Kapitel 10

Meine Gedanken kreisten nicht länger um die Betreuer, unseren Freund oder all die anderen merkwürdigen Dinge, die uns seit unserer Ankunft widerfahren waren. Sie lagen alleine bei dem Kunstwerk aus Porzellan in meinem Rucksack, und dem Fuchs darin. Noch immer hatten wir unsere Taschenlampen ausgeschaltet, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Jegliches Summen oder Klappern, welches zuvor zu hören war, war jetzt scheinbar gänzlich verstummt, doch wir trauten der Stille nicht. Sie legte sich über uns wie ein dünnes Tuch, doch begann langsam uns zu erdrücken. Fast hatten wir es geschafft. Nur ein paar Meter trennten und von dem Kinderzimmer der 10 Waisen. Ein paar Meter, die genau durch die Eingangshalle führten, welche direkten Zugang zu dem Raum, den der Mann betreten hatte, bot. Ich zögerte. Ein Moment der Unsicherheit bis meine Entschlossenheit wieder übernahm. Vorsichtig. Langsam setzte ich einen Fuß vor den anderen. Entgegen meiner Hoffnungen knarrte die nächste Bodendiele. Es kam mir ungewöhnlich laut vor und ich verzog unbewusst das Gesicht, hoffend dass wir nicht entdeckt werden würden. Nachdem wir eine Weile regungslos so verharrt hatten, trauten wir uns, unseren Weg fortzusetzen. Wir erreichten unser Zeil ohne weitere Vorkommnisse. Langsam und mit einem mulmigen Gefühl in der Magengrube richtete ich mich auf, um die Tür zu öffnen. Im Gegensatz zu dem ersten Mal, wo wir den Raum betreten hatten, schwang die Tür diesmal beim ersten Versuch auf. Sofort schlossen wir die Tür hinter uns und begannen die Betten zu Untersuchen um den Platz der fehlenden Maske auszumachen. Ich nahm diese gemeinsam mit der Spieluhr aus meinem Rucksack. Die glatte Oberfläche der Maske lag weich in meiner linken Handfläche, die Spieluhr hingegen wirkte kalt und schwer. Ich spürte ein starkes, ungewohntes Verlangen die Maske aufzusetzen. Ich kämpfte einen Moment mit mir, bis ich dem Verlangen schließlich nach gab. Sie lag ebenso sanft und weich auf meinem Gesicht wie zuvor in meiner Hand. Nahezu perfekt passte sie sich an meine Konturen an, obwohl sie eigentlich für ein Kind angefertigt worden war. Ich betrachtete meine nähere Umgebung durch die Maske. Ich sah sie. Ich sah sie alle. Die Betreuerin... Abigail... war gerade dabei die Vorhänge aufzuziehen und warme Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster. Acht Kinder, ich zählte neun, waren bereits aufgestanden und der Betreuer... Benjamin... half den jüngsten beim anziehen, während die älteren bereits ihre Betten machten. Ich beobachtete, wie sich auch das letzte der Kinder träge aus dem Bett quälte, als mich die Betreuerin ansprach. Sie schien sehr freundlich und hatte ein breites herzliches Lächeln auf den Lippen. Ihre haselnussbraunen Haare trug sie offen und sie fielen ihr locker über die Schultern. Sie trug ein weißes Gewand, wie wir es nun in einer Truhe, einer Kommode und auf mehreren Bildern gesehen hatten. „Alec? Kommst du? Alle anderen warten schon mit dem Frühstück auf dich", sagte Abigail mir, wobei ihre Stimme warm und merkwürdig vertraut klang. Für einen Moment war ich verwirrt und überlegte krampfhaft, weshalb sie mir Alec nannte. Ich sah an mir herunter und sah ebenfalls ein weißes Gewand, wie es auch all die Kinder getragen hatten. „Was ist? Hast du einen Geist gesehen?", fragte sie lachend, bevor sie ohne weiteres den Raum verließ. Ich nahm die Maske wieder ab, wobei ich jedoch einen gewissen Widerwillen verspürte. Wie angewurzelt stand ich da, nicht in der Lage zu verarbeiten, was gerade passiert war. „Was ist? Hast du einen Geist gesehen?", fragte er, und zu allem Überfluss lachte er dabei. „Ich hab übrigens das richtige Bett gefunden, während du da gestanden hast. Hättest mir auch ruhig mal helfen können", gab er nun in einem deutlich genervten Ton von sich. Langsam begab ich mich zu ihm herüber und legte die Maske behutsam in das leere Bett. Dann stellte ich die Spieluhr in andächtiger Stille auf das kleine Tischchen daneben. Ich sprach mit ihm nicht darüber, was ich gesehen hatte. Stattdessen konzentrierten wir uns nun wieder darauf unseren Freund zu finden. Auf dem Weg aus dem Raum viel mir etwas auf. Auf der Rückseite der Tür befand sich keine Nachricht mehr. Wie konnte etwas, was zuvor mit vermutlich viel Kraft in altes Eichenholz geritzt worden war, wieder restlos verschwinden? Das Haus war ein einziges Mysterium und wie es aussah, waren wir gerade dabei, in seine Geheimnisse einzutauchen.

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