Kapitel 15

Sie schlossen das große rostbraune Tor des Gebäudes hinter sich. Ich stand einen Moment da und inspizierte es genaustens. Die Halle lag nahe meiner Heimatstadt und ich konnte den Fabrikrauch bis hier riechen. Es war interessant zu sehen, wie es damals wirklich aussah. Ich entschloss mich, mich der Wut und dem Hass hinzugeben und stampfte zu der riesigen Tür. Ich legte meine Hand an die Tür und drückte fest, doch sie rührte sich kein Stück. Ich ging an der Ziegelmauer des Gebäudes entlang, um einen Weg hinein zu finden.
Es öffnete sich eine Eisentür an der Seite der Lagerhalle und ein Mann trat heraus. Er stellte sich neben den eben geöffneten Eingang und zündete sich eine Zigarre an. Ich nutzte die Gunst der Stunde und durchquerte die Tür. Im Inneren war es kalt und alles war nur sehr spärlich beleuchtet. Ich vernahm ein paar Stimmen und andere Geräusche und beschloss, ihnen zu folgen.
Ich ballte meine Hände zu Fäusten und setzte mich in Bewegung.
Die Halle war in einem relativ guten Zustand und sah, außer den vereinzelten Spinnennetzen in den Ecken, gut gepflegt aus.
Ich ging einen schmalen Gang entlang und die Geräusche wurden immer lauter. Ich schreckte kurz auf, als sich die Tür, durch die ich kam, mit einem lauten quietschenden Knall schloss. Der Mann schritt eilig an mir vorbei und ich wurde nervös, obwohl ich wusste, dass sie mich nicht sehen konnten. Ich lief ihm hinterher, bis zum Ende des Korridors und ein weitaus größerer Bereich offenbarte sich mir. In diesem versammelten sich sechs Personen und unter ihnen waren auch diejenigen, die für das Inferno verantwortlich waren. Sie fanden sich alle an einem großen runden Tisch zusammen, der in der Mitte des Raumes stand. Die Brandstifter trugen zwei lange schwarze Kutten und die bereits erwähnten Masken. Diese Masken, sie strahlten nicht die selbe gruselige und gleichzeitig deprimierende Aura wie die im Waisenhaus aus. Nein, sie hatten eine kalte, grausame und verhasste Wirkung. Sie waren jedoch auch aus Holz und hatten Gesichter eingeritzt, aber keine freundlichen, sondern eines wütend und das andere komplett neutral. Mit einem pervertierten Lachen legte einer von ihnen seine Verkleidung ab, es schien ihn gar nicht zu stören, was er gerade getan hatte. Noch nie zuvor hat mich ein Mensch, nein, ein Wesen so sehr angewidert wie dieser Typ. Er wirkte noch relativ jung, Anfang zwanzig. Der Zweite blieb jedoch ernst und schlug ihm gegen den Hinterkopf.
Das Lachen verstummte augenblicklich und ging über in ein schlecht gelauntes Grummeln. „Bleib diskret und konzentrier dich gefälligst!“, sagte der Zweite in einem lauten Ton. Er hatte eine tiefe, ausdrucksvolle Stimme und wirkte weitaus erwachsener. „Wieso? Wir haben doch, was wir wollten. Die Hexe von Hookfield erlag den Flammen, die sie verdient hatte.“
Nun nahm auch der Ältere seine Maske ab. Er hatte einen dunkelbraunen Backenbart, zurückgekämmte Haare in der selben Farbe und eine große Narbe, die von seiner linken Wange bis hoch zur Stirnmitte verlief. Er legte anschließend seinen Mantel auf den Tisch und drehte sich zu seinem Begleiter. Er packte ihn mit beiden Händen und stieß ihn gegen die Wand. „Was hast du an diskret und Konzentration nicht verstanden? Vielleicht hätte ich dich auch in das Waisenhaus einsperren sollen.“ Er ließ den jungen Mann los und dieser sackte sofort zu Boden.
„Ethan, was ist mit den Kindern und diesem Benjamin passiert? Haben sie euch gesehen?“, kam von einer der restlichen Personen im Raum.
Ethan? So war also sein Name. Er musste der Anführer der Bande gewesen sein. Er schaute die Person an und sagte „Sie? Sie werden niemanden mehr sehen. Wir haben sie mit eingesperrt und uns zusätzliche Arbeit erspart.“
Es war also gar nicht Ihr ursprünglicher Plan, alle im Haus sterben zu lassen, sie wollten nur die...„Hexe“. Damit musste Abigail gemeint sein, aber wieso? Was muss eine so herzensgute Frau getan haben, um so einen Titel zu bekommen?
„Es ging doch nur darum, Miss Abigail Davies zu beseitigen. Warum habt ihr die Kinder auch umkommen lassen? DAS WAR NICHT ABGEMACHT.“, brüllte ein Anderer. Ethan drehte sich zu ihm. „Abgemacht oder nicht abgemacht, ich bin der Boss und ihr spielt alle nach meinen Regeln. Die Kinder hätte eh niemand vermisst. Kein Mensch schert sich um Waisen.“, erwiderte Ethan.
„Was ist nur aus dir geworden? Du bist ein Monster. Was hat sie dir nur angetan, damit du dich so verändert hast?“
„Siehst du diese Narbe? Sie hat mir das angetan, sie allein. Wenn sie ihre Anfälle hat, wird sie zu einer unkontrollierbaren Bestie. Ich hab damals den Job als Betreuer im Heim an den Nagel gehängt, weil ich wusste, mit was ich da arbeite. Und jetzt überleg mal, wer hier ein Monster ist.“, sagte Ethan in einem überaus wütenden Ton.
Sie taten Abigail unrecht, ich wusste es einfach. Ich habe ja einen ihrer Anfälle mitbekommen, aber das lag wahrscheinlich an einer Krankheit. Plötzlich schoss mir ein Satz in den Kopf: „Finde sie“. Das sagte Abigail in meine Richtung. „Sie“...damit musste Ethans Gruppe gemeint sein. Aber was sollte ich nun machen? Ich war komplett machtlos in dieser Zeitlinie. Ich grübelte eine Weile, bis ich auf die Idee kam, nach genaueren Infos zu suchen. Ich begann mich im Lagerhaus umzusehen und blendete dabei komplett die Gespräche am Tisch aus. Ich untersuchte Tür für Tür, doch entweder waren es leere Räume oder welche, in denen mir unbekannte Ware untergebracht war. In einem jedoch fand ich Schränke vor. Ich öffnete sie und sie enthielten Dokumente. Ich durchwühlte diese nach irgendwas Nützlichem. Auf vielen, fast allen Seiten waren Informationen über das Waisenhaus und in einer fand ich dann einen Namen. Ethan. Ethan O'Reilley, das war sein vollständiger Name. Ich wusste nicht genau, was ich nun tun sollte, aber es war ein Anfang. Meine Freude war jedoch nur temporär, denn sie wurde von dem, was ich hörte unterbrochen: „Wer hat verdammt nochmal die Türen geöffnet?“
Ich habe komplett vergessen, dass man zwar nicht mich, aber meine Spuren sehen konnte. Ich wusste nicht, ob ich jetzt Angst haben oder es ignorieren sollte, da sie mir ja schließlich nichts antun konnten. Ich nahm die Akte, steckte sie ein und versuchte aus dem Gebäude zu kommen. Mir war eines klar: Ich musste zurück ins Waisenhaus und in meine Zeit, um das Rätsel um Ethan und Abigail zu lösen.

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