XXVIII

• L U K E •

Die Anspannung zwischen Darryl und Laslo war zum Greifen nah. Auch als dieser zugestimmt hatte und uns seine Hilfe versprochen hatte, wurde es nicht wirklich besser.

Allerdings brachte er schlechte Neuigkeiten mit sich. Die Sekte wolle wieder aktiver werden und das konnte für die hier wohnenden Menschen nichts Gutes bedeuten! Deswegen mussten wir schnell handeln. Da waren wir uns alle einig. Die Angst, dass unser Lehrer uns womöglich hinters Licht führte, begleitete uns natürlich permanent.

Doch sein Verrat würde für ihn selbst nicht gut enden, weswegen wir das Risiko eingingen und nun zusammen durch den Wald irrten. Auch ohne die Hilfe von Lailas Vater.

Sein Auto hatten wir stehengelassen und als uns auf halben Weg Molotov begegnete, stand der Entschluss fest. Am besten noch heute Nacht sollte es das endgültige Ende des feindlichen Clans sein. Dazu führte Laslo uns durch ein Waldgebiet, welches mir durchaus bekannt vorkam.

Es war definitiv ein ungewohntes Gefühl durch den immer dunkler werdenden Wald zu laufen. Das letzte Mal war schon lange her. Ein kleines Feuer, kalte Nadelbäume und eine angespannte Stimmung waren die letzten Erinnerungen, die ich noch an diesen Ort hatte. Geprägt von einem unangenehmen Herzschmerz, der mich treu begleitet hatte als ich genau hier meinen Bruder zurückgelassen hatte.

Das verbrannte Holz war beinahe noch zu sehen und vor meinem geistigen Auge konnte ich noch den plattgedrückten Waldboden erkennen, auf dem wir damals nach der Verbannung geschlafen hatten.

Er war mitgekommen. Und ich hatte ihn verraten.

Schmerzhaft kniff ich die Augen zusammen. Ich hatte ihn und seine Treue nicht verdient. Und dennoch wagte ich es, mich nach ihm zu sehnen. Fragte mich, wohin er gegangen war. Was mit ihm passiert war. Ob es ihm gut ging?

„Luke, wo bist du denn mit deinen Gedanken?!", fauchte Darryl mich gereizt an als ich in ihn reinlief.

Ärgerlich zog ich den Kopf ein und erwiderte nichts, da der Schwarzhaarige schon wieder weiterlief. Konnte ja also nicht so schlimm gewesen sein. Seinem Clan hatte er bereits Bescheid gegeben. Ich hingegen hatte Ben nichts erzählt. Der würde uns am Ende nur hinterherlaufen.

„Seid leise!", wies Arthur uns streng an, der dank seines Alters wohl dachte, uns herum kommandieren zu können. Die einzige positive Sache war, dass wir ihn nun duzen durften.

„Ja man", kam es nur von Darryl zurück. Laila rollte nur mit den Augen.

Mein Blick wanderte derweil durch den Wald. Suchte nach Hinweisen. Hinweise, die auf die Sekte deuten könnten... oder vielleicht auf Zain. Doch ich konnte nichts erkennen. Zu lange war unsere Trennung her und zu schnell liefen wir durch den Wald. David und Molotov hatten sich etwas von uns entfernt, um alles besser im Blick behalten zu können und mir beschlich sich der Gedanke eines Wolfsrudels, welches sich durch ein fremdes Revier schlich.

„Wo ist euer Lager denn genau?", wollte Molotov von der Seite wissen, der Herr Laslo noch lange nicht traute und ihn auch so ansah.

Doch Arthur zog nur die Mundwinkel nach oben und nickte nach vorn. „Wirst du gleich sehen."

Und wie wir es sahen. Die Schlucht. Steil und kalt lag sie plötzlich vor uns und weckte unschöne Erinnerungen. Sofort machte ich einen Schritt nach hinten und blickte mit verschnellerter Atmung nach unten. Hier wäre ich beinahe gestorben. Wenn Kodi nicht gewesen wäre.

„Und wie sollen wir da runter kommen?", hörte ich Laila fragen.

Doch alles klang für mich weit weg. Mein Brustkorb fühlte sich unnatürlich eng an und die Pünktchen, die vor meinem Auge hin und her tanzten, blinzelte ich schnell weg. Ich konnte jetzt nicht die Nerven verlieren! Nicht, wenn ich kurz davor war, meine mögliche Rache zu bekommen. Schließlich lebte dieser Dreckssack von Kapuzenträger noch.

„Folgt mir", verlangte Arthur und ohne zu murren, folgten wir ihm.

Ein dünner Pfad, verdeckt von dornigen Ranken, führte in die Schlucht und kleine Steine rieselten hinab. Meine Turnschuhe hatten auf dem trockenen Untergrund kaum Halt und ich war mehr als froh als wir endlich unten ankamen. Darryl scheinbar auch, der sich einmal umdrehte und uns alle durchzählte. Ich glaub, wenn er hier jemanden verloren hätte, hätten wir das schon mitbekommen.

„Gut, alle da", murmelte er für sich.

Molotov schnaubte belustigt. „Sag bloß."

