Kapitel 6

Nachdem Tae gegangen war, saß ich noch eine Weile auf dem Boden und aß mein Frühstück.

Ich genoss die kleinen Wellen des Glücks, die der Kaffee durch meinen Körper sendete.

So warm und belebend...

Bis eben war mir nicht klar gewesen, wie sehr mir dieses Getränk gefehlt hatte.


Es war noch einiges von dem Essen übrig, als ich fertig war.

Langsam stand ich auf, schlurfte auf das Bett zu und ließ mich hineinfallen.

Wie großartig sich die weiche Matratze unter meinem Rücken anfühlte...

Ich schloss für einen Moment meine Augen.


So wirklich hatte ich das hier immer noch nicht realisiert. Ich war mir nicht sicher, ob ich das jemals können würde.


Schleppend öffnete ich meine Augen und ließ meinen Blick durch den Raum wandern.

Würde ich wirklich hier bleiben müssen? Für immer?

War das alles hier real?

Und wie es das war...

Das Wissen, dass es in der Welt da draußen ausnahmslos niemanden gab, der nach mir suchen würde, half nicht wirklich.

Ein bitterer Geschmack breitete sich in meinem Mund aus.


Leise seufzend schloss ich meine Augen wieder.


Es fühlte sich alles so unbeschreiblich skurril an...

Dieses helle, freundlich eingerichtete Zimmer mit den Gitterstäben am anderen Ende des Raumes...

Dieser so lieb und warm wirkende Mensch, bei dem es gleichzeitig komplett offensichtlich war, dass seine Realitätswahrnehmung eine völlig andere war, als die meine... wodurch ich nicht umhin kam, mich ein wenig vor ihm zu fürchten, obwohl er durchweg fürsorglich und aufmerksam war...

Sein Verhalten...seine ganze Art widersprach der Tatsache, dass er mich hier eingesperrt hatte komplett.

Zwei so gegenläufige Realitäten, dass ich nicht fähig war, sie zu einer zusammenzufügen...


Und nicht zu vergessen....

...diese Stille...


Zugegebenermaßen machte letzteres mich am nervösesten.

Ich war Straßenlärm gewöhnt. Selbst nachts.

Fahrende Autos, sprechende Menschen, plötzliche Krankenwagensirenen...

Manchmal war es so laut gewesen, dass ich meine eigenen Gedanken nicht hatte hören können.

Unbewusst hatte ich das eigentlich ziemlich angenehm gefunden.

Doch jetzt...

...hatte ich das Gefühl, dass mein Inneres mich förmlich anschrie.


Ich überlegte, wie ich irgendeine Geräuschkulisse um mich schaffen könnte, als mir plötzlich das kleine Badezimmer in den Sinn kam.

Die Dusche...


Unwillkürlich sah ich an mir herunter.

Ich erinnerte mich gar nicht mehr so genau, wann ich das letzte Mal einfach in Ruhe geduscht hatte...

..vielleicht sogar...mit warmem Wasser?

Allein der Gedanke brachte mich dazu, mich aufzusetzen und zu der Tür neben mir zu laufen.

Die Aussicht, dieses angenehm neblige Gefühl des sauber-werdens spüren zu können, hatte mein Gehirn für einen Moment ausgeschaltet.

Ich zog mich aus, entfernte den Verband von meinem Bauch und betrat die Duschkabine.


Tatsächlich wurde das Wasser praktisch sofort warm, sobald ich den Hahn aufgedreht hatte.

Ein fast ungläubiges Lächeln legte sich auf meine Lippen, als ich spürte, wie das Wasser meine Körpertemperatur an den Stellen, die es berührte, erhöhte.


"Hmm...", entspannt schloss ich meine Augen, während ich die durchsichtige Flüssigkeit über meinen Körper laufen ließ.

Es war so unbeschreiblich angenehm...

Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit entspannten sich die Muskeln in meinem Körper...

Als würden alle Sorgen gerade für einen kurzen Moment von mir gespült werden.


Eine Weile lang stand ich einfach da und genoss dieses Gefühl und das Rauschen des Wassers in meinen Ohren.

Danach fiel mein Blick auf die kleine Ablage, die an der Wand der Dusche befestigt war.

Shampoo, Duschbad, Duschpeeling und noch ein paar Haarprodukte befanden sich darauf.

Überfordert von dieser Auswahl griff ich nach dem Shampoo.

Kaum hatte ich einen Teil davon auf meine Handflächen getan, verbreitete sich ein blumiger Geruch in der Duschkabine. Sehr dezent. Nicht aufdringlich.

Ich war nicht sicher, ob dieses Produkt für Männer oder für Frauen gedacht war.

Aber ich mochte den Geruch...

Unwillkürlich sog ich ihn tief ein, bevor ich anfing, das Shampoo in meinen Haaren zu verteilen.


Ich wiederholte diesen Vorgang, sobald ich die erste Ladung aus meinen Haaren gespült hatte, einfach weil ich dem Drang, dafür zu sorgen, dass meine Haare sich ausnahmsweise mal nicht so kratzig anfühlen würden, nicht widerstehen konnte.

Ich sehnte mich nach dieser Sauberkeit....dem Gefühl, durch die Haare zu streichen und zu spüren, wie die seidigen Strähnen fast schwerelos zwischen den Fingern entlang glitten.

Ein Luxus, den ich mir normalerweise einfach nicht leisten konnte.


