Kapitel 14

Ich spazierte los. Da wir das Gebäude bereits mehrmals erkundet hatten, fand ich die Eingangshalle schnell wieder. Jedoch erkannte ich sie kaum wieder. Die Wände waren in einem hellen Grün gestrichen, von dem man in unserer Zeit kaum mehr etwas erkennen konnte, und die hellen, hüfthohen Holzverkleidungen waren in bestem Zustand. All die Aktenschränke standen exakt so, wie wir sie vorgefunden hatten, nur waren auch sie in einem besseren Zustand. Ich schlenderte in Richtung der mysteriösen Tür, als ich etwas hörte. Gespannt hielt ich einen Moment inne und konzentrierte mich auf das Geräusch. Ich brauchte einen Moment, um es zu lokalisieren. Es kam aus dem Kinderzimmer. Sie flüsterten und lachten. Ich musste schmunzeln, da es mich an meine Kindheit erinnerte. Auch wir redeten immer noch heimlich, als wir hätten schlafen sollen. Ich setzte meinen Weg fort, woraufhin ich nach wenigen Schritten die Tür erreichte. Scheppernd zog ich den Schlüsselbund aus der Tasche. Aus dem Augenwinkel sah ich eine Bewegung und hörte augenblicklich auf, mich zu bewegen. Es war der Fuchs, der mir um die Beine schlich. Ich wollte nach dem passenden Schüssel suchen, doch Kami fauchte mich an. Es war ein merkwürdiges Geräusch. Noch nie zuvor hatte ich einen Fuchs fauchen hören. Ich suchte weiter, da meine Neugierde unaufhaltsam war, und der Fuchs war genau so schnell wieder verschwunden, wie er aufgetaucht war. Nach einer Weile suchen, fand ich endlich den passenden Schlüssel und drehte ihn im Schloss um. Mit einem lauten Klicken sprang das Schloss auf und ich konnte die Tür aufdrücken. Vor mir erstreckte sich ein langer Gang. Neugierig lief ich durch den Gang. Ein paar wenige Öllampen, welche links und rechts von mir an den Wänden hingen, erleuchteten mir den schmalen Gang. Ich dachte wieder an meine Freunde. Wir hatten hier schon so viele unerklärliche Dinge zusammen erlebt. So merkwürdige Ereignisse, dass es mich nicht einmal mehr überraschte, als mir auffiel, dass der gerade Gang länger war als das Haus. Schließlich mündete der Gang in einem großen offenen Raum. Krampfhaft überlegte ich und schuf mir ein ungefähres Bild von den Grundrissen des Hauses, doch fand keine Antwort darauf, in welchem Teil des Hauses sich dieser Raum befand. Ich begann das Zimmer zu untersuchen. Die Luft war feucht, warm und stickig. Die roten Backsteinwände schienen ebenfalls feucht zu sein. Die Einrichtung des Raumes bestand aus einem langen Tisch, einem großen offenen Regal, welches sich nahezu über eine ganze Wand des Raumes erstreckte, und einem alten Sessel mit einem kleinen Tischchen daneben. Auch hier hingen ein paar Öllampen an den Wänden und vor der Wand zu meiner Linken standen sogar ein paar Kerzen. Sie leuchteten etwas an. Ich konnte sehen, dass es Papier war. Es hatte etwa die Größe eines herkömmlichen Plakates und war über und über beschrieben. Das Geschriebene war in Blöcke eingeteilt und jeweils in einen Kasten eingerahmt. Jeder dieser Kästen war mit roten Linien mit einem anderen verbunden. Es erinnerte mich an die Aufzeichnungen des FBI's, wie sie in Krimis häufig gezeigt wurden. Ich sah mir ein paar der Kästen genauer an:

"Unbekannte immer wieder in der Nähe des Hauses gesehen"

"Kami sehr oft unruhig, ohne sichtbaren Grund"

"Kinder wachen oft wegen merkwürdigen Geräuschen im Haus auf (als wäre jemand darin), konnten keinen finden. Auch keine Einbruchspuren"

"Leere Konservendosen vor dem Haus (nicht unsere)"

