Kapitel 67

"It'll Be Okay" - Shawn Mendes

https://youtu.be/q_HNcBjHlPY

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Mit großen Augen schaute ich die Eisentür an, kaum dass das altbekannte Piepen erklang.

Ich hatte bereits seit einigen Minuten auf dem Boden gesessen und gewartet.

Immer noch mit dem Hasenplüschtier im Arm und in einem inzwischen aufgeräumten Zimmer.


Obwohl ich Tae geglaubt hatte, als er gesagt hatte, dass er wiederkommen würde, schlug mein Herz unfassbar schnell, kaum dass er die Zelle betrat.

Mein Inneres war noch so erschöpft von allem, was heute passiert war...

Ihn zu sehen fühlte sich nach Balsam für meine Seele an.


Weich lächelte Tae mich an, während er sich mir gegenüber setzte.

"Ich hoffe es schmeckt...", sagte er leise, während er das Essen unter den Gitterstäben hindurch schob.

Kaum merklich wanderte sein Blick dabei durch die Zelle.

Die nicht mehr vorhandene Unordnung schien ihm aufzufallen.


Ich brauchte einen Moment, bevor ich reagierte.

Sekundenlang schaute ich Tae an.

Ich versuchte zu verstehen, wie unfassbar glücklich es mich machte, dass er vor mir saß.

Trotz der Gitterstäbe kam es mir vor, als könnte ich seine Nähe spüren.

Gleichzeitig sehnte alles in mir sich sofort wieder nach mehr.

Ich wusste, dass es nicht ging...

Dass Tae wahrscheinlich wahnsinnig erschöpft und nur noch ein paar durchgebrannte Sicherungen von einem Pflaster auf der Stirn entfernt war.

Trotzdem vermisste ich bereits, wie er mich vorhin umarmt hatte.

Ich vermisste seine Wärme...

Die Sicherheit, die er mir geschenkt hatte.


All diese Gefühle waren nicht unbedingt neu...

Seit Tae mehr Zeit mit mir in der Zelle verbrachte und wir angefangen hatten, Körperkontakt zu haben, hatte ich mich daran gewöhnt, dass seine Nähe seltsame Dinge mit mir anstellte.

Dass die Gefühle, die ich inzwischen mit Tae verband Welten von dem entfernt waren, was er früher in mir ausgelöst hatte.

Trotzdem war es heute irgendwie anders...

Extremer.

Nach dem Todestag meiner Eltern hatte ich nicht gedacht, dass ich noch glücklicher über Taes Anwesenheit sein konnte...



"...Kookie?", fragte Tae vorsichtig, als ich ihn einfach mit riesigen Augen anschaute, anstatt meinen Teller zu nehmen.

"...willst du nichts essen?", die Besorgnis in seiner Stimme war nicht zu überhören.


Kaum realisierte ich, was gerade Sache war, blinzelte ich.

"D-doch!", stammelte ich hastig, bevor ich den Hasen weglegte und nach meinem Essen griff.

Meine Wangen erhitzten sich...

Sie brannten fast so sehr, wie meine Augen.


Etwas unbeholfen lächelte ich Tae an, nachdem ich den ersten Bissen in meinem Mund hatte verschwinden lassen.

Trotz der heutigen Unterernährung hielt mein Hunger sich eigentlich stark in Grenzen.

Ein Teil von mir fühlte sich immer noch so leer...

Durch und durch erschöpft von all den Dingen, denen mein Kopf mich ausgesetzt hatte.

Allerdings wollte ich nicht, dass Tae sich Sorgen machte.

Dass ich genug aß war ihm seit meinem ersten Tag hier ein zwanghaftes Bedürfnis gewesen.

Nach allem, was auch er heute wahrscheinlich durchgemacht hatte, wollte ich es nicht verschlimmern.

Ich wünschte mir, dass unsere beiden Köpfe etwas Ruhe finden würden.

Auch wenn ich wusste, dass mein schnellster Weg zu innerem Frieden wahrscheinlich Taes direkter Weg in die Hölle war...


Gerade wollte ich mich fragen, seit wann diese Tatsache mich derartig traurig stimmte, als ich das kleine Glitzern in Taes Augen entdeckte.

"Schmeckt es dir?", erkundigte er sich.

Dabei zeigte seine erschöpfte Mimik so viel Leben...