Als ich auch den letzten Tropfen Schaum aus meinen Haaren gespült hatte, wanderte meine Hand zu dem Duschbad.

Es roch nach Vanille.

Nicht chemisch. Sondern auf eine natürliche Art und Weise süßlich.

Fast schon lecker...

In mir stieg ein fast kindliches Bedürfnis nach Vanillepudding auf.

Der letzte musste Jahre her sein.


Ich atmete wohlig aus, als ich spürte, wie das Duschbad jeden Rest Schmutz von meinem Körper entfernte.


Danach blieb ich noch eine Weile unter der Dusche, weil ich mich nicht losreißen konnte.

Viel zu ehr hatte ich mir so einen Moment der Entspannung herbeigesehnt.

Die anderen Pflegeprodukte rührte ich trotzdem nicht an.



Als ich schließlich doch irgendwann beschloss, fertig zu sein, stieg ich aus der Kabine und zog das pastellgelbe Handtuch um meine Schultern.

Ein leicht befremdliches Gefühl der Geborgenheit überkam mich, als ich spürte, wie das riesige Stück Stoff mich vollständig einhüllte und machte, dass die angenehme Wärme nicht von meinem Körper wich.

Ich setzte mich auf den Rand der Badewanne und starrte einfach vor mich hin.

Gerade war mein Kopf komplett leer.

In mir war so eine fremdartige, nebelige Ruhe.


Eigentlich hatte ich jeden Grund, beunruhigt zu sein.

Ich war hier eingesperrt und der einzige Mensch, mit dem ich Kontakt hatte, war der Freak, dessen Schuld es war, dass ich hier drin steckte.

Und trotzdem...

Langsam stand ich auf und sah in den Spiegel über dem Waschbecken.

...hatte ich schon lange nicht mehr so lebendig ausgesehen, wie jetzt.


Die dunklen Ringe unter meinen Augen waren ein kleines bisschen heller geworden, meine Haare standen nicht zottelig in alle Richtungen, sondern lagen in gleichmäßig nassen Strähnen auf meinem Kopf... und auch die letzten zwei Mahlzeiten sah man mir bereits an.

Meine Haut wirkte nicht mehr so fahl...


Ich betrachtete die Person im Spiegel noch für einen Moment, bevor ich nach dem Föhn griff, welcher in der Halterung neben dem Waschbecken befestigt war.

Unnötig zu erwähnen, wie lange es her war, dass ich einen richtigen Föhn in der Hand gehabt hatte.

Manchmal hatte ich die Händetrockner auf öffentlichen Toiletten benutzt, wenn ich welche gefunden hatte.

Aber sonst...


Als ich fertig war, legte ich meine Kleidung in den Wäschekorb, der zwischen Badewanne und Dusche stand und verließ das Badezimmer, immer noch mit dem Handtuch um die Schultern.


Zögerlich betrachtete ich die Kommode.

Tae hatte gesagt, dass ich die Kleidung ruhig nehmen konnte.

Und ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass die Vorstellung, einen weichen Pulli, statt meinen kratzigen Klamotten zu tragen, mich nicht reizte.

Aber.... was für ein Zeichen setzte ich, wenn ich das, was Tae mir gab, einfach annahm?

Würde ihn das in seiner verqueren Logik, dass er mir etwas Gutes tat, nicht nur noch mehr bestätigen? Würde ich ihm damit sagen, dass es okay war, mich hier einzusperren?

...

...andererseits...wirkte es nicht, als würde der Blauhaarige irgendeine Form des Zweifels daran hegen.

Tae brauchte gar keine Bestätigung.


Die eigentliche Frage war....was es für mich bedeutete, wenn ich seine Angebote annahm...


Ich schluckte schwer.

Für einen Moment war ich wie erstarrt, bevor ich schließlich doch auf die Kommode zuschritt.

Zögerlich öffnete ich die Schubladen eine nach der anderen und griff mir eine schwarze Jogginghose, Boxershorts und einen hellgrauen, unendlich weich aussehenden Wollpullover heraus.

Socken ließ ich vorerst weg, weil die Fußbodenheizung unter meinen Füßen sich so schön wohlig anfühlte.


Ich lief noch kurz zurück ins Badezimmer, um das Handtuch über die Wandheizung dort zu hängen, bevor ich mich wieder in meinem Zimmer umsah.

Die Uhr verriet mir, dass es gerade mal kurz nach zwölf war.

Unwillkürlich ertappte ich mich dabei, wie ich ausrechnete, wie lange es dauern würde, bis Tae wiederkam.

Nicht, dass ich ihn vermisste...

Aber sein kommen und gehen schienen die einzigen zwei Ereignisse zu sein, die mich aus meinen Perioden der endlosen Stille zu holen schienen...das einzige, was hier passierte.


Mein Blick fiel auf den Schreibtisch, welchen ich bis jetzt irgendwie ignoriert hatte.

Ich ließ mich auf den Stuhl davor fallen und zog ein paar der Schubladen, welche unten an dem Tisch befestigt waren, auf.

Nicht viel...

Aber ein Buch mit leeren Seiten und ein paar Bleistifte.


Da ich offensichtlich eh nichts weiter zu tun hatte, beschloss ich, ein wenig zu zeichnen.



Wenn man nicht mal mehr Smut braucht, um ganze Kapitel übers Duschen schreiben zu können xD

Ich hoffe das war ein halbwegs entspannter Abschluss für den Tag ^-^

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