XXIV

• L A I L A •

Wärme durchzog meinen durchgefrorenen Körper. Ich hatte gar nicht gemerkt wie kalt mir eigentlich war und dementsprechend war ich mehr als froh endlich vor dem warmen Feuer zu sitzen, welches im Kamin knisterte. Molotov hatte gerade nochmal nachgelegt und eine Stille, die keiner zu brechen wagte, herrschte im Raum.

Jessie war vor einigen Minuten dazugekommen, hatte sich einmal herrlich aufgeregt, die Neuen analysiert und saß nun bei uns. Darryl und Luke hingegen hatten sich wie Molotov auch umgezogen und nun saßen wir alle vor dem Kamin im Gemeinschaftsraum, den ich bislang gar nicht so wahrgenommen hatte und starrten ins Feuer.

„Das ist doch alles absurd!", brach Ben schließlich die Stille.

Molotov neben mir stöhnte auf. „Was jetzt schon wieder?"

„Ihr wollt mir doch nicht erzählen, dass es so etwas wie Waldmenschen gibt, die völlig unentdeckt im Wald leben und dort untereinander Krieg führen!"

„Dein Mitbewohner ist doch das beste Beispiel dafür."

„Trotzdem! Das ist..." Frustriert brach Ben ab und warf die Arme in die Luft. „Das klingt einfach nach einer abgefahrenen Story für Verschwörungstheoretiker!"

Darryls Arm um meinen Rücken spannte sich an als er antwortete, „Du hast doch gesehen was passiert ist. Ist das wirklich so unglaubwürdig?"

„Ja?!"

„Okay, dann..." Zögerlich sah David sich in der Runde an. „Wäre es wohl mal Zeit für ne ausführliche Aufklärung... und vielleicht sollten wir auch mal einen Plan entwickeln, damit wir unsere Nachbarn endgültig loswerden."

Molotov lachte. „Tu dir keinen Zwang an."

„Meinen Stamm und die Clans, wie viele es auch sind, gibt es wirklich, Ben", versuchte Luke seinen Freund zu überzeugen. „Nur haben die sich logischerweise mit der Zeit weiterentwickelt und gliedern sich, wenn auch beschränkt, in der Gesellschaft ein. Geht ja nicht anders. Aber die Konflikte, die wir untereinander haben, klären wir eben selbst. Auf unsere Weise. Ich würde es dir gerne beweisen, aber..."

„Aber?", hakte Darryl ungeduldig nach.

Luke sah ihn finster an und zog die Schultern etwas hoch, während er den Blick abwandte. „Ich kann nicht zurück."

„Wieso nicht?"

„Ist nicht wichtig!"

Unmerklich richtete sich Darryl auf. „Ich glaube schon."

„Darryl-"

„Nein!", unterbrach er David. „Wenn jemand zu seinem eigenen Stamm nicht zurückkann, dann hat das einen Grund. Und wenn wir uns mit dir zusammenschließen, dann müssen wir wissen, auf was wir uns da einlassen."

Für einen Moment war alles still. Luke sah Darryl weiterhin eisig an. Doch dieser würde nicht nachgeben. Keiner getraute sich dazwischen zu funken. Manche im Clan würden wahrscheinlich sagen, dass die beiden die Hierarchie klärten, was mich nur noch mehr an ein Wolfsrudel erinnerte. Aber für die zukünftige Zusammenarbeit war das wahrscheinlich wichtig.

„Das ist eine längst vergangene Sache", meinte Luke schließlich bedrohlich.

„Das spielt keine Rolle. Wir müssen einander vertrauen. Also?"

Luke hielt für einen Moment seine Abwehrhaltung aufrecht, gab diese jedoch irgendwann ab und ließ die Schultern hängen. „Sie haben mich verbannt."

Darryl zog sofort die Augenbrauen hoch und ich spürte, wie die Stimmung im Raum kälter wurde. Die anderen mussten es auch spüren. „Weswegen?"

„Das ist-"

„Warum haben sie dich verbannt, Luke?!"

„Weil..." Lukes Stimme nahm einen verdächtig brüchigen Ton an und spätestens als er den Augenkontakt abbrach, wussten wir alle, dass es etwas Schlimmes sein musste.

Doch Darryl schien sich in Lukes Verhalten nur bestätigt. „Du hast jemanden getötet, nicht wahr?"

Luke atmete beinahe schon erleichtert, gleichzeitig aber beschämt aus und ließ den Kopf hängen. Seine blonden Haare hingen nach unten und seine Unterarme, die er auf seinen Oberschenkeln abgestützt hatte, spannten sich merklich an. Es war raus. Er musste nicht länger etwas verstecken, das war für ihn erleichternd.

„Ein Clanmitglied zu töten, wird eigentlich mit dem Tod bestraft", fiel Molotov plötzlich ein und nicht nur David schlug ihn dafür.

„Wäre vielleicht besser gewesen", flüsterte Luke emotionslos und fuhr sich einmal durch seine Haare.

Unerwarteter Weise war es ausgerechnet Jessie, die sich zu ihm setzte und ihre Hand auf seinen Oberschenkel legte. „Red keinen Scheiß, Kleiner. So fertig wie dich das macht, kann es unmöglich Absicht gewesen sein und sei mir nicht böse, aber du siehst nicht wirklich aus wie ein kaltblütiger Killer."

