49. Kapitel

"I'll stay vulnerable"

Ellie's POV

Nun waren wir auf dem Weg zum Hotel zurück und alle waren fix und fertig. Jeder wollte nur noch ins Bett und sich ausschlafen, aber ausschlafen war nicht. Morgen mussten wir wieder um fünf aufstehen, um unseren Flug zu erwischen.

Wir stiegen alle wortlos aus den Autos aus und verteilten uns mit einem kurzen "Gute Nacht" an alle auf unsere Zimmer.
Jonah war gerade im Badezimmer und sang leise vor sich hin, da döste ich etwas. Und ehe ich mich versah, schlief ich tief und fest.

"Verspüre keine Angst, okay?", befahl mir Sophie und sah mich intensiv mit aufgerissenen Augen an. "Tu ihnen nicht den Gefallen. Sei stark Ellie. Ich weiß, dass du das kannst. Ich kenne kein tapfereres Mädchen als dich."
Ich nickte nur. Mein Gesicht war von Tränen überströmt und Panik machte sich in meinem ganzen Körper breit.
"I-ich will das nicht schon w-wieder durchmachen. N-nicht nochmal.", schluchzte ich und Sophie zog mich zu sich und schloss ihre Arme um mich. Wir befanden uns wieder in unserem Zimmer, in dem nur der alte Schrank stand. Der Boden war wie immer staubig, daher sah unsere Kleidung nicht besser aus. Mein weißes Kleid war schmutzig und meine Haare spröde. Hier zu leben war eine einzige Qual. Wir schliefen jede Nacht auf dem Boden, wobei ich schon richtig Rückenschmerzen wegen den alten Holzlatten hatte. Es gab kein Fenster und die Tür war meistens zugeschlossen, sodass die Luft immer stickig war und wir beide des Öfteren an Kopfschmerzen litten. Duschen durfte ich auch nie, außer einer von Dario's Kunden erlaubte es mir, mich bei ihm zu waschen. Doch ich würde alles lieber tun, als wieder zu so einem Mann zu gehen. Da verzichtete ich auch liebend gern auf meine Hygiene.

"Ellie, ich weiß das ist schrecklich. Ich weiß, es ist die Hölle. Aber du schaffst das. Und wenn sich eine Möglichkeit ergibt, dann-"
"Nein", unterbrach ich sie sofort und wurde lauter. Sofort legte sie den Finger auf ihren Mund: "Shh. Nicht so laut."
"Ich werde nicht ohne dich fliehen, Sophie! Ich lass dich doch nicht allein!", weinte ich und zog sie ruckartig in eine Umarmung.
"Ellie, das musst du aber, wenn sich die Gelegenheit bietet. Du musst-"
"Nein, ich mach das nicht! Ich kann das nicht!", rief ich völlig aufgelöst und hielt mich stark vom Schreien ab. Ich klammerte mich an Sophie, als wäre sie meine einzige Lebensrettung, die sie im Prinzip auch war. Sie war der einzige Mensch, der mich noch am Leben hielt.
"Du musst aber!", gab Sophie nun auch weinerlich zurück und klang bereits so panisch wie ich. "Tu es für uns beide!"
"Nein!", schrie ich und klammerte mich noch fester an sie, als wäre ich fast am Ertrinken und sie die letzte rettende Boje, die mich über Wasser hielt.

"Was ist denn da drinnen los?!", schrie Dario auf einmal wuterfüllt und Schritte stampften in Richtung unseres Zimmers.

"52! Aufstehen! Heute bist du dran!", befahl er mir streng, als er die Tür öffnete. Seinen kahlen Kopf zierte eine Narbe links über dem Ohr und er hatte eine pechschwarze Pistole in der Hand.
Angst erfüllte mich von den Zehen bis zu den Haarspitzen und schien mich zu erdrücken. Panisch verfestigte ich den Griff um Sophie noch mehr und auch ihre Arme hielten mich schützend.
"Wie süß", kommentierte der Teufel in Person ironisch unsere Umarmung. "So, und jetzt steh auf, 52!"
"Nein!", schrie ich weinend und ließ nicht ab von Sophie. Panisch zitterte ich am ganzen Körper.
"Oh doch.", sagte Dario nur besserwisserisch und hielt mir die Öffnung seiner Waffe an den Schädel. "Steh auf."
"Nein!", kreischte ich. Mir machte die Drohung schon nichts mehr aus. Wenn er abdrückte war dieses Leben, das ich eh nicht wollte, endlich vorbei.

