Kapitel 31

"I hurt too" - Katie Herzig

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Das Mondlicht strahlte durch die kleinen Fenster an der Oberseite der Wände und hüllte das ganze Zimmer in sanfte, kaum vorhandene Helligkeit.


Nachdem ich aufgewacht war, brauchte ich ein paar Sekunden, um zu verstehen, dass es mitten in der Nacht war.

Dass ich wieder nicht durchgeschlafen hatte...


Still lag ich da, während ich die Decke anstarrte.

Ich spürte das Brennen meiner Wunden, während die Erinnerungen an das 'Spiel' über mich hereinbrachen.

An Tae...

Die Schnitte...

....und den Kuss.


"Nicht schon wieder...", seufzte ich erschöpft, als ich merkte, dass meine Augen feuchter wurden.

"Hör auf...", flehte ich mich selbst an, während ich hastig anfing mit meinem Ärmel über meine Augen zu wischen, um die Tränen daran zu hindern, über mein Gesicht zu laufen.

Vergeblich.


Noch bevor ich etwas dagegen tun konnte, hatte ich angefangen zu schluchzen.

Bäche aus Tränen rannen über meine Wangen.

Meine Brust fühlte sich an, als hätte man mit voller Wucht dagegen geschlagen.

Sie drückte...tat weh...

Ich bekam kaum Luft.


Leise schniefend rollte ich mich auf die Seite und zog meine Beine an meinen Körper.

Ich hatte so unendlich genug von alledem...


Krampfhaft kniff ich meine Augen zusammen und versuchte mich selbst daran zu hindern, an das Ende des Spiels zu denken.

Nicht...

Die Wunden schmerzten...

...aber sie waren gerade nicht ansatzweise so präsent in meinen Gedanken, wie dieser Kuss...

Dieser schreckliche....sanfte....unendlich verwirrende Kuss...


Ich holte stoßweise Luft und verschluckte mich immer wieder an meinem eigenen Atem, bevor ich meine Handfläche auf meine Lippen legte.

Ich hatte meinen Mund geöffnet...

....für Tae...


Unwillkürlich begann ich zu zittern.

Seine Zunge hatte meine berührt...

Ich hatte...

...Taes Geschmack...in meinem Mund gehabt...


Je klarer mir diese Tatsachen wurden, desto dicker quollen die Tränen aus meinen Augen.

Es war so unfassbar verstörend...

Nicht unbedingt, dass es passiert war...

....sondern wie ich mich dabei gefühlt hatte.

Die Augenbinde hatte alles so viel intensiver erscheinen lassen.

Die Angst...

Die Abscheu...

Aber auch... die Zärtlichkeit...die Geborgenheit...


Die letzten beiden hatte ich seit meiner Kindheit missen müssen.

Mein Leben lang hatte ich mir gewünscht, einen Menschen zu finden, der mir diese Gefühle zurückgeben würde.

Irgendwann hatte ich die Hoffnung aufgegeben.


Doch Tae?

Ausgerechnet Tae?

Das Schicksal hätte keine schmerzhaftere Wahl treffen können.

Im metaphorischen und wahrhaftigen Sinne...

Ich fühlte mich, als hätte ich meinen Wunsch einem Flaschengeist gesagt, welcher ihn mir auf die verdrehteste Art und Weise erfüllt hatte, die ihm eingefallen war.


Denn auch, wenn ich nun so einen Menschen hatte....jemanden, der mir ein zu Hause gab... der mich liebte...

Auch wenn ich keine Zweifel mehr an Taes Gefühlen für mich haben konnte...

....so war trotzdem nichts davon echt.

Es war eine substanzlose Liebe, die mir keine echte Sicherheit geben konnte.

Stattdessen war da nur Schmerz...

...Verwirrung...

...und noch viel mehr Schmerz.


Trotz seiner Gefühle für mich war Tae nicht hier.

Er kam nur her, um mir essen zu geben und mit mir zu 'spielen'.

Er war immer noch ein Fremder.


Und ich... immer noch allein.

So wie mein ganzes Leben lang schon.





Das Drücken in meiner Brust wurde mit jeder Sekunde schlimmer.

Es tat so weh...

Ich wusste nicht, was von all den schrecklichen Dingen am schlimmsten war...

Wahrscheinlich der Kontrast zwischen dem, was Taes Lippen in mir ausgelöst hatten und meiner jetzigen Situation.


Ich verstand es nicht.

Wieso zwang er mich, seine Gefühle anzuerkennen, wenn ich letztendlich wieder verlassen in meinem Bett aufwachen würde?

Mit Verbänden, unter denen sich Schlitzwunden befanden und einem Haufen bildloser Erinnerungen, die ich lieber nicht gehabt hätte.


Noch nie in meinem Leben hatte ich mich derartig einsam und verlassen gefühlt...

