50. Kapitel

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Ellie's POV

Jonah hatte seine Arme fest um mich geschlungen und versuchte, mich zu beruhigen, während ich in seine Schulter weinte. Ich hatte ihm absolut alles erzählt und dabei so schlimme Erinnerungen heraufbeschworen, dass ich erst an einer Panikattacke gelitten hatte und jetzt zwar wieder beruhigt, aber weinend vor ihm saß. Bisher hatte Jonah noch nichts dazu gesagt. Er hatte mir aufmerksam zugehört und nicht rein geplappert, wenn ich erzählt hatte, aber jetzt war ich doch interessiert daran, was er dazu sagen würde.

"Es tut mir so leid, Ellie.", flüsterte er auf einmal traurig, aber ließ mich nicht los. Ich konnte nichts erwidern. Ich hatte einen riesigen Kloß im Hals und schluchzte weinend.
"Aber warum hast du dich dafür geschämt? Dieser Dario sollte sich eher was schämen, dieses Arschloch! Wenn ich den in die Finger kriege, dann-", er wurde von meinem Handy unterbrochen. Der Wecker klingelte. Hatten wir wirklich so lange geredet?
Mittlerweile hatte ich mich wieder im Griff und konnte das Weinen sowie jegliche Schluchzer unterdrücken. Jonah ließ mich los, um den Wecker auszuschalten und sah mich danach besorgt an: "Geht es wieder? Kannst du aufstehen? Es tut mir so leid, ich hätte dich nicht bedrängen dürfen."
Ich zitterte zwar am ganzen Leib und hatte mich noch nie so schwach und ausgelaugt gefühlt, aber ich nickte. Er bot mir seine Hände an, um mir aufzuhelfen und ich legte meine in seine.
Wir zogen uns um, packten unsere Rucksäcke und verließen schließlich unser Zimmer, um dann den Aufzug nach unten zur Lobby zu nehmen. All die Zeit über lag Jonah's Hand in meiner. Wahrscheinlich tat er das, um mir Halt zu geben oder mich zu stärken. Aber egal was es war, es half auf jeden Fall. So wie immer.

Ich wollte gar nicht wissen, wie schlimm verheult ich aussah, als wir unten auf die anderen stießen. Ich senkte meinen Blick, damit mir meine Haare ins Gesicht fielen.
"Jonah, wie siehst du denn aus? Was ist passiert?", fragte Maddy sofort, als sie uns erblickte. Bevor Jonah ihnen auch nur ansatzweise irgendeine Lüge auftischen konnte, um mich zu schützen (denn ich wusste, das hätte er getan), kam ich ihm zuvor, weil ich zu meinem Fehler stehen wollte: "Ich hab ihn versehentlich gekratzt. Es war keine Absicht."
Nun sahen uns alle etwas verwirrt oder verstört an, aber es war mir egal, was die jetzt dachten. Ich hatte Jonah mein riesiges Geheimnis preisgegeben, mir war gerade alles irgendwie egal.

War er wirklich vertrauenswürdig genug gewesen? Hatte ich einen Fehler gemacht? Hätte ich von Anfang an mehr Abstand zwischen mich und die Jungs bringen müssen?

Wir verteilten uns auf die Autos und fuhren zum Flughafen. Ich starrte die ganze Fahrt über aus dem Fenster. Jonah saß neben mir und streichelte durchgängig meine Hand. Es tat gut ihn bei mir zu haben, doch gerade eben hatte ich Angst, wieder in das schwarze Loch hinab zu fallen, das mich einst umgeben hatte. Eines, das jegliche Gefühle einfror und die Gedanken zu einem Gefängnis machte. So wie es mir passiert war, als ich von meinen Adoptionen wieder im Kinderheim gelandet war.

Jonah drückte meine Hand und flüsterte mir zu: "Alles in Ordnung, Ellie?"
Ich wendete meinen Blick nicht zu ihm, sondern schüttelte einfach nur den Kopf und starrte weiter aus dem Fenster. Die hinteren Autoblinker schienen mir entgegen und die hellen Lichter der Hochhäuser der Stadt zeigten, dass das Berufsleben wieder erwacht war. Ob sich gerade irgendjemand auf dieser Welt genauso leer fühlte wie ich?

