Kapitel 12
Nichts. Die Tür bewegte sich kein Stück. Vorsichtig legte ich meinen Kopf an die Tür, um zu hören, was sich dahinter befand. Ebenfalls nichts. Kein Ton drang durch die Holztür. Die weinrote Tapete darauf war an einigen Stellen bereits abgeblättert und zeigte das dunkle Holz dahinter. Die Türklinke war altmodisch und an ihrer Seite waren ein paar Verzierungen eingearbeitet. Erneut umschloss ich das kalte Metall der Türklinke mit meiner gesamten Hand und zog und zerrte nochmals daran. Noch immer tat sich nicht das Geringste. Ratlos sahen mein Freund und ich uns an. Wir kamen weder durch die eine, noch durch die andere Tür und waren so im Raum gefangen. Ein ungutes Gefühl beschlich mich und langsam kroch ein Gefühl der Übelkeit in mir hoch. Um mich abzulenken, ließ ich meinen Blick über all die Buchrücken schweifen, welche allesamt fein säuberlich in dem veralteten Bücherregal verstaut waren. Mein Blick blieb an einem Buch mit rotem Einband und weißen Lettern darauf hängen. Es war eine kräftige Farbe und die weißen Buchstaben darauf bildeten das Wort „Fuchs". Das war alles, was darauf stand. Kein Autor oder Verlag, wie es bei allen anderen Büchern üblich war. Neugierig schlug ich das Buch auf. Alles was die ersten beiden Seiten füllte, war gähnende Leere. Nachdem ich weiterblätterte und auch auf den folgenden Seiten nicht einen Buchstaben finden konnte, wurde ich skeptisch. Ein Buch mit dem Titel „Fuchs" und ausschließlich leeren Seiten. Hektisch durchblätterte ich die Seiten auf der Suche nach etwas anderem als weiß. Dann sah ich etwas. Oder meinte etwas gesehen zu haben. Seite für Seite blätterte ich zurück. Da war es. Auf dem Papier, genau genommen in der Mitte des Blattes, befand sich ein Bild. Die Farben waren mit den Jahren verblasst und die Ränder verschwommen. Dennoch konnte ich etwa erkennen, was es einst darstellen sollte. Das Bild zeigte einen Fuchs. Er saß auf einer grünen Wiese, den Kopf zur Seite gerichtet. Ich versuchte zu erkennen, was er ansah. Er sah geradewegs in das Gebüsch, welches auf der rechten Seite des Bildes zu erkennen war. Ich hielt das Buch näher an mein Gesicht heran und kniff meine Augen zusammen, um etwas erkennen zu können. Vergebens. „Was tust du da?", fragte mich mein Kumpel neugierig. Ich riss den Kopf hoch, drehte mich um und zeigte ihm das Buch. „Und was daran ist jetzt so auffällig?", fragte er verwirrt. „Die Seiten. Sie... sie sind alle leer. Bis auf... den Fuchs...", stammelte ich vor mich hin und zeigte ihm was ich meinte. Er riss mir förmlich das Buch aus der Hand und durchsuchte selbst noch einmal alle Seiten, doch auch er schien nichts finden zu können.
