53. Kapitel
"I'm hoping you get her out of my mind"
Ellie's POV
Kurze Zeit später verabschiedete ich mich auch von allen. Ich musste dringend ins Bett und Schlaf abkriegen, sonst würde ich bald umkippen. Oma zeigte mir den Weg durchs Haus hinauf in mein Zimmer. Es war zwar etwas kleiner, aber dafür umso gemütlicher.
"Schlaf gut, mi flor.", sagte sie noch lächelnd und drückte mir einen Kuss auf die Stirn, dann verließ sie den Raum.
Ich sah mich ein bisschen um. In der rechten, hinteren Ecke befand sich das Bett, auf dem eine lilafarbene Bettwäsche platziert war. Daneben stand ein kleiner Hocker aus dunklem Holz, der wahrscheinlich als Nachttisch diente und links befand sich ein Schreibtisch mit einem großen, gold eingerahmten Spiegel an der Wand. Alles wirkte etwas älter, dennoch fand ich es hier drin wirklich schön.
Ich atmete kurz tief durch. Es roch noch ein wenig nach den Enchiladas von Valentina, also ging ich erstmal geradeaus zum Fenster, um frische Luft ins Zimmer zu lassen, bevor ich mich schlafen legte.
Ich drehte den Knauf an dem hölzernen Fensterrahmen um. Er ließ sich schwer öffnen, doch gleich danach bewegte er sich quietschend. Ich öffnete erst die eine Hälfte des Fensters, dann die andere und die schwüle Nachtluft Bernals empfing mich. Ich schloss die Augen und genoss den Moment für einen Augenblick. Ich hörte noch irgendwo Vögel ein Lied trillern und Zirpen stiegen mit ein, als die Stimme meiner Oma in mein Ohr drang. Erst jetzt bemerkte ich, dass sich direkt unter mir die Terrasse befand.
"Ich habe sie in ihr Zimmer gebracht. Das war bestimmt ein anstrengender Tag für sie gewesen.", seufzte Valentina und ich hörte, wie sie ihren Stuhl knarzend zurückschob.
"Bestimmt", pflichtete mein Opa ihr bei.
Es herrschte kurze Ruhe, dann meldete sich meine Großmutter wieder mit bebender Stimme zu Wort: "Hätten wir früher von ihr gewusst, hätte der heutige Tag nicht so stattgefunden. Dann hätten wir von Beginn an für sie da sein können und sie hätte hier aufwachsen können. Aber nein, Scarlett musste es uns ja verschweigen."
Alex schnaubte. "Natürlich liegt es wieder nur an Scarlett.", gab er sarkastisch zurück.
"Was willst du damit sagen?", fuhr ihn Valentina an.
"Schon mal daran gedacht, dass dein toller Sohn Richard auch etwas damit zu tun haben könnte?", antwortete er und ich hörte den Zorn in seiner Stimme heraus.
Darauf sagte meine Oma nichts mehr und Alex fuhr wütend fort: "Schon mal daran gedacht, dass er sie dazu gezwungen haben könnte, nichts zu sagen, weil ihm das Kind peinlich gewesen war? Weil er nie Kinder gewollt hatte? Weil er sein Geld nicht in ein Mädchen investieren wollte? Weil er bis heute nicht weiß, was Teilen bedeutet?"
Daraufhin herrschte nur noch Stille und ich konnte die angespannte Stimmung förmlich bis nach oben spüren, doch der Zorn auf meinen leiblichen Vater wurde nicht verringert durch Alex' Worte.
Er schämte sich für mich.
Er wollte mich nicht.
Ihm war sein Geld wichtiger als sein eigenes Kind.
"Hör auf, so über deinen Bruder zu reden!", schrie meine Oma plötzlich wutentbrannt und ich hörte etwas klatschen. Hatte sie gerade Alex geschlagen?
"Seh doch endlich sein wahres Gesicht, Valentina! Mach die Augen auf! Er ist, war und wird immer ein Egoist bleiben!", hielt Alex bebend dagegen und ich hörte ihn auf die Tischplatte schlagen, sodass die Gläser und Teller klirrten. Valentina und Alex vertieften sich in ein lautes Stimmenwirrwarr und ich hörte nur noch Geschrei, da sprach mein Großvater ein Machtwort: "Das reicht!"
