Kapitel 20
Am nächsten Morgen wachte ich ziemlich früh auf.
Immerhin hatte ich gestern sehr viel geschlafen. Wenn auch unfreiwillig.
Ich blieb die ganze Zeit über im Bett liegen und starrte die Decke an.
Nach meiner gestrigen Erkenntnis, dass Widerstand mich überhaupt nicht weiterbringen würde, hätte ich keinerlei Bedürfnis mehr, dieses Bett zu verlassen.
Statt der Abscheu, die ich die letzten Tage über gegenüber allem, was Tae mir gegeben hatte, empfunden hatte, war plötzlich so eine Taubheit in mir...
Als wäre es sowieso egal...
Ich hatte verstanden, dass ich hier nicht wegkam. Dass ich es auch nicht beenden konnte.
Dass ich also hier bleiben und ertragen musste, was auch immer Tae mit mir anstellen wollen würde.
Ich hatte....keinerlei Kontrolle. Über gar nichts.
Bei diesem Gedanken konnte ich nichts anderes empfinden, als pure Hoffnungslosigkeit.
Bodenlose Leere.
Es brachte mir nichts, mich zu wehren.
Also konnte ich genauso gut die positiven Dinge, die Tae mir gab, annehmen.
Ein weiches Bett....Bequeme Kleidung...leckeres Essen...das hygienebietende Badezimmer....
All diese Sachen hatte ich den Großteil meines Lebens missen müssen.
Dafür war ich frei gewesen. Ein Mensch.
Da die letzteren beiden Dinge nun wegfielen...gab es keinen Grund, die ersten vier wegzustoßen.
Wie ein Tausch.
Ein Tausch für den ich mich nie entschieden hatte, den ich jetzt allerdings trotzdem annehmen würde.
Die letzten Tage hatte ich ja erlebt, wie gut es sich ohne alles lebte...
Nach einer Weile wanderten meine Gedanken wieder zu gestern Nacht.
Ich wusste immer noch nichts mit Taes Persönlichkeitswechseln anzufangen.
Wobei ich inzwischen zugeben musste, dass mir der 'normale' Tae deutlich lieber war als der, den ich gestern nach meinem Anfall kennengelernt hatte.
Allein bei dem Gedanken an seinen Blick bekam ich Gänsehaut.
Plötzlich erschien mir seine sonstige Art wie ein Segen.
So schlimm war sein aufdringliches Lächeln dann gar nicht.
Im Gegenteil...
Ich spürte, wie meine Wangen sich ein wenig erhitzten, als ich daran dachte, wie es gestern geendet hatte.
Wie lieb Tae gewesen war...
Wie sanft...
...dass er mich geküsst hatte...
Allein bei dem Gedanken schlug mein Herz schneller.
Nicht, weil es mich freute oder weil ich irgendeine Form von romantischen Interesse an Tae hatte.
Sondern weil es mich verwirrt hatte. Weil ich nicht wusste, was ich davon halten sollte, dass er so eine Seite hatte. Eine Seite, die seine Liebeserklärung offensichtlich wirklich ernst gemeint hatte.
Leise seufzte ich, während ich meine Augen schloss.
Ich verstand ihn nicht...
Ich war es leid, es zu versuchen...
Und trotzdem....
....war ich jedes Mal aufs Neue überrascht, wenn sein Verhalten etwas in mir auslöste.
Immer wieder fragte ich mich, was mit ihm los war...
Wie man so sein konnte...
Nie hörte ich auf, den Sinn in seinem Handeln zu suchen, in der Hoffnung, einen kleinen Funken Menschlichkeit in ihm zu entdecken.
Wahrscheinlich, weil ich den Gedanken, wirklich von einem Monster hier festgehalten zu werden nicht ertrug...
Ein Teil von mir wollte Tae als Mensch sehen.
Mir selbst zuliebe.
Als Tae schließlich die Zelle betrat, um mir mein Frühstück zu bringen, hatte ich schon über zwei Stunden wach gelegen.
"Guten Morgen, Kookie.", begrüßte er mich mit einem Lächeln.
Trotzdem klang er nicht gerade glücklich.
Ich setzte mich auf und sah zu ihm.
Sofort blieb mein Blick an dem reichlich gedeckten Frühstückstablett hängen.
Mein Magen meldete sich praktisch auf Knopfdruck.
Da ich mein Abendessen gestern gegen die Wand gepfeffert hatte, war ich ziemlich hungrig.
Und da inzwischen eh alles egal war...
Ohne ein Wort stand ich auf, setzte mich mit einem guten Meter Abstand vor das Gitter und zog das Tablett zu mir, um etwas davon essen zu können.
