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Seit Stunden waren wir nun auf einem Marsch durch die Wüsten der Unterwelt. Wir hatten gemeinsam beschlossen uns auf den Weg zu Mnemosyne zu machen. Dem Fluss, der uns vielleicht ein paar Antworten liefern konnte.
Clyde trug immer noch Fred, das Irrlicht bei sich, sodass wir wenigstens den Weg zum Fluss kannten und nicht etwa den unheimlichen Fährmann fragen mussten. Der Marsch war eintönig und ich hatte bereits einen total trockenen Mund von der unerträglich schwülen Hitze. Meine Lippen waren total aufgeplatzt und schmerzten. Ich sehnte mich dringend nach einem schönen Eis und einem Lippenbalsam. Und wenn wir schon bei meinen Wünschen waren ein Pool wäre auch nicht schlecht. Ich wette Hades hatte einen für sich in der Unterwelt.
Fred trug wieder seine Wanderlieder zu besten und schien sich in der heißen Umgebung der Unterwelt außerordentlich wohl zu fühlen, was mich wenn ich ehrlich war ziemlich nervte. Das Irrlicht konnte einfach nicht singen. Ich hatte die Vermutung, dass es vorhatte einfach so lange zu nerven, bis Clyde irgendwann die Schnauze voll hatte und es frei lies.
Ansonsten war es bedenklich still. Die Schreie der Verurteilten waren längst in der Ferne verklungen. Und bis auf unsere Schritte auf dem sandigen Untergrund war nichts zu hören.
"Wie weit ist es noch, Fred?" fragte ich erschöpft und gelangweilt.
"Fred?" fragte Jesse verdutzt und hob fragend seine rechte Braue.
Ups. Ich hatte bereits verdrängt, dass das Irrlicht in Wahrheit gar nicht Fred hieß, sondern einfach nur: das Irrlicht.
"Fred ist das Irrlicht", meinte ich also nur kurz angebunden und schaute erwartungsvoll zu dem kleinen Männchen, das freudig in der Luft herumspazierte und irgendeinen mir nicht bekannten Schlagersong trällerte.
Kaum waren meine Worte aber draußen, blieb es stocksteif in der Luft stehen. "FRED?!" kreischte es und drehte sich ruckartig um. Vor Überraschung ries ich meine Augen auf. Fred war wohl ziemlich temperamentvoll. Jetzt plusterte es sich auf und wurde immer röter.
"Ist doch ein schöner Name, findest du nicht?" versuchte ich das kleine Männlein zu beruhigen.
"Finde ich auch!" beeilte sich Wonder zu sagen und auch der Rest der Gruppe kam mit zustimmendem Gemurmel und Genickt zur Hilfe. Und es half. Augenblicklich schrumpfte Fred wieder auf seine normale Größe zusammen und trug ein freudiges Grinsen zur Schau.
"Ja, ich denke FRED ist ganz annehmbar", kommentierte es. Erleichtert atmete ich aus. Das hatte ich jetzt gerade noch gebraucht: Ein durchdrehendes Irrlichtchen.
"Schön", ich bemühte mich wenigstens ein bisschen begeistert zu klingen, aber ich scheiterte kläglich daran. "Also, wie lange geht es noch bis zum Fluss der Erinnerung?"
Fred legte seinen Miniaturkopf schief und schien zu überlegen. "dreiundzwanzigstundenelfminutenundsechsunddreißigsekunden, wenn wir die durchschnittliche bisherige Laufzeit weiter halten. Mit ein paar flotten Liedern klappt das bestimmt", überlegte das kleine Vieh.
Genervt legte ich meine Stirn in Falten. Ein Mathegenie war Fred also auch noch. Und wir mussten noch fast einen Tag unter seinem kaum auszuhaltenden Geträller durch diese unwirtschaftliche Landschaft stolpern. Na Super!
Als Fred das nächste Wanderlied anstimmte, lies ich mich in der Gruppe ein wenig nach hinten fallen, sodass ich neben Med herlaufen konnte. "Wenn wir hier wieder raus sind, dann hast du meine ausdrückliche Erlaubnis Fred zu versteinern!" flüsterte ich ihr leise zu.
Sie grinste nur schelmisch. Ja, das würde ihr Spaß machen. "Ich hab noch kein Irrlichtchen in meiner kleinen Sammlung", flüsterte sie genauso leise zurück.
"Geht das eigentlich überhaupt? Er hat doch gar keinen Körper", überlegte ich. Bei dem Gedanken hob sich meine Laune wieder ein bisschen.
"Keine Ahnung! Wir testen das auf jeden Fall, würde ich sagen", meinte sie und zwinkerte mir zu.
Ich seufzte: "Ich hoffe nur wir sind bald da. Wie könnt ihr Monster euch hier unten nur wohlfühlen?"
"Tun wir eigentlich gar nicht. Deswegen kommen wir ja immer wieder nach oben", meinte Med nur. "Ich hasse die Unterwelt. Jedenfalls kann ich mich an keinen schönen Moment hier unten erinnern oder ich weiß ihn einfach nur nicht mehr. So oder so gerne bin ich hier unten sicherlich nicht. Aber wer weiß, ich kann mir gut vorstellen, dass sich die Furien hier unten ziemlich wohl fühlen."
Bei dem Gedanken schüttelte es mich innerlich. Mit diesen Monstern hatte ich keine gute Erfahrung gemacht. "Hoffen wir mal, dass wir denen hier unten nicht über den Weg laufen." Med grinste nur nickend.
"Was ist da eigentlich wieder zwischen dir und dem Idioten?" wechselte Med unvermittelt das Thema. Überrascht schaute ich zu ihr rüber und überlegte rasend was ich ihr sagen sollte.
"Keine Ahnung", gab ich nach einiger Bedenkzeit zu. "Ich weiß es einfach nicht. Und er ist schließlich mit Fyra zusammen und ich habe einfach keine Lust auf diese komplizierte Scheiße und mit Jesse ist es doch immer kompliziert, dass war es doch schon immer. Und jetzt ist er ein Gott. Ich meine was heißt das?" schnatterte ich dann drauf los.
"Aber vielleicht bist du auch einer", meinte Med nur.
"Ganz ehrlich? Das glaube ich nicht. Sonst würde ich doch irgendetwas fühlen, oder nicht? Irgendein bestätigendes Gefühl, aber ich fühle nichts eher das Gegenteil."
"Und wenn du die Wahrheit genauso leugnest wie Jesse es getan hat?"
Ich lächelte leicht bei dem Gedanken daran. "Ich hoffe nicht. Die Begegnung mit Aletheia im Wald hat mir definitiv gereicht."
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