N E U N

Alle Gespräche verstummten, als die beiden Personen die Schule betraten. Sie waren zwar nicht in einem teuren Auto vorgefahren, doch ihre Kleidung — schwarze Lederjacken, schwarze Hosen und schwarze Stiefel — machte sie sehr auffällig, ganz zu schweigen von ihrem außergewöhnlichen Aussehen. Der Junge war groß, sehr groß, und das Mädchen an seiner Seite reichte ihm gerade mal bis zur Schulter. Sein tiefschwarzes Haar war nach hinten geglättet, wobei einige Strähnen lose hingen, und seine tiefblauen Augen schienen die Seelen der Umstehenden zu durchdringen. Das leuchtend rote, wellige Haar des Mädchens war wie Blut, und ihr leicht rundliches Gesicht verlieh ihr ein unschuldiges Aussehen, doch ihre tiefbraunen Augen verrieten ihre Erfahrung.

Sie waren ein seltsames Paar und wirkten so unirdisch, aber das änderte nichts an der Aura, die sie ausstrahlten. Während das Mädchen eine kämpferische Ausstrahlung mit femininer Schönheit verband, hatte der Junge eine Art Magnetismus, der die Leute zu ihm zog. Trotz der unterschwelligen Angst, die seine Ausstrahlung vermittelte, konnten sich die Menschen nicht davon abhalten, sich ihm nähern zu wollen. Die beiden gingen, als gehörte ihnen die Schule, ohne auch nur jemanden eines Blickes zu würdigen, und selbst die Lehrer, die gerade ankamen, waren von dem Duo wie verzaubert.

„Wer sind die?" fragte eine Stimme und stellte die Frage, die alle stellen wollten, aber niemand wusste die Antwort.

Als sie näher kamen, fragte Anita mit einer singenden Stimme: „Wo können wir den Direktor treffen?" Sofort richteten sich alle Blicke auf sie, als wären sie verzaubert.

Asher betrachtete die Jungen, die Anita anstarrten, und er wollte sie alle ohrfeigen, um ihre Aufmerksamkeit zurückzurufen. Aber er wusste, dass Anita sich selbst verteidigen konnte, und mit einem schnellen Schwung ihrer Dolche würden die Jungen in Blutlachen liegen. Also ignorierte er sie und ließ seinen Blick über die Umgebung schweifen. Anita hatte letzte Nacht ihr Bestes gegeben und gefälschte Versetzungsunterlagen für sie erstellt, damit sie sich an der Schule einschreiben konnten. Seine Aufgabe war es, den Direktor mit seinem Zauber davon abzuhalten, weiter zu ermitteln. Und wenn er nach drei Tagen in der Schule nicht gefunden hatte, wonach er suchte, würden sie genauso verschwinden, wie sie gekommen waren.

Das Schulgelände war im Vergleich zu den offenen Flächen, in denen er aufgewachsen war, relativ klein. Selbst der Trainingsplatz im Blue Moon Rudel war größer als die ganze Schule, ganz zu schweigen vom Palast und den Wäldern seines Vaters.

„Wer seid ihr?" hörte er und blickte zurück zu den Schülern, als ein Mann mittleren Alters aus der Menge trat. „Ich habe euch noch nie gesehen."

„Oh, wir sind die neuen Austauschschüler, deshalb wollen wir den Direktor sprechen. Sind Sie der Direktor?" fragte Anita sanft lächelnd. Man konnte sagen, dass sie wirklich wusste, wie man Menschen ansprach, im Gegensatz zu Asher, dem kein einziges Lächeln über die Lippen kam.

„Ja, das bin ich. Ich wurde nicht über neue Schüler informiert," runzelte der Mann die Stirn.

„Doch, das wurden Sie," sagte Asher schließlich, seine samtweiche Stimme brachte den Mann dazu, ihn anzustarren, und er hielt seinem Blick stand. „Sie müssen es nur vergessen haben."