Plötzlich verstummten sie.
"Ellie kriegt durch euer Geschrei noch alles mit und kann nicht einschlafen. Lasst dem Mädchen ihre Ruhe und diskutiert darüber ein Andermal.", befahl er ihnen streng.
"Du hast recht.", gab Alex schon leiser, aber dennoch drohend zurück. "Aber selbst diskutieren bringt bei deiner Frau nichts mehr. Sie ist wie besessen von der Ansicht, ihr Sohn sei das goldene Lamm der Familie. Ein erfolgreicher Geschäftsmann mit einem guten Herzen. Ich frage mich, wann sie endlich der Wahrheit ins Auge blicken will."
"Hör endlich auf, so zu reden!", schrie meine Großmutter wieder und ich hörte ein Glas auf dem Boden zerbrechen. "Er ist dein Bruder!"
"Das hat er mich aber mein ganzes Leben lang nicht spüren lassen.", sagte Alex dann tonlos. Ich hörte, wie er seinen Stuhl zurückschob und mit stampfenden Schritten das Haus betrat.
"Genau deswegen ist unsere Familie so zerbrochen.", sagte Valentina dann geknickt. "Weil die Zwei immer noch auf Kriegsfuß sind."
"Nein", gab mein Großvater zurück. "Deswegen ist unsere Familie nicht zerbrochen."
Damit stand auch er auf und verließ die Terrasse.
Corbyn's POV
Kurz bevor wir zum Konzert in Bangkok mussten, war mir so langweilig, dass ich mich vor das Keyboard von Daniel setzte, das ich mir schon zuvor von ihm geliehen hatte. Musik half mir einfach immer weiter und gerade eben herrschte bei mir reinstes Gefühlschaos. Daniel zu fragen hatte mich pure Selbstbeherrschung gekostet, aber es hatte ohne irgendeinen Ausbruch oder dumme Sprüche meinerseits geklappt. Mein erster Erfolg seit langem. Meine Gefühle zu sortieren und zurück zu halten hat bisher immer nur dann geklappt, wenn Ellie da war. Und plötzlich war es auch bei ihr geschehen. Ich hatte sie angegriffen. Keine Ahnung, was da mit mir durchgegangen war, aber es wird schlimmer.
Und jetzt war sie fort. Bei ihrer Familie. Ich war auf mich allein gestellt. Und ehrlich gesagt hatte ich Angst, dass sie nicht mehr zurückkommen würde. Zu uns. Zu mir. Denn wenn es ihr bei ihrer Familie wirklich so gut gefällt, dann wird Alex es ihr auch nicht verbieten, dort zu bleiben, wenn sie danach fragte. Wenn sie dort tatsächlich Zuhause war, dann würde sie auch dort wohnen dürfen, wenn sie wollte.
Ich wollte aber doch, dass sie wieder kam.
Ich legte meine Finger auf die Tasten und spielte die Noten, die ich mir zuvor schon zusammengeschrieben hatte. Jetzt fehlte nur noch der Text, wobei ich mich etwas schwerer tat. Meine Gefühle zu beschreiben und aus meiner Komfortzone rauszukommen war für mich zu einer kleinen Herausforderung mutiert, seitdem Ellie da war. Aber ich machte es trotzdem so wie immer. Einfach das Singen, was einem als erstes einfiel und damit weiter arbeiten.
Also begann ich wieder zu spielen und sang los: "...Are you okay?
Haven't heard from you in a while"
Ich schüttelte den Kopf. Das war schon mal nichts.
Ich versuchte es erneut: "Are you... are you feelin' alright?
Haven't heard from you in a while"
Schon besser. So arbeitete ich mich immer weiter und vergaß dabei alles um mich herum. Ich konzentrierte mich lediglich auf den Song. Ich ließ meiner Kreativität freien Lauf und kam zum Schluss auf ein Ergebnis, das zwar verbesserungsfähig, aber für den Anfang schon nicht schlecht war. Den Jungs würde ich den Song so auf jeden Fall nicht präsentieren. Die würden doch sofort checken, dass es um Ellie ging und um nichts auf dieser Welt wollte ich wieder meine zerbrechliche, gefühlvolle Seite zeigen wie damals, als das mit Violet passiert war. Ich wollte ihnen nie wieder so unter die Augen treten. Dabei fühlte ich mich nur wie ein dummes, kleines Kind und ich hasste es.
