06 | Sowas wie Charming
Bis hierhin beim Lieblingskapitel. Ich bin gespannt, was ihr am Ende sagt :)
Da ihr der Name des Moderators wieder mal nicht einfallen wollte, den sie flüchtig beim gemeinsamen Abendessen mit den Jungs kennengelernt hatte, überspielte Eliana ihre Ahnungslosigkeit mit einem freundlichen Lächeln. Doch ehe sie antworten konnte, tauchte noch ein weiteres bekanntes Gesicht hinter ihm auf. Als der bärtige Typ mit der Kamera um den Hals sie erblickte, grinste er schief. Es war Momo, der Fotograf, der ebenfalls bei der Premiere gewesen war. „Ach, hey, Eliana."
„Hey", erwiderte sie erfreut darüber, ein bekanntes Gesicht zu sehen. Der namenlose Moderator des Hiphop-Magazins reichte ihr flüchtig die Hand.
„Hey, alles klar?", fragte er deutlich distanzierter als Momo, drehte sich dabei von ihr weg und wandte sich dem Buffet zu, um das Angebot an Köstlichkeiten zu kritisch zu betrachten. „Läuft, Bruder", kommentierte er dann mit einem anerkennenden Kopfnicken und schnappte sich einen Teller. Anschließend drängte er Eliana zur Seite. „Kannst du ein bisschen weniger im Weg rumstehen?"
„Und kannst du ein bisschen weniger unhöflich sein?"
Erst, als er ihr den Kopf zudrehte und düster seine Augenbrauen zusammenzog, merkte sie, dass sie ihre Gedanken laut ausgesprochen hatte. Einerseits fühlte sie sich schlecht, weil sie sich in einer beruflichen Umgebung auf einen Schlagabtausch einließ, andererseits lag es nicht in ihrer Natur, herablassende Sprüche kommentarlos stehen zu lassen.
„Noah ist nicht immer so ein Arschloch. Nur, wenn er Hunger hat", bemühte sich Momo, eine mögliche Auseinandersetzung im Keim zu ersticken und klopfte seinem Kumpel dabei freundschaftlich auf die Schulter. Zu Elianas Überraschung hellte sich Noahs Gesicht ein wenig auf.
„Dass du das nicht verstehst, ist klar. Du isst ja auch den ganzen Tag", kommentierte Noah amüsiert an Momo gewandt, ehe er es auf sich beruhen ließ und Reis, Gemüse und Hähnchen auf seinen Teller schaufelte. Als er fertig war, ließ er noch eine Ingwer-Wurzel in seiner Jackentasche verschwinden. Sie wusste nicht recht, was sie von ihm halten sollte. Es war die eine Sache, sich etwas zu nehmen, die andere jedoch, maßlos zu übertreiben und den Künstlern alles wegzuessen.
Als Momo sie in ein nettes Gespräch verwickelte, verdrängte Eliana jedoch ihre Gedanken und setzte sich mit den beiden an einen der Tische. Immer wieder kamen neue Leute dazu, doch Omar ließ auf sich warten. Noah spielte sich so penetrant in den Mittelpunkt, dass Eliana ihm am liebsten über den Mund gefahren wäre. Doch sie besann sich eines Besseren und entschied, stattdessen ein wenig frische Luft zu schnappen. Als sie aufstand, lachten die Jungs gerade über einen der vielen Schenkelklopfer, den Cem, ein befreundeter Rapper von Farid, wild mit den Händen gestikulierend zum Besten gab. „Ey, Eliana..."
Sie hielt in ihrer Bewegung inne, als Noah ihr nachrief. Genervt von seiner ruppigen Ansprache, die schon fast einer Pöbelei gleichkam, fuhr sie zu ihm herum. „Ja?", fragte sie um Freundlichkeit bemüht.
„Gib mal ein paar von den Kinderriegeln", forderte er, bevor er in die Runde schaute. „Will noch jemand von euch? Ich geb einen aus", setzte er großkotzig hinzu und lachte einmal mehr über sich selbst. Eliana musterte ihn mit hochgezogener Augenbraue. Für wen hielt er sich eigentlich?
„Was hältst du davon, wenn du sie dir selbst holst?", platzte es aus ihr heraus.
„Ouh", machte Cem grinsend in Noahs Richtung. „Die zeigt dir, wo's langgeht."
„Prob mal jetzt keinen Aufstand und wirf einfach ein paar Kinderriegel rüber", wiederholte Noah nachdrücklich, vermutlich, um sein Gesicht vor den anderen zu wahren. Eine bedrohliche Hitze stieg in ihr auf, als er sie erwartungsvoll musterte. Sie würde sich ganz sicher nicht von ihm so herablassend behandeln lassen. Sie war immerhin nicht sein Dienstmädchen.
