Ein Fremder hilft

Elijah hatte hohes Fieber. Seine Haut glänzte schweißnass und seine Augen rollten unruhig umher. Die Nacht war ruhig gewesen, obwohl keiner so richtig schlafen konnte. Die Ereignisse, die Verluste und die ungewisse Zukunft ließen niemanden in Ruhe. Lucy hatte in den frühen Morgenstunden Kate gebeten zu Elijah zu kommen. Diese war wach in dem Doppelbett gelegen und begrüßte nun die Ablenkung. Etwas ungeschickt kletterte sie die Treppe hinunter und folgte Lucy zu ihrem kranken Freund.

Kate sah sofort, dass sich das Gift ausgebreitet hatte.

Nur konnte sie beim besten Willen nicht erkennen um welches es sich handelte. Schwarze Venen zierten Elijahs Wunde und folgten in komplizierten Mustern seinem Blutkreislauf rund um die Verletzung. Noch hatte das Gift nicht sein Herz erreicht, auch waren die lebenswichtigen Organe nicht angegriffen, aber bald würde es dazu kommen und dann würde Elijah sterben. Lucy folgte Kates Ausführungen mit bleichem Gesicht.

Ihr war die Angst und Verzweiflung anzusehen, doch Kate war keine Ärztin, sie hatte auch nicht die nötigen Apparaturen um tatsächlich helfen zu können. Alles was sie tun konnte, war Elijah etwas mehr Bequemlichkeit zu ermöglichen. So wuschen sie seine Wunde und verbanden sie frisch. Sie zogen sein Hemd aus und wuschen auch seinen Oberkörper. Diesen Teil übernahm Lucy.

Kate konnte das besitzergreifende Funkeln in Lucys Augen sehen, obwohl diese versuchte es nach bestem Können zu verbergen. Als sie dabei waren Elijah zu kühlen und sein Lager bequemer zu machen, kam Aria von Thy gestützt nach unten. Kate bemerkte, dass Arias Gang nun viel leichter aussah und sie kaum schmerzen zu haben schien. Kate wollte nicht an all dieses Himmel-und-Hölle-Gerede denken, sie wollte es nicht glauben.

Ihre Welt bestand aus Arbeiten, ihren Freunden, ihrer Großmutter und nun ja Amy. Allerdings war diese nicht mehr da. Das Gesicht ihrer kleinen Tochter erschien vor ihren Augen. Amys warmes Lächeln und ihren sanften kleinen Hände. Tränen liefen über ihre Wangen und stumm schluchzte sie vor sich her. Egal wie sehr sie sich bemühte, ruhig zu bleiben, die Tränen ließen nicht nach. Die anderen ließen sie trauern, sagten nichts, warteten auf ihren Einsatz. Denn wenn Kate um Hilfe bat würde sie diese sofort bekommen. Ariadne stieß sanfte wellen ihrer Kraft aus, sie wollte behutsam mit Kate umgehen. Ihre Fähigkeiten waren auf diesem Gebiet immer recht mangelhaft gewesen.

Alles was ihr in diesem Moment wichtig war, war Kate nicht zu überschütten mit positiver Energie oder zu überfordern indem sie sie zwang schon jetzt mit dem Tod ihrer Tochter abzuschließen. Es sollte ein gesunder Trauerprozess stattfinden. Sie klärte Kates Gefühle, gab ihr die Kraft und die Zuversicht ihre Trauer zu überstehen. Den Rest würden gute Zuhörer und viel Liebe machen. Langsam ließen Kates Tränen nach.

"Wie geht es Elijah?", fragte Ariadne und setzte sich auf einen der Stühle, die um einen kleinen Tisch herum standen. Lucy antwortete mit angespannter Stimme:

" Es geht ihm nicht gut. Kate sagt, Gift frisst sich durch seine Adern. Sie kann ihm nicht helfen und ich genauso wenig." Lucy senkte den Kopf und strich ihrem Geliebten über den Arm.

Thy ging zu einem der Schränke und holte eine Packung Kekse heraus. Schokolade würde ihnen nicht die Lösung für alles verraten, aber sie würde zumindest ihre Energie wieder auftanken.
Als er sie gerade verteilte, ruckte Lucys Kopf in die Höhe und sie starrte Ariadne an. Diese sah mit gerunzelter Stirn zurück.

