Kapitel 6 - Ghost of Yesterday - Teil 1
Every night you're here
Whispering away
"Might have been, might have been, oh, my dear"
Foolish heart must pay, ghost of yesterday
(Ghost of Yesterday, Billie Holiday, 1940)
„Was ist los?", stellte Mary Innes die entscheidende Frage, als sie die neueste Bewohnerin von Crow House vor ihr musterte, wie diese herumdruckste und unablässig an einer Haarsträhne drehte. Seit die junge Frau durch die Ladentür getreten war, konnte selbst ein Blinder erkennen, dass sie etwas bedrückte, obwohl sie sich redlich Mühe gab, den Eindruck eines gewöhnlichen Einkaufs zu erwecken.
„Raus mit der Sprache", legte die Ladenbesitzerin nach, als die Kitty Taylor keine Anstalten machte, zu offenbaren, was ihr zu schaffen machte. Es musste etwas mit den Campbells zu tun haben - anders konnte sich die Ladenbesitzerin nicht erklären, warum das ohrenbetäubende Schweigen ausgerechnet in dem Moment einsetzte, als sie sich nach dem Ausgang des Besuches dort erkundigt hatte.
Auch die ausdrückliche Aufforderung zu sprechen schien nicht durchzudringen. Kitty begann stattdessen, die ausgelegten Zeitschriften neu zu ordnen und hörte erst auf, als Mary sie an beiden Ellbogen nahm und zu sich in die kleine Küche dirigierte.
„Wir kennen uns noch nicht lange, aber du sollst wissen, dass du mir alles erzählen kannst."
Schweigen. Dann ein wenig überzeugendes „Es ist nichts."
„Ist es Scott? Hat er sich wieder einmal wie ein hinterwäldlerischer Rüpel benommen?"
Graue Augen flackerten leicht und signalisierten, dass die ältere Frau auf der richtigen Spur war. Der für einen Sekundenbruchteil abgewandte Blick strafte das hastig entgegnete: „Nein, hat er nicht" Lügen.
Mary gab nicht nach und glich darin Kittys bester Freundin Maggie, ohne diese je gekannt zu haben. Beide verfügten, trotz des Altersunterschieds, über dieselbe Charaktereigenschaft: Sie waren, sobald sie jemandem ihre Freundschaft schenkten, unerschütterlich loyal und hartnäckig, wenn es darum ging, diesem Jemand zu helfen. Auch wenn dieser sich verschlossen gab, so wie Kitty jetzt.
„Mach mir nichts vor", befahl Mary und verschränkte die Arme über einem enormen Busen. „Ich weiß, dass er ziemlich unwirsch sein kann. Meist ist er so in ein Projekt vertieft, dass er unfreundlich wirkt, wenn er gestört wird. Aber er hat ein Herz aus Gold! Lass dich nicht abwimm..."
„Nein, das ist es wirklich nicht!", unterbrach Kitty die Verteidigungsrede. Sie hatte beschlossen, dass es keinen Sinn hatte, sich weiter zu wehren. „Er war irgendwie nett."
Ein ungläubiges Schnauben entschlüpfte der Freundin. „Fremde beschreiben ihn bestenfalls als zurückhaltend. Bist du sicher, dass wir vom gleichen Scott Campbell reden?"
Die jüngere Frau runzelte die Stirn. Der Mann war den Umständen ihres Kennenlernens entsprechend kurz angebunden gewesen. Er war kein Rüpel, sondern nur besorgt um seine Großmutter. Das musste sie klarstellen, bevor sie im Detail von dem Besuch berichtete und danach die Fragen stellen konnte, die ihr eigentlich auf der Seele brannten.
„Ich brauche Informationen und deinen Rat, muss aber etwas ausholen. Hast du ein bisschen Zeit?"
„In einer halben Stunde habe ich Mittagspause. Es kommt wahrscheinlich sowieso keiner mehr, da kann ich auch jetzt schon zumachen." Mary hatte den Satz kaum beendet, da war sie schon in den Laden geeilt, um das Schild im Schaufenster auf ‚Geschlossen' zu drehen und den Eingang abzuschließen.
