber momentan ist höchste Priorität, dich zu finden und wieder hierher zu bringen. Koste es, was es wolle.
Amalie
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