Als würde es ihm die Welt bedeuten, dass ich etwas aß.


Ich spürte die Wärme in meinem Herzen, während ich nickte.

"Dir auch?", stellte ich die Frage zurück.

Weil Tae derjenige war, der das Essen zubereitete, war ich vorher irgendwie nie auf die Idee gekommen.

Allerdings war es einfach so ein Bedürfnis gewesen...

Ich konnte so sehr fühlen, dass Tae sich gerade um mein Wohlbefinden sorgte, dass ich es unbedingt hatte zurückgeben wollen.


Ebenfalls bemerkend, dass ich ihm derartige Fragen sonst nicht stellte, wurden die Augen meines Gegenübers groß.

Weich lächelte er, während seine Wangen etwas Farbe fingen.

"Mir ist meistens eigentlich ziemlich egal, was ich esse...", gestand er leise.

Als er mich anschließend ansah schien sein Fokus schon wieder vollkommen woanders zu liegen.

"Aber ich freue mich, dass es dir schmeckt.", sagte er lieb.

"Das ist das wichtigste."


Taes Stimme klang so aufrichtig, dass es mein Herz zum Drücken brachte.

Wie so oft fragte ich mich, was für ein Leben er führte, wenn er nicht bei mir war.

Wie er sich benahm...

Was er so tat...

Ob es Dinge gab, die ihn glücklich machten.

Lieblingsbeschäftigungen, die vielleicht kein Skalpell erforderten.

Obwohl ich schon so lange hier war und wir inzwischen mehr redeten, gab es immer noch so viel, das ich nicht über ihn wusste...



"Du hast also kein...Lieblingsessen oder sowas?", verließ es ganz von alleine meine Lippen.

Mein Gehirn war zu püriert, um sich gegen die Neugier zu wehren.


Von meinen direkten Fragen sichtbar überrascht, stockte Tae kurz.

Er schien zu überlegen, bevor er den Kopf schüttelte.

"Nicht wirklich...", antwortete er.

"Aber...", süß zuckte sein Mundwinkel nach oben.

"...seit wir zusammen essen...", warm schauten seine Seelenspiegel mich an.

"...schmeckt irgendwie alles besser.", sagte er.


Ich stutzte ein wenig.

Eigentlich waren derartige Zuneigungsbekundungen von Tae nichts neues.

Er hatte mir schon oft gesagt, dass es ihm besser ging, sobald er mich sah.

Dass es ihn glücklich machte und er mich vermisste.

Trotzdem hatte das gerade...

Ich lächelte.

...irgendwie anders geklungen.

Weniger übertrieben.

Weniger krampfhaft.

Dafür umso echter...


"Verstehe...", unwillkürlich grinste ich in mich hinein, während ich noch einen Löffel voll in meinem Mund verschwinden ließ.

Vielleicht fühlte diese Aussage von Tae sich so anders an...

Mein Herz klopfte.

...weil ich sie nachfühlen konnte.

Selbst als Tae und ich uns noch nicht so gut verstanden hatten, hatte ich gespürt, wie angenehm es war, nicht alleine zu essen.

Mit der Zeit hatte die Tatsache, dass Tae es war, mit dem ich aß, immer mehr an Gewicht gewonnen.

Zu hören, dass es ihm genauso ging, war schön...

Einfach mal das selbe zu fühlen, war schön...

Über die Zeit hatte ich mich so sehr daran gewöhnt, dass Taes und meine Bedürfnisse meist gegenläufig waren, dass ich ganz vergessen hatte, dass es natürlich auch Momente gab, in denen es nicht so war.

Dass Tae, auch wenn es anstrengend für ihn war, trotzdem ein Bedürfnis nach meiner Nähe verspürte.

Dass er es trotz allem genoss.

Wenn man ständig darauf bedacht war, sein Gegenüber nicht zu überlasten, kam diese Tatsache einem schnell abhanden...


Als könnte er meine Gedanken ein bisschen lesen, zuckten auch Taes Mundwinkel nach oben.

Stille kehrte ein, während wir beide unser Essen anlächelten.



Wie so oft verlief das restliche Abendessen ohne viele Worte.

Letztendlich waren wir wohl doch zu erschöpft, um mehr als leicht-emotionale Gespräche über Lieblingsgerichte zu führen.

Ich spürte den Horror der letzten Stunden in jeder Faser meines Körpers.

All die Panik...

