Kapitel 6

Ich hatte meine Hände zu Fäusten geballt und war fest entschlossen, nach weiteren Hinweisen zu suchen. Ich war so angespannt wie schon lange nicht mehr. Meine Fingernägel bohrten sich in meine Handflächen und hinterließen sichelförmige Abdrücke. Meine Entschlossenheit schob meine Angst in den Hintergrund, welche wiederum den Schmerz linderte, den die Abdrücke meiner Fingernägel mit sich brachten. Meine rasenden Gedanken ließen mich nicht klar denken. Meine Neugier steuerte mich geradewegs auf den Eingang des Anwesens zu. Ich war bereits im Gebäude und fing an, alle Dokumente, die ich in sämtlichen Schubladen und Schränken gefunden hatte, vor mir auf dem Boden auf viele verschiedene Stapel zu sortieren. Ich überflog alle der Reihe nach und begann damit, sie in neue Unterkategorien zu unterteilen. Ich war so in meine Arbeit vertieft gewesen, dass ich nicht einmal mitbekommen hatte, dass meine Freunde das Haus betreten hatten, auch wenn das laute Ächzen der Bodendielen ihr Ankommen verkündet hatte. Ich setzte mich gerade hin und betrachtete mein Werk. „Und? Ist dir was aufgefallen Sherlock?", hörte ich einen meiner Freunde sagen. Ich nahm einen tiefen Atemzug und antwortete mit einem einfachen „Nein". Nicht gerade die Antwort, die ich gehofft hatte geben zu können, aber nun wusste ich, dass das Waisenhaus früher genau von 30 Waisen bewohnt wurde. „Und was genau hast du da gemacht?", fragte er mich, während er sich neugierig über meine Arbeit beugte. Ich zeigte ihm, wie ich die Akten der Kinder nach Altersgruppe und Grund für den Aufenthalt im Waisenhaus sortiert hatte. Er saß eine Weile lang so da und untersuchte die Dokumente bis er schließlich eines der von der Feuchtigkeit markierten Blätter in die Hand nahm und sagte: "Ist dir aufgefallen dass es genau 10 Kinder in verschiedenen Altersgruppen gibt deren Vorgeschichte einen Brand beinhaltet? Zehn Kinder..." "... zehn Masken", fiel ich ihm ins Wort. Nun wussten wir wohl, wem die Masken, die wir in den Betten fanden, einst gehört hatten. Dass die Treppe vorhin geknarrt hatte, hatte ich bereits verdrängt, bis die alten Dielen erneut ächzten, als mein anderer Freund aus Neugierde die ersten Stufen der alten Holztreppe hoch stieg. Er versuchte weiter nach oben zu spähen, doch schien wenig erfolgreich zu sein. Er sah uns an und bedeute uns, ihm zu folgen. Als ich mich erhob, hinterließ ich einen leichten Abdruck in der Staubschicht, die sich über die Jahre angesammelt hatte. Ich versuchte möglichst keine Geräusche von mir zu geben, als ich mich Richtung Treppe bewegte, selbst wenn ich wusste, dass es nicht nötig war, leise zu sein, da wir im Haus, und vermutlich in der gesamten Umgebung, alleine waren. Wir gingen gemeinsam die bei jedem Schritt knarzenden Treppenstufen hoch. Meine Nerven waren zum zerreißen gespannt und ließen mich zittern. Die Treppe mündete in einem langen Flur mit eben den selben Bodendielen, wie es sie auch unten gab. Wir entdeckten im Schein unserer Taschenlampen eine alte Holztruhe. Sie war, abgesehen von einem großen Blumentopf, welcher an einigen Stellen bereits auseinanderfiel, und ein paar wenigen Öllampen, das einzige, was sich in dem Flur befand. Während meine Freunde sich daran machten den langen Gang abzuleuchten, untersuchte ich die Truhe. Sie hatte kein Schloss und ließ sich einfach öffnen. In dieser fand ich weißen Stoff. Ich nahm ihn heraus und erkannte, dass es sich um mehrere Kleider handelte. In meiner Hand hielt ich ein Kleid wie das, das die Frau auf dem Bild getragen hatte, jedoch viel kleiner. Es war die perfekte Größe für ein Kind. Ich vermutete dass es 30 waren und begann sie zu zählen. Meine Vermutung bewahrheitete sich und ich teilte meine Entdeckung meinen Freunden mit. Wir wechselten ein paar unsichere Blicke und begannen, uns auf die einzige Tür zu zubewegen, die es in der zweiten Etage gab. Hinter ihr lag ein weiteres Schlafzimmer. Es war gigantisch. Beinahe so groß, wie die gesamte Eingangshalle. In dem Raum befanden sich 20 Betten, ein Bücherregal und eine weitere Tür auf der linken Seite. Trotz seiner Größe hatten wir den Raum schnell untersucht. Es gab weder Masken, noch Zeichnungen. Das Einzige, was es außer Betten in dem Raum gab, waren Bücher, deren Titel man kaum noch lesen konnte, und reichlich Staub. Nachdem wir nichts weiter auffälliges gefunden hatten, öffnete ich die Tür zum Nebenraum. Dahinter befand sich ein ebenfalls großer Waschraum. Auch hier gab es nichts als bröckelnde Fliesen und Waschbecken. Wir wollten gerade das zweite Schlafzimmer verlassen, als wir etwas hörten. Es war die Eingangstür unten, welche klang, als würde sie aufgerissen werden. Darauf folgten schwere Schritte, doch keine der Bodendielen knarzte auch nur annähernd. Ich zitterte. Hielt den Atem an. War bis zum Limit angespannt. Wir alle standen regungslos da. Die schweren Schritte weilten eine schiere Unendlichkeit in der Eingangshalle. Dann waren sie plötzlich weg. So wie letztes Mal, nur dass sich die Person anders verhalten hatte. Gerade eben schien sie eher zornig und aufgebracht, statt ruhig wie letztes Mal. Es war vorbei und doch fiel mir das Atmen schwer. Die Luft schien warm und stickig und man konnte förmlich die Angst riechen, die wir gerade eben verspürt hatten. Das Nächste, was ich spürte war das Verlangen, das Haus auf schnellstem Weg zu verlassen. Noch bevor sich die anderen aus ihrer Schockstarre befreit hätten, war ich aus dem Raum gestürmt und rannte die Treppe hinunter.

Nachdem auch die Anderen das Haus verlassen hatten, fanden wir uns an unserem Zelt ein. Heute fiel unser Abendessen eher einfacher aus, da wir nicht für eine längere Zeit geplant hatten und uns demnach allmählich das Essen ausging. Alles, was wir nun noch übrig hatten, waren ein paar Konservendosen. Für einen Augenblick gefiel mir die Vorstellung, einfach nach Hause zu fahren und all das hier hinter uns zu lassen, überaus gut. Es war bereits spät geworden und so legte ich mich schlafen. Heißt: ich lag mit geschlossenen Augen in meinem Zelt und ließ mir alles durch den Kopf gehen. Schritte ohne knarzende Dielen, ein merkwürdiger Fuchs, eine Nachricht an einer Tür, ein dunkles Haus am Tag, gemachte Betten mit Masken und eine merkwürdige Frau, und ich hätte noch mehr aufzählen können doch mir fielen die Augen zu, bevor ich hätte über noch mehr nachdenken können.

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