So wie ich es vor meinem Hungerstreik auch schon getan hatte.
Kaum hatte ich in das erste Croissant gebissen, begannen Taes Augen zu strahlen.
Er sagte nicht nochmal, wie froh er war, dass ich wieder aß. Trotzdem konnte ich es deutlich sehen.
In seiner Mimik war gerade die Sonne aufgegangen.
Auch mein Gesichtsausdruck erhellte sich deutlich, als ich die Kaffeetasse auf dem Tablett entdeckte.
Kaffee...
Ich spürte wie der Speichel sich in meinem Mund sammelte, je länger ich die kleine Wunderflüssigkeit ansah.
Tae ließ mich allerdings in meiner Bewegung innehalten, als ich zu dazu greifen wollte.
"Wenn du vorher noch ein bisschen was isst, reizt der Kaffee deinen Magen nicht so sehr...", merkte er an.
Leise.
Fast kleinlaut.
Mit hochgezogener Augenbraue sah ich ihn an.
Schon wieder wusste ich nicht, was ich mit seiner Überfürsorglichkeit anfangen sollte.
Trotzdem tat ich, was er gesagt hatte und aß das Croissant vollständig auf, bevor ich zu der Kaffeetasse griff.
Tae sah mir lächelnd dabei zu.
Generell schien er es irgendwie überhaupt nicht eilig zu haben, auf Arbeit zu kommen.
"Heute ist Sonntag.", klärte Tae mich auf, als er meinen fragenden Blick wohl bemerkt zu haben schien.
Irritiert blinzelte ich.
Stimmt...
Mir war komplett das Zeitgefühl abhandengekommen.
Aber ich war schon seit einer Woche hier...
Die nächste Frage, die sich mir aufdrängte war, wieso Tae gestern arbeiten gewesen war.
An einem Samstag.
Zum wiederholten Mal fragte ich mich, was er wohl arbeitete.
Natürlich sprach ich nichts davon laut aus.
Stattdessen erfreute ich mich stumm an meinem Kaffee und der Möglichkeit, endlich wieder Essen zu können.
"Tut mir leid, dass ich gestern so laut geworden bin...", kam es nach einer Weile von Tae. Die Reue in seiner Stimme war deutlich zu hören.
Irritiert sah ich auf.
Wie bitte?
"Ich wollte dich nicht anschreien...", redete der Blauhaarige weiter, meinen fassungslosen Blick ignorierend.
"Es war nur alles so unordentlich...", versuchte er, sein Verhalten zu erklären.
Allerdings führte er es nicht weiter aus.
Offensichtlich war es für ihn selbstverständlich, dass Unordnung Wutanfälle auslösen konnte.
"Ich hab dir bestimmt keine Angst machen wollen...", murmelte er betrübt.
Spätestens jetzt weiteten meine Augen sich auf ihre doppelte Größe.
'Keine Angst machen'?
Dieser Zug war seit meinem ersten Tag hier bereits abgefahren.
Generell verstörte es mich, dass Tae anscheinend wusste, dass es nicht okay war, andere Menschen anzuschreien, er allerdings kein moralisches Problem damit zu haben schien, jemanden aufzuschlitzen.
....wie?..
Das Fragezeichen, was sich für mich auf seinem Gesicht befand, wurde immer größer.
Was um Gottes Willen war los mit diesem Typen?
"Verzeihst du mir?", wollte Tae fast schon kleinlaut wissen, nachdem ich nichts zu seiner Entschuldigung gesagt hatte.
Lieb sah er mich dabei an.
Es überforderte mich, wie viel Ehrlichkeit ich in seinen Augen sah.
Er meinte es ernst...
Gerade war ich nicht sicher, ob ich lachen oder weinen sollte.
Sein zwischenmenschliches Unverständnis hatte definitiv comedy-reife Züge.
....allerdings machte die Tatsache, dass ich hier bei ihm festsaß und diesem Psychopathen vollständig ausgeliefert war, das ganze deutlich weniger witzig.
Aber letztendlich....
Ich nickte als Antwort auf seine Frage, ob ich ihm seinen Wutausbruch verzeihen würde.
...war es eh egal.
Es war nicht wichtig, ob ich witzig oder tragisch fand, wie Tae drauf war. Meine Situation, welche ganz offensichtlich kein bisschen lustig war, veränderte sich dadurch nicht.
Ich hatte Tae seinen Ausbruch nicht wirklich übler genommen, als alles andere, was er mir angetan hatte.
Aber da er das eh nicht verstehen würde...
....sah ich keinen Grund, mich weiter mit ihm auseinanderzusetzen.