Und erneut fiel mir auf, wie lächerlich meine jetzige Situation doch war. Ich sehnte mich nach Ellie, mit der ich mich klar zerstritten hatte, aber hatte Violet an meiner Seite, die mich damals so verletzt hatte, dass ich ewig das Haus nicht verlassen hatte. Was war ich bloß für ein Idiot?
Ich grinste plötzlich. Idiota, würde Ellie jetzt sagen. Ich hörte ihre klare, egelhafte Stimme, als befände sie sich direkt vor mir, genauso wie ihr helles Lachen und es kribbelte leicht in meinem Bauch. Ich vermisste sie. Und um dieses Gefühlschaos zu sortieren und damit umzugehen, sollte ich Musik machen. Das hatte bisher doch immer geklappt.
Also ging ich meinen Text nochmal durch, änderte hier und da noch Kleinigkeiten und sang dann: "I'm too difficult
Been too vicious to you lately
And I know you're not accepting me this way
Are you feelin' alright?
Haven't heard from you in a while
I wanna know what's going on inside your brain
I wanna hold you closer
And I don't know if I know you yet
Yeah, you still seem to be hiding something bad
Why do I really wanna hold you?
Why do I want you so bad?
Yeah, you're beautiful but you don't even seem to care"
"Das klingt wundervoll"
Ich zuckte kurz zusammen und erwischte mich dabei, wie ich mir wünschte, dass Ellie es gesagt hätte. Dass, wenn ich mich nur umdrehen würde, sie dort stünde, am Türrahmen angelehnt und schelmisch grinsend. Doch als ich meinen Kopf in die Richtung drehte, aus dem die Worte kamen, begegnete ich keinen haselnussbraunen, sondern blauen Augen. Violet.
Es waren wohl die aufrichtigsten Worte gewesen, die sie jemals von sich gegeben hatte.
"Danke", sagte ich nur und wendete meinen Blick zu Boden.
"Warum so traurig?", fragte sie mich in einem komischen Ton. Sie klang interessiert, aber dennoch schien ihr Unterton verführerisch.
"Ich bin nicht traurig", stellte ich sofort klar und sah ihr dabei in die Augen, um ihr zu zeigen, dass ich es ernst meinte. Bei Ellie hätte ich es nicht gewagt. Sie hätte sofort gesehen, dass ich log.
"Na dann", zuckte sie mit den Schultern. "Wir haben noch ein bisschen Zeit, bis wir losmüssen."
"Was meinst du?", hakte ich nach, hatte aber eine Vermutung. Ich drehte mich wieder zum Keyboard und spielte etwas. Ich hörte sie näher kommen.
"Das weiß du", flüsterte sie mir heiser ins Ohr und küsste dann sanft meinen Hals. Ich stoppte das Spielen und ließ es geschehen. Kurz stellte ich mir vor, wie es wäre, wenn Violet gerade Ellie wäre. Den Gedanken schmiss ich aber schnell weg. Ich kam mir irgendwie komisch dabei vor, auch, wenn die Vorstellung nicht schlecht war.
Der beste Weg, um aus diesem ganzen Schlamassel herauszukommen, war Violet. Ellie wurde von Tag zu Tag komplizierter und ich glaubte nicht, dass ich das lange durchhalten könnte, selbst wenn aus uns etwas geworden wäre. Und um meine Gefühle für sie zu verbannen, war Violet da. Ich gab ihr, was sie wollte und sie gab mir, was ich wollte. Das war der Deal, den sie offiziell zwar nicht kannte, aber in ihrem Innersten wusste sie es. Das zwischen uns hatte nichts mit Liebe zu tun. Gar nichts. Doch wir beide schienen glücklich damit zu sein. Und sie akzeptierte mich so wie ich war und schenkte mir ihre Aufmerksamkeit, etwas, das Ellie wahrscheinlich nie tun würde.
Ich sollte aufhören, die Beiden zu vergleichen. Das brachte mich nur noch um den Verstand. Ich sollte lieber mein Ziel im Auge behalten.
Und so ließ ich Violet einfach weitermachen und würde dann schon sehen, wohin es führte, während ich versuchte, mir Ellie aus dem Kopf zu schlagen.
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