All die Angst...

Sie hatten meine Kraftreserven gleich mehrmals aufgebraucht.

Alles in mir sehnte sich nach Ruhe...


Ich wollte am liebsten einfach meine Augen schließen und all die schlimmen Dinge von mir schieben.

Ich wollte mich sicher fühlen.

Geborgen.

Einfach weniger allein...

Die Einsamkeit der letzten Stunden hatte sich tief in mein Herz gefressen.



Unwillkürlich stockte ich deshalb, als wir fertig mit Essen waren.

Tae würde nach oben gehen, um das Geschirr wegzubringen.

Ob er anschließend nochmal zu mir herunterkommen würde, wusste ich nicht.

So wie er aussah, war ich nicht sicher, ob eine Gute-Nacht-Geschichte heute im Bereich des Möglichen lag.


Mein Herz schmerzte, als mir bewusst wurde, dass selbst diese sich heute nicht nach genug anfühlen würde.

Ich wünschte mir so viel mehr, obwohl gerade wahrscheinlich nicht mal unser "normal" im Bereich des Möglichen lag.


Einen Moment lang war ich so getroffen von diesem Gedanken, dass ich gar nicht bemerkte, was dieser mit meiner Mimik anstellte.

Erst als Tae mich ansprach, holte es mich zurück in die Realität.

"Kookie...?", fragte er leise.

"Ist alles in Ordnung...?"


Schwach zuckten meine Mundwinkel nach oben, als ich hörte, wie unfassbar warm Taes Stimme klang.

Wie viel Müdigkeit gleichzeitig darin lag...

Er war vollkommen fertig.


Willig, diese Tatsache zu akzeptieren, nickte ich.

"Ja...", antwortete ich, während ich mich zwang, Tae ein kleines Lächeln zu schenken.

Absolut nichts war in Ordnung.

Ich wollte, dass er bei mir blieb.

Dass er vielleicht nochmal in die Zelle kam.

Dass er mich erneut in den Arm nahm und mir sagte, dass alles gut sei.

Ich wollte, dass er über meinen Kopf streichelte.

Dass ich mich wieder an ihn klammern und seinen vertrauten Geruch einatmen konnte.

Ich wollte alles.

Alles, was mich den heutigen Tag vergessen lassen würde.

Alles, was mir zeigen würde, dass Tae wirklich da war.

Dass er mich nicht verlassen hatte.


Allerdings meinte ich, meinem Gegenüber ansehen zu können, dass er nicht mehr in der Lage war, mir diese Dinge zu geben.

Er konnte nichts für die Dinge, die heute passiert waren.

Viel mehr hatte er auch darunter gelitten.

Ich weigerte mich, nur an mich zu denken...



Immer größer wurden die Augen meines Gegenübers.

Im Gegensatz zu früher schien er mich inzwischen ziemlich gut lesen zu können.

Er sah es...

"Nein...", verließ es seine Lippen.

Mein Lächeln war nicht echt...


Ich schaute überrascht, als Tae das Geschirr beiseiteschob, um näher an die Gitterstäbe heran zu kommen.

"Sag es mir...", bat er.

"Bitte, Kookie...", fast schon flehend vergriffen seine Hände sich an den Eisenstäben.

"Sag mir, was ich tun kann...", tief bohrten Taes Seelenspiegel sich in meine.

"Ich tu alles...", versprach er.


Die Energie, die dabei von ihm ausging, brachte mich zum Schlucken.

Natürlich wusste ich, dass Taes "alles" durchaus ein paar Dinge ausschloss.

Trotzdem schien er es ernst zu meinen...

Die "Lass mich machen, dass es dir besser geht"-Aura, die sich um ihn aufbaute, war nicht zu übersehen.


Ich spürte, wie diese mir die Tränen in die Augen trieb.

Mein Herz drückte so sehr.

Ausnahmsweise allerdings nicht aus Trauer...


"I-ich...", setzte ich etwas kaputt an.

Nach allem, was heute gewesen war, war ich nicht mehr in der Lage, mich zu wehren.

"Ich will...", hilflos hingen meine Augen in denen von Tae.


Alles in mir sehnte sich nach der Fürsorge, die er mir anbot.

Nach der Zuneigung.

Der Wertschätzung.

Dass Tae so sehr darauf bestand, für mich da zu sein, obwohl er selbst am Ende war, bedeutete so unbeschreiblich viel...