„Ja," sagte der Mann, ohne Ashers leicht rötliche Augen zu bemerken, die niemandem aufgefallen waren. „Ich muss es wirklich vergessen haben."

„Genau," erwiderte Asher, „jetzt werden Sie nach unseren Versetzungsunterlagen fragen und bestätigen, dass wir wirklich hierher versetzt wurden."

„Natürlich," sagte der Mann, wandte endlich seinen Blick von Asher ab und nahm die Briefe entgegen, die Anita ihm reichte. Er ging sie einen nach dem anderen durch, bevor er erneut aufsah. „Willkommen an der Western High, Anita O'Conner und Asher Alexander der Dritte," sagte er mit einem Stirnrunzeln, offenbar verwirrt, wie das ein Nachname sein konnte, aber er stellte keine Fragen. „Der Unterricht beginnt bald. Ich muss Sie bitten, sich bei Mrs. Meriwether zu melden, damit Sie in Ihre Klassen eingeteilt werden."

„Vielen Dank, Sir," lächelte Anita, und der Mann nickte. Mit einem letzten Blick auf Asher, innerlich zitternd vor Angst, drehte sich der Mann um und ging. Sofort drängten sich die Schüler um sie herum, alle versuchten, die Aufmerksamkeit der neuen Schüler zu erregen, und boten ihnen an, sie durch die Schule zu führen, während einige anboten, sie zu Mrs. Meriwether zu bringen.

Asher ignorierte sie alle, während er die Umgebung weiter absuchte und die versteckten Ecken der Schule ohne großen Aufwand entdeckte. Dabei entdeckte er ein Mädchen, das mit gesenktem Kopf ging. Sie trug einen übergroßen Kapuzenpullover und weite Jeans, völlig anders als in jener Nacht. Wäre da nicht ihr Duft gewesen, den er jetzt wahrnehmen konnte, hätte er sie nie erkannt. Sein Blick heftete sich an sie, beobachtete jeden ihrer Schritte. Und als ob sie seinen intensiven Blick spüren würde, hob sie den Kopf, und ihre Blicke trafen sich. Er sah es sofort, die lila Schatten unter ihren Augen, obwohl sie versucht hatte, sie mit Foundation und einer großen runden Brille zu verdecken.

Ein innerer Zorn erfüllte ihn sofort, als er erkannte, dass jemand ihr wehgetan hatte, und er hatte bereits hundertundeine Methode im Kopf, um denjenigen bezahlen zu lassen. Er bemerkte den Ausdruck in ihrem Gesicht, als ob sie ihn erkannte, aber er wusste, dass das unmöglich war. Sie konnte ihn niemals erkennen, egal wie sehr sie es versuchte. Kurz darauf zuckte sie mit den Schultern und schaute weg, konzentrierte sich auf ihren Weg zu den Schultüren, die in den Flur führten.

„Das ist Psychic (weiß jemand, wie ich das sonst übersetzen soll?)," sagte eine flirtende Stimme, die sich in seinen Arm einhakte und seine Aufmerksamkeit auf ihr stark geschminktes Gesicht lenkte. „Du solltest dich von ihr fernhalten, sie ist Ärger."

Asher schnaubte leise und beugte sich zu ihrem Ohr, hielt sich zurück, nicht zu würgen angesichts des Parfüms, das sie in Mengen trug, die seiner feineren Nase nicht halfen. „Und du solltest dich auch von mir fernhalten. Ich bin nicht nur Ärger, ich könnte auch eine Mahlzeit aus dir machen." Er sagte es so, dass nur sie es hören konnte, und sie ließ sofort seinen Arm los. Mit einem leichten Grinsen folgte er Anita, die von einem hübschen Jungen geführt wurde. Er hatte ihr Gespräch zuvor gehört und wusste, dass der Junge sie zu der besagten Mrs. Meriwether brachte. Die Vorstellung, eine menschliche Highschool zu besuchen, war ihm nicht mehr unangenehm, da er bereits sein Interesse gefunden hatte, ohne auch nur eine Stunde dort zu sein.