Während er das Buch in der Hand hielt und die Seiten weiterhin auf der Suche nach etwas Unauffindbarem durchblätterte, untersuchte ich die Tür genauer. Sie kam mir allgemein etwas merkwürdig vor. Nicht nur weil sie hinter einem Bücherregal versteckt gewesen war und durch Tapete getarnt war, sondern auch weil sie das Schlüsselloch nicht wie gewöhnlich unter der Türklinke hatte, sondern in der Mitte der Tür und noch dazu etwa auf meiner Kopfhöhe. Neugierig spähte ich durch das Schlüsselloch. Gegen meine Erwartungen konnte ich nicht das Geringste sehen. Nicht einmal einen leichten Lichtschein. Jedoch erkannte ich etwas anderes. Das Schlüsselloch hatte nicht die herkömmliche und allseits bekannte Form. Es sah mehr aus wie... ein Fuchs und je länger ich es betrachtete, desto genauer erschienen die Konturen. Mit einer ruckartigen Bewegung drehte ich mich um. Mein Freund durchblätterte noch immer das Buch. Abrupt stoppte seine Bewegung. „War der Kopf des Fuchses vorhin nicht zur Seite gedreht?", fragte er mich irritiert mit hochgezogener Augenbraue. „Jaaa...?", antwortete ich zögernd und ebenfalls leicht irritiert. „Und warum sieht er mich jetzt an?", fragte er mich nun sichtlich beängstigt. Ich machte ein paar schnelle Schritte in seine Richtung, um es mir selbst anzusehen. Er hatte recht. Der Fuchs sah uns nun direkt an. Verstört schlug ich das Buch zu. Daraufhin richtete ich meinen Blick wieder auf ihn. Auch er schien nicht zu begreifen, wie all das hier möglich war. Ich bemerkte, dass er an mir vorbei, oder noch mehr durch mich hindurch sah. Wissbegierig suchte ich das, was seine Aufmerksamkeit erregt hatte, indem ich seinem Blick folgte. Zentrum seiner Aufmerksamkeit war ein Traumfänger, welcher in einer Ecke des Raumes hing. Ich machte einen großen Schritt darauf zu. An dem Traumfänger hingen unzählige kleine Füchse. Sie alle waren schwarz-weiß. Bis auf den Einen. Ich streckte meine Hand danach aus, schloss sie um die winzige Figur und zog sie samt Tierchen darin zurück. Ich betrachtete sie eine Weile, bevor ich schließlich, ohne weiter darüber nachzudenken, auf die Tür zusteuerte und das Miniatur-Tier ohne weiteres in die Aussparung auf Höhe meines Kopfes schob. Direkt nachdem ich das getan hatte, verschwand sie spurlos in der Tür. Ich bereute meine Entscheidung in diesem Moment sehr, schließlich konnte ich ja nicht vorhersagen, was jetzt passieren würde, jedoch war es jetzt zu spät gewesen, noch etwas zu ändern. Es klapperte einen Moment lang und als das Geräusch verstummte, sprang mit einem Mal die Tür auf.
Wir warfen uns einen skeptischen Blick zu, wie wir es seit unserer Ankunft hier bereits öfter getan hatten. Dann wendete ich mich der Tür zu, welche nun einen Spalt weit geöffnet war, und legte meine Finger um den Rand der alten Holztür. Meine Nerven wurden auf eine harte Zerreißprobe gestellt, als ich die Tür langsam öffnete. Dahinter erstreckte sich ein langer Gang. Ich machte meine Taschenlampe erneut an und leuchtete so tief hinein wie nur möglich, wobei es jedoch schien als würde die Finsternis jegliches Licht meiner Taschenlampe nach wenigen Metern verschlingen. Mit einem Mal fing sie an zu flackern und gab letzten Endes endgültig den Geist auf. Auch mit wiederholtem An- und Ausschalten der Taschenlampe ergab sich kein anderes Ergebnis. Auch mein Freund versuchte es, doch auch seine Taschenlampe schien nicht auf den Befehl, Licht zu machen, zu reagieren. Nicht eine Lichtquelle war zu erkennen. Absolute Dunkelheit. Sie schien aus dem Gang zu reichen und uns auf ewig in den dunklen Schlund des Hauses ziehen zu wollen. Wagemutig setzte ich einen Fuß vor den anderen und drang immer und immer tiefer in die Dunkelheit vor. Der Gang war sehr schmal und wirkte durch nasse Backsteinwände und modrigen Geruch noch bedrängender. Ich sah hinter mich. Mein Freund blieb dicht hinter mir stehen und wie er so da stand, seine blasse Haut von dem letzten Hauch Licht umrandet, sah er aus wie ein weiterer Geist, was in diesem Haus ja nicht weiter ungewöhnlich gewesen wäre. Den restlichen "Weg zur Hölle", wie ich beschlossen hatte, ihn zu nennen, beschritten wir in vollkommener Stille. Am Ende des schmalen Flures war ein offener Raum. Auch hier nicht ein Lichtstrahl. Plötzlich schalteten tausende Lichter ein. Ich erkannte dass es Taschenlampen waren, doch konnte die Besitzer nicht ausmachen, da ich noch immer geblendet war. Angestrengt blinzelte ich dem Licht entgegen. "Wir haben dich erwartet", sagten sie. All die Stimmen. Und mit der Tatsache dass sie "du" gesagt hatten, fiel mir auf dass nun auch mein anderer Freund verschwunden war...
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top