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„Entspann dich und gib nichts auf die alten Geschichten!"
Mit diesen Worten wurde Kitty von ihrer mütterlichen Freundin verabschiedet. Es hätte sie erleichtern müssen, dass Mary ihr von Mauds Demenzerkrankung erzählt und erklärt hatte, dass die alte Dame sämtliche Gerüchte, die sich um Crow House rankten, durch die Krankheit für wahr hielt und für noch viel dramatischer, als die mündlich überlieferten Geschichten tatsächlich waren. Es klang logisch, und doch konnte Kitty den Rest des Unbehagens, das sie seit Mauds unheilvoller Warnung verfolgte, nicht abschütteln. Es lungerte wie ein Schatten am Rande ihres Sichtfeldes herum und ließ sie sich immer wieder umsehen, nur damit sie feststellte, dass dort nichts war als die noch wärmenden Strahlen einer schwindenden Herbstsonne.
Während sie dem angeblich verfluchten Haus entgegen strampelte und die sanfte, aber lange Steigung verwünschte, versuchte sie Marys nüchternem Tonfall mehr Gewicht zu verleihen als dem Inhalt der verschiedenen Gerüchte. Eines war jedoch allen gemeinsam. So war irgendwann im 18. Jahrhundert eine junge Frau aus einem unbedeutenden Zweig des Clan McRae von ihrem Liebhaber aus dem Hochadel in dem Haus erstochen worden, weil er ihrer überdrüssig geworden war. In einer anderen Version war sie schwanger und hatte gedroht, es seiner zukünftigen Braut zu erzählen und so die gewinnbringende Hochzeit zu sabotieren.
Es war ihr Geist, der das Haus heimsuchen sollte. Mal wurde sie dort als weiße Frau gesichtet, mal hörte man nachts ihr Weinen und Wehklagen. Wiederum andere Geschichten erzählten von unerklärlichen Todesfällen unter den nachfolgenden Besitzern oder Spuk, der sich wie dämonische Besessenheit auch körperlich in den Bewohnern manifestierte. Kitty hatte längst nicht mehr alle Gruselgeschichten im Kopf - nur Marys Beteuerung, dass keiner der Handwerker, die mit dem Umbau zu einer einfachen Ferienunterkunft beauftragt waren, je über ein übernatürliches Erlebnis gesprochen hatte.
Die Anstrengung des Bergauffahrens, sowie die kühle Herbstluft hatten Kittys Beklemmung weiter zerstreut. Und als sie ihr Fahrrad durch das noch offen stehende Gartentor schob, war sie entschlossen, die Gespenstergeschichten im tiefsten Brunnenschacht ihrer Seele zu versenken. Sie war ein rationaler Mensch und überdies einer, der auf diese eine Bleibe angewiesen war und sich dort eigentlich ganz wohl fühlte. ‚Außerdem ist seit Mauds Auftritt nichts Komisches mehr passiert', dachte sie, wie um sich selbst gut zuzureden. Am besten räumte sie den Schuppen aus und schleppte die dort gelagerten Schränke vorerst in den Dachboden. Sie brauchte den Platz für das Brennholz, das Scott ihr später am Nachmittag vorbeibringen wollte.
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Ächzend schleppte Kitty die letzten Bretter ins Dach und legte sie ordentlich auf die schon aufgeschichteten Stapel. Sie hatte nicht vorgehabt, die Möbel zu zerlegen, doch komplett waren sie zu schwer gewesen, um sie allein zwölf unregelmäßig durchgetretene Stufen und eine wackelige Auszugsleiter hoch zu tragen. Die ganze Aktion hatte sie noch viel mehr Zeit gekostet, weil sie nur über verschiedene Schraubendreher, Hammer und eine Zange verfügte. Als Nächstes musste sie sich dringend einen Akkuschrauber besorgen.