"Du bist ein Engel!" Aria zog die Augenbraun zusammen und antwortete Lucy:" Ja, das hatte ich bereits erwähnt. Worauf willst du hinaus?" Lucy stand auf, ihre Haut wurde röter als es bei einem normalen Menschen der Fall war. Die Stimmung im Raum wurde schlagartig anders, unheilvoll beinahe bedrohlich.

"Du kannst heilen. Das weiß ich, jeder weiß das. Engel heilen!! Warum heilst du ihn nicht?! Warum willst du ihn sterben lassen?!" Lucys Stimme war immer lauter geworden und zuletzt schrie sie. Alle starrten sie mit weit aufgerissenen Augen an. Ihre Angst um Elijah übernahm die Kontrolle. Ihr Körper strahlte unglaubliche Wärme ab, als wäre sie fiebrig. Thymian stellte sich zwischen Lucy und Ariadne, nur für alle Fälle. Ariadne war immer noch recht schwach und sollte es zu einem Kampf kommen, wollte er lieber nichts riskieren.

"Ich kann nicht heilen. Ich habs zwar versucht zu lernen, aber ich konnte es nie. Egal was meine Lehrer mich auch versuchen ließen, ich bin kein heilender Engel."

Die Niedergeschlagenheit und auch der Scham waren klar herauszuhören. Dennoch ließ Lucy nicht von ihrer Wut ab. "Wozu bist du dann gut!" Schnaubend drehte sie sich um und setzte sich wieder zu Elijah. Ihre Haut blieb rot wie Feuer, ihre Angst ließ sie nicht los. Aria zuckte bei ihren Worten zusammen. Sie senkte den Blick und biss sich auf die Unterlippe. Natürlich wusste sie, dass ihre Leistungen als Engel mehr als ungenügend waren, aber es von jemand Fremden zu hören tat doch weh.

Thy hob die Hand zur Beruhigung. Er konnte kaum glauben, dass er derjenige war der Ruhe bewahrte. Allerdings verströmte Lucy eine unangenehme Dämonenaura. Aria und Kate schienen sie zu spüren, beide starrten zu Boden, waren niedergeschlagen und verzweifelt.

"Lucy, es reicht. Wir machen uns alle Sorgen um Elijah, aber das ist noch lange kein Grund um gemein zu werden. Außerdem könntest du deine Dämonenaura ebenfalls abstellen. Hier drinnen wird es allmählich stickig" "Aber es ist wahr. Ich bin ein miserabler Engel." Aria sah ihn mit großen Augen an. Sie hatte immer schon einen sehr ausgeprägten Beschützerinstinkt gehabt. Jemanden den sie mochte nicht helfen zu können, setzte ihr schwer zu.

"Das ist doch..." Ein Geräusch außerhalb der Hütte ließ sie alle verstummen. Vorsichtig standen Aria und Lucy auf. In der Hütte war es plötzlich vollkommen still. Lucys Dämonenaura verzog sich schlagartig. Jeder schnappte sich eine Waffe, egal welche. Küchenmesser, Baseballschläger, Gartengeräte wurden zweckentfremdet.

Sie würden nicht kampflos untergehen, sie würden nicht aufgeben. Lucy und Aria tauschten einen kurzen Blick und legten ihren Streit beiseite. Dem Feind durften sie nicht uneins entgegentreten.

"Kommt raus, kommt raus. Ich tue euch schon nichts." war die Stimme eines Jungen zu hören. Langsam gingen sie auf die Türe zu.

Kate blieb im Hintergrund, sie konnte nicht kämpfen, konnte sich nicht wehren. Thymian deutete ihr sich in der Hütte zu verstecken. Sie hatte mit dieser ganzen Geschichte nichts zu tun, sie war bloss ein unschuldiges Opfer. So war er der erste der nach drausen ging und ihren Besucher genau unter die Lupe nahm. Es war ein Junge, konnte nicht älter als fünfzehn sein. Seine Haut war seltsam verfärbt, sein Haar dünn und sein Körper hager. Generell sah der Junge krank aus. Thymian sah genauer hin und spürte ein Gefühl von völliger Falschheit, irgendwas an dem Jungen war nicht richtig.