„Wo sie recht hat...", murmelte David.

Doch Darryl ließ sich nicht erweichen. „Wen hast du denn getötet?"

„Darryl-", fing ich tadelnd an, doch Jessie unterbrach mich.

„Siehst du denn nicht, dass er total überbelastet ist?!"

Finster verzog der Schwarzhaarige das Gesicht. „Schluss jetzt mit der Kuschelstunde! Ich will wissen, was passiert ist! Wen hast du getötet, Luke?"

Jessie wollte sich wieder für den Blonden einsetzen, doch Luke schien diesmal selbst keinen Nerv mehr zu haben sich zu widersetzen. „Meinen Bruder." Augenblicklich war es still im Raum. „Er wurde von Ihnen erschossen. Aber wäre ich nicht gewesen, wäre es nie dazu gekommen."

Mein Herz machte beinahe einen kleinen Satz und mitleidig sahen wir alle Luke an. Vor allem Jessie schien die Nähe zu ihm überraschenderweise zu suchen und drückte sich an seine Seite. Als würde eine Berührung ihm Trost spenden. Doch Luke schien es tatsächlich zu gefallen, denn er lehnte sich unmerklich an sie und seufzte einmal leise. Nur Davids Grinsen im Hintergrund machte den innigen Moment zunichte.

„Wenn das stimmt, kann man doch gar nicht von Mord sprechen, eher von Unfall oder unglücklichem Zufall."

„Molotov, das hilft ihm grad nicht", fauchte Jessie.

Ben hingegen war zu einer Salzsäule erstarrt. Er bewegte sich kaum noch und schien auch nicht wirklich Trost für seinen Adoptivbruder übrig zu haben. Stattdessen stand er einfach auf und verließ den Raum. Luke sah ihm nicht einmal hinterher.

„Ich kümmere mich um den Kobold", erklärte David leise und folgte unserem Schulkameraden.

Mein Blick lag derweil auf Luke und Jessie, die immer noch nebeneinander auf dem Sofa saßen. Ich könnte mich zwar täuschen, aber ich meinte einen dezent eifersüchtigen Blick in Molotovs Bernsteinaugen sehen zu können. Sein Verhalten war in letzter Zeit ohnehin komisch, doch könnte es sein, dass er auf-

„Ich glaub wir sollten alle ins Bett gehen", gähnte Darryl plötzlich neben mir. „Jessie, du zeigst Luke, wo er schlafen kann. Morgen reden wir weiter." Langsam stand Darryl auf und streckte sich einmal, ehe er mir die Hand hinhielt. Ich ergriff sie und zusammen liefen wir zur Treppe. Doch kurz bevor wir nach oben liefen, drehte sich Darryl noch einmal um. „Ich weiß zwar nicht, was genau passiert ist, Luke. Und die Sache ist auch noch nicht beendet, aber... wir gehören jetzt zum selben Team, also... gute Nacht."

Damit wandte er sich ab und ging nach oben. Ich schmunzelnd hinterher. Vielleicht hatte Darryl Luke unbewusst doch schon aufgenommen.

In Darryls Zimmer zog ich mich kurz um. Nutzte dabei die Gelegenheit mir ein Shirt von ihm zu klauen und legte mich anschließend unter die Bettdecke. Darryl krabbelte ebenfalls zu mir und ließ für einen Moment seinen Nacken knacken.

„Du weißt schon, dass ich irgendwann gar keine Klamotten mehr hab, oder?"

Ich grinste in die Dunkelheit. „Vielleicht. Wäre er aber nicht sonderlich schlimm."

„Ach so?" Ich spürte, wie er sich plötzlich auf mich rollte und sich rechts und links mit den Armen abstützte. „Dann muss ich mich wohl auch mal bei deinen Sachen bedienen, wenn du dann nackt rumläufst."

Mir entwich ein Lachen. „Du in meinen Sachen? Wie soll das denn aussehen?"

„Bestimmt sexy."

„Ist klar." Seine Lippen verzogen sich zu einem kleinen Lächeln und gedankenverloren zwirbelte er meine Haare in seinen Fingern. „Woran denkst du?", fragte ich leise.

„Egal."

Innerlich verdrehte ich meine Augen. „Darryl..."

„Man..." Genervt ließ er sich nun auf mich sinken und vergrub seinen Kopf in meiner Halsbeuge. „Ich frag mich nur, wie es weitergehen soll. Mit Luke... mit Ihnen."

„Ich glaub ich wüsste da was", murmelte ich und war mir nicht wirklich sicher, ob das eine gute Idee wäre. „Wir könnten meinen Vater um Hilfe bitten. Er hat uns damals dann auch geholfen und wenn er erfährt, dass sie wieder da sind..."

Ich hörte Darryl seufzen. „Kann sein... aber es kann genauso gut sein, dass er mit dem ganzen Mist nichts mehr zu tun haben will."

„Fragen könnten wir dennoch", hielt ich dagegen. „Was meinst du?"

Mürrisch hob er den Kopf und als ich seinen schmollenden Blick sah, wusste ich bereits, dass ich gewonnen hatte. „Na gut", gab er klein bei. „Aber jetzt wird geschlafen", bestimmte er und drückte mir einen Kuss auf die Lippen, den ich nur zu gern erwiderte.

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