09 | Zweifel
Ich weiß, viele von euch würden ihm jetzt zurückschreiben und ihm endlich seinen beschissenen Kaffee spendieren; einige vielleicht auch, damit das Thema endlich durch ist. Mal sehen, was Eliana macht...
Eliana zog die Augenbrauen hoch, während sie unschlüssig auf das Display ihres Smartphones starrte. Wie kam er dazu, sich heute bei ihr zu melden, so, als hätte er diese Frauen gestern Abend nicht abgeschleppt? Kam er sich dabei nicht selbst dumm vor? Wenigstens ein bisschen?
Das Blut in ihren Adern begann zu kochen, auch, wenn sie das eigentlich gar nicht wollte. Es triggerte sie, dass er nach alledem so tat, als wäre all das nicht passiert und sie stattdessen kackfrech an den Kaffee erinnerte, den sie ihm in seinen Augen schuldete.
„Der Typ hat echt Nerven", platzte es ungläubig aus ihr heraus, während ihre Augen nochmals über seine Zeilen huschten.
„Was ist denn?"
Erst, als Mirella verständnislos nachhakte, fiel Eliana ihre beste Freundin am Ende der anderen Leitung wieder ein.
„Er hat mir geschrieben."
„Wer?", fragte Mirella irritiert.
„Farid."
„Auf Instagram?"
„Ja."
„Was denn?"
„Wo warst du denn gestern auf einmal? Wolltest dich wohl um meinen Kaffee herumdrücken", las sie laut vor. Mirella kicherte.
„Scheinbar ist ihm doch aufgefallen, dass du einfach so sang- und klanglos verschwunden bist", kommentierte sie. Eliana seufzte.
„Was mache ich denn jetzt?"
„Du trinkst einen Kaffee mit ihm und machst ihm dabei unmissverständlich klar, dass du ihn nur auf professioneller Ebene treffen willst, um Berufliches mit ihm zu besprechen."
Eliana atmete schwer.
„Um ihm das zu sagen, muss ich ihn nicht treffen."
„Aber du würdest es gerne...", vermutete Mirella. Eliana schüttelte energisch den Kopf.
„Nein, auf keinen Fall."
Mirella seufzte.
„Doch. Willst du. Allein schon, um dir zu beweisen, dass du richtig liegst und er einfach nur ein Blender-Arschloch ist", sagte sie ihr auf den Kopf zu.
„Ganz bestimmt treffe ich mich nicht mit ihm; jetzt erst recht nicht mehr", erwiderte sie entschieden. Was auch immer er da für ein komisches Spiel spielte – sie konnte gut und gern darauf verzichten; erst recht, wenn sie dabei ihren Job riskierte. Kurzerhand klickte sie die Nachricht zu.
„Außerdem bin ich mir sicher, er hat genügend Alternativen. Allein muss der seinen Kaffee jedenfalls nicht trinken", kommentierte sie bissig.
„Also willst du gar nicht reagieren?", hakte Mirella nach.
„Genau. Keine Antwort ist schließlich auch eine."
Als Eliana am nächsten Morgen das Büro betrat, schien die Sonne bereits strahlend hell durch die großen Fenster. Gedämpft drangen die Motorengeräusche des Berufsverkehrs durch die Scheiben, während sich die Blechlawine quälend langsam am Fuß des Gebäudes durch die verstopften Straßen schob.
Eliana stellte den To-Go-Kaffeebecher der Bäckerei auf ihrem Schreibtisch ab, streifte sich die Jacke über die Schultern und ließ ihren Blick auf Nicos Platz schweifen. Ihr Kollege hatte sich noch einen weiteren Tag krankgemeldet und sie hoffte, dass er schnell wieder auf den Beinen sein würde.
Gedankenverloren fiel sie auf ihren Drehstuhl und schaltete den Computer ein. Während das System hochfuhr, nippte sie noch einmal an ihrem Kaffee.
Einmal mehr kehrten ihre Gedanken zu Farid zurück. Noch immer hatte sie nicht auf seine Nachricht reagiert.
Schnell kippte sie einen Schluck Kaffee hinterher, dann stellte sie den Becher auf den Schreibtisch zurück und schob mit einem schwerfälligen Seufzer die Gedanken beiseite. Um sich abzulenken, öffnete sie ihr Mail-Programm, ging ihre To-Dos für den heutigen Tag durch und ordnete sie nach Dringlichkeit. Sie hatte sich gerade daran gemacht, die Liste abzuarbeiten, als Nia gewohnt quirlig in ihr Büro rauschte. Die wilde Bluse mit Leoparden-Muster, die sie in ihre enge Lederhose gesteckt hatte, stach Eliana regelrecht ins Auge. Nia wusste, wie sie ihre Rundungen in Szene setzte. Erst auf den zweiten Blick bemerkte sie dem Laptop, den die Dunkelhaarige sich unter den Arm geklemmt hatte.