Zumal ich gar nicht wissen wollte, was er tun würde, falls ich jetzt ablehnte. Ich hatte weder Lust auf seine extreme Überfürsorglichkeit, noch auf einen weiteren Anfall.
Entsprechend war ihm zu 'verzeihen' der deutlich unkompliziertere Weg.
Taes Mimik erhellte sich, kaum dass ich genickt hatte.
"Wirklich?", fragte er nach, sprach aber sofort weiter.
"Da bin ich aber beruhigt.", plötzlich klang er unendlich glücklich.
"Danke, Kookie!", fast schon überschwänglich.
Mit glitzernden Augen sah er mich an.
Ich verkniff mir ein verständnisloses Kopfschütteln und widmete mich wieder meinem Essen.
Spinner...
"Gibt es irgendwas, was du besonders gerne isst? Etwas Süßes oder so?", wollte Tae wissen, nachdem er sich wieder ein wenig beruhigt hatte.
In seinem Gesicht stand praktisch in Großbuchstaben "Lass mich dir etwas Gutes tun.", geschrieben.
Er bekam ein stummes Kopfschütteln als Antwort.
Natürlich gab es das ein oder andere, was ich besonders gern aß.
Vanillepudding...Himbeerbonbons...Vollmilchschokolade...
Aber ich sagte es Tae nicht.
Aus dem einfachen Grund, dass es etwas völlig anderes war, mich mit meinem Schicksal hier abzufinden und noch zusätzlich Ansprüche zu stellen.
Zweiteres brachte ich nicht über mich. Es war zu viel...
Zumal sich auf meinem Frühstückstablett neuerdings sowieso immer ein paar Stücke Vollmilchschokolade befanden.
Ich hatte sie gleich nach dem ersten Croissant gegessen.
Tae wirkte von meiner Reaktion etwas ernüchtert, sagte aber nichts weiter dazu.
Still lächelnd sah er mir beim Essen zu.
Dabei wirkte er so zufrieden, dass es schon fast unheimlich wurde.
Seinen Blick die ganze Zeit auf mir spürend, kam ich nicht umhin, immer mal wieder von dem Tablett aufzusehen.
Mehrmals verfingen sich unsere Augen dadurch ineinander.
Immer nur kurz, weil ich schnell wieder wegsah.
Allerdings erwischte ich mich auch dabei, wie ich etwas anderes anschaute.
Taes Lippen...
Ein mulmiges Gefühl machte sich in mir breit, als ich an den Kuss von gestern Nacht dachte.
Tae schien nichts dazu zu sagen zu haben.
Ich dagegen war es alles andere als gewöhnt, dass jemand mir auf diese Art und Weise näher kam.
Entsprechend stark hatte es mich aus der Bahn geworfen.
Noch mehr eigentlich, weil Tae es gewesen war.
Seine sanfte Seite war auf eine völlig andere Art und Weise beängstigend, als seine gewalttätige...
Ich konnte nicht damit umgehen.
Stillschweigend saßen wir einander gegenüber, bis Tae die Zelle irgendwann verließ.
Er kam zur Mittagszeit wieder, um mir frisch gekochtes Essen zu bringen und mir erneut freudig beim Essen zuzusehen.
Abends dasselbe.
Tae führte seine charakteristischen Monologe, während er mich sie ganze Zeit anschaute, als hätte er noch nie etwas faszinierenderes in seinem Leben gesehen.
Ich nutzte die Zeit zwischen den Mahlzeiten um endlich mal wieder duschen zu gehen, mich umzuziehen und mich den Rest der Zeit zu langweilen.
Mehr passierte nicht.
Es blieb ein friedlicher Tag.
...paradox, wenn man die letzte Woche bedachte.
Entsprechend lag ich nachts im Bett und wusste noch weniger mit mir anzufangen, als sowieso schon.
Das alles hier...
...wurde immer seltsamer.
Uff...selbst die entspannten Kapitel sind in dieser FF irgendwie deprimierend ^^"
Bezüglich der Wochentage...ich hab ehrlich gesagt selbst den Überblick verloren gehabt, bis mir aufgefallen ist, dass Tae ja irgendwie nicht jeden Tag arbeiten gehen kann.
Also hab ich dann mal von Anfang der Story durchgezählt und es müsst jetzt eigentlich stimmen, dass in diesem Kapitel Sonntag ist. Falls ich mich doch vertan habe und das nachträglich jemandem auffällt, tut es mir leid. Ich vesuche ab jetzt besser darauf zu achten. x3
Wochentage sind etwas, wo ich beim Schreiben einen totalen Koller bekomme, wenn ich merke, dass es unlogisch wird. Merkt ihr das überhaupt? Also achtet man als Leser auf sowas? ^^"
Habt einen schönen Tag ^-^
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