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Das schaben auf den Tellern mit Messer und Gabel verursachte auf meinen Körper eine ungewollte Gänsehaut. Die Stimmung war bis zum zerbersten angespannt, während meine Mutter und Louis' Mutter sich perfekt unterhielten, war zwischen Louis selbst und mir absolute Funkstille.
"Louis erzähl' doch mal deine Reise nach Australien", warf plötzlich die Mutter des Älteren euphorisch ein, und ohne es zu wollen, regte sich in mir sofort die Neugier.
Ich sah die fremde Mutter fragend an und studierte zugleich zum ersten Mal ihre Gesichtszüge. Sie hatte genauso die liebevollen Lachfältchen wie Louis, dichtes braunes Haar, das ordentlich zurück gesteckt wurde. Sie trug eine weiße Bluse und automatisch fragte ich mich, ob sie denn eine Geschäftsfrau war. Die Art wie sie redete, und dasaß - gerader Rücken, ineinander gefaltete Hände und Beine überschlagen, ließen es zumindest erahnen.
Für einige Sekunden war Stille am Tisch und als ich zu Louis sah, waren seine Wangen gerötet und sein Gesicht war auf den Teller gesenkt. Meine Stirn kräuselte sich verwirrt, und da es mich selbst nun total interessierte, stupste ich ihn vorsichtig an der Schulter an. Ich mochte es, dass er direkt neben mir saß, und ich die Wärme, die von seinem Körper ausging, spüren konnte.
Als mein Finger seinen Bizeps berührte, der sich härter als gedacht anfühlte, blickte er mich sofort lächelnd an, und für einige Sekunden schien es so, als würde die Welt stehen bleiben.
Leider hielt dieser Moment nicht lange, und Louis sah schnell wieder zu meiner Mutter, die ein wenig müde und erschöpft wirkte. Sie lächelte interessiert, aber ich wusste ganz genau, dass sie sich lieber jetzt hinlegen würde. Meine Lippen pressten sich besorgt aufeinander, während ich ihr einen aufheiternden Blick schenkte, als unsere Augen aufeinandertrafen.
Dann fing Louis zu erzählen an. Jeder am Tisch sah dabei zu, wie der Blauäugige sich in seinen Worten verlor, wild mit den Händen herum spekulierte, während sich ein breites Lächeln um seine Lippen geziert hatte, und mehr strahlte als die Sonne höchstpersönlich. Er erzählte uns, dass er ein Au pair Jahr in Australien gemacht hatte, und die Zeit dort nutzte, um Menschen zu interviewen. Er merkte ein Tagebuch an, sowie ein Bilderbuch, indem alle Erlebnisse aufgezeichnet waren. Stolz erzählte er von den Kindern, die er während der Zeit betreuen musste. Von Noah, dem ältesten und Isabelle, der jüngsten der Familie. Davon das Noah immer den Brei auf ihn geworfen hatte, und er jedes Mal sich von neuem frisch anziehen musste, weil er ja nicht mit einem riesigen gelben Fleck auf der Brust herum laufen konnte.
Er erzählte ebenfalls von gruseligen Spinnen- und Tierarten die er zu Gesicht bekam, und riesigen Wasserfällen, sowie Wälder, die wunderschön sein sollen. Louis bat an, später mal die Bilder zeigen zu können, und jeder am Tisch stimmte sofort zu, da seine Beschreibungen einfach nur himmlisch klangen.
Als er seine Worte mit einem: "Aber Zuhause fühlt es sich doch noch am besten an", verabschiedete, sah er langsam wieder zu mir und lächelte mich breit an.
Louis PoV
"Zuhause fühlt es sich doch noch am besten an", beendete ich meine Rede, die gefühlte zehn Minuten dauerte und nahm dann erstmal einen tiefen Luftzug. Ich stolperte beinahe über meine eigene Zunge, da ich die Zeit in Australien einfach nur geliebt und geschätzt hatte.
