Kapitel 27
Imminence's Acoustic Cover von "Crawling"
(auch auf Spotify: "Crawling - Acoustic" - Imminence)
https://youtu.be/HkXyZD58fgo
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Inzwischen lag ich in meinem Bett und starrte die Zimmerdecke an.
Neben mir dudelte die leise Menü-Musik der Nintendo-Switch-Konsole.
Ich traute mich irgendwie nicht, das kleine Gerät wirklich zu benutzen.
Aus mehreren Gründen.
Erstens kam es mir immer noch wie ein kleiner Schatz vor. Ein Gegenstand, der viel zu wertvoll war, als dass ich wirklich etwas damit hätte machen können.
Und zweitens....fühlte es sich falsch an, etwas derart besonderes ausgerechnet von Tae anzunehmen...
Nicht, dass es irgendeinen anderen Menschen auf der Welt gab, der mir solche Geschenke machen wollen würde...
Aber es war schwer für mich.
Mit jeder Sache, die ich von ihm annahm, ordnete ich mich ein wenig mehr in seine abartige Welt ein.
Ich versuchte mit dem Gedanken klar zu kommen, dass ich keine andere Wahl hatte.
Sofern es um Kleidung, ein Bett, Essen oder eine Dusche ging, war das eine Sache...
All diese Dinge gehörten zu meinen Grundbedürfnissen. Es war nur menschlich sie nicht missen zu können und zu wollen.
Aber bei einem solchen Luxusgegenstand...
Nachdenklich drehte ich mich auf die Seite und starrte die bunte Spielekonsole an.
Sie lag neben dem Foto meiner Eltern.
Mein Blick wanderte eine Weile zwischen den beiden Gegenständen hin und her, bevor ich meine Augen schloss und einfach die Tatsache genoss, dass nicht mehr völlige Stille um mich herum herrschte.
Wenigstens davon hatte Tae mich erlöst.
Tief atmete ich aus, während ich versuchte meine Nerven ein wenig zu entspannen.
Taes Lächeln, als er mir vorhin die Funktionsweise der Switch erklärt hatte, wollte einfach nicht mehr aus meinem Kopf verschwinden.
So wie er gesprochen hatte...
...hätte man fast meinen können, dass er ein normaler Mensch sei...
Die ganze Situation hatte sich so natürlich angefühlt...so alltäglich, dass ich die Gitterstäbe zwischen uns nahezu vergessen hatte.
Erst als Tae mich eine Weile lang einfach lächelnd angesehen hatte, war mir aufgefallen, wie lange ich seinen Gesichtsausdruck bereits erwidert hatte...
Geistesabwesend legte ich meine Hand auf meinen Mund, während mein Kiefer sich ein wenig anspannte.
Ich hatte ihn angelächelt...
Den Menschen, der mir grausame Dinge antat...
Ein leises Seufzen entwich meiner Kehle.
Heute war wirklich....ein sonderbarer Tag...
Alles fühlte sich so unwirklich an. Gleichzeitig....fast schon gewohnt..
Seit über eine Woche war Tae die einzige Person, die ich sah...
Der einzige, der mit mir sprach...
Ich erschauderte bei dem Gedanken, dass es so schnell seine Wirkung zeigte.
All das....dieser kranke Strudel aus unmenschlicher Grausamkeit und liebevoller Fürsorge wurde langsam meine Realität...
Tae wurde meine Realität...
Ich wollte ihn hassen.
Aber ich konnte nicht.
Ein Teil von mir schien ihn mögen zu wollen.
Doch auch das...konnte ich nicht.
Ein bitteres Lächeln legte sich auf meine Lippen.
Ich konnte gar nichts.
Wie immer.
Auch das....war inzwischen meine Realität.
Vollendete und ausweglose Machtlosigkeit.
Stumm starrte ich vor mich hin.
Leere schlich sich in meinen Blick, je länger ich nachdachte.
...dann....plötzlich...
"Bing!"
Überrascht von dem unerwarteten Geräusch richtete ich mich auf und sah zu seiner Quelle.
Der Nintendo-Switch.
Oben in der Ecke war einer schwarzer Kasten mit einer Meldung aufgetaucht.
"Tae spielt Animal Crossing"
Meine Augen wurden groß, kaum dass mein Gehirn den Satz und seine Bedeutung zusammengesetzt hatte.
Wie aus einem Impuls heraus griff ich nach der Switch und starrte auf den kleinen Bildschirm.
Ich klickte die Anzeige und wurde auf Taes Profil weitergeleitet.
Dort stand nicht viel.
Im Prinzip nur seine Spielaktivitäten.
Ohne darüber nachzudenken, scrollte ich nach unten.
Es waren verschiedene Spiele auf der Liste...
Natürlich sagte mir keiner der Titel sonderlich viel.
Nur zwei erkannte ich wieder. Die Spiele, die Tae mir empfohlen hatte.
"Animal Crossing" und "Mario Kart" hatten mit Abstand die meisten Spielstunden.
Eine Weile lang starrte ich die kleinen Titelbilder der Spiele an.
Waren das seine Lieblinge?
Hatte er sie mir deshalb empfohlen?
Ein komisches Gefühl machte sich in mir breit, als ich darüber nachdachte.
Mir fiel auf, dass ich keinerlei Informationen über Tae als Person hatte.
Er eigentlich auch nicht über mich.
Ein paar wenige Vorlieben und die Dinge, die auf meinem Personalausweis standen...