„Guten Morgen", trällerte sie mit einem fröhlichen Lächeln auf den Lippen.
„Guten Morgen", wiederholte Eliana bemüht enthusiastisch, auch, wenn sie mit Nias Gemüt keineswegs mithalten konnte.
„Ich wollte nur mal schauen, wie es bei dir so läuft, jetzt, wo Nico noch einen Tag länger nicht da ist", sagte Nia und plumpste ohne zu zögern auf den Platz.
„Ganz gut bisher. Außerdem ist er im Home Office und per Handy erreichbar", antwortete Eliana zufrieden. Nia nickte.
„Ich weiß. Er ist immer super engagiert", lobte Nia ihren Kollegen, stellte den Laptop auf Nicos Schreibtisch und klappte ihn auf. Anschließend schaute sie zu Eliana herüber. „Stört es dich, wenn ich mich heute hier breitmache?"
Elaina lächelte.
„Mach es dir ruhig gemütlich. Ich freue mich über Gesellschaft", schwindelte sie, dabei lag es nicht einmal an Nia, sondern an ihr selbst. Sie hatte noch nicht richtig in ihren Arbeitstag gefunden und sich darauf gefreut, ganz in Ruhe ihre Liste abzuarbeiten.
„Cool. Ich langweile mich manchmal zu Tode in meinem Einzelbüro. Das ist echt Segen und Fluch zugleich. Und jetzt, wo Nico nicht da ist, dachte ich, ich nutze die Gelegenheit und wir können endlich mal wieder ein bisschen quatschen, während wir arbeiten", lächelte Nia. Eliana erwiderte es.
„Klingt gut."
„Oder?", grinste Nia und tippte auf der Tastatur herum. „Wie cool. Ich habe endlich die neuen Grafiken für unser Festival reinbekommen. Die haben mir die finalen Timetables für das Line-Up geschickt. Sieht richtig geil aus. Willst du mal sehen?"
Sie schaute erwartungsvoll zu Eliana.
„Klar", lächelte sie, dann stand sie auf, schnappte sich den Kaffeebecher und ging zu Nia herüber. Die drehte ihr den Bildschirm des Laptops zu. Eliana betrachtete neugierig die Grafik, die die Auftritt-Zeiten aller bestätigten Künstler auf einen Blick abbildete.
„Sieht echt toll aus", bestätigte sie, während sie versuchte, alles auf einmal zu erfassen. Nia nickte.
„Ja, der Sponsor muss noch etwas mittiger platziert werden und das Datum ist mir zu klein, aber das ist der Feinschliff. Optisch passt es richtig gut zu unserer CI. Oh man, das wird wieder richtig cool dieses Jahr. Ich freue mich so mega auf all die Artists. Drei Tage absolute Hochkaräter, das Wetter wird bestimmt auch wieder richtig klasse und wir können Outdoor einen hübschen Bereich aufbauen, zusammen mit dem Food Court. Hast du mal Bilder von den letzten Jahren gesehen? Da haben wir einen kleinen Außenbereich für die Künstler gemacht, direkt am See. Sie konnten Jetskis mieten und Boote, richtig lustig. Und als die Sonne unterging, hatte es fast was Romantisches. Hat Nico eigentlich schon mit dir über die Orga gesprochen?", plapperte Nia ohne Punkt und Komma auf sie ein und drehte Eliana nun stirnrunzelnd den Kopf zu.
„Bisher nicht...", gestand sie.
„Hat er sicher in dem ganzen Stress vergessen. Lissy geht bald in Elternzeit. Deshalb würden wir dich gern voll mit einbinden und dir die Verantwortung für den Access und die Betreuung der Kooperationspartner zuschieben. Du würdest dich um alles kümmern, was an Administration reinkommt. Ist kein Hexenwerk, muss aber alles organisiert und nachgehalten werden. Nicht jeder bekommt vollen Zugang zu jedem Bereich, das muss alles betreut werden. Du hältst nach, wer was benötigt, und kümmerst dich darum, dass am Festivaltag alles reibungslos abläuft, angefangen von Parkmöglichkeiten über Zugänge zu verschiedenen Bereichen bis zur Zuweisung von Aufenthaltsgelegenheiten für Interviews. Außerdem würden wir gern Influencer einladen, um das Festival zu bewerben, und brauchen jemanden, der mir das abnimmt, weil ich dieses Jahr viel stärker in den Ablauf eingebunden bin", schwätzte Nia munter weiter.
„Ja, klar, kein Problem", versicherte Eliana lächelnd. Es war ein gutes Gefühl, dass ihr das Team mehr Verantwortung übergab.