Es war furchtbar...


Leise schluchzte ich vor mich hin.





Gerade war ich dabei, einfach in diesem tiefen Loch des alleine-seins zu versinken, als mich etwas überrascht zusammenzucken ließ.


Das Piepen der Eisentür.





"Kookie?..", erklang Taes flüsternde Stimme, während er langsam den Raum betrat und die Tür dann vorsichtig hinter sich schloss.


Vor Schock über seine plötzliche Anwesenheit, rissen meine Augen sich auf.

Hastig legte ich meine Hand wieder auf meinen Mund, damit meine Atmung nicht so laut sein würde.

Den Schluchzer, er mir gerade im Hals hing, versuchte ich herunterzuschlucken.


Was wollte Tae hier?

Mitten in der Nacht...


"Schläfst du?", versuchte der Blauhaarige es erneut. Er sprach in gedämpften Ton, wodurch seine sowieso schon tiefe Stimme nur noch rauer klang.

Ähnlich wie wenn er wütend wurde.

Gleichzeitig vollkommen anders.

Im Traum wäre ich nicht darauf gekommen, Angst vor seiner jetzigen Stimmlage zu haben.

Unendlich viel Wärme lag in ihr.





"Ich kann nicht schlafen...", murmelte Tae, nachdem ich ihm keine Antwort gegeben hatte.

Er war es ja gewohnt, mit sich selbst zu sprechen, unabhängig davon, ob ich wach war oder nicht.

"Deshalb dachte ich, ich schaue mal nach dir.", erzählte er weiter.

Anschließend erklang ein leises Geräusch. Als würde er sich bewegen.


Vorsichtig, darauf bedacht mich nicht sichtbar zu bewegen, drehte ich meinen Kopf so, dass ich zu der anderen Seite des Zimmers sehen konnte.

Tae hatte sich auf den Boden gesetzt und seinen Rücken an die Wand gegenüber den Gitterstäben gelehnt.

Auch er sah zu mir.

Wäre es nicht so dunkel gewesen, wäre ich sicher gewesen, dass wir uns gerade direkt anschauten.


"Weißt du..", der Blauhaarige lehnte lächelnd seinen Kopf an die Wand hinter sich und fuhr sich leicht durch die Haare.

"...dich zu sehen macht mich immer so glücklich.", sagte er mit ruhiger Stimme.

"Danach kann ich viel besser schlafen..."


Meine Pupillen weiteten sich, bevor ich spürte, wie mein Herz heftig anfing, gegen meine Brust zu hämmern.

'Immer'?

Wie oft...kam Tae denn nachts hier runter, um nach mir zu sehen?...

Nachdem ich wieder zu essen angefangen hatte, war ich eigentlich davon ausgegangen, dass er damit aufgehört hatte...


Da ich mich inzwischen an seine stalkerhaft-fürsorgliche Art gewöhnt hatte, ließ diese Erkenntnis eine sonderbare Wärme in meinem Inneren entstehen.

Gerade sah ich nicht den gruseligen Aspekt an Taes Verhalten.

Sondern nur die Tatsache, dass ich mich alleine fühlte.

...und dass es einen Menschen gab, der nachts nach mir sah.


Ich kniff die Augen zusammen, während ich mich selbst für diese Sichtweise hasste und gleichzeitig überhaupt nicht mehr genug von diesem Gedanken bekommen konnte.

Er hatte etwas unendlich Tröstliches an sich...





Die Stimme des Blauhaarigen ließ mich aufhorchen.

"Glaubst du mir inzwischen?...", fragte er vorsichtig.

"...dass ich dich liebe?..."

Hauchzart verließen die Worte seine Lippen.


Mir blieb die Luft im Hals stecken.

Diese Frage hatte ich nicht kommen sehen.

Sie erinnerte mich an das Spiel.

An die kleine Hölle, in der ich gesteckt hatte, bevor Tae hier aufgetaucht war.


Schmerzende presste ich die Lippen aufeinander, während ich versuchte, das Schluchzen, was gerade in mir aufstieg, zu unterdrücken.

Ja...

Ich konnte nicht.

Ich glaubte ihm. 

Nach diesem Kuss....hatte ich überhaupt keine Wahl mehr.





"Kookie?", kaum war mein Schluchzen erklungen, wurde Tae hellhörig.

"Du bist ja doch wach.", stellte er mit freudiger Stimme fest, bevor er aufstand.

Er trat ein paar Schritte auf die Gitterstäbe zu und legte seine Hände an das kalte Metall.

Als wolle er mich erreichen.


"Weinst du?", wollte er wissen.

Natürlich war ihm die Art des Geräusches, welches ich von mir gegeben hatte, nicht entgangen.

Als Antwort erhielt er nur noch mehr davon.