„Prob du mal keinen und bedien' dich selbst", konterte sie entschieden und schob ein gemurmeltes „Machst du ja sowieso schon die ganze Zeit" hinterher. Plötzlich verdunkelte sich Noahs Gesichtsausdruck, das Lachen der Jungs verstummte und es wurde gespenstisch still im Raum. „Was hast du gesagt?"
„Du hast mich schon verstanden", schoss sie unbeeindruckt zurück.
„Weißt du eigentlich, mit wem du redest?", wollte er wissen. Seine Überheblichkeit trieb regelrecht Übelkeit in ihr hoch. Sie konnte es nicht leiden, wenn jemand sich derart in den Mittelpunkt speilte, nur, weil er beruflich erfolgreich war. Seine Starallüren nervten sie bereits den ganzen Abend, doch jetzt platzte ihr der Kragen.
„Mit irgendeinem Typen, der sich ständig selbst zu Tode feiert und dabei komplett selbst überschätzt?", fragte sie.
„Mit dem Typen, der ständig über eure Festivals und Konzerte berichtet und damit gute Promotion für eure Agentur betreibt", konterte er selbstbewusst und nahm sie angriffslustig ins Visier. Erst jetzt, als alle sie aus großen Augen anschauten, wurde ihr die Tragweite ihrer Aussage bewusst. Ihr Mund wurde trocken. Als sie schluckte, um dagegen anzukämpfen, schnürte sich ihr Hals zu und sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Es war ihm nicht nur gelungen, sie aus der Reserve zu locken und ihre Professionalität für einen Moment vergessen zu lassen. Er konnte ihr tatsächlich beruflich gefährlich werden. Nur, weil sie sich nicht im Griff hatte, setzte sie gerade ihre Karriere aufs Spiel. „Siehst du. Und jetzt gibst du ein paar von den Kinderriegeln rüber und hörst auf, dich wie ne Prinzessin aufzuführen, nur, weil ich dich um was gebeten habe."
Elianas Gedanken rasten. Sie wusste weder, was sie sagen, noch, wie sie sich verhalten sollte. Sie musste eine Eskalation um jeden Preis verhindern, doch die Art, mit der Noah versuchte, seine Machtposition deutlich zu machen und sich über sie zu erheben, ließ es einfach nicht zu. Die Hitze wurde so unerträglich, dass sie eine Explosion nicht vermeiden konnte.
„Ich führe mich nicht wie eine Prinzessin auf. Ich erwarte lediglich, dass du mich in einer vernünftigen Art und Weise ansprichst. Partner hin oder her, aber ich kann erwarten, dass du mir mit Respekt gegenübertrittst, und mich nicht wie deine Bedienstete behandelst – gerade, weil wir miteinander arbeiten."
Im ersten Moment fühlte es sich wie eine Befreiung an, sich Luft gemacht zu haben, doch als sie die verblüfften Blicke der anderen bemerkte, hatte sie das Gefühl, sie nicht zu ertragen. Bemüht selbstbewusst straffte sie die Schultern und stürmte aus dem Raum, auch, wenn in ihr eine kleine Welt zusammenbrach und sie sich wie die Verliererin in diesem Duell fühlte; erst recht, als Noah ihr ein lapidares „Ey! Eliana! Was ist jetzt mit den Kinderriegeln?!" hinterherbrüllte.
Nachdem die schwere Stahltür hinter ihr zugefallen war, versuchte sie, ihre rasenden Gedanken zu ordnen, während sich eine quälende Hitze in ihrem gesamten Körper ausbreitete. Kopfschüttelnd fuhr sie sich mit beiden Händen über den Kopf. Sie hatte es direkt am ersten Abend ohne Nico geschafft, sich in eine verfahrene Situation hineinzumanövrieren, die nicht nur ihr selbst, sondern auch der Agentur schaden konnte. Was, wenn Noah auf die Idee kam, Nico, oder noch schlimmer, irgendeinem Vorgesetzten der Chefetage, von diesem Vorfall zu erzählen? Sie war schließlich repräsentativ im Namen von Urban Beats hier. Was dachte sie sich nur dabei, einem Partner so entgegenzutreten?
