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"Hat jemand noch einen Schluck Wasser übrig?" hustete Wonder. Die Luft war mittlerweile staub trocken und die felsige Landschaft verwandelte sich immer mehr in eine Wüste. Immer noch waren wir keinem anderem Lebewesen begegnet. Doch langsam hörten wir die Schreie der Verlorenen in der Ferne.
Ich kramte in meinem Rucksack und reichte Wonder eine noch volle Wasserflasche. "Hier. Kannst du haben."
Dankbar nickte sie und trank vorsichtig ein paar Schlucke. Wir waren jetzt schon seit Stunden unterwegs, doch wir hatten immer noch einen schier unendlichen Weg vor uns. Das Flimmern in der Ferne hatte sich in einen wahren Feuerwall entwickelt, der mir ein bisschen Sorgen bereitete. Wie sollten wir da hindurch kommen? Die Flammen waren scheinbar meterhoch, selbst aus dieser Entfernung und sie schienen den ganzen Horizont zu bedecken.
Die Hitze, die vorhin schon unerträglich war, hatte sich wenn das überhaupt möglich war noch gesteigert. Netter Nebeneffekt war dabei, dass sich Jesse sein T-Shirt ausgezogen hatte, sodass ich jetzt freien Blick auf seinen muskulösen Oberkörper hatte. Obwohl nein, das war nicht gut, denn bei dem Anblick begann ich fast, nur fast, zu sabbern. Zu meiner Entschuldigung, es sah auch zum sabbern aus, okay? Wahrscheinlich machte das nicht einmal einen Sinn, oder?
Ich hingegen sah bestimmt ziemlich scheiße aus. Ich konnte nicht mehr aufhören zu schwitzen. Kurz gesagt, es war ekelhaft.
Auf einmal hörte man in der Ferne einen Schrei. Erschrocken hob ich den Kopf. Es war kein Schrei, wie der der gequälten Seelen. Er war anders, lebendiger.
Auch Jesse hatte den Kopf gehoben. "Kommt, da ist jemand!"
Schnell rannten wir in die Richtung aus der der Schrei gekommen war. Ich musste sagen, Wonder legte das Tempo ganz schön vor. Ich musste mich sehr anstrengen überhaupt mitzukommen. Jesse hatte das scheinbar keine Probleme, aber der war ja auch ein Gott. Götter hatten bestimmt eine sehr gute Ausdauer.
In der Ferne wurde ein Felsgebilde sichtbar. Dahinter klangen unverkennbar Kampfgeräusche an meine Ohren. Was war da im Gange?
Ich war ein bisschen zurückgefallen und Wonder und Jesse waren gerade um die Felsformation gebogen, da hörte ich Wonder auch schon wie am Spieß schreien.
Mein Herz rutschte mir wortwörtlich in die Hose und ich legte noch einen Zahn zu, obwohl ich schon am Ende war und ich fast keine Luft mehr bekam. Aber das war egal, meine Freunde waren in Gefahr. Ich zückte meine Dolche und rannte um die Felsen.
Vor meinen Augen eröffnete sich mir ein Bild, dass mich daran zweifeln lies, ob ich noch bei klarem Verstand war.
Da war ein toter niemesischer Löwe, der wenn man es so ausdrücken konnte, etwas getoastet aussah. Jedenfalls war sein Fell total verbrannt und die Luft stank nach verbranntem Fleisch. Dann war da noch Med, die ihr Kopftuch verloren hatte und deren Schlangenhaar wild in der Luft herumzischte. Sie hielt einen wirklich furchteinflößenden Speer in der Hand. Neben ihr stand Kaleb, der eine scheinbar verletzte Fyra stützte.
Aber das war es nicht, dass mich an meinem Verstand zweifeln lies. In Mitten all dem stand Wonder, die einen quicklebendigen Clyde in den Armen hielt.
Mir fiel einfach nur die Kinnlade herunter und kurz darauf schlich sich ein irres Grinsen auf meine Lippen, aber ich konnte einfach nicht anders. Clyde war am Leben! Er lebte noch, wie auch immer das möglich war. Außer er war ein Geist, der hier in der Unterwelt herumstreifte, aber würde Wonder ihn dann umarmen können.
All diese Fragen stürmten für den Bruchteil einer Sekunde durch mein Gehirn, nur damit ich sie sofort wieder vergessen konnte. Es war nicht wichtig. Hauptsache er war am Leben.
Wonder riss sich schließlich nach Ewigkeiten, in denen ich mein verdammtes irre glückliches Grinsen immer noch nicht aus meinem Gesicht bekommen hatte, von Clyde los, nur um ihn kurz zu betrachten, ihn zu küssen und ihm dann wieder in die Arme zu fallen. Sanft strich er ihr über ihr Haar, während sie sich an seiner Schulter vor Glück ausheulte.
Die Emotionen, die ich in diesem Moment bei ihr verspürte, hatte ich noch nie zuvor gespürt. Da war nichts mehr von der alles verzehrenden Verzweiflung, sondern etwas helles, leichtes, wunderbares. Das musste wahre Liebe sein.
Ich musterte Jesse unauffällig, der etwas zögerlich auf die angeschlagene Fyra zuging, die ihn dabei misstrauisch beobachtete. Fast so, als würde sie den Braten förmlich riechen können. Ich löste mich von dem Anblick, der sowieso nur mein Herz zerquetschen würde, denn Jesse würde sich einfach nie ändern. Ich durfte mich nicht wieder auf ihn einlassen. Jetzt erst recht nicht, denn eine Liebesbeziehung zu einem Gott? Das war doch einfach nur zum Scheitern verurteilt. Obwohl ich zugeben musste, dass ich ihn noch nicht als richtigen Gott betrachtete. Vielleicht einfach deshalb, weil ich ihn bereits kannte, als er noch keiner war und weil er kein solcher Gott, wie Hades oder Zeus war. Er war weder so alt, hatte weder die Erfahrungen oder auch die Macht und das Können, wie die olympischen Götter. Aber trotz allem war er ein Gott und das beängstigte mich schon ein bisschen.
Ich verdrängte also den Gedanken an Jesse und rannte zu Med, um ihr in die Arme zu fallen. Eigentlich hasste meine beste Freundin Umarmungen, aber in diesem Moment schien es mir angebracht.
Ich meine das Schicksal ging schon seltsame Wege und jetzt hatte es uns beide in die Hölle geführt. Mal sehen, was es sonst noch so für uns bereithielt.
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