Meine Augen schielten zu Harry, und was ich dann sah, brachte meine Wangen zum schmerzen, weil ich so stark zu grinsen anfing.
Harry lächelte.
Er lächelte tatsächlich vor sich hin. Ich sah zum ersten Mal richtig seine Zähnchen. Und als ich seine kleinen Grübchen an der Wange erblickte, wäre mir beinahe ein undefinierbarer Laut raus gekommen, da ich dies unglaublich süß fand. Als plötzlich jeder am Tisch Harry so anstarrte, hörte er wieder auf zu lächeln, und senkte unsicher den Kopf, was mir beinahe das Herz brach.
Ich wollte es ihm nicht noch unangenehmer machen, als sowieso schon weswegen ich wieder wegsah, und meinen Teller brav aufaß. Nun war wieder diese Stille am Tisch, doch das hinderte mich nicht daran, aufzuhören zu Lächeln. In mir kam ein gewisses Gefühl des stolzes hoch, denn ich wollte Harry schon so lange mal grinsen sehen.
Seit dem ersten Schultag an wirkte er traurig und gebrochen, und schon am ersten Tag machte ich es mir zur Aufgabe Harry glücklich zu machen. Und wenn es nur Kleinigkeiten waren, die ihn fröhlicher machen würden. Hauptsache er würde wieder Sinn am Leben finden, und dass er jetzt wegen mir lächelte, freute mich mehr, als es wahrscheinlich sollte.
Als das Essen beendet war, und jeder nur noch durch die Gegend starrte, erhob meine Mutter das Wort.
"Ich denke wir machen uns auf den Nachhauseweg, oder Louis? Das Essen war wirklich lecker." Meine Mutter lächelte freundlich, und ebenfalls aufmerksam stimmte ich direkt zu: "Sehr lecker sogar. Sie sind eine Meisterköchin."
"Ach was." Sofort winkte die Gastgeberin verlegen ab, und erhob sich gleichtuend. "Louis wie wäre es, wenn du heute bei Harry übernachten würdest? Ihr zwei passt wirklich gut zusammen, und..-"
"Nein ich glaube nicht..-", wollte Harry seine Mutter unterbrechen, als meine dazwischenfunkte: "Das ist eine fabelhafte Idee. Ich kann euch ja morgen von der Schule abholen. Willst du hierbleiben, Louis? Du kannst doch sicher von Harry was zum anziehen haben."
Überfordert sah ich zu dem Lockenkopf, der knallrot angelaufen war, und seinen Kopf abgewendet hatte. Meine Gesichtszüge wurden augenblicklich weicher, und lächelnd schüttelte ich den Kopf.
"Ich glaube Harry will seine Ruhe", sagte ich langsam, was mir nicht nur verwirrte Blicke der Elternteile einbrachte, sondern auch nochmal ein kleines Lächeln von Harry, dass ich liebevoll erwiderte.
Ich konnte es nachvollziehen, dass Harry das alles ein wenig zu schnell ging. Immerhin war ich heute einfach in seine Wohnung gestürmt, nachdem er eigentlich nein gesagt hatte, und hatte dann so dreist wie ich war, seine Adresse aus dem Sekretariat geholt. Ich wollte ihn nicht gleich sofort überrumpeln, weshalb ich mich damit nun zufrieden gab.
Harry und seine Mutter begleiteten uns zur Tür. Mir waren die tiefen Augenschatten von Anne nicht entgangen - sie sah krank und gequält aus und am liebsten hätte ich sie umarmt und ihr Mut zugestochen. Sie hatte eine ganz herzliche und beruhigende Art, und ich glaubte Harry konnte sich mit ihr glücklich schätzen.
"Bye Harry", murmelte ich leise zu dem Jüngeren, als meine Mutter schon zum Auto gelaufen war, und wir nun alleine vor der Haustüre standen.