***

Naomi hatte gehört, ohne zu fragen, dass es sich bei den beiden um neue Austauschschüler handelte. Sie wusste sofort, dass der Junge, den sie am Morgen gesehen hatte, einer von ihnen sein musste. Unbewusst hatte sie darauf gewartet, dass er oder beide in einer ihrer Klassen auftauchen würden, aber bisher hatte sie sie nicht wieder gesehen. Wäre nicht die ganze Schule ununterbrochen von ihnen am Reden gewesen, hätte sie vielleicht sogar vergessen, dass sie existieren.

Sie nahm ihre Bücher aus ihrem Spind und schloss die Tür. Gerade als sie sich umdrehte, um wegzugehen, fiel ihr plötzlich wie von einer unsichtbaren Kraft eines ihrer Bücher aus der Hand. „Was zum...?", murmelte sie verärgert und bückte sich, um es aufzuheben, als sie leicht gebräunte Hände sah, die die Bücher aufhoben.

„Hier, lass mich dir helfen," sagte eine weiche, samtige Stimme, und als sie aufsah, blickte sie in die tiefsten blauen Augen, die sie je gesehen hatte. Der Junge lächelte sanft und reichte ihr die Bücher, während sie beide aufstanden. „Hi, ich bin Asher, ich bin neu hier."

„Ich weiß, ich habe dich heute Morgen gesehen," antwortete sie und fühlte sich irgendwie seltsam, als hätte sie ihn schon einmal getroffen. Doch sie war sich sicher, dass das nicht der Fall war. Sein Aussehen war so einprägsam, dass sie sich sicher war, ihn für den Rest ihres Lebens nicht mehr vergessen zu können, wenn sie ihn schon einmal gesehen hätte. Woher also kam dieses vertraute Gefühl?

Asher lächelte sanft. „Und du bist Naomi," sagte er, als sie nicht weiter sprach.

Naomi schaute ihn scharf an. „Woher weißt du das?"

„Ich habe es gehört," sagte er und tippte sich ans Ohr. „Jemand hat dich so genannt."

„Wer? Die Leute nennen mich kaum noch beim Namen."

„Nun, ich habe jemanden gehört. Es war ein Junge, ich habe seinen Namen vergessen, aber er hatte lockiges blondes Haar und grüne Augen." Er log nicht, schließlich hatte er in jener Nacht im Wald ihren Namen erfahren, weil der Junge sie so genannt hatte.

„Justin," sagte sie lächelnd. „Hätte ich mir denken können. Heute gibt es nur noch ihn und die Lehrer, die mich beim Namen nennen. Es war schön, dich kennenzulernen, Asher, aber ich muss jetzt wirklich in den Unterricht."

„Ich sollte das auch, aber ich weiß nicht, wo der Raum ist," antwortete er mit einem leicht verlegenen Lächeln, während er sich den Nacken rieb.

„Oh, was hast du denn als nächstes?"

„Chemie," sagte er, nachdem er das von einem ihrer Bücher gelesen hatte, als er es aufhob.

„Was für ein Zufall, das ist auch mein nächstes Fach."

„Dann muss ich dich wohl bitten, mich mitzunehmen," sagte er und schenkte ihr ein charmantes Lächeln, das seine schneeweißen Zähne und leicht verlängerten Eckzähne zeigte.

„Natürlich," schluckte Naomi und ging voraus, wobei sie sich in seiner Nähe etwas unheimlich fühlte. Es war nicht so, dass er sich seltsam verhielt, ihr Gespräch war völlig normal. Doch sie konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass an diesem Jungen mehr war, als man auf den ersten Blick erkennen konnte. Und das Beunruhigende war, dass sie sich nicht sicher war, ob sie wirklich herausfinden wollte, was das war.

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