„Super. Wenn du später ein, zwei Stündchen Zeit hast, erzähle ich dir mehr darüber. Und am besten sprichst du dich mit Lissy ab, damit sie dir einen Einblick geben kann, was alles zu tun ist und wo du wichtige Unterlagen findest, damit du dich schnell einarbeiten kannst", fuhr Nia fort und tippte dabei bereits wieder auf ihrer Tastatur herum.
Doch bevor sie sich mit dem Thema beschäftigen konnte, musste Eliana zuerst ein paar ihrer Aufgaben abarbeiten. Immer mal wieder entwickelte sich dabei ein Gespräch zwischen Nia und ihr. Je mehr Zeit sie mit ihrer Kollegin verbrachte, desto sympathischer wurde sie ihr. Nia war zwar ein wenig zu quirlig für Elianas Geschmack, aber dafür unglaublich witzig und hatte immer ein paar freche Sprüche auf Lager und konnte unterhaltsam erzählen. Sie schien tatsächlich voll in ihrem Job aufzugehen und zu lieben, was sie tat. Auch während des gemeinsamen Mittagessens wurde sie nicht müde, Eliana witzige Festival-Geschichten aus den vergangenen Jahren zu erzählen. Dafür waren sie in eines der vielen Bistros gegangen, die vom Büro aus fußläufig gut zu erreichen waren.
„Glaub mir, es gibt nichts, das es nicht gibt. Aber das merkst du auch selbst, wenn du erstmal lang genug dabei bist", kicherte Nia, die gerade von den verschiedensten Marotten der Künstler erzählt hatte. Eliana piekte ein paar Salatblätter auf ihre Gabel und schenkte Nia ein zuversichtliches Lächeln.
„Klingt, als hättest du schon viel erlebt..."
Nia verdrehte grinsend die Augen.
„Und auf einiges davon hätte ich gut und gerne verzichten können", betonte sie. „Aber es macht mir trotzdem wahnsinnig viel Spaß und ich würde mich immer wieder für den Job entscheiden."
„Obwohl einige Musiker so anstrengend sind?"
Nia zuckte mit den Schultern.
„Die Deutschen sind tatsächlich die schlimmsten. Bei den Amis ist mir das noch nie passiert..."
„Also hast du auch gute Erfahrungen gemacht", stellte Eliana fest.
„Ja, klar. Zum Glück gibt es neben den abgehobenen oder schwanzgesteuerten Vollidioten auch noch normale Menschen...", grinste Nia. Eliana seufzte, als sie unwillkürlich an Farid zurückdachte. Einen Moment überlegte sie, ob sie mit Nia über die Situation sprechen sollte.
„Kommt es häufiger vor, dass du angebaggert wirst?", hakte sie neugierig nach. Nia zog eine Grimasse.
„Schon, aber mit der Zeit lernst du, damit umzugehen", antwortete sie und schob ein wenig Reis auf ihre Gabel. Eliana legte interessiert den Kopf schief.
„Und wie reagierst du?"
Nia zuckte mit den Schultern.
„Solang es eine höfliche und respektvolle Kommunikation ist, bleibe ich professionell und zeige im Gespräch meine Grenzen auf, indem ich auf die Flirtversuche nicht eingehe. Die meisten verstehen das."
Eliana nickte.
„War da nie einer dabei, für den du dich interessiert hast?", wollte sie wissen. Nia lächelte mild.
„Doch, klar. Aber ich finde es schwierig, Berufliches und Privates zu vermischen."
„Also würdest du dich nicht mit einem von ihnen privat treffen", schlussfolgerte Eliana und sah ihr erwartungsvoll ins Gesicht. Nia legte den Kopf schief und musterte sie offen.
„Nein, auf gar keinen Fall. Alles andere wird auch nicht gern gesehen bei uns, also ist es besser, rational zu bleiben und das klar zu trennen", antwortete sie bestimmt.
Eliana nickte, senkte ihren Blick auf den Salatteller und stocherte gedankenverloren darin herum. Noch immer zögerte sie, mit Nia über Farids Nachricht zu sprechen. Nicht auf seine Nachricht zu antworten, konnte für ihn einer Zurückweisung gleichkommen und schließlich auch negative Folgen für die gemeinsame Zusammenarbeit haben oder weitere Aufträge beeinflussen. Sie musste also reagieren, wusste jedoch nicht, wie. Dafür fehlte ihr die nötige Berufserfahrung und Nia hatte ausreichend davon gesammelt, um die Situation besser einschätzen zu können. Dennoch war Eliana hin- und hergerissen. Einerseits wollte sie keine Fehler machen, andererseits ihrer Kollegin keine Angriffsfläche bieten. Es fiel ihr schwer, all ihren Mut zusammenzunehmen und über ihren Schatten zu springen.
