15*
Sanft striegelte ich mit der Bürste durch Wandas schneeweißes Fell. Sie schnaubte vergnügt. Sie liebte das über alles, womit sie so ziemlich der einzige Pegasus war, der es liebte, wenn man ihn striegelte. Die geflügelten Pferde waren von Natur aus sehr reinlich. Ihr Fell war immer strahlend sauber und ich hatte die leise Vermutung, dass die meisten Pegasi es als Beleidigung ansahen, wenn man sie trotzdem striegelte. „Ich muss zu dieser Ausgrabung und mir diese Symbole mit eigenen Augen ansehen!" sagte ich zu Med, die hinter mir im Heu saß und gerade über dem Artikel über das merkwürdige Grab brütete, den ich ihr zum Lesen gegeben hatte.
„Ist das nicht ein bisschen überstürzt?" fragte sie zweifelnd. „Du weißt das Ägypten ein ganzes Stückchen weg von Deutschland ist? Du kannst nicht einfach mal schnell zu dem Grab fahren und es dir ansehen! Und in ein Flugzeug kannst du auch nicht so einfach steigen, denn ich werde garantiert mitfliegen und Elektronik und Monster vertragen sich nicht sonderlich gut, wie du weißt."
„Ich weiß doch. Ich hatte auch gar nicht vor mit dem Flugzeug hinzufliegen, sondern mit diesen schönen Tieren", erklärte ich ihr.
„Nein! Keine zehn Höllenhunde bringen mich dazu meinen Po auf einen Pegasus zu pflanzen! Du weißt, wie sehr ich das hasse", entsetzt zog Med ihre Augenbrauen hoch und ich konnte mir den panischen Ausdruck in ihren Augen, den ihre Sonnenbrille verbarg, gut vorstellen.
„Ach komm schon", meinte ich grinsend. „So schlimm war es beim letzten Mal doch gar nicht."
„Pah. Nicht schlimm? Ich habe es gerade so überlebt. Es war ziemlich schlimm", schnauzte sie entrüstet.
Ich seufzte: „Ich verstehe wirklich nicht, wie man Pegasi nicht mögen kann."
„Bestimmt hat einer von diesen Kreaturen mich in einem früheren Leben gefressen", schnaubte sie.
„Ja, genau", lächelte ich. „Würdest du trotzdem mitkommen?" fragte ich ernst. Ich konnte mir schlecht vorstellen eine solche Reise ohne meine beste Freundin anzutreten.
Sie grinste: „Ich lasse dich doch nicht im Stich. Wo denkst du hin?" Erleichtert grinste ich zurück. „Außerdem will ich Ägypten sehen. Ich war noch nie dort. Zumindest nicht in diesem Leben."
„Ich auch nicht", erzählte ich. „Vielleicht bekomme ich dann endlich mal eine schöne Sommerbräune." Ich säuberte die Bürste, strich ein letztes Mal durch Wandas Fell und packte die Bürste weg. Dann ließ ich mich zu Med ins Heu plumpsen. „Du ich muss dir noch was anderes erzählen. Etwas richtig Komisches."
„Schieß los", sagte Med erwartungsvoll und lehnte sich im Heu zurück. „Ich glaube so langsam, kann mich nichts mehr umhauen."
„Sei dir da mal nicht so sicher", wiedersprach ich ihr. „Diese Story ist wirklich verrückt. Ich war doch vorgestern in diesem Kurs, den Kirce gegeben hatte."
„Dieser Nekromantie-Kurs? Auf den du dich so gefreut hattest?" fragte Med.
„Ja, genau. Wir sollten eine Übung machen, in der wir mit Toten sprechen sollten", erzählte ich.
„Das ist ekelhaft", gab Med ihren Senf dazu. „Ich weiß wirklich nicht, wie du dich für solche Dinge begeistern kannst."
„Ja, ist ja gut. Es war schon etwas abnormal", gab ich zu. „Aber egal. Bei mir hat es tatsächlich funktioniert. Ich habe mit einer Frau gesprochen, die seit 237 Jahren tot ist und sie hat mir ganz schön Angst gemacht", sprach ich weiter.
„Ist auch richtig so", grinste Med. „Wer die Toten nicht ruhen lassen kann, ist selbst schuld, wenn sie ihm einen gehörigen Schrecken verpassen."
Ich seufzte: „Sie hat gesagt, dass sie mich kennt."
„Was?" fragte Med gespielt erstaunt und riss übertrieben die Augenbrauen hoch. „So alt siehst du gar nicht aus!"
„Das ist nicht witzig", meinte ich ernst. „Tote können nicht lügen."