Jemand hatte alle merkwürdigen Begebenheiten aufgeschrieben, die vor dem Brand im Waisenhaus passiert waren. Ich folgte all den roten Linien, doch konnte keine Zusammenhänge erkennen. Plötzlich hörte ich Stimmen. Es waren die der beiden Betreuer. Sie hatten etwas besorgtes, nahezu ängstliches an sich. Ich wusste, dass sie mich nicht sehen konnten, also machte ich mir nicht die Mühe, mich nach einem geeigneten Versteck umzusehen. Die Stimmen wurden lauter, bis sie sich mit mir in einem Raum befanden. "Etwas wird passieren. Ich weiß es. Und es wird nicht gut für uns ausgehen", sagte Abigail besorgt. "Mach dir keine Sorgen. Wir werden es herausfinden und es rechtzeitig verhindern können", versuchte Benjamin sie aufzuheitern, und legte ihr dabei tröstend eine Hand auf die Schulter. Sie gingen nebeneinander zu der Tafel. "Denkst du es hängt alles zusammen?" In ihrer Stimme lag Unsicherheit. "Ich denke wir sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen", meinte Benjamin. Für einen Moment lang standen sie still nebeneinander. Plötzlich fiel Abigail um. Sofort hatte sich der erschrockene Betreuer neben sie auf den Boden gekniet. "Abi? ABI!? Sag doch was", schrie er besorgt, während er sie in die Arme nahm. Nach wenigen Minuten schierer Anspannung begann sie sich zu regen. Der Betreuer war sichtlich erleichtert und auch von mir fiel die ganze Anspannung der vergangenen Minuten ab. Ebenso plötzlich wie sie in Ohnmacht gefallen war, sprang sie nun auf. Ihr Gesichtsausdruck erschreckte mich. Sie hatte weit aufgerissene Augen und starrte mich durchdringend an. "Wir werden sterben. FINDE SIE!!", schrie sie wie vom Teufel besessen, einen Arm auf mich gerichtet. Bevor ich oder Benjamin etwas hätten sagen können, war sie auch schon aus dem Raum gerannt. Benjamin sah in meine Richtung und für einen Moment dachte ich, auch er würde mich sehen, doch dann schüttelte er den Kopf und rannte der verwirrten Betreuerin hinterher, immer und immer wieder ihren Namen schreiend. Meine Atmung war unregelmäßig und mein Herz schlug schnell. Ich konnte alles noch nicht ganz realisieren. Ich war scheinbar in einer anderen Zeit gefangen und gerade eben hatte mich eine verrückte Frau, die mich eigentlich nicht einmal sehen können sollte, angeschrien dass wir alle sterben würden und "ich sie finden sollte", dabei wusste ich doch gar nicht, wen ich eigentlich finden sollte. Ich riss mich aus meiner Schockstarre und rannte dem besorgten Benjamin hinterher. Nun schien der Gang deutlich kürzer und bereits nach wenigen Schritten erreichte ich die Tür. Ich trat wieder in die große Eingangshalle, wo ein großes Durcheinander herrschte. Alle Kinder rannten wild durcheinander. Viele weinend, der Rest beunruhigt. Mittendrin die Betreuer. Sie waren gerade dabei das gesamte Waisenhaus zu evakuieren. Zuerst verstand ich nicht warum, dann sah ich die ersten Flammen durch das Holz der Tür züngeln. Nun fingen auch die letzten Kinder, die davor geschafft hatten Ruhe zu bewahren, an zu schreien, und die vorherige Unruhe wuchs an zu Todesangst und tobendem Geschrei. Die Betreuer schlossen die Tür zum Keller auf und schickten alle hinunter, ich wusste dass sie den Hinterausgang nehmen wollten, und wie gerne wäre ich ihnen gefolgt, doch irgendwie wusste ich, dass es nicht das Richtige war. Dann hörte ich sie, die lachenden Stimmen hinter der brennenden Tür. Ich wusste was zu tun war. "Es ist nicht real. Es ist alles nur ein böser Traum. Es ist NICHT real! ES. IST. NICHT. REAL." Einatmen. Augen schließen. Ausatmen. Augen öffnen. Gehen. Greifen. Brennende Tür öffnen. Ich schritt durch das Feuer. Ich spürte nicht das Geringste. Nicht einmal Wärme. Ich wurde geblendet und öffnete meine Augen erst wieder, als ich auf der anderen Seite ankam. Da standen sie. Es waren zwei an der Zahl. Sie lachten und trotz der Masken, die sie trugen, konnte ich den Stolz sehen, mit dem sie ihr Werk betrachteten. Ich verspürte abgrundtiefen Hass. Wie konnte man so etwas nur tun, noch dazu mit dem Wissen, dass viele Kinder sterben werden? Noch immer lachend, machten sie sich auf den Weg. Hasserfüllt lief ich ihnen nach. Den ganzen Weg über hallte das angsterfüllte Schreien der Kinder in meinem Kopf nach und machte mich wahnsinnig. Nach einer Weile kamen wir an einer Lagerhalle an. Sie gingen hinein.

Fortsetzung folgt...

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