Kapitel 21
Der gestrige Tag verlief ähnlich, wie der davor. Mit dem Unterschied, dass Tae tagsüber arbeiten ging.
Abends brachte er mir einen neuen Notfallschalter mit. Diesen hatte ich auf den Nachttisch gelegt.
Mit der Absicht, ihn nie wieder anzurühren.
Nachdem ich etwas mit mir gehadert hatte, hatte ich gestern wieder mit Zeichnen begonnen. Den Bleistift in die Hand zu nehmen war eine sonderbare Überwindung gewesen...
Allerdings hatte ich immer noch nichts zu tun und konnte nicht den ganzen Tag damit verbringen, immer und immer wieder duschen zu gehen.
Auch wenn das heiße Wasser und die wohlriechenden Pflegeprodukte neben dem Bett das mit Abstand angenehmste hier waren.
Ich wollte gar nicht wissen, was ich auf kurz oder lang mit Taes Wasserrechnung anstellen würde.
Wobei Geld dem Blauhaarigen wirklich egal zu sein schien.
Seit ich wieder freiwillig in meinem Bett schlief, hatte ich Grund zu Annahme, dass Tae nicht mehr nachts in meine Zelle kam.
Entsprechend hatte es keine weiteren "Zwischenfälle" gegeben.
Alles war wieder beim alten. So wie vor seinem 'Spie'.
Auch wenn Tae irgendwie von Tag zu Tag angespannter wirkte...
"Guten Morgen, mein Schatz.", begrüßte mich der Blauhaarige gut gelaunt, als er das Zimmer durch die Eisentür hindurch betrat.
Wie immer ein Tablett mit Frühstück auf dem Arm.
Kaum hatte er es auf dem Boden abgestellt, stand ich stumm aus dem Bett auf, in dem ich bis eben gelegen hatte und setzte mich dem Blauhaarigen gegenüber auf den Boden.
Für einen Moment blieb mein Blick an seinem Gesicht hängen.
Während meines Hungerstreiks war ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt, um es zu bemerken.....
....aber Tae wirkte echt fertig. Als würde er nicht gut schlafen.
Dunkle Augenringe zierten seine sonst so grazile Mimik.
Allerdings konnte ich mir nicht lange Gedanken darüber machen, weil meine Aufmerksamkeit sich als nächstes an das, was sich auf dem Tablett befand, richtete.
...beziehungsweise...eher auf das, was fehlte.
Heute gab es keinen Kaffee.
Binnen Sekunden war mir der Speichel im Hals stecken geblieben, weil ich mich noch genau erinnerte, was das zu bedeuten hatte.
Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich mein Frühstück an.
"Ich dachte...", setzte Tae an, dem meine Reaktion natürlich nicht entgangen war.
"...da du dich inzwischen erholt hast, können wir ja vielleicht mal wieder spielen."
Ich traute mich gar nicht, ihn anzusehen.
Obwohl seine Stimme so warm wie immer geklungen hatte, hatte ich deutlich das kleine Beben darin hören können.
Als würde alles in ihm unter Strom stehen, kaum dass er an das 'Spiel' dachte...
Mir ging es ähnlich.
Nur war es im Gegensatz zu Tae nicht die Vorfreude, die in mir aufstieg.
Gerade verkrampfte sich ausnahmslos jeder Muskel meines Körpers vor Angst.
Natürlich hatte ich nicht angenommen, dass es bei dem einen 'Spiel' bleiben würde...
Mir war komplett klar gewesen, dass die Ruhe der letzten zwei Tage eine Illusion gewesen war. Dass es kein Dauerzustand bleiben würde.
Aber zu wissen, dass es heute wieder so weit sein würde, stellte trotzdem nochmal etwas anderes mit mir an.
Auf einmal wurde es unfassbar real.
Die Bilder des letzten Mals schossen durch meinen Kopf.
Dieses Skalpell...
Die tropfende Wunde an meinem Arm...
Taes Blick....
Ich spürte förmlich, wie sich eine Hand aus Eis um mein Herz krallte.
Für einen Moment erstarrte ich.
"Bitte hör jetzt nicht wieder auf zu essen...", holte Taes Stimme mich aus meinen Gedanken.
Reflexartig sah ich zu ihm, nur um mich vor dem Ausdruck in seinen Augen zu erschrecken.
Was war das?...
Zugleich hypnotisierend, als auch flehend sah er mich an.
Seine unendlich dunklen Augen klebten an mir. Nahmen mich gefangen.
Als wäre es das schrecklichste der Welt, wenn ich jetzt nichts aß.
Das Spiel musste stattfinden. Für Tae zumindest.
Ich konnte es deutlich sehen.
Von diesem Blick gleichermaßen überfordert und verängstigt zuckte ich ein wenig zusammen.
Trotzdem konnte ich nicht aufhören ihn anzuschauen.
Ein paar Sekunden lang verlor ich die Kontrolle über meinen Körper, sodass ich einfach zu dem Tablett griff und eine der Beeren, die sich darauf befanden, in meinem Mund verschwinden ließ.
Nicht, dass ich mich aktiv davon hätte abhalten wollen.
Ein weiterer Hungerstreik würde mir nichts bringen. Das hatte ich verstanden.
In den letzten Tagen hatte sich eine fast gleichgültige Leere in mir breit gemacht.
Es war eh alles umsonst...
