6. Kapitel

"Who do you lean on when no one's waiting?"

Jonah's POV

Ich konnte gar nicht glauben, was ich erst vor fünf Minuten gesehen hatte. Dass die schüchterne und zierliche Ellie so ausrasten konnte, hätte ich nie für möglich gehalten. Ich hatte sie vorher viel zurückhaltender eingeschätzt, aber gerade eben beweiste sie mir das Gegenteil. Sie war anscheinend wirklich sehr unzufrieden mit der jetzigen Situation...

Ich dachte, es wäre das Größte für ein Mädchen wie sie, mal raus aus der gewohnten Umgebung zu kommen und dann auch noch eine Band auf deren Europa und Asien Tour zu begleiten, doch hatte ich falsch gedacht. Es sah eher so aus, als wäre es ihr hier viel zu viel!

Sie hatte bestimmt viele Freunde im Heim und musste diese dann Schlag auf Schlag nach ganzen 17 Jahren zurücklassen. Diese Sarah war für Ellie bestimmt wie eine Mutter gewesen...

Was war eigentlich mit ihrer echten, also leiblichen Mutter? Ist sie gestorben? Oder war sie zu jung? Was, wenn sie im Gefängnis saß? Und vor allem: kannte Ellie sie?

Als Alex mich dann mit sich nach unten zog, sagte er kein Wort. Ich konnte aber spüren, dass alles, was Ellie sagte, ihn sehr verletzte. Allerdings würde es mich auch interessieren, warum er sie gerade jetzt adoptierte...

Schließlich warteten ich und Daniel schon eine Weile auf die anderen, die bestimmt gleich kommen würden.

"Jonah, alles okay bei dir?", fragte Daniel mich.
"Hm?", kam es nur von mir.
"Du starrst schon fast seit wir hier warten auf den gleichen Fleck an der Wand. Über was denkst du nach?"

Bevor ich irgendetwas antworten konnte, kamen auch schon Zach, Corbyn und Jack zu uns. Sie begrüßten uns kurz, doch fragte Daniel mich gleich daraufhin sofort nochmal: "Also, was ist los?"

Wäre es falsch, es ihnen zu erzählen? Vielleicht wollten Alex und Ellie nicht, dass ich ihren kleinen Streit ausplauderte?... Aber solche Dinge kamen bei uns eigentlich eh immer schnell ans Licht, weil wir uns nie richtig etwas vorlügen konnten.

Also erzählte ich es ihnen einfach. Die ganze Situation die ich beobachtet hatte.
"...ihr hättet sie sehen sollen! Sie fing völlig verzweifelt an zu weinen und hat wie verrück um sich geschlagen, als Alex sie einfach nur beruhigen wollte!", beendete ich.

"Aber Alex hat es doch nur gut gemeint, ich finde das sehr fies ihm gegenüber!", wendete Corbyn sofort ein.
"Aber ich kann sie auch gut verstehen. Ich meine, versetzt euch doch mal in ihre Lage. Sie-", versuchte schließlich Zach, Ellie irgendwie herauszureden, jedoch unterbrach Corbyn ihn sofort: "War ja wieder klar, dass du dich auf ihre Seite stellst! Merkt ihr das nicht? Ich hab das Gefühl Die will euch nur eure Köpfe verdrehen und tut immer auf unschuldig!"

"Ach ja? Ich glaube du hängst nur wieder viel zu sehr an deinem Daddy Alex!", schubste Zach ihn und sah Corbyn herausfordernd an.
Corbyn sprang auf ihn los, doch ich konnte ihn gerade noch in letzter Sekunde zurückhalten, sonst hätte Zach morgen ein blaues Auge. Er zerrte an meinem Griff und wollte sich aus ihm entfesseln und die Wut kochte in ihm, doch ich hielt zum Glück stand.

Die zwei beschimpften sich gegenseitig und nun musste auch Jack mit eingreifen und Zach festhalten. Wir versuchten sie zu beruhigen, doch sie wollten einfach nicht aufhören. Was war denn heute los? So kannte ich sie gar nicht! Und das ganze Drama nur wegen Ellie!

"Was zur Hölle ist hier los!?", schrie Alex plötzlich. Er kam gerade von oben hinunter. Wir ließen die beiden sofort los und von einer Sekunde auf die andere standen wir alle wie unschuldige Lämmer vor ihm und meinten alle gleichzeitig: "Nichts!"

Alex holte schon Luft, um uns eine Standpauke zu verpassen, da wurde er von Ellie unterbrochen, die auch gerade von oben kam. Ich bemerkte ihre rot angeschwollenen Augen, anscheinend hatte sie noch lange nach dem Vorfall weiter geweint. Ihre Kopfhörer hatte sie auf. Ich glaube, das letzte was sie wollte war, dass jemand sie auf ihre Augen ansprach, deswegen hörte sie Musik.