In der großen, weißen Halle des Flughafens angekommen, machte uns Alex klar, kurz stehen zu bleiben.
"Wie ihr wisst, bin ich im Moment sehr in der Arbeit versunken und habe mich nicht oft blicken lassen. Den Grund dafür möchte ich euch jetzt sagen.", verkündete er und wirkte hellwach im Gegensatz zu uns allen.
"Na gut, aber bitte beeil dich.", seufzte Zach und kniff kurz die Augen zusammen.
Alex ließ sich nicht beirren, holte etwas rechteckiges aus seinem Rucksack heraus und kam auf mich zu. Er gab es mir und machte mir klar, es aufzumachen. Ich versuchte, ihm zur Liebe etwas netter und glücklicher zu wirken. Ich hoffte nur, es gelang mir.
Ich riss das rote Geschenkpapier auseinander und erblickte ein gerahmtes Bild. Auf diesem befand sich ein älteres Paar, die sich lächelnd im Arm hatten und sich verliebt anschauten. Die Frau hatte dunkles Haar und volle Lippen, während der Mann einen Bart hatte und einen etwas benutzt wirkenden Hut trug.
"Erkennst du sie?", fragte Alex mich mit sanftem Ton. Ich überlegte stark und je länger ich das Bild ansah, desto mehr fand ich, dass mir die Frau sehr ähnlich sah. Dennoch schüttelte ich den Kopf.
"Das sind deine Großeltern, Ellie.", sagte er nur und mein Herz begann, schneller zu schlagen. "Ich habe die ganze Zeit über etwas geplant und vieles mit dem Management der Jungs abgeklärt. Letztendlich hat alles so funktioniert, wie es sollte: Ellie, du wirst nicht mit den Jungs nach Bangkok fliegen, du fliegst mit mir nach Mexiko, um deine Familie kennenzulernen."

Mein Mund wurde staubtrocken und ich sah ihn überrascht an. Doch dann erinnerte ich mich wieder an die Zeit im Kinderheim. Damals wollten sie nichts von mir wissen, warum also sollte ich sie jetzt besuchen kommen?
"Ich fliege nicht mit.", sagte ich tonlos und drückte ihm das Bild in die Hand.
Sein Blick wurde verwirrt sowie enttäuscht. "Warum? Es ist doch schon alles geplant und sie freuen sich schon so auf dich."
"Ellie, du musst fliegen!", meinte Jonah und griff nach meiner Hand, doch ich zuckte zurück. Wut flammte in mir auf.
"Mein ganzes Leben lang wollten sie nichts von mir wissen. Sie hatten nicht mal einen Funken Interesse für mich übrig. Und jetzt soll ich sie besuchen und auf Happy Family spielen? Nein, Danke.", sagte ich ehrlich, aber dennoch hart und Alex zog eine Augenbraue hoch: "Wie sollten sie sich denn für dich interessieren, wenn sie nicht mal wussten, dass du existierst?"
Mein Herz setzte kurz aus. "W-was? Sie wussten nicht, dass... dass es mich gibt?"
Er schüttelte den Kopf. "Nein. Ich hatte es auch erst kurz vor der Tour erfahren."
Ich seufzte. "Warum hasst mich mein Leben eigentlich so?"

Alex sah mich mitfühlend an. "Ellie, meine Eltern haben dir so viel zu erzählen und wollen dich unbedingt kennenlernen. Sie freuen sich doch schon so. Bitte fliege mit."
Ich dachte mein ganzes Leben lang, meine Familie würde sich nicht für mich interessieren. Mich hassen. Dass sie mich nicht wollten. Mein ganzes Bild von ihnen veränderte sich schlagartig und plötzlich schwirrte mir nur eine Frage im Kopf herum: Was ist, wenn dort mein Zuhause ist?
"Sie freuen sich auf mich?", hakte ich vorsichtig und leise nach und Alex nickte lächelnd: "Und wie."
Mir war schon wieder nach weinen zu Mute. Aber Freudentränen! Meine Familie freute sich, mich zu sehen! Sie freuten sich!
Ich umarmte Alex stürmisch. "Ich fliege mit! Danke, Danke, Danke!"
Mein Onkel legte seine Arme um mich und lachte. "Nichts lieber als das."

Kurze Zeit später hieß es Abschied nehmen, auch, wenn es nur für drei Tage war. Ich umarmte Jack und Zach zuerst. Letzterer tat so, als stünde er den Tränen nahe und ich lachte: "Idiota!"
Da fiel mir plötzlich ein, dass ich diese ganzen drei Tage lang spanisch reden konnte! Mit meiner Familie! Ich konnte mein Glück kaum in Wort fassen.
Auch Logan zog ich in eine Umarmung. "Wie lange bleibst du noch auf der Tour?"
"Nach Australien fliege ich wieder heim.", antwortete er mir.
"Das heißt, wir sehen uns in Sydney nochmal.", schlussfolgerte ich lächelnd und er nickte: "Bis dann."
"Bis dann.", erwiderte ich und ging zu Maddy.
"Ich werde dich so vermissen, Schätzchen!", fiel sie mir den Tränen nahe um den Hals und ich lachte: "Es sind nur drei Tage, Maddy."
"Trotzdem.", erwiderte sie barsch und ließ mich dann schnell wieder los.
Dann kam ich zu Dani. Ich spürte, wie sich meine Wangen erhitzten, dann zog er mich behutsam in eine Umarmung. Als wir uns lösten, drückte ich ihm einen Kuss auf die Wange und nun wurde auch er rot.
"Schreib mir mal, okay?", sagte er dann und lächelte mich an. Ich nickte.