....aber sonst...
Tae redete so viel mit mir. Er lächelte mich so oft an.
Aber all das...änderte gar nichts.
Letztendlich waren wir zwei Fremde.
Wir wussten nichts voneinander.
Ich ignorierte den kleinen Kloß, den diese Erkenntnis in meinem Hals entstehen ließ und scrollte weiter nach unten.
Dort standen zwei Daten.
"So wurdet ihr Freunde: Durch Austausch von Freundescodes"
Und
"Zu diesem Zeitpunkt wurdet ihr Freunde:", mit dem heutigen Datum und einer Uhrzeit, welche ungefähr dann gewesen sein könnte, als Tae heute nach Hause gekommen war.
Er musste es eingestellt haben, bevor er mir die Switch geschenkt hatte.
Mit zu Schlitzen verengten Augen starrte ich die zwei Sätze an.
'Freunde'
Mein Gehirn stieß sich extrem an diesem Wort auf.
In hundert Jahren würde ich Tae und mich nicht als 'Freunde' bezeichnen.
Um es nicht länger sehen zu müssen, scrollte ich wieder hoch.
Ganz oben stand in grünen Buchstaben, dass Tae online war. Dazu erneut die Information, was er gerade spielte.
Unwillkürlich sah ich zur Zimmerdecke.
Ich hatte Grund zur Annahme, dass Tae sich über mir befand.
Immerhin hatte ich die Treppe außerhalb der Eisentür gesehen...
Eine Weile lang blieb mein Blick nach oben gerichtet.
Anschließend schaute ich wieder auf den kleinen Bildschirm.
Das tat Tae also gerade? Animal Crossing spielen?
Er saß grade vor einem Fernseher oder in seinem Bett und spielte Videospiele?
Mehr nicht?
Der Gedanke kam mir irgendwie absurd vor.
Wahrscheinlich, weil ich Tae nicht wirklich als Menschen sah.
Rumsitzen und Videospiele spielen war ziemlich menschlich. Ziemlich normal.
Es passte überhaupt nicht zu ihm...
Wieder wanderte mein Blick nach oben.
In dieser Sekunde wurde mir klar, dass ich sonst überhaupt keine Ahnung hatte, was Tae da oben trieb...
Dass ich mir auch noch nie wirklich Gedanken darüber gemacht hatte...
...
...dass es aber....
....gar kein so schlechtes Gefühl war, es zu wissen...
Ich schluckte schwer, bevor ich meine Aufmerksamkeit wieder Taes Profil widmete.
Unter seinem Profilbild, auf welchem sich zwei kleine Waschbären befanden, gab es einen Schalter mit der Aufschrift "Optionen".
Ich klickte darauf.
Drei Auswahlmöglichkeiten öffneten sich.
"Freund löschen"
"Sperren"
"Schließen"
Fast schon instinktiv glitt mein Finger zu der obersten Auswahlfläche.
Tae und ich waren keine Freunde.
Ich klickte drauf.
"Dieser Freund wird gelöscht."
Diesmal zwei Auswahlmöglichkeiten.
"Löschen"
"Abbrechen"
Ich schluckte.
Auf einmal....
...bewegte mein Finger sich gar nicht mehr so instinktiv.
Von mir selbst irritiert blinzelte ich, währen meine Augen ununterbrochen an zwei Schaltflächen klebten.
Wir waren keine Freunde.
Wir würden es niemals sein.
Weil Tae ein schrecklicher und grausamer Mensch war.
...
....
......und trotzdem....
Seufzend schloss ich für einen Moment meine Augen, bevor ich auf "Abbrechen" drückte und die Switch wieder auf den Nachttisch legte.
Ausdruckslos starrte ich wieder die Decke an.
Trotzdem....
....hatte sich ein kleiner Teil in mir gerade dagegen gewehrt.
Ich wusste nicht genau, woran es lag.
Ob nun daran, dass ich die leise Vermutung hatte, dass der Blauhaarige meine Entscheidung nach unserem nächsten 'Spiel' wahrscheinlich eh wieder 'korrigieren' würde...
Daran, dass ich leider wusste, dass Tae nicht nur schrecklich und grausam war...
Oder einfach daran....
....dass die Freundesliste ohne ihn komplett leer gewesen wäre.
Was auch immer es gewesen war...
Ich hatte Tae nicht löschen können.
Ich seh die Kommentare schon kommen. Deshalb:
JA, ich weiß, dass die Switch keine Menü-Musik hat.
Dass man auf die schwarzen Benachrichtigungen nicht drauf klicken kann.
Dass es keinerlei Sinn ergibt, dass Kookie überhaupt sieht, dass Tae online ist, wenn dieser die Internetfunktionen von der Konsole hat hacken lassen.
Und viele viele Logikfehler mehr.
Aber auch wenn es vielleicht banal scheint, hab ich vor, dieser Spielekonsole tatsächlich Storyrelevanz zu geben und dafür brauche ich es eben, dass sie genau so funktioniert. Technische Details sind einfach das letzte, auf das ich bei einer Fanfiktion achten möchte.
Also an all die liebenswerten Geschöpfe da draußen, die sich in solchen Momenten gezwungen fühlen, einen auf solche Fehler hinzuweisen: Lebt einfach damit.
So. Passive Aggression mal beiseite. xD
Ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen und ihr hattet einen schönen Tag ^^
Träumt nachher süs. <3
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