Plötzlich packte er mich grob und zog mich aggressiv von Sophie weg. Ich krallte mich panisch in ihre Klamotten und sie tat das Gleiche. Ich wollte nicht fort von hier. Ich wollte bei ihr bleiben. Bei ihr war ich sicher. Ich wollte nicht wieder auf mich allein gestellt sein. Allein mit meinen Ängsten.
"Sophie!", kreischte ich weinend und tränenüberströmt, als die Kraft in meinen Armen Stück für Stück quälend nachließ und mir der Stoff ihres T-Shirts unter meinen Fingern langsam entglitt.
Mit einem Ruck hatte er mich plötzlich von ihr weggezogen und hatte mir beide Hände mit einem Kabelbinder fest hinter dem Rücken zusammengebunden, sodass es mir fast mein Blut abschnürte. Sophie versuchte weinend nach mir zu greifen, um mich wieder in Schutz zu nehmen, doch Dario hielt ihr die Waffe vor die Nase: "Noch eine falsche Bewegung und du bist tot."
Ich wusste nicht mal, ob ich sie nach dieser Nacht wiedersehen würde. Was, wenn ich einen Fluchtversuch startete? Entweder ich würde geschnappt und bestraft werden, ich würde es schaffen oder ich wäre tot. Was, wenn sie in der Zeit, in der ich weg war, Sophie etwas antun würden? Sie schlugen oder sie auch auslieferten? Was ist, wenn ich sie nach dieser Nacht nicht mehr wiedersehen würde?
"Sophie!!", schrie ich immer und immer wieder, als sie mich wegtragen mussten, weil ich wie wild um mich schlug. "Sophie!!"

"Sophie!!", schreckte ich hoch und setzte mich ruckartig auf. Ich atmete panisch und zitterte am ganzen Körper. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich im Schlaf etwas geweint hatte. Mein Herz hämmerte rasend gegen meine Brust und schien sich nicht beruhigen zu wollen.
Sofort eilte Jonah aus dem Badezimmer zu mir, setzte sich und zog mich in eine behutsame Umarmung, die mich wieder an meine beste Freundin erinnerte.
"Shh", flüsterte er. "Es ist alles gut, Ellie. Beruhige dich."
"Nichts ist gut!", schrie ich aufgebracht und Tränen flossen in Strömen meine Wangen hinunter. "Gar nichts ist gut!"
Ich war voller Adrenalin und Panik, dass ich aggressiv um mich schlug und aus vollem Halse schrie. Das war alles, was ich tat. Ich wusste nicht mal genau, was ich kreischte, aber es hatte sicherlich mit Sophie zu tun.
"Ellie, komm runter!", schrie Jonah mich besorgt an und hielt mich an beiden Armen fest, doch ich schlug sie weg und stand auf. Ich wusste nicht, wohin ich wollte. Letztendlich lief ich nur im Zimmer auf und ab und kam einfach nicht mehr runter, egal, wie sehr ich mich bewegte.
"Ellie, bitte bleib stehen!", befahl mir Jonah flehend und stand plötzlich vor mir und wollte mich wieder festhalten, da schlug ich so sehr aus, dass ich seine Wange kratzte.

Sofort ließ alles in mir nach. Die Wut wechselte zu Angst und Schuldgefühlen. Plötzlich fühlte ich mich einfach nur noch müde, träge, kaputt und schuldig.
Jonah fasste sich schmerzerfüllt an seine Wange.
Ich riss die Augen auf. "Oh Gott, Jonah, das tut mir so Leid!", sagte ich sofort angsterfüllt und traurig. Ich hatte gerade meinem besten Freund - quasi meinem Bruder - weh getan. Welch ein schlechter Mensch war ich eigentlich?
Aus dem Kratzer trat etwas Blut. Er befand sich an seiner rechten Wange und zog sich über seine Backe bis kurz vor den Mund.
"Oh Gott", flüsterte ich panisch, wollte mir die Schramme genauer ansehen und ihn dort anfassen, da zuckte er zurück.
"Jonah, es tut mir so unendlich leid.", bettelte ich und sah ihm tief in die Augen. Noch mehr Tränen fielen auf meine Wangen. "Es tut mir soo Leid, bitte verzeih mir."