Als würden die Gesetzte ihrer Welt bei ihm nicht funktionieren, als würden sie an ihm gebrochen. Lucy und Aria an seinen Flanken begutachteten ihren Gast genauso neugierig und skeptisch. "Na meine Lieben, habe ich euch erschreckt?" fragte der Junge spielerisch und strich sich eine seiner fettigen Haarsträhnen aus dem Gesicht.

"Wer bist du?" fragte Thymian ernst. Obwohl ihr Eindringling nur ein Junge zu sein schien, wurde er das Gefühl nicht los, dass er weitaus gefährlicher war als die Kriegerengel auf ihrer Fährte. Der Junge hob einen Finger und wackelte damit herum.

"Ach, das ist nicht so wichtig. Wichtiger ist, dass ich weiß wer ihr seid." Thymian zog seine Augenbrauen zusammen. Ihm gefiel die Richtung in die das Gespräch verlief gar nicht.

"Wie kommt das?" Der Junge zuckte die schmalen Schultern und grinste. "Ich beobachte, darin bin ich gut. Sehr gut sogar. Ist mein besonderes Talent. Und zufällig weiß ich, dass euer Freund krank ist. Sehr krank. Ich würde sagen er hat noch etwa einen Tag zu leben." Lucy knurrte wütend. Niemand erklärte ihren Liebsten für tot, bevor er dies überhaupt war.

"Was weißt du schon! Elijah ist stark, er wird das durchstehen!" Ihr Gast kicherte gelassen. Er schien entspannt und locker, obwohl eine Gruppe bewaffneter Menschen ihm gegenüberstand. Dies war für Thymian nur ein weiteres Zeichen dafür, dass ihnen ein gefährlicher Gegner gegenüber stand.

"Das glaub ich kaum meine Liebe. Er wird sterben, es sei denn ihr besorgt das Gegenmittel." "Und zufälligerweise weißt du wo es sich befindet.", meldete sich Aria zu Wort.

Sie hasste Spielchen und dieser Junge trieb eines mit ihnen. Das Messer lag locker in ihrer Hand und sie wusste, würde der Zwerg eine falsche Bewegung machen, würde er es nicht Überleben. Der Junge schien dies ebenfalls zu bemerken und erwiderte:

"Nun ja. Ich könnte euch auch sagen, wo es sich befindet. Ihr müsstet mir dafür nur einen kleinen Gefallen tun."

"Welchen?", fragte Thymian skeptisch.

"Da gibt es einen Mann in der Stadt aus der ihr gerade geflohen seid. Sein Name ist Nathaniele. Dieser Gentleman hat vor kurzem eine Sporthalle in eben dieser Stadt niedergebrannt und ist danach mit seinen Freunden in einem Dinner etwas essen gegangen. Sie sind noch immer dort und werden auch in den nächsten Stunden nirgends hingehen. Ich würde diesen Mann gerne tot sehen, aus persönlichen Gründen. In besagtem Dinner habe ich auch eine Phiole mit Gegengift versteckt. Geht hin, tötet Nathanielle und euer Freund ist gerettet."

"Einfach so."

"Genau, einfach so." Thymian drehte sich kurz zu Lucy, danach zu Aria. Keine schien eine Antwort auf dieses Angebot zu haben. Der Junge grinste wieder.

"Ich überlasse euch die Entscheidung, allerdings würde ich mir nicht zu lange Zeit lassen. Gift ist eine tödliche Geliebte und euer Freund hat nicht mehr lange Zeit."

Er drehte sich um und ging humpelnd davon. Aria wollte eine Frage beantwortet haben und rief ihm nach. "Dein Name? Wie ist dein Name?" Mit einem schiefen Grinsen antwortete er:
"Wenn du es unbedingt wissen willst, meine Schöne. Mein Name ist Narake." Danach verschwand er im Bayou. Sie folgten ihm nicht. Sie konnte Kate und Elijah nicht alleine lassen.

Unschlüssig gingen sie zurück ins Haus.

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