Mein Herz wollte sich nicht mehr beruhigen.

In überglücklicher Verwirrung klopfte es vor sich hin, als ich nicht mehr in der Lage war es zurückzuhalten.



All die Gefühle...

All die Bedürfnisse...


"B-bitte..."


Widerstandlos sprudelten sie aus mir heraus.


"Geh nicht..."

Hach ja...
Actually sehr fitting, dass die Lesenacht jetzt endet, weil wir kind of in den "nächsten Abschnitt" des Abends reingehen.
Weil remember...
Er ist noch lange nicht vorbei xD

Lasst mich jetzt emotional werden.
Ich brauch das ^^

First of all...
Nein.
Ich hab keine Ahnung, warum die beiden sich ausgerechnet an so einem Abend über das Thema "Lieblingsessen" unterhalten mussten.
It just happened xD

Wisst ihr...
Ich hatte dieses Kapitel hier an dem Abend, an dem ich Home offline genommen hab, direkt angefangen.
Ich wollte sofort schreiben, weil ich mich daran erinnern wollte, dass es nur der Upload und nicht die Story selbst war, die mir so wehgetan hatten.
Und uff, es ging so gar nicht...
Ich konnte mich (kind of selbstverständlich?) kein bisschen in die Story reinfühlen.
And I hated it.

Ich erinnere mich, dass ich mir damals dachte, dass ich Home vielleicht einfach nicht mehr so sehr brauche, wie früher.
Dass sowas einfach passieren kann, wenn Stories wirklich alt sind und man wirklich schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht hat.

Aber naja...
Wie ihr wisst, hat die Story ihren Weg zurück dann doch irgendwie gefunden. ^^
Und an dem Abend, an dem ich dieses Kapitel dann schließlich doch beendet hab, war ich unfassbar erleichtert.
Es hat noch ganz schön gedauert, bis ich in den Schreibflow gekommen bin, den ich jetzt in der letzten Woche hatte.
Aber es war trotzdem irgendwie der Anfang von dieser zweiten Chance.

Ich freue mich sehr, euch mitteilen zu können, dass diese Version von Home jetzt die einzige ist, die sich auf meinem Profil befindet.
Ich hatte die alte immer noch in meinen Entwürfen drin, weil ich wegen den Musikempfehlungen und den Bildern von den alten Kapiteln gucken musste.
Aber nachdem ich vorhin Kapitel 66 hochgeladen hab, hab ich sie gelöscht ^^ (und es gefilmt und auf Insta hochgeladen, weil huge moment für mich xD)

Also yeah...
Was bleibt mir jetzt noch zu sagen?
Was außer Danke?

Danke an jeden, der den Reupload von dieser Geschichte bis hierher unterstützt hat.
Danke an alle neuen Leser.
Danke an alle alten, die sich 66 bereits bekannte Kapitel nochmal gegeben haben.
Danke für diese Lesenacht heute.
Ich hab die Beteiligung in den Kommentaren gesehen und muss gestehen, dass ich wirklich glücklich darüber bin...

Die letzten Kapitel waren die, die ich damals alle direkt hintereinander geschrieben hatte und bei denen ich dann mehrere Monate gebraucht hatte, um sie Stück für Stück hochzuladen, weil der Upload mich kein bisschen glücklich gemacht hat.
Ich hab die Kapitel geliebt...
So sehr, dass ich sie einmal auch einfach im Zug gelesen hatte, als die Story noch offline war.
Ich hab geliebt, wie weit die beiden nach so vielen Kapiteln bereits bekommen waren.
Trotzdem war meine Erinnerung an diese Kapitel immer etwas getrübt glaube ich...
Ich freue mich, dass wir das ganze mit dieser Lesenacht ein bisschen überschreiben konnten.
Es war für mich ein viel schönerer Weg, diese Kapitel zu teilen. <3
Und idk...
Irgendwie hab ich das Gefühl, der Zukunft von der Story jetzt besser entgegen blicken zu können ^^

Deshalb nochmal danke <3
Ich bin happy über diesen Reupload.
Und ich bin happy, dass ihr hier seid <3

Ich hoffe, diese Lesenacht hat euch gefallen ^-^
As you know. Feedback ist immer willkommen <3

Und damit:
Peace out, ich geh jetzt meine Nägel machen 💅

Träumt nachher schön <3

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