Nach einem Blick auf die Armbanduhr hastete sie ins Bad, um sich vor einem fast blinden Spiegel Spinnweben vom Kopf zu zupfen. Staub und Schweiß hatten sich zudem zu verschmierten Flecken auf Stirn und Nase vereint. Eigentlich sollte Scott schon vor zwanzig Minuten hier sein, aber es war ihr ganz recht, dass noch Zeit war, sich wieder vorzeigbar zu machen.
Ohne jede Vorwarnung erbebte das Haus, und Kitty hielt sich erschrocken am Waschbecken. Das stellte sich Sekunden später als Fehler heraus: Die kühle Keramik summte nicht nur, sie prickelte wie tausend Nadeln, schmerzhaft wie ebenso viele kleine Stromschläge. Dann durchdrang sie ein Gefühl bodenlosen Hasses, das sie beinahe umwarf, so als hätte sie jemand geschlagen. Als das helle Läuten der Türglocke an ihr Ohr drang, ließ sie das Becken so plötzlich los, als hätte es sie verbrannt.
Froh über die Unterbrechung, die gleichzeitig Rettung bedeutete, stolperte sie die Treppe herunter und versuchte, währenddessen so viele flüchtige Haarsträhnen wie möglich hinter die Ohren zu klemmen. Das würde reichen müssen - Scott Campbell hatte ohnehin nicht den Eindruck gemacht, als wären ihm Äußerlichkeiten wichtig.
„Ich komme schon", rief sie, als die Glocke wieder läutete, dieses Mal vehementer, als würde sie von einem Orkan geschüttelt. Er mochte ein sympathischer Kerl sein, doch Geduld gehörte wohl nicht zu seinen Tugenden. Als Kitty an der Tür angelangt war, klingelte es Sturm. Sie riss die Tür auf und erstarrte in der Bewegung. Vor ihr stand kein breitschultriger Schmied mit zerzausten Haaren und grünen oder auch braunen Augen. Es war eine zierliche Blondine mit blitzendem, eisblauem Blick.
Eine Blondine, die umwerfend aussah und so elegant gekleidet war, dass Kittys eigener Aufzug ihr plötzlich wieder bewusst wurde. Sie verspürte den Drang, einen besonders großen Schmutzfleck von der Jeans zu reiben, konnte sich jedoch gerade noch zurückhalten, bevor ihre Hand die Stelle knapp oberhalb des Knies erreichte. Es war erstaunlich, mit welcher Leichtigkeit diese Fremde sie dazu brachte, sich unzulänglich zu fühlen. Das wilde Herzklopfen, das der Vorfall im Bad verursacht hatte, war auch nicht hilfreich. Trotzig reckte sie ihr Kinn und setzte zu einer Begrüßung an.
Doch sie kam nicht dazu.
Die andere Frau fragte: „Bist du diese Caitriòna Taylor?"
In der Frage schwang eine kaum verhohlene Verachtung mit. Das unausgesprochene Attribut ‚dahergelaufen' hätte diesen ersten Eindruck verfestigt. Kittys Nackenhaare stellten sich auf, und es fehlte nicht viel, da hätte sie einen Katzenbuckel gemacht.
„Wer will das wissen?"
„Ich bin India McRae. Und dieses Haus steht mir zu!"
Die Selbstverständlichkeit, mit der diese Frau sich vorstellte, als bestünde nicht die geringste Möglichkeit, dass jemand sie nicht kannte, machte Kitty wütend. Brodelnder Ärger vertrieb die Angst, die sie wenige Minuten zuvor ausgefüllt hatte.
„Und ich bin Caitriòna Taylor, die rechtmäßige Erbin. Das ist jetzt mein Zuhause!"
„Das meiste hier ist McRae-Land! Dass du, ein dahergelaufener Niemand aus irgendeinem unbedeutenden Zweig der Familie, im Testament steht, bedeutet GAR nichts!"
Nun, da die Verachtung ganz offenbar war, sprudelte Kittys Zorn hoch. Sie trat einen Schritt aus der Tür und zwang India dazu, dieselbe Spanne zurückzuweichen.
