17*

„Was ist passiert?" riss Kaleb mich aus meinen Gedanken und klang dabei ernsthaft besorgt. Er lies sich zu mir auf den dreckigen Boden sinken und schien sich dabei wenig um seine Jeans zu scheren.


„Ich glaube, ich werde verrückt", meinte ich und lies meinen Kopf erschöpft in meine Hände sinken. Meine Stimme hörte sich selbst in meinen Ohren unglaublich zittrig an.


„Du weißt, dass du es mir erzählen kannst?" sagte Kaleb mit seiner ruhigen Stimme und berührte leicht meinen Arm.


„Es hört sich vollkommen bekloppt an, aber ich wurde gerade fast von einem Drachen gefressen", sagte ich. Und jetzt wo ich es aussprach wurde mir erst so richtig bewusst, wie verrückt und unrealistisch es sich anhörte. Was Kaleb in diesem Moment von mir dachte, wollte ich lieber nicht wissen. Doch ich hatte mir dieses Erlebnis nicht eingebildet, dass wusste ich genau und das bewiesen mir meine zitternden Hände und der Pegasus, der hinter mir im Stall immer noch schwer schnaubte. Trotzdem zweifelte ich langsam ein bisschen an meinem Verstand.


„Erzähl mir die ganze Geschichte", meinte Kaleb jedoch nur ruhig, anstatt mich sofort auszulachen und für bekloppt abzustempeln. Und so erzählte ich ihm von dem Ausritt, wobei ich immer wieder kurze Pausen machen musste, weil meine Stimme den Geist aufgab. In den paar Tagen hatte ich mich anscheinend in ein komplettes Weichei verwandelt, aber ich vielleicht war es auch gerechtfertigt, wenn man eine Begegnung mit einem echten Drachen überlebt hatte. Welcher Halbgott konnte das schließlich schon von sich behaupten?


Nachdem ich geendet hatte, herrschte stilles Schweigen. Dann meinte Kaleb einfach nur: „Komm her." Und nahm mich in seine muskulösen Arme, bis sich mein Zittern wieder ein bisschen gelegt hatte. Er roch unfassbar gut. So nah bei ihm schlug mein Herz schneller und ich war mir nicht so ganz sicher, ob das wegen dem Drachen oder wegen Kaleb war.


Als ich mich wieder etwas beruhigt hatte, löste ich mich schließlich aus der Umarmung. „Tut mir leid", entschuldigte ich mich und fuhr unsicher durch meine Haare.


„Wieso entschuldigst du dich? Wenn ich einem Drachen begegnet wäre, dann würde ich mich jetzt hinter dem Busch verstecken", sagte er und schmunzelte dabei leicht. Ich lachte bei der Vorstellung.


Und fragte schließlich doch verwundert: „Du glaubst mir?"


„Ich kenne dich noch nicht so lange, Ty. Aber ich denke nicht, dass du ein Mensch bist, der es nötig hat Lügen zu erzählen, um sich in den Mittelpunkt zu drängen", meinte er. „Ich glaube dir. In deinem Leben spielen sich gerade einfach eine Menge scheinbar unmöglicher Dinge ab, aber ich zweifle keine Sekunde daran, dass du die Wahrheit sagst."


Erstaunt über seine ehrlichen Worte schaute ich ihm in die Augen. Er hatte wirklich unfassbar schöne Augen. Ein dunkles Grün, dass sich scheinbar nicht entscheiden konnte, ob es nicht doch lieber ein tiefes Grau sein sollte.


„Danke", meinte ich schließlich nur schüchtern. Dieser Kerl und seine Art verunsicherte mich ein bisschen. Im positiven Sinne. „Also was wolltest du mir vorhin erzählen?" fragte ich.


„Ach ja", sagte Kaleb. „Das hätte ich jetzt fast völlig vergessen", gab er zu. „Ich habe noch etwas über dein Zeichen herausgefunden. Ich weiß jetzt, weswegen es mir so bekannt vorkam." Erstaunt riss ich die Augen über die unerwartete Überraschung auf.


"Du hast etwas über mein Zeichen herausgefunden?" fragte ich völlig verdattert. Aufgeregt schlug mein Herz höher.


"Ja, aber ich glaube es ist das beste, wenn ich es dir zeige", erzählte er.


„Okay", sagte ich begeistert.


"Aber bevor ich dir es zeige, habe ich eine Frage an dich", meinte er. Ich nickte erstaunt. „Bist du dir wirklich sicher, dass du herausfinden möchtest wer deine Mutter ist?" fragte er mich und schaute mich dabei mit diesem besorgten Blick an.


Ich schaute ihn fragend an: "Wie meinst du das?"