„Mich hat nach dem Konzert jemand gefragt, ob ich mit ihm mal einen Kaffee trinken möchte", offenbarte sie Nia und ließ das Besteck in ihren Teller sinken. Die Dunkelhaarige musterte sie neugierig mit schief gelegtem Kopf.
„Nur Kaffee trinken? Oder mehr?", wollte sie wissen. Eliana zuckte mit den Schultern.
„Ich habe keine Ahnung. Ich kenne ihn ja nicht mal richtig. Natürlich könnte es sein, dass er auf mehr aus ist, aber ich habe kein Interesse daran, eine weitere Kerbe in seinem Bettpfosten zu werden...", erklärte sie so detailarm wie möglich. Schließlich musste sie Nia nicht unnötig viele Informationen zuspielen, die sie möglicherweise doch gegen sie verwenden konnte.
„Für mich klingt es, als hättest du eine klare Linie. Wo also ist dein Problem?", wollte Nia wissen. Eliana seufzte.
„Ich weiß nicht, wie ich mich geschickt aus der Affäre ziehen kann. Einerseits will ich mich nicht unprofessionell verhalten, andererseits ihn nicht vor den Kopf stoßen. Immerhin arbeiten wir zusammen und ich möchte diese Geschäftsbeziehung nicht gefährden, nur, weil er sich in seinem Ego gekränkt fühlt...", erzählte Eliana. Nia lehnte sich zurück und musterte sie aufmerksam.
„Farid?", fragte sie trocken. Eliana fühlte sich ertappt. Ihr Mund wurde trocken, während ein heißkalter Schauer sie erfasste. Für einen kurzen Moment dachte sie darüber nach, es zu leugnen, doch das Funkeln in Nias Augen verriet, dass sie sie sowieso durchschaut hatte.
„Woher wusstest du-"
Nia winkte ab und verdrehte lächelnd die Augen.
„Oh Gott, der Junge ändert sich nie", sagte sie kopfschüttelnd. „Er versucht es einfach bei jeder. Mich hat er auch schon angegraben. Geh einfach nicht drauf ein. Einer wie er kann das ab, wenn eine Frau sich nicht mit ihm treffen will. Der hat genug Optionen, glaub mir..."
Eliana seufzte frustriert. So, wie Nia von Farid sprach, war sein ständiges Imponiergehabe möglicherweise doch nicht ausschließlich seinem Image zuzuordnen. Es klang viel mehr so, als würde er leben, was er verkörperte.
„Keine Chance, dass er hinter dieser Macho-Fassade einen wirklich netten Kerl versteckt?", hakte sie dennoch nach. Nia lachte.
„Also wenn ein Mann nicht aus reiner Nettigkeit mit einer Frau ausgeht, dann Farid. Vertrau mir, wenn ich es dir sage – der lässt nichts anbrennen. Du kannst seine Einladung also getrost ausschlagen – oder komplett ignorieren. Es wird rein gar nichts an der Geschäftsbeziehung ändern. Er nimmt das mit Humor. Mit mir redet er schließlich auch noch, obwohl ich ihn drei Mal habe abblitzen lassen – und reibt mir das regelmäßig mal unter die Nase. Außerdem findet Adrian es überhaupt nicht cool, wenn wir uns mit unseren Partnern privat anfreunden", offenbarte Nia im Plauderton und schob sich noch eine Gabel ihres Reisgerichts in den Mund.
„Hmm", machte Eliana nachdenklich, schob den Teller von sich und griff nach ihrem Glas, um einen Schluck zu trinken. Wenn es stimmte, was Nia sagte, war es nur richtig, sich nicht auf Verabredung mit Farid einzulassen; erst recht, wenn sie in ihrem Job ernstgenommen werden wollte. „Wahrscheinlich hast du recht."
Also, zunächst mal: ich verspreche, das war das vorerst letzte Kapitel, in dem ihr auf den Banger verzichten musstet. Ehrlich. Aber Eliana musste sich da jetzt eben absichern und wer wäre dafür besser geeignet als ihre Arbeitskollegin mit Erfahrung. Oder war das vielleicht genau die falsche Ansprechpartnerin? Meint ihr, es stimmt, was sie über ihn erzählt? Oder will Nia sie bloß davon abhalten, sich mit ihm zu treffen? Was mich wirklich interessiert, ist: was hättet ihr an ihrer Stelle gemacht, wenn das wirklich euer Traumjob wäre? Euch mit ihm getroffen oder erstmal eine Kollegin um Rat gefragt? So oder so verspreche ich euch: so leicht, wie sie sich das denkt, wird sie ihn nicht los...
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