An ihrer Unterlippe nagend tigerte sie den tunnelförmigen Gang entlang in Richtung Notausgang. Die dicken, weißen Wände schienen geradewegs auf sie zuzukommen und drohten, sie zu erdrücken. Ihr Hals fühlte sich an wie zugeschnürt, das Atmen fiel ihr schwer und das Herz hämmerte so laut in ihrer Brust, dass sie glaubte, es müsste gleich zerspringen. So sehr sie auch versuchte, sich zu beruhigen – es gelang ihr nicht. Im Gegenteil. All die möglichen Horrorszenarien darüber, was nun passieren konnte, liefen wie ein Film in ihrem Kopf ab, den sie nicht anhalten konnte. Panik überkam sie. Was, wenn sie die dauerhafte Zusammenarbeit der Agentur mit dem Magazin riskiert hatte? Was, wenn die jahrelange Geschäftsbeziehung wegen ihr in die Brüche ging? Was, wenn-.
Sie erschrak, als sie das Ende des Gangs erreichte, die rettende Stahltür ins Freie aufdrückte und beinah mit jemandem zusammenstieß. Ein heißkalter Schauer lief ihr über den Rücken, als sie völlig unerwartet in ein dunkelbraunes Augenpaar blickte.
Ihr Mund wurde trocken, denn niemand geringerer als Farid stand ihr wie aus dem Nichts gegenüber, während sie von der kühlen Abendluft eingehüllt wurde, die durch die offene Tür strömte. Die Zeit schien für den Moment stillzustehen, in dem sie sich einfach nur anschauten. Dabei stieg ihr der sanfte Duft von Sandelholz, Patchouli und Vanille in die Nase. Über seiner breiten Brust, die sich durch den Stoff des schwarzen Hoodies drückte, hingen ein paar protzige Ketten aus Weißgold, die mit der teuren Uhr an seinem Handgelenk um die Wette funkelten. Der hatte ihr gerade noch gefehlt.
„Tut mir leid, ich war in Gedanken", brach sie die unangenehme Stille und drückte sich so dicht an ihm vorbei, dass sie seine Brust berührte.
Um ihre Wut auf Noah und sich selbst vor ihm zu verbergen, kehrte sie ihm den Rücken zu und machte ein paar Schritte ans Geländer heran. Dabei schickte sie ein Stoßgebet zum Himmel, dass er sie in Ruhe ließ. Doch statt nach drinnen zu verschwinden, verfolgte er sie mit seinem Blick, während sie sich auf dem kühlen Stahlgeländer abstützte, tief durchatmete und in die Ferne schaute. Die Sonne neigte sich bereits den Dächern der Stadt zu und würde bald ganz hinter ihnen verschwinden. Sie seufzte lautlos, als Farid neben ihr auftauchte. Nach ihrer Auseinandersetzung mit Noah hatte sie wirklich keine Energie für irgendeinen seiner blöden Macho-Sprüche.
„Das war jetzt schon dein zweites Attentat auf mich. Sollte ich mir Sorgen machen?", grinste er herausfordernd auf sie herab. Sie schüttelte schmunzelnd den Kopf. Seine Selbstironie und die freche Art versprühten zumindest so viel Charme, dass es ihm gelungen war, das Eis zwischen ihnen zu brechen.
„Du hast mich also doch erkannt", stellte sie fest und drehte ihm den Kopf zu.
„Wie sollte ich nicht? Du hast mich schließlich beinah umgebracht an diesem Morgen", erwiderte er, ohne sie aus den Augen zu lassen.
„Scheint, als solltest du besser auf dich aufpassen", wollte sie kontern, biss sich jedoch gerade noch rechtzeitig auf die Zunge. Nach Noah konnte sie sich auf keinen Fall noch ein Desaster leisten.
„Wieso hast du nichts gesagt?", fragte sie stattdessen und legte neugierig den Kopf schief. Er zuckte mit den Schultern.
„Ich war mir anfangs nicht sicher und dann war die Situation irgendwie nicht da", antwortete er. „Außerdem hast du ja auch nichts gesagt, also dachte ich, es wär dir vielleicht unangenehm."
So viel Einfühlungsvermögen hatte sie ihm nach ihren letzten Begegnungen gar nicht zugetraut. Gerade schien ihr der bodenständige Typ von damals gegenüberzustehen und nicht der arrogante Kettenprolet. Dennoch zog sie skeptisch eine Augenbraue hoch.
„Unangenehmer als dein pseudo-cooler Spruch vor all den Leuten beim Abendessen, meinst du?", hakte sie nach und entlockte ihm ein schiefes Grinsen.
„Tut mir leid, okay? Ich wollte einen Witz machen, aber du hast das in den falschen Hals gekriegt."
„Weil's null witzig war", sagte sie und ließ ihren Blick wieder über die Skyline der Stadt schweifen.
„Ich dachte, es wäre ein Icebreaker, weil du immer so unsicher weggeguckt hast", machte er einen Erklärungsversuch. Sie drehte ihm stirnrunzelnd den Kopf zu.