„Halt die Klappe!"

Lachend ließ sich Molotov zurückfallen und lief nun neben mir. „Du kennst die Gegend, oder?"

„Flüchtig."

Ungläubig zog er die Augenbrauen hoch. „So hat deine Reaktion nicht ausgesehen." Etwas leiser mit dem Blick auf die anderen gerichtet, die vorausliefen, fügte er hinzu, „Sei ehrlich, Luke. Du hast erzählt, dass dein Bruder gestorben ist. Und das Gebiet auf der anderen Seite gehört nicht mehr zur Sekte... Ist es hier passiert?"

„Wieso interessiert dich das?"

Mein Nebenmann strich seine orangenen Haare zurück. „Weil du jetzt zu uns gehörst und ich wissen will, worauf ich mich einlasse, wenn ich mit dir durch die Schlucht lauf und gleich-"

„Kion?!", riss und Darryls Stimme aus dem Konzept.

Für einen Moment sahen wir uns beide an, ehe wir schnell aufholten und ebenfalls um die leichte Kurze der Schlucht sahen. Ein junger Mann stand vor uns, an den ich mich nicht erinnern konnte, ihn jemals gesehen zu haben. Doch alle anderen kannten ihn scheinbar. Geschockt sah er zu uns rührte keinen Muskel.

„Kion, was machst du hier?", verlangte Darryl zu wissen und als er einen Schritt auf den Jungen, der offensichtlich Kion hieß, zu machte, wich dieser zurück.

„Das Gleiche könnte ich auch fragen", entgegnete dieser zwar zittrig, aber mit selbstbewusstem Blick.

Ich hatte keine Ahnung, was hier los. Ich kannte den Jungen nicht. War auch sonst nicht derjenige, der immer nachdachte, bevor er handelte. Aber dennoch beschlich mich das seltsame Gefühl des Verrats. Es kroch unter die Haut und hinterließ eine Kälte, die ich gut kannte. Nur auf eine andere Art und Weise. Nicht emotional wie bei meinen Eltern oder meinem Stamm. Mehr auf eine Art, bei der das Herz vor Wut schneller schlägt.

„Moment, ihr kennt ihn?", krähte Arthur dazwischen und plötzlich lagen alle Blicke auf ihm.

„Ja, er gehört zu unserem Clan, wieso?"

„Weil..." Laslos Schultern sackten nach unten und mit einer plötzlichen Schwäche in Form von Aufgeben sah er wieder hoch. „Er euch dann ziemlich verarscht hat."

Darryl riss die Augen auf und bekam die Erkenntnis, die ich schon lange hatte. „Was?!"

„Ihr wart aber auch naiv. Einfach einen Fremden aufnehmen...", meinte Kion und sein verächtlicher Blick lag nun auf mir. „Und den selben Fehler macht ihr nun schon wieder. Nur dieses Mal bringt es euch nichts, dass er womöglich treu ist."

Ich wollte dem Schlumpf bereits widersprechen, doch ein Geräusch hinter uns ließ mich verstummen und schnell drehten wir uns um.

„Du beschissener Verräter! Wusste schon von Anfang an, dass du nichts taugst, Laslo, aber das hier..." Der Mann sprach nicht weiter. Seine Kapuze verdeckte sein Gesicht nicht mehr und trotz der Dunkelheit, die alles in Schatten legte, erkannte ihn sofort. Kodis Mörder. „Aber das macht nichts, dann wirst du eben mit ihnen geopfert werden."

„Geopfert?!", quietschte Laila und sah den Mann angeekelt an.

Der Mantelträger zog die Stirn kraus. „Natürlich, was dachtest du denn?"

Dann ging alles ganz schnell. Keine Ahnung, woher die plötzlich kamen und wie wir alle in die enge Schlucht passten, aber wir hatten keine Chance. Kampfausbildung hin oder her, es brachte uns nichts. Zwar schlugen wir uns relativ gut und sogar Arthur kämpfte an unserer Seite, doch am Ende kniete ich ausgelaugt auf dem Steinboden und wurde wie die anderen nach oben gezogen. Das hässliche Lachen des Mörders in den Ohren.

Mein Kopf dröhnte fürchterlich und ich hatte schon Angst, dass er gleich platzen würde. In einer kühlen und dunkleren Umgebung wurden wir schließlich zu Boden geworfen und ich spürte strammes Seil an meinen Armen, die auf meinem Rücken zusammengebunden waren.

Zögerlich hob ich den Kopf. Eine Höhle. Klar, wieso auch nicht?

Die anderen waren neben mir und außer Darryls lautes Fluchen und Davids Stöhnen, weil dieser einen üblen Tritt in den Bauch kassiert hatte, war nichts zu hören. Irgendwo entfernt tropfte es. Wahrscheinlich Wasser, welches die Erde vom Regen durchweicht hatte. Sehen konnte ich jedenfalls kaum etwas.

„Luke?"

Ruckartig schoss mein schmerzender Kopf nach oben. Ich konnte die Person, die hier scheinbar im selben Raum wie wir war, nicht sehen, aber die Stimme würde ich unter allen wiedererkennen.

„Zain?!"

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