"Also gehen wir mal, sonst kommen wir noch zu spät! Und glaubt ja nicht, dass ich das von gerade eben einfach so vergesse!", rief Alex und wir seufzten und bewegten uns nach draußen, auch, wenn wir niemals zu spät kommen könnten, denn wir waren locker eine Dreiviertelstunde zu früh dran. Alex nahm es sehr genau mit der Pünktlichkeit.  Er hatte einmal ziemlich Ärger bekommen, als wir zu spät zu einem verdammt wichtigen Interview gekommen sind und deswegen war er heute sehr pingelig, was das anging.

Dort angekommen verteilten wir uns auf die zwei schwarzen, mit verdunkelten Fenstern ausgestatteten, Autos. Zach und Corbyn gingen hier getrennte Wege, was auch gut so war...

Ich saß mit Ellie, Daniel und Corbyn im Auto. Christopher, ein Crew Mitglied, fuhr uns, während Alex das andere Auto fuhr, indem Jack und Zach mitfuhren.

Ellie starrte ausdruckslos die ganze Fahrt aus dem Fenster. Christopher hatte uns auch schon Sandwiches angeboten, doch wir verneinten alle. Keinem war nach Essen zu Mute nach dem Streit gerade eben. Es herrschte Stille im ganzen Auto. Keiner sprach ein Wort, bis wir endlich bei dem Radiosender angekommen waren.

Sie führten uns zum Styling Raum, wo auch schon Madison, unsere Stylistin auf uns wartete. Wir begrüßten sie alle freundlich, währenddessen Ellie nur schnell an uns vorbei ging und sich in eine Ecke setzte, wo sie ungestört Musik hören konnte.

Natürlich fand ich es gemein von ihr, Alex so zu beschuldigen, schließlich hatte er es wirklich nur gut gemeint, aber sie musste bestimmt Heimweh haben. Ich glaube, dass das Kinderheim bestimmt wie eine Familie für sie war und ihre vertraute Umgebung. Sie hatte mit ihrer Vergangenheit abgeschlossen und wollte sobald sie 18 wäre, ganz neu anfangen und nun kam Alex dazwischen.
Aber trotzdem hätte sie sich auch mal bei Madison vorstellen können...

Alex war übrigens schon immer ein Familienmensch und wünschte sich auch sehr eine. Wenn wir irgendwelche Probleme hatten, konnten wir sofort zu ihm kommen. Auf ihn ist immer Verlass und er konnte schweigen wie ein Grab!... Und das war auch der Grund, warum wir alle keine Ahnung von dem hatten, was einmal mit Corbyn los war.

Von einem auf den anderen Tag war er unausgeglichen und lief durchgängig mit angeschwollenen Augen herum. Obwohl er an den Tagen davor noch so überglücklich war!

Eines Nachts hatte ich ihn auch mal weinen gehört. Natürlich hatte ich ihn danach gefragt und wollte für ihn da sein, aber er ließ nur Alex an sich heran! Seitdem hatten die beiden eine sehr enge Beziehung zueinander.

"Wer ist denn sie?", fragte Madison mich, als sie gerade mit meinen Haaren beschäftigt war. Sie war schon immer unglaublich neugierig gewesen, ist aber eine wirklich liebenswerte Frau!

"Das ist Ellie Rodriguez, Alex's Nichte", gab ich ihr zur Antwort.
"Seit wann hat Alex denn eine Nichte?", kam prompt die nächste Frage von ihr.
Ich zuckte mit den Schultern und meinte dann: "Seit neustem"

Wie immer konnte sie es nicht lassen und stocherte weiter: "Und? Wer hat schon an ihr Gefallen gefunden? Die Kleine ist bildhübsch und anscheinend sehr musikbegeistert!" Durch den Spiegel an der Wand vor uns deutete sie auf Ellie's Kopfhörer. Diese sah mit gesenktem Blick auf ihr Handy.

Mit ihren grünen Augen und ihren rot gefärbten, nach hinten gesteckten Haaren sah Maddy mich neugierig an. Madison war um die 27 und war eine schlanke Frau, hatte jedoch bisher kein Glück in der Liebe.

Jedenfalls zeigte ich mit einem Kopfnicken zu den drei Jungs neben mir, die gerade auf ihren Handys herumspielten und über irgendwelche Dinge auf Insta lachten. Corbyn hingegen saß ein wenig distanziert auf einem Stuhl in der anderen Ecke, die nicht von Ellie besetzt war.

Maddy kicherte und sah mich grinsend und gleichzeitig ungläubig an: "Du etwa nicht?"
Ich verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf.
"Na das werden wir noch sehen! Du bist doch normalerweise immer am Start, wenn es um ein Mädchen geht!", lachte sie.
"Ja ja, lach nur! Aber im Ernst: Ellie und Ich... ich glaube kaum, dass das jemals mehr als Freundschaft werden kann...", meinte ich nachdenklich.
"Bis jetzt hast du jedes Mädchenherz zum schmelzen bringen können, also glaube ich kaum, dass es bei ihr anders ist!", lachte sie.
"Oh man, bitte stell mich nicht immer so dar!", bettelte ich, auch lachend, und massierte mir mit einer Hand meine Stirn.
"Aber es stimmt doch, mein Lieber! Wer seinen ersten Kuss im Kindergarten hatte, darf jetzt nichts anderes erwarten, als so dargestellt zu werden!"

