Kapitel 78

"Our Story" - Graham Colton

https://youtu.be/0e7qARLIEMg

________


"Hmm...", angestrengt nachdenklich betrachtete Tae sein Werk.

"Sieht das gut aus?", fragte er.


Seine Arbeit vom Boden aus begutachtend, unterdrückte ich ein sarkastisches Lachen.

Bisher hatten wir eine Stern-Lichterkette über meinem Bett aufgehangen und den kleinen Weihnachtsbaum auf meinem Schreibtisch aufgestellt.

Anstatt diesen zu dekorieren, war Tae allerdings auf einmal höchst konzentriert auf die Zuckerstangen- und Rentier-Anhänger gewesen, die er besorgt hatte.

Nach kurzem Überlegen, hatte er beschlossen, die Gitterstäbe damit zu verzieren.


Mal ganz davon abgesehen, dass mir das einen Funken zu morbide gewesen war, hatte ich Taes Vision ungern stören wollen.

Deshalb hatte ich mich einfach hingesetzt und ihm zugeguckt.



"Klar.", meinte ich als Antwort auf seine Frage.

Ich konnte immer noch nicht fassen, dass Taes Weihnachtsstimmung nicht mal vor den offensichtlichsten Dingen Halt machte.

"Hättest du das von Anfang an so verziert wäre ich bestimmt nicht so ausgerastet, als du mich hergebracht hast.", meinte ich.

Meine Stimme triefte vor Ironie.


Wie immer brachte Tae es trotzdem fertig, diese nicht wahrzunehmen.

"W-Wirklich?", wollte er überrascht wissen.

Das kleine Glitzern in seinen Augen, als er sich zu mir umdrehte, brachte meine Mimik zum einschlafen.

"....nein, Tae.", verschließ es gleichermaßen matt und fassungslos meine Lippen.

"Nein.", wiederholte ich.

"Das war ein Witz."

Die bloße Vorstellung, dass er auch nur eine Sekunde lang glauben könnte, dass Deko jemanden davon abhalten könnte, durchzudrehen, wenn man ihn in einen schalldichten Keller sperrte...

Meine bisherige Zeit mit Tae hatte mich gelehrt, mich nicht länger mit diesem mehr als absurden Gedanken zu befassen.

Gewöhnlich fing ich dadurch nur an, an der Menschheit zu zweifeln.


Taes Augen wurden ein bisschen größer.

"O-oh...", entwich es ihm etwas kleinlaut.

Er verzog den Mund.

"Entschuldige...", murmelte er, bevor er anfing, unsicher an einem der Anhänger herumzuzupfen.


Ich unterdrückte ein etwas hoffnungsloses Seufzen, während ich mir eingestand, dass ich selbst schuld war, wenn ich derart unangebrachte Witze machte.

Inzwischen kannte ich Tae gut genug, um zu wissen, dass meine Anwesenheit hier in seinen Augen etwas vollkommen anderes war, als in meinen.


Ergeben sanken meine Schultern schließlich nach unten, bevor ich beschloss, mich nochmal in der Kiste für Dekorationen umzusehen.

Ich zog sie an mich heran, bevor ich hineinlinste.


"Oh wow...", entwich es mir, als ich tatsächlich etwas entdeckte.

"Darf ich die auch aufstellen?", fragte ich, während ich nach der Schneekugel griff, die sich am Boden der Kiste versteckt hatte.

Eine ziemlich große, mit einem Lebkuchenhaus darin.

Ohne darüber nachzudenken, schüttelte ich sie ein bisschen hin und her, um den Schnee dazu zu bringen, sich zu bewegen.


Kaum hatte ich Interesse bekundet, begann Taes Mimik wieder zu glitzern.

"Natürlich!", meinte er aufgeregt.

Hastig gesellte er sich neben mich auf den Boden.

"Magst du Schneekugeln?", erkundigte er sich.


Etwas verträumt nickte ich, während ich die Kugel hin und her schüttelte.

"Sieht so aus...", verließ es geistesabwesend meine Lippen.

Das letzte Mal, dass ich eine Schneekugel in der Hand gehabt hatte, lag eine gefühlte Ewigkeit zurück.

Trotzdem konnte ich nicht leugnen, dass dieses ganz spezielle Dekorationsstück seine Magie auch nach all den Jahren nicht eingebüßt hatte.

Wie eine eigene kleine Welt, die man in der Hand halten konnte.

Vielleicht gerade weil die Welt, in der ich inzwischen lebte, unfassbar begrenzt war, hatte es etwas sehr faszinierendes, einen solchen Gegenstand in der Hand zu halten...


Kaum dass meine Lippen sich zu einem kleinen Lächeln verzogen, wurde Taes Blick unglaublich glücklich.

"Weißt du schon, wo du sie hinstellen möchtest?", fragte er.

Dabei klang seine Stimme so lieb...

Durch und durch warm.


Ich spürte mein Herz klopfen.

Stellte erneut fest, wie sehr ich Taes Anwesenheit genoss, wenn er mir diese Seite von sich zeigte.

Wie leicht ich inzwischen vergessen konnte, was eigentlich Sache zwischen uns war.

Dass die Verbände an meinem Körper immer noch frisch waren.