"Geh weg.", schniefte ich.

Weil ich mich die ganze Zeit zurückgehalten hatte, musste ich jetzt umso stärker weinen.

Das wollte ich nicht.

Sowieso.

Und vor Tae schon gar nicht.

Er sah mich ständig so...





Eine Weile lang sagte Tae gar nichts.

Das einzige was zu hören war, war mein leises Schluchzen.


"Du musst nicht weinen, mein Schatz.", erklang irgendwann seine weiche Stimme.

"Ich bin doch bei dir."


Augenblicklich begannen meine Schultern noch stärker zu zittern.

Alles in mir sehnte sich danach, sich einfach in der tröstlichen Wirkung seiner Worte zu verlieren.

Trotzdem war mir bewusst, dass der Inhalt dieser genau das Problem war.

Dass Tae bei mir war.

Mit ihm all der Schmerz..

All die Verzweiflung..





"Tae, verschwinde.", wiederholte ich.

Ich wollte das hier nicht...

Darüber nachdenken müssen, ob seine Worte mich trösten konnten...

Ob seine Liebe echt war...

Seine Zärtlichkeit...

....genau zu wissen, dass es eigentlich nicht mehr nötig war, darüber nachzudenken, weil ich wusste, dass die Antwort auf all diese Fragen 'ja' lautete.

Es machte mich krank.


Tae sagte nichts.


"Hau ab!", rief ich, diesmal deutlich aufgebrachter.

Mir war egal, ob ihn das wütend machen würde.

Ich wollte all das nicht fühlen...

Die Wärme, die seine Worte und seine Anwesenheit in mir ausgelöst hatten.

Nicht bei ihm.

Tae durfte sowas nicht bewirken.

Nein..

Nicht der Mensch, der mir so schreckliche Dinge antat...





Doch trotzdem...

Tae seufzte leise, bevor seine Finger die Gitterstäbe nur noch fester umschlossen.

...tat er genau das.

"Ich werde nicht gehen.", versprach er.

Er sagte genau die Worte, die ich von jedem auf der Welt hören wollte.

"Niemals."

Nur nicht von ihm.


"Ich weiß, dass du dein Leben lang alleine warst...", redete Tae weiter.

"...Deshalb hab ich dich ja zu mir geholt....Damit du das nicht mehr sein musst und ich mich um dich kümmern kann."

Tae sprach langsam.

Aufrichtig.

Anschließend machte er eine kurze Pause.


"Ich werde für immer an deiner Seite bleiben, Kookie. Fest versprochen.", ein ehrliches Lächeln lag auf den Lippen des Blauhaarigen.


Danach war es ruhig.

Nicht wirklich ruhig.

Mein nun noch viel stärkeres weinen erfüllte den Raum...

Trotzdem sagte vorerst keiner mehr ein Wort.


Tae setzte sich wieder auf den Boden, während ich innerlich halb zerbrach, weil ich nicht wusste ob ich aus Trauer oder aus Freude weinte.

Ob Taes Worte mein schlimmster Albtraum waren...

...oder die eine Sache, die ich mir mein Leben lang gewünscht hatte.


Stumm blieb der Blauhaarige sitzen.

Jede weitere, aus einem Gefühl der Überforderung heraus geäußerte Aufforderung, dass er gehen und mich alleine lassen sollte, ignorierte er.

Stattdessen saß er einfach da.

Wartend, dass ich aufhören würde zu weinen.


Er musste lange warten.





Aber irgendwann...

...beruhigte ich mich.


Leise schniefte ich vor mich hin.

Aufgewühlt.

Verwirrt.

....genau wissend, dass ich mit jedem Mal, bei dem ich gesagt hatte, dass Tae gehen sollte, eigentlich nur noch dringender gewollt hatte, dass er blieb.


Meine Augenlider wurden schwerer.

Meine Atmung gleichmäßiger.

Mein Herz ein wenig leichter.

Weil ich wusste, dass er noch da war.

Dass er nicht auf mich gehört hatte...



Tae gab ein beruhigtes Seufzen von sich, als er bemerkte, dass ich langsam müde wurde.

Ein warmes Lächeln legte sich auf seine Lippen.

"Träum schön, Kookie.", flüsterte er weich.

Auch danach bewegte er sich keinen Millimeter.

Er blieb sitzen.



Und so...

Zum ersten Mal seit Jahren zog mein Herz sich nicht vor Einsamkeit zusammen, bevor ich ins Land der Träume driftete.

...schlief ich mit der Gewissheit ein, dass jemand bei mir war.

Ich fühle mich immer so schlecht, wenn ich diese Geschichte fluffy werden lasse.
Aber...irgendwann muss man ja auch mal anfangen, Romance einzustreuen, nh? x3

May you have some fluffy puffy marshmallow dreams~

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