„Was bildest du dir ein?!", spie sie aus. „Du kommst einfach her, auf deinem hohen Ross, und hältst d-d-dich für etwas B-b-besser-r-res. D-du..." Sie verstummte und biss sich auf die Zunge. Nur ein Gedanke raste in ihrem Gehirn umher und ließ sie schwindeln: ‚Neinneinneinnein! Nicht jetzt, nicht ausgerechnet jetzt!'
India McRae lachte laut und gackernd. „Lern du erst mal sprechen, hohle Nuss! Ich habe ein Angebot für dich, das du annehmen solltest." Mit diesen Worten zückte sie einen Umschlag, mit dem sie Kitty vor der Nase wedelte. Diese trat zurück, unfähig zu antworten.
„Na los, nimm ihn schon! Oder bist du auch noch behindert!"
Kitty hielt sich am Türrahmen fest, verzweifelt um Fassung ringend. Sie hatte dem Miststück einiges zu sagen, wollte sie wegschicken - was ihr in diesem Zustand nicht gelang. Wie oft hatte sie sich vorgenommen, ruhiger zu bleiben und sich nicht so sehr aufzuregen. Dann kam nämlich das Stottern zurück und mit ihm die Scham.
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Ein Räuspern durchschnitt die Luft.
„Hey, India, was führt dich hierher?"
„Tag Scott, das geht dich wirklich nichts an", erwiderte die Angesprochene schroff.
„Das kann schon sein, aber ich bin mit Miss Taylor verabredet und habe keine Lust auf Zickenalarm", sagte Scott Campbell bestimmt. Dabei nickte er Kitty über die blonde Frau hinweg zu. „Alles in Ordnung mit Ihnen?"
Derartig ruhig, ja freundlich, angesprochen, verlangsamte Kittys Pulsschlag sich um einige Takte. Wut und Scham zogen sich eine Winzigkeit zurück, doch sie traute ihrem Sprachzentrum noch nicht und nickte nur.
„Aye", brummte der Schmied und drängte sich an India vorbei, bis er zwischen beiden Frauen stand. Tiefe Erleichterung durchströmte Kittys Körper von Kopf bis zu den Zehen, als der breite Rücken des Mannes sie vor den verächtlichen Blicken der anderen abschirmte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie nicht geahnt, dass es körperlich wehtun konnte, von kalten, blassblauen Augen gemustert zu werden, wie ein lästiges Insekt.
„Und das, India...", erklärte Scott und wand den Umschlag aus den Händen der Frau, die vergeblich versuchte, an ihm vorbei zu spähen. „Das werde ich Miss Taylor übergeben, damit sie es sich später ansehen kann. Du kannst beruhigt gehen." Er klang dabei nicht unfreundlich, obwohl er zu verstehen gab, dass das kein Vorschlag war, sondern eine Aufforderung, der besser Folge geleistet wurde.
„Was mischst du dich überhaupt ein?! Das ist nur eine Fremde aus der Stadt, sie hat nichts mit uns gemein!"
„Und ich habe nichts gemein mit Leuten, die auf andere herabsehen und sie mies behandeln. Einen schönen Tag noch, du wirst sicher auch woanders jemanden finden, den du piesacken kannst."
Kitty sackte zusammen, froh, dass India darauf nichts erwiderte und schnelle Schritte sich entfernten. An den Türrahmen gelehnt atmete sie tief ein und sprengte die Ringe, die aus Demütigung und Scham geschmiedet waren. Da spürte sie wieder das Haus oder den unsichtbaren Mitbewohner, doch dieses Mal ohne die rasende Wut zuvor. Das Holz summte warm und tröstlich, und sie fühlte sich wie in der ersten Nacht, geborgen. Vielleicht sogar geliebt, wenn es nicht so verrückt klingen würde.
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„Ist wirklich alles okay?" Die Frage riss sie aus der warmen Hülle, die sie umgab. „Das ist schon das zweite Mal, dass ich dich sehe, und du so weiß um die Nase bist, wie ein Kätzchen am Bauch."