Allerdings dauerte es auch nicht wirklich lange, mich daran zu erinnern...

Kaum dass ich mich in der Zelle nach einem passenden Platz für die Schneekugel umsah, begann mein Mund wieder bitter zu schmecken.


Etwas zögerlich stand ich auf.

Ich lief zu der Kommode, auf der das Metronom stand.

Sekundenlang starrte ich es an, bevor ich die Schneekugel daneben stellte.

Wenn wir schon bei morbiden Deko-Orten waren...

Warum nicht noch eine Stelle in diesem Raum verschönern, von der normalerweise der Schrecken ausging...


Sichtbar nicht in der Lage zu erkennen, wie zwiegespalten meine Gefühlwelt diesbezüglich war, komplementierte Tae den Ort, den ich ausgesucht hatte.

Ich war relativ sicher, dass er es, egal wo ich die Schneekugel hingestellt hätte, immer perfekt gefunden hätte.

Einfach weil Tae eben so war...

Weil er gleichermaßen grausam und liebevoll von mir besessen schien.


Unwillig, mich länger als nötig damit zu beschäftigen, wie sehr diese Erkenntnis mich auf den Boden der Tatsachen zurückholte, blieb mein Blick an dem kleinen Weihnachtsbaum hängen.

"Wollen wir den als nächstes dekorieren?", schlug ich vor.

So skeptisch ich am Anfang auch gewesen war...

Ich konnte nicht leugnen, dass es etwas sonderbar angenehmes hatte, sich mit Weihnachtsdekoration zu beschäftigen.

Es war so fern von allem, was Taes und meiner Situation angemessen wäre.

So viel näher an dem, das ich mir tief in mir drin wünschte.

Eine trügerische kleine Illusion, der ich mich nur zu gern noch etwas länger hingeben wollte...


Tae lächelte.

Er schien sich zu freuen, dass ich inzwischen auch etwas die Offensive ergriff, was das Dekorieren anging.

"Also das goldene Set?", vergewisserte er sich noch einmal.


Ich nickte zustimmend.


Gemeinsam gingen wir anschließend zu dem Schreibtisch, um uns dem kleinen Bäumchen zu widmen.


Da es ein wirklich kleiner Baum war, dauerte das Dekorieren nicht besonders lange.

Mehr als ein paar Kugeln, eine Lichterkette und eine kleiner Glitzergirlande konnten wir nicht unterbringen.


Trotzdem kam ich nicht umhin, mich ein bisschen darin zu verlieren.

Festzustellen, was für ein sonderbar normaler Moment das hier sein könnte.

Wenn Tae und ich nur nicht "Tae und ich" wären...


Stumm blieb mein Blick an dem Blauhaarigen hängen, während ich mich fragte, ob es in einer Welt, in der mein Leben nicht so schrecklich vor den Baum gegangen wäre und Tae nur ein paar Psychosen weniger hätte, möglich gewesen wäre, dass wir uns auf ganz natürliche Art und Weise getroffen hätten.

Ob es möglich gewesen wäre, dass wir uns gemocht hätten.

Vielleicht sogar mehr...


Ich fragte mich, ob es irgendein Paralleluniversum gab, mit einem Parallel-Tae und einem Parallel-Kookie, in dem diese beiden vielleicht einfach ganz normal Weihnachten miteinander feierten.

In dem sie vielleicht ganz normal zusammen lebten.

In dem es eine schöne, vollkommen normale Tradition war, gemeinsam den Weihnachtsbaum zu schmücken...


Ich war nicht wirklich in der Lage, mir einzugestehen, wie unfassbar schön ich diese Vorstellung fand.

Wie verzweifelt ich mir tief in mir drin genau das wünschte.

Ein normales Leben.

Ein Leben ohne Gitterstäbe.

Ein Leben ohne Schmerzen.


Aber auch...

Still klopfte mein Herz vor sich hin, während ich Tae anschaute.

...ein Leben mit ihm.


Irgendwo zwischen all dem Schrecken und den verwirrenden Momenten, die wir miteinander erlebt hatten, war ein gemeinsames Leben mit Tae in meinem Kopf zu einer wahnsinnig romantischen Vorstellung verkommen.

Zu einem Wunschtraum.

Einem Traum, der sich nie erfüllen würde.


Einem Traum, der grausamer Weise...

Ich fühlte die Wärme in meinem Inneren, als Tae mir anbot, den Stern auf die Baumspitze zu setzen.

...trotzdem manchmal...

Lächelnd nahm ich an.

...seine Funken in die Realität sendete.

I swear...
Weihnachtskapitel zu jeder zeit des Jahres, nur nicht zu Weihnachten.
Aber well...
Wir leben jetzt bitte einfach damit.
Es limitiert mich doch schon irgendwie sehr dolle, wenn ich versuche, Geschichten mit bestimmten Feiertagen auch nur zu diesen Feiertagen zu schreiben. (Zumal ich dieses Jahr Weihnachten echt gar keine Lust auf Home hatte ^^")

Ich hoffe das Kapitel hat euch trotzdem gefallen ^^
Lasst mich gerne wissen, wie ihr es fandet <3

Ich hoffe ihr habt ein schönes Wochenende <3

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top