A
Am nächsten Schultag beobachtete ich in der Pause Louis, wie er bei den anderen Schülern stand und lachte. Er lachte lauthals, sodass selbst ich es am anderen Eck des Hofes hören konnte. Seine Augen kniffen sich liebevoll zusammen, hatte den Kopf in den Nacken gelegt und war so sorgenfrei, dass ich mich fragte, ob ihn denn gar nichts in seinem Leben beschäftigte. Innerhalb eines Tages hatte er es geschafft, sich mit der halben Schule anzufreunden, während ich ewig dafür gekämpft hatte, wenigstens einen Freund zu haben. Ich wollte es nicht zugeben, aber irgendwie war ich eifersüchtig.
Nachdenklich kramte ich mein Pausenbrot heraus, biss davon ab und sah gedankenverloren auf den dreckigen Asphalt hinunter. Kleine Nadeln von Bäumen wurden über den Boden gewedelt, und ein wenig Erde und Schlamm bohrten sich in die Ritzen der Straße. Genauso wie sich der Schmerz in meinem Herzen eingenistet hatte.
Seufzend kaute ich weiter auf meinen Brot herum, lehnte mich an die dünne Wand hinter mir und wartete sehnsüchtig darauf, dass der Glockenschlag erklang, und ich zurück ins Klassenzimmer konnte.
Als ich plötzlich ein paar schwarze Schuhe vor meinen Augen erblickte, hob ich meinen Kopf und wischte mir eine Strähne weg, die sich auf meiner Stirn verirrt hatte. Tatsächlich kam mir wieder Louis entgegen, der mich offen mit seinen kristallblauen Augen anblinzelte, und mir sein Zahnpasterlächeln entgegen strahlte.
"Hey", begrüßte er mich ganz schlicht und gut gelaunt. Da ich sein Lächeln nicht erwidern konnte, nickte ich ihm nur langsam zu, während mein Blick wieder auf den Boden fiel. Es schien mir um einiges interessanter, als mich mit Louis zu unterhalten, der nun sowieso zu den anderen gehörte.
"Hast du über meine Fragen nochmal nachgedacht?", fragte er mich.
Ich zog die Stirn in Falten, verschränkte meine Arme vor meiner Brust und atmete tief durch, während ich langsam erneut nickte.
Tatsächlich beschäftigten mich seine Worte sehr. Diese Frage, ob ich mir die Sorgen doch nur machte, weil ich zu viel nachdachte, ließ mir keine Ruhe mehr. Letztendlich kam ich auf den Punkt, dass er irgendwie recht hatte.
Ich konnte gar nicht auf die Straße gesetzt werden. Ich war die halbe Nacht auf, verbrachte meine Zeit damit, nach Ausbildungsplätzen zu recherchieren, und kam dabei auf das Ergebnis, dass ich selbst, wenn ich keinen Abschluss hätte, in einem Betrieb genommen werden könnte. Natürlich nicht das optimalste, aber ich würde nicht Zuhause bleiben, und Wurzeln schlagen. Ich würde Geld haben. Meine Eltern würden mich immer unterstützen, und damit hatte ich wirklich schon eine Sorge weniger. Es war ein erleichterndes, und dennoch seltsames Gefühl, wenn man die Sichtweise umkehrte.
Louis sah mich ein wenig lächelnd an.
"Wieso bist du so selbstbewusst?"
Ich musste ihn einfach geradeheraus fragen, denn er war ein unschuldiges Kind, dass aus meinen Augen noch nie mit Schmerz in Berührung gekommen war. Er hatte Fältchen um den Augen, die zeigten wie oft und stark er lachte. Er machte sich an einem Tag sofort Freunde, und wie ich schon im Unterricht bemerken konnte, nahm er kein Blatt vor den Mund und spielte den Klassenclown. Und das einzige was ich mich fragte war: Woher nahmen Menschen ihr Selbstbewusstsein?
