Glühbirne
Die Tür öffnete sich ruckartig. Evan lag mit dem Gesicht zur Wand, weshalb er sie nicht sah. Leider hörte er sie.
Sie ging zum Fenster und riss die Rollläden auf, sodass helles Licht hineinströmte. Er kniff die Augen zusammen. Warum konnte sie mich nicht einfach in Ruhe vor mich hinleben lassen? Immer musste sie den Traum zum platzen bringen, dachte er mürrisch.
"Das Essen ist fertig. Steh gefälligst auf und komm runter.", sagte sie mit eisiger Stimme. Er fühlte sich schwerfällig, konnte sich nicht bewegen, nicht atmen.
Es dauerte 15 Minuten bevor er sich aufraffen konnte und runter ging.
Es herrschte Stille am Esstisch. Sie waren nur zu zweit.
Er starrte auf seinen Teller ohne ihn anzurühren.
"Hast du dich schon für einen Studienplatz beworben?", fragte sie und durchlöcherte ihn mit ihrem Blick. Er antwortete nicht. Sie ignorierte ihn sonst immer, verleugnete ihn und seinen psychischen Zustand, hatte sich noch nie damit auseinander gesetzt. Das ist das einzige wonach sie sich erkundigte. Evan wusste, dass sie ihn hasste.
Sie seufzte genervt.
"Was ist mit einer Wohnung? Und einer Arbeit? Du kannst schließlich nicht für immer auf meine Kosten leben." Sie schrie schon beinahe. Es brauchte nicht viel um sie aufzuregen. Es schien immer, als ob eine Glühbirne zerspringen würde, von dem einen auf den anderen Moment. Man erkannte nie was die Glühbirne zum platzen brachte.
Sie hatte ihn immer angeschrien. Er hasste laute Geräusche. Sie versetzten ihn in alarmbereitschaft, so als ob gleich etwas sehr schlimmes passieren würde.
Holpernd stand er auf, sodass der Stuhl fast umkippte. Hastig ging er in den Flur um seine Schuhe anzuziehen. Er musste hier raus, bevor er noch etwas kaputt machte.
Er verspürte eine so starke Wut in ihm, dass es ihn zu zerreißen drohte.
"Wo willst du hin?!", rief sie ihm hinterher, doch er war schon zur Tür hinaus.
Seine Schritte beschleunigten sich, als er schließlich die Straße entlang rannte. Er hatte nur ein T-Shirt an und ein eisiger Wind fuhr im entgegen, doch es war ihm egal.
Er rannte und rannte und wusste doch nicht wohin. Diese verzweifelte Wut zerfraß ihn, er wusste nicht was er tun sollte, er wollte am liebsten etwas zerstören, sich selbst oder jemand anderen, wollte zeigen, dass er wütend war, alles raus lassen.
Evan rannte am nahegelegenen Waldrand entlang, der an einem See endete. Heiße Tränen brannten auf seinem Gesicht, sie liefen unbemerkt hinunter.
Als er an dem kleinen See ankam, war weit und breit niemand zu sehen. Er keuchte schwer, seine Knie zitterten. Doch es ging ihm noch nicht besser. Aus einem plötzlichen Impuls heraus, fing er an zu schreien.
Und wie er schrie, wie er weinte. Er tat das sonst nie, hatte noch nie versucht Gefühle zu zeigen, hatte nie versucht etwas raus zu lassen. Doch hier war er allein, niemand konnte ihn hören.
Seine Stimme versagte und er ließ sich auf dem kleinen Steg nieder, konnte nicht mehr stehen. Es ging ihm immer noch nicht besser.
Warum nur?, dachte er immer wieder.
Er riss an seinen Haaren, schlug mit den Fäusten gegen seinen Kopf, versuchte nur dieser alles zerfressenden Verzweiflung Ausdruck zu verleihen.
Schlussendlich saß er eingerollt da und wimmerte leise vor sich hin. Er hatte den Kopf in den Händen vergraben. Eine kleine, blasse Gestalt vor dem dunklen Abgrund.
Es hatte ihn niemand gehört.
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