„Hast du doch genauso gemacht."
„Wie gesagt... anfangs war ich mir nicht sicher... das Dämmerlicht und alles... Außerdem hättest du auch was sagen können..."
Verdammt, wieso wirkte er auf einmal so normal?
„Ich wusste nicht, wie ich reagieren soll. Erstens war ich mit Nico da und wollte nicht wie das letzte Fangirl aussehen und zweitens warst du so anders als am Morgen. Ich konnte nicht einschätzen, wie du reagieren würdest...", gestand sie. Er musterte sie neugierig mit schief gelegtem Kopf.
„Wie meinst du das? Ich war anders?"
Sie biss sich auf die Unterlippe. Noch immer wollte sie nicht direkt bei der zweiten Person etwas Falsches sagen. Noah reichte für diesen Abend.
„Ach, vergiss es", winkte sie ab. „Ich habe das wahrscheinlich nur alles anders wahrgenommen..."
Er schüttelte den Kopf.
„Sag doch einfach", forderte er ungeduldig. Sie seufzte schwer.
„Wie ein unnahbarer Prolet", umschiffte sie geschickt die Beschreibung, die sie eigentlich meinte: ein überhebliches Arschloch.
„Das ist nur ein Image, das ich verkaufe. Ich dachte, das hätte sich schon bis zu dir rumgesprochen. Immerhin arbeitest du auch in dieser Branche", erwiderte er. Sie biss sich auf die Unterlippe. Wenn es stimmte, was er sagte, spielte er seine Rolle ziemlich gut. „Ich wollte dich an dem Abend ganz sicher nicht beleidigen. Tut mir leid, falls das so rüberkam", ergänzte er und sah ihr dabei fest in die Augen. Angesichts seiner aufrichtigen Entschuldigung huschte ihr ein Lächeln über die Lippen.
„Und mir tut es leid, dass ich dir den Pullover versaut und dich beinah über den Haufen gefahren habe", schmunzelte sie.
„Schon okay. Aber du weißt hoffentlich, dass du mir immer noch mindestens einen Kaffee schuldest."
Sie schüttelte ungläubig grinsend den Kopf.
„Komm schon. Insgeheim freust du dich doch, dass du mir einen ausgeben darfst", stichelte er und stieß mit einem spitzbübischen Grinsen seine Schulter gegen ihre. Sie konnte nicht anders, als über sein kindisches Verhalten zu lachen. Seine freche Art hatte etwas Charmantes und sie war sich sicher, dass er sich dessen vollkommen bewusst war. Es war ihm tatsächlich gelungen, das Eis zu brechen, auch, wenn sie kaum ein Wort miteinander gesprochen hatten. Zumindest war sie bereit, einen Strich unter die Sache zu setzen und von vorn anzufangen.
„So gefällst du mir schon besser als mit diesem missmutigen Gesicht, das du gerade gezogen hast", trieb er es auf die Spitze.
„So gern ich auch würde, aber ich glaube, das geht nicht", ging sie nun auf seine Forderung nach einem Date ein. Er runzelte verständnislos die Stirn.
„Warum das denn nicht?", wollte er wissen.
„Naja, ich arbeite für Urban Beats und das wäre doch-"
Noch bevor sie ihren Satz beenden konnte, wurde die Stahltür von innen aufgestoßen. Zeitgleich fuhren sie zu der Geräuschquelle herum und sahen in Omars ernstes Gesicht. „Kommst du, Bruder? In zwanzig Minuten ist Stagetime."
Farid nickte, bevor er sich nochmal an Eliana wandte.
„Merk dir, wo wir stehengeblieben sind. Wir reden nach der Show weiter", sagte er, bevor er in der Halle verschwand. Omar musterte sie erwartungsvoll. Eliana schluckte unmerklich. Hatte ihre Auseinandersetzung mit Noah sich etwa schon bis zu ihm herumgesprochen?
„Kommst du?", fragte er jedoch lediglich zu ihrer Erleichterung.
„Ja. Klar", verwarf sie ihren eigentlichen Wunsch, etwas frische Luft zu schnappen und ihre Gedanken zu ordnen, und schob sich an ihm vorbei nach drinnen, in der Hoffnung, dass dort nicht bereits das nächste Desaster auf sie lauerte.
Hach, was soll ich euch sagen? Ein bisschen cute war er ja schon, ne? Mit seinem unlustigen Icebreaker. Was ist mit euch? Hat euch seine Erklärung überzeugt? Oder glaubt ihr, er braucht ne halbe Minute, und dann scheißt er wieder rein?
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