„Vielleicht hat sich dich einfach verwechselt. Bestimmt kannte sie einfach jemanden, der dir ähnlichsah. Ich meine, an deiner Stelle würde ich mir darüber gar keine Gedanken machen. Es stimmt, Tote können nicht lügen, aber sie sind auch nicht unfehlbar. Und es kann schließlich auch gar nicht sein, dass sie dich gekannt hat. Außer du willst mir nach all diesen Jahren der Freundschaft beichten, dass du in Wahrheit ein Vampir bist", beruhigte mich Med.
Ich lies mir ihre Worte durch den Kopf gehen. Wahrscheinlich hatte sie Recht. Bestimmt sah ich einfach jemanden von damals erstaunlich ähnlich. „Stimmt. Ich bin ein Vampir und lebe schon 1000 Jahre auf dieser Erde. Deshalb ist mein Zeichen auch undeutbar, weil ich nämlich gar kein Halbgott bin. Wieso bin ich da nicht schon früher darauf gekommen?" meinte ich grinsend.
„Ja, die Untoten. Pass auf, dass Kirce nächstes Mal nicht dich nekromantiesiert."
„Mach ich. Darauf kannst du dich verlassen", meinte ich totenernst. Ich rappelte mich aus dem Heu raus. „Treffen wir uns nachher nochmal um mit Kaleb alles zu besprechen?"
„Klar. Ich sage ihm Bescheid. Halb 8 im Dions?" sagte sie.
„Ja", sagte ich zu und führte Wanda aus dem Stall hinaus. Seit dem letzten Ausritt hatte ich bemerkt, wie sehr ich das Reiten vermisst hatte und mir vorgenommen wieder öfters auszureiten.
Schwungvoll hopste ich wenig später auf Wandas Rücken und innerhalb kürzester Zeit schwangen wir in die Lüfte hinauf. Dieses Gefühl der Freiheit war unbeschreiblich. Und langsam begannen sich meine überstrapazierten Nerven zu beruhigen. Das Leben dort unten war so weit weg, dass ich endlich abschalten konnte. Ich gab Wanda mit einem sanften Klapps zu verstehen, schneller zu fliegen.
Mit zu beiden Seiten ausgestreckten Armen flog ich auf dem Rücken des geflügelten Pferdes durch die Wolken. In der Ferne sah man schon den Bodensee funkeln und die Strahlen der Sonne kitzelten meine empfindliche Nase, sodass ich beinahe Niesen musste. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich auf nichts weiter als den Wind der mir ins Gesicht peitschte.
Völlig unerwartet bockte Wanda plötzlich. Ich riss erschrocken die Augen auf und schlang meine Arme gerade noch rechtzeitig um Wandas Hals, als sie auch schon steil nach oben schoss. Meine Arme verkrampften sich und meine Beine drohten vom Sattel zu rutschen.
"Wanda", kreischte ich panisch gegen den Wind. "Was soll das?" Natürlich bekam ich keine Antwort. Was zum Hades stimmte nicht mit dem Pegasus?
Ich war so damit beschäftigt mich irgendwie auf ihr zu halten, dass ich meine Umgebung gar nicht wahrnahm und so bemerkte ich den dunklen Schatten, der auf uns zuschoss erst im letzten Augenblick. Wanda stieß ein angestrengtes Schnauben aus und so schnell wie sie nach oben geschossen war, hielt sie mitten in der Luft an. Erschrocken blickte ich zu dem Schemen, den ich gerade so aus dem Augenwinkel auf uns zurasen sah. Plötzlich legte Wanda ihre Flügel an und wir rasten in irrem Tempo im Sturzflug der Erde entgegen.
Ich kreischte was das Zeug hielt. Panisch grub ich meine Finger in Wandas Mähne und ich presste die Beine im Sattel eng zusammen. Dies schien Wanda leider nur noch mehr anzuspornen. Ich konnte meine Augen kaum aufhalten, so drückte der Wind gegen mein ungeschütztes Gesicht.
"Wandaaaa", kreischte ich, doch der Pegasus ignorierte mich nur gekonnt. Die Tränen flossen mir durch den starken Wind nur so die Wangen runter. Ich versuchte trotz der Panik, die mich durchströmte einen klaren Kopf zu bewahren. Irgendetwas verfolgte uns. Plötzlich zischte ein ziemlich heißes Geschoss nur knapp an meinem rechten Ohr vorbei. War das etwa ein Feuerball? Ich schluckte schwer und drehte vorsichtig den Kopf so weit nach hinten, wie ich es in dieser Situation konnte. Ich schluckte schwer und die Gedanken überschlugen sich nur so in meinem Kopf und es dauerte eine Weile bis ich wirklich vollkommen realisierte, was genau da hinter uns her war. Doch dann verließ ein lauter Schrei unendlich großer Angst meine Kehle.
�
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top