Ich folgte ihm stolpernd vor plötzlicher Schwäche in das Badezimmer. Dort betrachtete er seine Wange im Spiegel genauer. Sein Blick war undefinierbar. Irgendwie verärgert, aber auch enttäuscht oder einfach nur schmerzerfüllt und kalt. Ich wollte ihm helfen. Ich fasste immer wieder nach seiner Wange. Ich wollte etwas tun, doch er wimmelte mich jedes Mal ab. Beim letzten Mal packte er plötzlich meine Hände und schrie mich an: "Ellie, es ist alles okay!!"
Ich verstummte und fühlte mich auf einmal so leer. Was war ich nur für ein bescheuertes Mädchen? Ich nervte Jonah hier auch noch, während er versuchte, sich zu verarzten. Ich störte ihn dabei.
"Tut mir leid, ich war völlig weggetreten. Ich-", versuchte ich mich fassungslos zu erklären, doch er unterbrach mich: "Hör auf, dich zu entschuldigen."
"Ja, okay. Tut mir Leid- Oh nein, ich meinte-"
"Ellie, bitte komm runter. Du machst mich schon ganz nervös.", meinte Jonah streng, lächelte dann aber aus heiterem Himmel. Und genau dieses Lächeln hatte ich gebraucht, um wieder zu mir zu kommen.

"Tut es sehr weh?", fragte ich ihn besorgt und wollte wieder der Schramme entlang tasten, da wimmelte er mich wieder ab: "Es geht schon. Bitte lass es."
"Okay, tut mir Leid.", meinte ich niedergeschlagen und sah zu Boden. Was war nur in mich gefahren?

Plötzlich begann er zu lachen. Einfach so. Warum lachte er? Ich hatte ihm gerade weh getan und er lachte!
"Du kannst es echt nicht lassen!", kicherte er lauthals.
"Nimmst du mir das übel, Jonah?", fragte ich traurig, ohne sein Gelächter zu beachten. Ich schämte mich so für mich selbst.
"Nein.", antwortete er sanft. "Weißt du, was ich dir übel nehme?"
Ich sah ihn fragend an.
"Dass ich immer noch nicht weiß, aus welchem Grund sowas passiert.", gab er zurück und deutete auf seine Wange.
Ich sah zu Boden. "Das weiß ich.", war alles, was ich sagte.

Er legte seinen Finger unter meinen Kinn und führte meinen Kopf so nach oben, damit er mir in die Augen sehen konnte: "Es ist nicht schlimm, mach dir keine Sorgen. Und der Kratzer tut auch nicht mehr weh. Aber du weißt, wie sehr es mich verletzt, wenn ich immer noch nicht weiß, warum so etwas geschieht. Was dabei in dir vorgeht. Was du dir dabei denkst. Warum du es tust."
"Glaub mir, ich weiß das. Ich kann es voll und ganz nachvollziehen.", gab ich traurig, aber dennoch ehrlich zurück.
"Warum erzählst du es mir dann nicht?", fragte er leise mit sanftem Ton und legte einen Arm um mich. Ich zuckte mit den Schultern und Tränen traten wieder in meine Augen.
"I-ich schäme mich dafür.", hauchte ich und schluchzte kurz.
"Aber das musst du doch nicht. Ich dachte, wir könnten uns alles erzählen.", flüsterte er etwas verletzt zurück und sah mich aufrichtig an.

Und plötzlich war es, als würde sich ein Schalter in meinem Kopf umlegen. Wir konnten uns doch alles erzählen! Vor Jonah brauchte ich mich nicht zu schämen und es wurde Zeit, dass er es erfuhr.
"Ich erzähle es dir.", schlussfolgerte ich meine Gedanken fest entschlossen. "Alles. Von vorne bis hinten."
"Wirklich?", hakte er überrascht und hoffnungsvoll nach und ich nickte: "Aber nur unter einer Bedingung."
"Und die wäre?"
"Bemitleide mich nicht, ich hasse das... Und bitte bekomme kein anderes Bild von mir. Ändere dein Verhalten mir gegenüber nicht, Jonah."

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