Entsprechend war mein Bedürfnis, mich Tae zu widersetzen, auf ein Minimum geschrumpft.
Trotzdem hatte sich meine Bewegung gerade verdammt fremdgesteuert angefühlt.
Ich konnte mich nicht erinnern, meinem Körper den Befehl dazu gegeben zu haben.
Unheimlich...
Taes Gesicht erhellte sich, kaum dass er mich essen gesehen hatte.
Für einen Moment schloss er zufrieden seine Augen, nur um sie kurz darauf wieder zu öffnen.
"Sehr gut.~", freute er sich. Ein breites Lächeln schlich sich auf seine erschöpft wirkenden Gesichtszüge.
Anschließend setzte er sich auf.
"Dann geh ich jetzt mal auf Arbeit. Bis heute Nachmittag~", verabschiedete er sich glücklich, bevor er die Eisentür hinter sich schloss.
Einige Sekunden lang sah ich ihm hinterher.
Dann, wie vom Blitz getroffen, sprang ich auf und rannte ins Bad.
Ich schaffte es gerade noch, mich über die Toilettenschüssel zu hängen, bevor ich spürte, wie die Galle meinen Hals nach oben gepumpt wurde.
Ich übergab mich.
Allein der Gedanke an dieses widerliche 'Spiel' hatte alles in mir zusammenbrechen lassen.
Mein Körper wehrte sich gegen jede Nahrung, die ich noch intus hatte.
Als würde er vor dem bevorstehenden Schmerz flüchten wollen, indem er es selbst schlimmer machte.
Aber das würde nichts bringen. Ich wusste es.
Viel zu sehr hing ich an meinem Leben.
Hatte ich immer schon.
Auch wenn ich es mir nicht hatte eingestehen wollen.
All die Jahre auf der Straße hatte ich nie Aussichten darauf gehabt, dass es besser werden würde. Trotzdem hatte ich weiter gemacht.
Tag für Tag...und wenn es noch so schwer war.
Mein Leben war alles was ich hatte.
Deshalb hatte ich es nicht beenden können...
Früher nicht und heute auch nicht.
Ein Teil von mir fragte sich, ob Tae das gewusst hatte.
Ob er mich deshalb ausgesucht hatte.
Weil er wusste, dass er lange etwas von mir haben würde...
Immerhin hatte er ja schon zugegeben, dass er mich beobachtet hatte...
Dieser Gedanke war mir in den letzten Tagen mehrmals gekommen.
Er bestärkte mich in einer Erkenntnis.
Nämlich, dass absolut gar nichts mich vor diesem Spiel retten würde...
Nicht mal der Tod.
Kaum war dieser Gedanke in meinen Kopf gesackt, musste ich mich noch mehr übergeben.
Meine Kehle brannte, während ich gebrochen nach Luft schnappte.
Ein paar Mal musste ich husten, um die Überreste noch aus meinem Rachen zu bekommen.
Es war ein widerliches Gefühl...
Bittere, schmerzende Hilflosigkeit. Gemischt mit dunkler Überforderung.
Seufzend schloss ich meine Augen und blieb eine Weile über der Toilette hängen.
Abwartend, ob es gleich nochmal brennen würde oder nicht.
Allerdings schien ich mich vorerst genug gequält zu haben.
Langsam stand ich auf, betätigte die Spülung, schleppte mich zum Waschbecken und spülte mir den Mund aus.
Danach blickte in den Spiegel.
Ich sah nicht mehr aus wie ein Zombie.
Ganz im Gegenteil.
Im Vergleich zu den letzten Tagen hatte mein Gesicht wieder deutlich an Farbe gewonnen.
Doch so lebendig ich auch aussah...
....umso lebloser fühlte ich mich innerlich.
Auch wenn ich versuchte, mich mit dieser Situation abzufinden...
....mir immer wieder zu sagen, dass ich sowieso keine Wahl hatte...
...ich konnte es nicht.
Nicht vollständig.
Dafür war es viel zu schrecklich...
Stumm sah ich dabei zu, wie es mir die Tränen in die Augen trieb.
Krampfhaft kniff ich sie zusammen, während ich an das dachte, was heute noch passieren würde.
Dabei schrien meine Gedanken mich immer wieder mit demselben Satz an.
Ich will das nicht...
Habe ich schonmal gesagt, dass diese Geschichte anstrengend ist?
Bei sogut wie allen anderen FFs kann ich mich einfach hinsetzen und ein Kapitel schreiben.
Aber neiin. Bei Home muss man immer erstmal nen halben Tag darüber nachdenken: "Wie wirkt sich das auf Kookie aus?" "Was tut er?" "Wie fühlt er sich?" "Ist es unlogisch wenn er das und das tut?"
Und dann ist man mit dem Kapitel fertig und sitzt wieder da: "War das jetzt logisch?" "Macht es überhaupt Sinn, dass er so reagiert, wie du es geschrieben hast?" "Sollte er nicht andere Gedanken haben?"
FML. *Tisch umschmeiß*
Aber wie sagt man so schön? Man wächst mit seinen Herausforderungen.~
Deshalb ist es für mich wohl auch so spannend diese Geschichte zu schreiben. x3 (Wenn ich sie nicht grade gegen die Wand pfeffern will xD)
Seht ihr die Vorfreude in Taes Gesicht? xD
Möget ihr heute genauso breit (aber etwas weniger psycho) grinsen und einen wundervollen Tag haben~
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