Als wir alle fertig gestylt waren gingen wir endlich zum Interview.
Die Jungs und ich begrüßten die Frau und den Mann, die das Gespräch mit uns führen sollten, höflich und setzten uns vor die Mikrofone. Ellie nahm abgelegen hinter der Kamera Platz, denn das Interview wurde auch gefilmt. Alex stand, ohne dass sie es wusste, unmittelbar in ihrer Nähe.

Sie hatte ihre Kopfhörer nicht mehr auf. Anscheinend war sie neugierig, wie sowas ablaufen würde...

Zunächst wurden wir von dem Mann und der Frau nochmal offiziell vor der Kamera begrüßt und dann kamen wir erstmal zu den üblichen Fragen:
"Wie gehts euch?"
"Schon aufgeregt wegen der Tour?"
... typischer Smalltalk eben!

Natürlich wurden wir auch wieder gefragt, ob wir vergeben wären, woraufhin wir alle verneinten.

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Als wir dann schließlich fertig waren, verabschiedeten wir uns wieder und konnten zurück zum Hotel fahren.

"Was hörst du gerade?", fragte ich Ellie zurück im Auto.
"Ich hör mir gerade das Album von Ed Sheeran an, Divide", antwortete sie mir.
"Ich mag das Album total!"
"Ich auch! Es ist ein Meisterstück! Vor allem seine Texte sind immer so schön, er ist einfach ein richtig guter Songwriter!", kam es von ihr mit einem breiten Grinsen.
"Magst du Ed Sheeran sehr?", fragte ich sie erneut etwas.
Sie strahlte mich an und meinte: "Er ist einer meiner absoluten Lieblingssänger! Seine Musik ist einfach wunderschön!"
"Das stimmt! Wie fandest du das Interview?"
"Ich fand es an sich interessant, bei sowas mal dabei zu sein, aber ich finde bei manchen Fragen haben sie ein bisschen die Grenzen überschritten. Ich meine, ihr habt auch ein Privat-Leben.", antwortete sie mir und zuckte mit den Schultern.

Daniel, der neben mir saß, mischte sich nun auch ins Gespräch ein: "Das ist den meisten nicht wichtig. Man muss einfach darauf achten, nicht zu viel zu verraten."
Sie sah zu ihm und für kurze Zeit hielten die beiden Augenkontakt. Dann holte die beiden irgendetwas zurück in die Gegenwart und beide wendeten sofort ihren Blick ab und starrten aus dem Fenster, während ich vor mich hin grinste und ich konnte auch ein Lächeln auf Ellie's Gesicht erkennen.

Jetzt mal diesen Noah aus dem Spiel gelassen, sah es wohl so aus, als hätte Daniel gegen Zach und Jack die Nase vorn. Und zugegeben: die beiden würden ein süßes Paar abgeben. Aber ich hoffte, dass sie lieber bei ihrer Fernbeziehung bleibe und ihn auch mal wiedersehen würde, das würde ich ihr von Herzen gönnen. Es wäre nur noch mehr Last auf ihren Schultern, wenn sie diese beendet und mit Daniel, oder wen auch immer, zusammenkommen würde...

"Also, das Konzert ist in vier Stunden, was heißt, dass ihr jetzt noch circa drei Stunden Freizeit habt. Sagt mir Bescheid, wenn ihr irgendwas außerhalb des Hotels macht und ansonsten komme ich dann zu euren Zimmern und hole euch ab!", klärte uns Alex auf als wir wieder im Hotel angekommen sind.

Wir bestätigten alle mit einem Nicken und verzogen uns auf unsere Zimmer. Ich hatte eine Idee, was ich mit Ellie machen könnte und jetzt hatte ich endlich die Zeit dazu.

Eine halbe Stunde später stand ich vor ihrem Zimmer und klopfte an. Sie machte auf und grinste: "Ich hatte gerade mal eine halbe Stunde Ruhe vor dir!"
"Das war doch genügend Zeit!", grinste ich zurück und trat in ihr Zimmer.

"Ich dachte wir könnten Harry Potter ansehen...?", schlug ich ihr vor, jedoch klang es mehr nach einer Frage. Sie nickte und lächelte.

Ich fuhr die mitgebrachte DVD in den Fernseher von Ellie's Zimmer ein und wir machten es uns auf ihrem Bett bequem.
"Das ist der erste Teil, Harry Potter und der Stein der Weisen", erklärte ich ihr und der Film ging los...

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