Kitty fühlte sich noch immer nicht in der Lage für eine vernünftige Antwort. Aber der Mann hatte eine verdient. Immerhin hatte er sie gerettet, und das nicht nur im metaphorischen Sinn. Nach der Sache mit Gary war sie angeschlagen, und der Schreckensmoment im Badezimmer hatte noch einen draufgesetzt, sodass diese India sie mit Leichtigkeit überrumpeln und fertigmachen konnte. Ohne Scott würde sie noch immer in Schockstarre dort stehen und die Tiraden dieser Frau über sich ergehen lassen, weil sie nicht anders konnte.
„E-e-es geht schon w-wieder." Sie hasste, wie die Worte zerhackt und schwerfällig aus ihrem Mund purzelten. Der Mann musste sie mindestens für eine Heulsuse, wenn nicht gar für beschränkt halten. Nachdem sie bis drei gezählt hatte, fühlte sie sich gefestigt genug, um weiter zu sprechen. „Ich bin sonst nicht auf den Mund gefallen, aber sie hat mich in einem schwachen Moment erwischt. Ich habe eine schwere Zeit hinter mir."
Kitty hatte keine Ahnung, wo das Bedürfnis, sich zu erklären, herrührte. Schließlich kannte sie Scott kaum und es konnte ihr egal sein, ob er sie für ein nervliches Wrack oder eine Mimose hielt. Aber aus irgendeinem Grund war es ihr wichtig. Vielleicht weil solche Geschichten in kleinen Städten immer die Runde machten, und das war etwas, das sie nicht brauchen konnte. Das mit Gary verschwieg sie, weil es niemanden etwas anging, und das Erlebnis im Bad, weil es einfach zu verrückt war.
Der Schmied fragte nicht weiter nach, sah sie nur neugierig an und sagte trocken: „Oh, aye, India hat diese Wirkung auf manche Menschen."
„Aber nicht auf dich, wie es scheint."
„Dich kann sie nicht leiden, weil du ihr im Weg stehst - aber ich bin ihr scheißegal", erwiderte Scott mit einem breiten Grinsen. „Außerdem kenne ich sie, seit wir sieben Jahre alt sind, und ich weiß, wie man mit ihr umgeht."
Die gute Laune, die der Mann ausstrahlte, war ansteckend, und auch House Crow sandte Kitty das Gefühl, es wäre alles gut und sie könne sich entspannen. „Komm rein, Scott. Auf den Schreck brauche ich ein kaltes Bier, willst du auch eins? Das Mindeste, dafür, dass du mich vor der bösen Königin gerettet hast."
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Wie ein eingespieltes Team arbeiteten Kitty und Scott Hand in Hand zusammen und schichteten das Brennholz aus seinem Anhänger in den Schuppen des Hauses. Da er noch fahren musste, hatte er nur eine halbe Flasche Bier getrunken, sodass Kitty mit ihrer ganzen und seiner halben zusammen etwas mehr intus hatte. Der Alkohol hatte ihre Zunge so weit gelöst, dass sie ihm entgegen ihres Vorsatzes doch in groben Zügen etwas über ihren Ex erzählte, und über dessen Einfluss auf ihren Umzug nach Dornie. Sie war froh, dass Scott nicht weiter nachfragte.
Im Gegenzug erfuhr sie einiges aus Scotts Kindheit, die er ausschließlich an diesem Ort verbracht hatte. Auch die Geschichte, wie es dazu kam, dass er nun mit seiner Großmutter unter einem Dach lebte.
„Meine Eltern waren eine lange Zeit beruflich viel auf Reisen, und Granaidh hat mich quasi großgezogen. Als die beiden vor vier Jahren bei einem Autounfall starben, kam sie schon nicht mehr allein zurecht. Deswegen bin ich bei ihr eingezogen und kümmere mich seitdem um sie."
Darauf wusste sie nichts zu erwidern und schaute ihn nur mit stummer Anerkennung an. Sie selbst hätte sich vermutlich nie für ein Leben in völliger Selbstaufopferung entschieden.