Nun stand Jonah vor mir. Und jetzt packte mich tatsächlich auch das Gefühl des Vermissen.
"Geht es dir wieder gut?", flüsterte er mir in mein Ohr, als wir uns umarmten. Warum fühlte ich mich immer so geborgen in seinen Umarmungen?
Ich nickte leicht. "Jetzt schon."
"Schreib mir bitte, sonst mach ich mir viel zu große Sorgen.", sagte er leise und wir zogen die Umarmung noch etwas hinaus. Weder ich noch er wollten loslassen, doch dann räusperte sich Alex.
"Ich hab dich lieb.", flüsterte ich ihm zu und er erwiderte sanft: "Ich dich auch, Kleine. Mach's gut."
Dann lösten wir uns und er schenkte mir einen aufmunternden Blick und ich lächelte. Was würde ich nur ohne ihn tun?
Doch jetzt sah ich hinüber zu Corbyn und Violet. Letztere versuchte sofort, den Blondschopf in ein Gespräch zu verwickeln, wahrscheinlich, damit wir uns nicht umarmten. Doch Corbyn's Blick haftete nur auf mir. Seine grün-blauen Augen bohrten sich in meine. Ich hatte nicht vor, ihn zu umarmen, denn es war besser so. Trotzdem hätte ich es viel zu gern getan. Wie so oft auch machte mir mein Herz wieder bewusst, wie sehr ich an ihm hing.
Ich nickte ihm also nur leicht zu und ignorierte Violet. Kurz bevor ich mich umdrehte, küsste Violet ihn auf einmal innig. Ich redete mir ein, es mir nicht mehr zu Herzen zu nehmen. Sie brauchte diese Show einfach, um sich selbst etwas zu beweisen.

"Können wir?", fragte Alex mich dann, als ich wieder zu ihm sah. Ich nickte glücklich: "Ja. Auf jeden Fall."
Ich winkte den anderen nochmal lächelnd zu und sie mir zurück.
"Viel Spaß!", rief Jack mir zu.
"Komm heil zurück!", setzte Zach dann noch dran und ich lachte: "Das werde ich!"
Ich sah ein letztes Mal zu Jonah: "Pass mir gut auf die Chaos Truppe auf, bis ich wieder da bin!"
Er nickte lächelnd.
"Schreib uns mal, okay?", rief Jack und ich zeigte noch lächelnd einen Daumen nach oben und warf einen letzten Blick auf die Truppe, mit der ich die letzen Tage verbracht hatte, dann drehte ich mich um. Und so begann das nächste Kapitel in meinem Leben. Ein neues und aufregendes. Und ich war mehr als nur bereit. Was hatte ich auch zu verlieren?

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"Das ist übrigens deins.", gab mir Alex in unserem Flieger das Bild zurück und ich betrachtete es lächelnd: "Wie heißen sie überhaupt?"
"Fernando und Valentina Rodriguez.", antwortete er mir und mein Lächeln wurde nur noch größer: "Ich freue mich so. Ich dachte immer, sie wüssten, dass es mich gibt, aber sie hätten kein Interesse an mir gehabt."
"Das stimmt ganz und gar nicht. Als ich erfahren habe, dass ich Onkel bin, war ich gerade in Mexiko. Du hättest ihre Augen sehen sollen, als sie es erfahren haben! Sie hatten sich schon immer ein drittes Enkelkind gewünscht. Ich musste ihnen hoch und heilig versprechen, dich einmal mitzubringen.", verkündete er mir und ich grinste, doch dann sah ich verwirrt drein: "Warte mal... Drittes Enkelkind?"
Alex lachte. "Ja, drittes. Ich habe noch eine Schwester, sie heißt Rosa und ihr Mann ist Ricardo. Sie haben eine kleine Tochter namens Lupita und einen Sohn, der in deinem Alter sein müsste. Er heißt Luis."
Diese Informationen kamen zwar überrumpelnd, aber sie waren wunderschön.
"Und die lerne ich alle kennen?", fragte ich und konnte es kaum fassen.
Er nickte nur und lächelte.
"Ich kann es kaum glauben. Ich freue mich so.", sagte ich überglücklich und hielt das Foto fest in den Händen.
"Ich mich auch, aber jetzt müssen wir erstmal achtzehn Stunden Flug überleben.", seufzte Alex. Er mochte Fliegen glaube ich nicht so.
"Achtzehn Stunden?!", fragte ich überfordert nach und er nickte.
Aber das war egal. Achtzehn Stunden nahm ich gerne auf mich, um meine Familie kennenzulernen.

Alex war gerade dabei einzuschlafen, da trudelte eine Nachricht von Jonah bei mir ein: Einen guten Flug. Viel Spaß mit deiner Familie und genieß die Zeit mit ihnen.
Ich schrieb lächelnd Danke zurück. Ich würde ihn vermissen. Am liebsten hätte ich ihn mitgenommen, aber er musste ja auf die Bühne. Die Konzerte konnte er nicht sausen lassen.
Und dann bekam ich noch eine Mitteilung, doch als ich sah, von wem die Nachricht kam, setzte mein Herz kurz aus. Sie war von Corbyn: Viel Spaß.
Ich sah, dass er noch etwas schrieb, aber es kam keine zweite Nachricht an, also packte ich mein Handy ein und versuchte, einzuschlafen.

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