Er sah ein wenig zerstreut und müde aus, und meine Hand fuhr wie von selbst zu seiner Schläfe und steckte ihm eine kleine Haarsträhne zurück. Sanft hauchte ich einen Kuss auf seine Stirn, und wollte schon gehen, als seine kalte Hand nach meiner griff.
"Louis..?" Als seine Stimme plötzlich ganz weinerlich klang, drehte ich mich sofort ganz wieder zu ihm um, schloss die Türe und sah in seine Augen, in denen Tränen schimmerten.
"Was denn? Was ist los?", fragte ich vorsichtig nach, und streichelte seinen Handrücken langsam dabei.
Harry sah weg, während er offen zugab: "Ich habe solche Angst."
Nachdem ich gefragt hatte, wovor er denn Angst hatte, erklärte er mir, dass er jeden Abend Panik vor dem nächsten Tag hatte: "Ich kann nicht schlafen. Ich quäle mich schon in der Nacht davor, wie viele Aufgaben ich zu erledigen habe. Und jedes Mal habe ich solche Angst, zu versagen und zusammenzubrechen", teilte er mir zitternd mit und wischte sich über die Augen. "Ich schaff das nicht mehr. Wie machst du das, das du alles unter einen Hut bekommst?", fragte er mich dann, und sein hilfloser Blick, ließ mich fast zusammenzucken.
Ich verstand sehr gut was er meinte, und vor allem in Australien hatte ich gelernt, was es bedeutete, seine Zeit sinngemäß einzuteilen, und nicht zu versagen. Ich überlegte einen Moment, und drückte dann fest seine Zeit.
"Ich gebe dir mal einen Ratschlag, den ich bekommen habe von einem Auswanderer. Du musst das ganze wie eine Sanduhr sehen, Harry. In einer Sanduhr sind ganz viele kleine Körnchen, die nach und nach nach unten rutschen. Du kannst sie nicht aufhalten, sie fließen einfach weiter nach unten, und du könntest sie nur stoppen, wenn du sie kaputt schlägst. So ist das auch im echten Leben. Du weißt früh was du zu erledigen hast, und du musst nach und nach deine Arbeit ausführen. Langsam, nicht panisch, denn du kannst die Aufgaben nicht verschieben. Und wenn du dir jeden Abend sorgen machst, und denkst du schaffst das nicht, wirst du einen Nervenzusammenbruch bekommen und es nicht mehr schaffen. Also mein Tipp an dich ist, dass du deinen Tag in Tageseinheiten legst. Denke immer nur an den nächsten Tag, nicht an die Woche darauf. Plane dir alles ein, sag dir selbst, dass du das schaffst. Du kannst die Sanduhr nicht aufhalten, Harry. Und am Ende des Tages, wenn alle Körnchen - wenn alle Arbeiten erledigt sind - kannst du stolz sein, und wirst erleichtert sein."
Harry der mich so ansah, als wäre ich Jesus höchstpersönlich, blinzelte ein paar mal und nickte dann. Seine Mundwinkel zuckten unter bebenden Lippen in die Höhe und als nächstes umarmte er mich vorsichtig. Seine Ärmchen legten sich um meinen Bauch und lächelnd umarmte ich ihn ebenfalls zurück.
"Ich werde es versuchen", hauchte er dann leise. "Aber ich glaub ich schaff das nicht."
"Nein", sprach ich ihn sofort dagegen. "Sag nicht ständig, dass du das nicht kannst oder schaffst. Du hast schon so vieles geschafft. Wie oft dachtest du, du brichst zusammen oder kannst nicht mehr? Und jetzt stehst du trotzdem hier. Glaub an dich, Harry. Ich glaube an dich. Du kannst das Monster tief in dir besiegen. Du kannst. Vielleicht nicht jetzt sofort. Aber irgendwann. Du wirst."
[Ihr seid alle was ganz besonderes. Hab euch lieb 🌸]
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