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Als alles Holz verstaut war, schoben sie Scotts Anhänger aus dem Garten, und er hängte ihn an. Doch er schien sich aus irgendeinem Grund noch nicht verabschieden zu wollen, schwang sich auf die Gartenmauer und bedeutete ihr, sich neben ihn zu setzen. „Was ist los? Gibt es noch ein Problem?", fragte Kitty unbehaglich.
„Na ja, nicht direkt... darf ich dich etwas fragen?"
„Das ist nicht nur nichtssagend, sondern endet auch noch in einer Gegenfrage", wandte Kitty ein. „Aber klar doch, schieß los."
„Ist dir hier im Haus schon etwas Merkwürdiges passiert?"
Ein kalter Schauer lief über Kittys Rücken. Konnte er etwas von den Vorfällen wissen? Und wenn ja, wie kam er auf die Idee, dass etwas passiert sein könnte? Die letzte Frage wiederholte sie laut.
Scott Campbell schluckte schwer, bevor er antwortete: „Granaidh hatte vorhin noch so einen heftigen Anfall. Deswegen habe ich mich auch verspätet. Sie wollte mich nicht gehen lassen, bis ich ihr versprochen habe, dich noch einmal zu warnen."
„Ich soll ausziehen, sonst sterbe ich eines grausamen Todes - so in der Art?" Kittys Entgegnung sollte sarkastisch klingen, doch sie kam nur als heiseres Flüstern heraus. Zu nah war die Erinnerung an die Ernsthaftigkeit, mit der Maud auf sie zugekommen war.
„Ja, so in der Art. Mit mehr Details wie, dass der Fluch von Morag McRae ausgesprochen wurde. Sie lebte vor langer Zeit hier, und als ihr Blut den Boden vor House Crow tränkte, schwor sie, das Haus heimzusuchen... tut mir leid, ganz genau kann ich das nicht mehr wiedergeben, Granaidh war sehr aufgeregt."
Sie hätte ihn ausgelacht, wäre da nicht das mulmige Gefühl, dass sie in dem Haus nicht allein war. Außerdem konnte sie aus dem Stegreif über mindestens fünf oder sechs unerklärliche Vorkommnisse berichten.
Stattdessen fragte sie leise: „Glaubst du denn an solche Dinge?"
„Nein, eigentlich nicht."
Das klang nicht eben überzeugt, sodass Kitty nachhakte: „Was heißt ‚eigentlich'?"
„Na ja, ich bin nicht abergläubisch und glaube nicht an Geister - aber seit ich bei Granaidh lebe..." Scott brach ab, und es kostete ihn sichtlich große Überwindung, weiterzusprechen. „Meine Großmutter behauptet, sie sei eine Seherin aus der Linie des Coinneach Odhar."
Da Kitty nicht so aussah, als würde ihr der Name etwas sagen, führte er weiter aus: „Der Seher von Brahan."
„Ach der. Und das glaubst du auch?"
„Sagen wir es so: Granaidh hat mit ihren Vorhersagen schon einige lokale Katastrophen verhindert."
Die junge Frau hätte ihn gerne ausgefragt und mehr über Mauds Prophezeiungen gehört. Doch dann würde auch er Fragen stellen, und sie müsste zugeben, dass in ihrem Haus etwas Übernatürliches vorging. Sie erklärte ihm, dass sie das Ganze für Unsinn hielt, und verabschiedete ihn mit einem Fresskorb als Dankeschön für den Transport des Brennholzes, in dem auch der Umschlag mit der Bezahlung für das Holz selbst steckte.
Kitty ging ins Haus und hegte die Hoffnung, dass der Spuk bald verschwinden würde, wenn sie seine Existenz nur lange genug ignorierte. Nur in der hintersten Ecke ihres Verstandes ahnte sie, dass sie ihr Zuhause mit einem Geist teilte, der nicht die Absicht hatte, zu verschwinden.
2984 Wörter - 16976 gesamt bis hier (ohne Songtext, Bilder)
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