"Na ja. Es könnte doch sein, dass deine Mutter jemand ist, von dem du nicht möchtest, dass sie deine Mutter ist. Dass du enttäuscht wirst über das was du vielleicht herausfinden wirst", erklärte er sich.


Ich zog meine rechte Augenbraue hoch. In diesem einen Punkt war ich mir so sicher, wie sonst fast nie. "Kaleb, ich stelle mir diese eine Frage schon solange ich mich erinnern kann. Wer sind meine Eltern? Von welchem Gott oder welcher Göttin stamme ich ab? Gut oder böse? Wer ist es? Habe ich hier in Olympus Geschwister? Natürlich möchte ich es wissen. Egal wer es ist. Ich möchte endlich die Gewissheit haben. Ich möchte mir diese Fragen nicht mehr stellen müssen. Du verstehst das nicht, wie könntest du auch, denn du weißt woher du kommst. Ich möchte es einfach wissen, Kaleb."


Er schaute mich nur an und ich lief Gefahr mich wieder in seinen Augen zu verlieren. Schließlich nickte er. "Dann komm mit", sagte er und rappelte sich vom Boden hoch. Like a Gentleman reichte er mir seine Hand und half mir auch hinauf. Ich grinste ihm dankbar zu und klopfte mir den Dreck von der Hose.


"Ich habe dir doch erzählt, dass mir dein Zeichen irgendwie bekannt vorkommt", erzählte er mir, während ich neben ihm herlief. Mittlerweile dämmerte es schon. Ich hatte gar nicht realisiert, wie die Zeit vergangen war. Ich schaute kurz auf mein Handy, um die Uhrzeit zu checken. Ich durfte nicht vergessen, dass wir später noch mit Med verabredet waren. Doch wir hatten noch ein bisschen Zeit.


"Ja. Ich erinnere mich", sagte ihm und beschleunigte meine Schritte um mit ihm mittzuhalten.


"Und ich weiß jetzt auch woher es mir so bekannt vorkommt. Vor einem Jahr durfte ich dieses Projekt im Auftrag von Athene machen. Es ging um verschiedene Unbestimmte. Besonders herausgestochen ist damals diese Frau. Ihr Name war Theresia Svenson."


Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter und ich blieb wie angewurzelt stehen. Ich hatte das Gefühl, das mein Herz vor Schreck stehen blieb. Vor meinem inneren Auge stiegen Bilder auf: die schwarze Kerze, die Schale und das Abbild der längst verstorbenen Frau. So viel Aufregung in einer Woche konnte wirklich nicht gut für meine Gesundheit sein.


"Warte. Du sagtest Theresia Svenson?" fragte ich ihn mit zittriger Stimme und schaute ihn geschockt an.


"Ja", antwortete mir Kaleb verwirrt über meine Reaktion. "Kennst du diese Frau?"


"Das kann man so direkt nicht sagen", sagte ich zu ihm, während ich mir völlig fertig durch die Haare fuhr. "Vorgestern hatte ich einen Kurs bei Kirce belegt und sie lehrte uns etwas über Nekromantie."


Er nickte. "Ich weiß, ein Kumpel hat mir davon erzählt. Er war auch dort."


„Kirce gab uns die Aufgabe selbst Kontakt mit Verstorbenen aufzunehmen. Ich habe es auch tatsächlich geschafft mit einer Toten zu sprechen. Der Name dieser Toten war Theresia Svenson", erzählte ich. Das konnte einfach kein Zufall sein. "Ich klapperte die Fragen ab, die Kirce uns vorgegeben hatte: Wie alt sie wurde, das Jahr indem sie starb. Die Frau antwortete mir auch und dann plötzlich begann sie von sich aus zu reden. Was sie hätte gar nicht tun dürfen, beziehungsweise eigentlich hätte sie es gar nicht können sollen." Ich machte eine kurze Atempause, in der mich Kaleb erwartungsvoll mit seinen hübschen Augen musterte. "Sie meinte, dass sie mich kenne", erzählte ich mit dramatischen und leicht zittrigen Unterton.


"Was hast du dann gemacht", fragte Kaleb mich völlig ruhig. Ihn schien so leicht nichts aus der Fassung zu bringen.


"Ich habe Panik bekommen und das Ganze abgebrochen. Das kann doch kein Zufall sein. Aber erzähl, was wolltest du mir über sie erzählen?" fragte ich ihn neugierig.


"Theresia Svenson war auch eine Unbestimmte, genau wie du. Und ich bin gerade auf sie gekommen, weil sie genau dasselbe Zeichen trug wie du", brachte Kaleb die Bombe zum Platzen.


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