Der Blauäugige schien ein wenig überrascht von der Frage, überlegte einen Moment, den ich damit verbrachte zu den raschelnden Bäumen zu sehen, und tippte unruhig mit dem Fuß umher. Als ich Louis ansah, grinste er fast noch mehr und schluckend bemerkte ich, wie meine Wangen rot anliefen.
"Ich Lüge."
Sofort sah ich ihn wieder an.
"Wie bitte?"
"Ich Lüge."
"Das verstehe ich jetzt nicht."
Ein Schmunzeln schlich sich auf Louis Lippen.
"Pass auf. Ich bin nicht selbstbewusst. Ich habe keine Ahnung was das ist. Ich Lüge ununterbrochen, und in der Schule am meisten. Du willst wissen, wie man Selbstbewusst wird? Lüge."
Immer noch total verwirrt blinzelte ich ein paar mal. Ich verstand absolut kein Wort, von dem was er sagte. Das bemerkte auch Louis, der wieder tief durchatmete.
"Ich finde mich nicht total hübsch. Ich finde meine Witze nicht lustig. Ich finde meinen Style nicht unbedingt cool oder außergewöhnlich. Aber wenn jemand zu mir kommt, und mir ein Kompliment gibt, nehme ich es mit einem Lächeln an. Ich tue so, als wäre ich von mir selbst überzeugt, obwohl ich es nicht bin. Harry. Jeder kann Selbstbewusst sein. Jeder. Man kann es lernen. Ich konnte es lernen. Du musst nicht nur den Menschen in deiner Umgebung, sondern auch dich selbst, Dreist anlügen. Und irgendwann kannst du das so gut, dass es dir jeder abkauft. Oder du liebst dich wirklich selbst, was natürlich gleich noch besser wäre."
Ich blinzelte ein paar mal, und sah in sein Gesicht. Nachdem ich versuchte seine Worte zu verstehen, schüttelte ich nur den Kopf und hoffte, dass er diesen Tipp nicht wirklich ernst meinte. Da ich aber keinerlei Anzeichen von Ironie in seinem Gesicht fand, wurde ich ein wenig blass.
"Pass auf. Ich geb dir noch einen Tipp. Wenn du mal richtig traurig bist, ja? Und das ist jeder mal. Lach einfach."
"Wie soll ich lachen, wenn ich traurig bin? Du labberst ziemlich viel Scheiße", sagte ich ihm dann ehrlich und lief langsam nach vorne, als das Klingeln der Schule erklang. Der Braunhaarige lief eng neben mir her. Er lächelte zwar nicht mehr, sah aber immer noch so freundlich und geduldig aus, wie am Anfang.
"Der Körper tut sich wahnsinnig schwer traurig zu sein, wenn du lachst. Das wurde sogar erwiesen. Du wirst merken, du kannst nicht beides machen. Wenn du nicht lachen kannst, sing einfach. Wenn du nicht singen kannst, dann summe oder schnippe mit den Fingern. Straff deine Schultern und atme tief durch. Das braucht etwas Übung, aber es funktioniert." Er zuckte mit den Schultern, lief in die Schule hinein, und ignorierte mich, als ich ihn komplett verstört ansah.
"Ich kann nicht mal lachen, wenn ich was lustiges höre, wie soll ich dann lachen, wenn ich tränenüberströmt bin?"
"Das Leben besteht nur aus Lügen. Aus lügen und Eigenliebe. Denk darüber nach. Irgendwann wirst du es verstehen."
"Ich kann mich nicht lieben", hauchte ich sofort. "Lügen kann ich auch nicht. Und lachen kann ich auch nicht. Ich kann gar nichts."
"Kannst du nicht, oder willst du nicht?"
Damit ließ er mich komplett überfordert stehen, aber wie gestern dachte ich mir einfach nur, dass er totalen Bullshit daherredete.
Aber irgendwie mochte ich ihn. Sehr sogar.
[Was haltet ihr von Louis? Freue mich über jeden Kommentar und Vote, Sunshines. Alles liebe und schönen Sonntag euch noch❤️)
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top