Kapitel 8

Für gewöhnlich wäre mir nicht ganz wohl dabei gewesen ein verlassenes und baufälliges Haus alleine zu durchstreifen, doch mir ging gerade zu viel durch den Kopf, als dass ich daran hätte denken können. Ich suchte verzweifelt nach meinem Freund, während in meinem Kopf durchgängig das tiefe Summen des unbekannten Mannes widerhallte. Der Boden knarzte wie eh und je. Ich konnte spüren, wie sich bei jedem Atemzug ein wenig Staub in meiner Lunge absetzte und ich konnte mir ein Husten nicht unterdrücken. Mein Mund war staubtrocken. Entweder kam das von der Angst, die ich zuvor verspürt hatte, oder es lang daran, dass ich bereits seit einer Weile nichts mehr getrunken hatte. Ich trottete so vor mich hin und hatte beinahe vergessen, wonach ich suchte, als ich etwas hörte. Reflexartig sah ich mich nach einer Fluchtmöglichkeit um. Schräg rechts von mir sah ich eine kleine Tür unter der Treppe. Schnell war ich hinüber gehuscht, hatte die winzige Tür geöffnet und mich hindurch geschoben. Um keine Aufmerksamkeit zu erregen, knipste ich das Licht meiner Taschenlampe aus, ehe ich die Tür hinter mir schloss. Meine Knie zitterten leicht, also umschloss ich sie mit meinen Armen. Es war stockfinster. Möglichst ohne Geräusche zu verursachen, strich ich mir ein Haar aus dem Gesicht. Es war deutlich feiner als der Rest meiner Haare und blieb anschließend an meiner Hand kleben. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, als mir klar wurde, dass ich soeben ein Spinnennetz zerrissen hatte und vermutlich von weitaus mehr umgeben war. Also saß ich da. Regungslos. Hoffend dass die Spinnen genauso regungslos in ihren Netzen verharrten und nicht begannen an mir herauf zu klettern. Ich erschrak, als sich das Geräusch von eben wiederholte, und hoffte mich dabei nicht verraten zu haben. Mir wurde klar dass es sich bei dem Geräusch um die schweren Schritte von gestern handeln musste. Ein kleines bisschen Licht begann durch einen Spalt im Holz zu flackern. Ich hielt den Atem an. Die Schritte näherten sich und das Licht schien nun heller. Ich spähte durch den Spalt und sah den Mann. Er war groß, ich schätzte etwa um die 1.90, hatte schwarzes Haar und einen ebenfalls schwarzen, zerzausten Bart. Er trug eine braune Cordhose, blau weiß gestreifte Hosenträger, ein dreckiges weißes Hemd und schwer wirkende Arbeitsschuhe. Viel mehr ließ sich bei dem gegebenen Licht auch nicht erkennen. Er steuerte geradewegs auf die Tür auf der anderen Seite des Raumes zu. Erst jetzt fiel mir auf, dass sich dort auf dieser Seite der uns bekannten Eingangshalle überhaupt eine Tür befand. Sie bildete eins mit der hölzernen Wandverkleidung und war dennoch gut zu erkennen. Er nahm einen Schlüsselbund mit vielen weiteren Schlüsseln daran aus der rechten Tasche seiner Cordhose, suchte einen Moment nach dem passenden und schloss die Tür auf. Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, wartete ich einen Moment und stürmte dann aus meinem Versteck. Okay stürmen traf es vermutlich nicht ganz so gut, da die Bodendielen, immer wenn ich darüber lief, ein Geräusch machten, das klang, als würden sie unter meinem Gewicht schreien. Außerdem hatte ich Angst, ich würde mich verraten, würde ich meine Taschenlampe wieder einschalten. So tappste ich vorsichtig über den Boden und tastete die Treppe entlang, bis ich schließlich zum Anfang gelangte. Mein Freund hatte mir, bevor wir uns aufteilten, mitgeteilt, dass er den Gang rechts der Treppe genauer untersuchen würde. Langsam aber sicher drang ich weiter in den dunklen Gang vor. Im Gegensatz zu dem Gang vom ersten Stock gab es hier etliche Türen und einige von ihnen waren noch beschriftet, was ich feststellte, als ich mit meinen Fingern versehentlich über die Buchstaben fuhr. Ich sah einen kleinen Lichtschein. Er schien aus einem weiteren Gang zu kommen und ich steuerte weiterhin darauf zu. Das Licht wurde heller und schließlich stand ich meinem Freund gegenüber. Er bestand darauf mir etwas zu zeigen und als ich ihm folgte, fiel mir auf, dass der Boden nur noch vereinzelt knarrte. Er führte mich in einen kleinen Raum. Es war gerade Mal genug Platz für zwei Einzelbetten und eine Kommode, welche zwischen der Kopfseiten der Betten und unter einem Fenster stand. Sie hatte zwei große Schubladen und zwei kleinere. In der oberen großen Schublade lagen zwei weiße Gewänder, wie wir sie auch zuvor in der Kiste gefunden hatten. In der unteren Schublade lagen ein paar weiße Hemden und eine weitere Cordhose. Der Mann und die Frau waren also die Betreuer der dreißig Kinder gewesen. Auf der Kommode stand ein altes Bild in hölzernen Rahmen gefasst. Das Bild war in schwarz-weiß und zeigte die ehemaligen Anwohner des Anwesens... und einen Fuchs. Er saß ganz unten am rechtem Bildrand im Gebüsch und starrte in die Kamera. Mir jagte ein Schauer über den Rücken, jedes meiner Haare stellte sich auf und meine Atmung beschleunigte sich. Ich sah meinen Freund an und er nickte mir zu. Er wusste genau, was ich meinte. "Ich habe ihn gesehen", flüsterte ich kaum hörbar und zeigte auf den Mann auf der Fotografie. "Hat er ...?" "Nein. Ich denke nicht dass er mich gesehen hat", antwortete ich leise, bevor er überhaupt ausgesprochen hatte. "Gut", sagte er. Er bedeutete mir, ihm zu folgen und er führte mich in einen Raum mit vielen Tischen. Das kalte Licht seiner Taschenlampe erhellte den Raum und ich sah, dass die Wände voll mit Kinderzeichnungen waren. Sie alle waren so bunt und trotz all der Jahre nahezu unberührt. Die meisten zeigten Personen, Häuser, Bäume oder Blumen, doch eine Zeichnung erregte besonders meine Aufmerksamkeit. Das Kind hatte einen roten Fuchs gezeichnet. Neben ihm lag ein Toter Vogel. Roter Wachsmalstift zeigte das Blut an Vogel und Schnauze des Fuchses. So wie es vorhin passiert war. Doch wie konnte das sein? Wie konnte eine so alte Zeichnung ein so junges Ereignis zeigen? Mein Freund betrachtete die anderen Zeichnungen, doch bevor ich ihn auf diese hier aufmerksam machen konnte, hörten wir ein lautes Scheppern am Ende des Ganges. Aus Richtung der Eingangshalle. Ich machte die Taschenlampe erneut aus und mein Freund tat es mir gleich. Wir schlichen den Gang entlang. Hielten unseren Atem an und machten möglichst keine Laute, die auf unsere Anwesenheit schließen ließen. Ich spürte die raue, kalte Wand an meinen Fingern, als ich mich an der Wand entlang schob. Der Teil des Flures hatte keine Holzverkleidung und daher war alles, was uns umgab, der pure Stein und die Dunkelheit.

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