XXI

• L U K E •

Mein Gesicht war bestimmt schon ganz rot, da mir das Blut in den Kopf floss, was definitiv nicht angenehm war. Über längere Zeit kopfüber zu hängen war kein Punkt auf meiner To-Do-List und jetzt war mir auch klar, weswegen der Fremde, oder Darryl eben, nicht hier her wollte. Er wusste wahrscheinlich von den Fallen, die sehr unangenehm waren.

„Wieso hast du mich vorhin eigentlich angegriffen?", verlangte ich nun zu wissen.

Es war bereits dunkel und da wir uns ganz offensichtlich nicht befreien konnten und uns hier wahrscheinlich niemand finden würde, beschloss ich nun, ein Gespräch aufzubauen. Immerhin war er mir noch eine Erklärung schuldig! Wer griff immerhin fremde Leute im Wald an?

Böse sah er mich durch seine grünen Augen an. Allerdings konnte ich ihn nicht wirklich ernst nehmen, da er sich immer wieder leicht drehte.

„Na?"

„Du willst ernsthaft mit mir reden?", hielt er ungläubig dagegen.

Ich lachte humorlos auf. „Was willst du sonst tun? Löcher in die Luft starren?", ich hielt kurz inne und sah mich im düsteren Wald um, „Das tun wir nämlich schon und wir werden in naher Zukunft hier wohl auch nicht runterkommen. Also könnten wir uns doch mal kennenlernen."

„Wozu?"

„Einfach so? Du hast mich doch angegriffen! Wieso auch immer", murmelte ich mit knurrendem Unterton. „Also, warum hast du das gemacht?"

Darryl seufzte. „Ich hab dich scheinbar mit jemanden verwechselt", er sah mich lange und intensiv an, so, dass sich beinahe meine Nackenhärchen aufstellten, „So, wie du den Pfeil gehalten hast und wie du dich bewegt hast, lautlos und irgendwie... anders eben. Ich hab gedacht, dass du..."

„Ja?"

„Ich hab gedacht, dass du einer von Ihnen bist."

„Und die sind wer?"

„Kennst du nicht."

Ich schnaubte gestresst. Der Typ war einfach nur anstrengend! Konnte er nicht einmal vernünftig sprechen?! Was sollte ich mit so einer Antwort bitte? Das erklärte rein gar nichts. „Tuts dir denn wenigstens leid?"

„Bei deiner großen Klappe? Nein."

„Hallo?!"

Entgeistert sah ich ihn an. Könnte ich, würde ich ihn anzeigen. Falls das bei sowas ging. Ich kannte mich mit den rechtlichen Dingen nicht so aus, wie denn auch? Eine ordentliche Tracht Prügel würde die Sache aber auch regeln! Nur war ich zugegeben nicht scharf auf einen Kampf mit ihm. Er nervte, war aber gleichzeitig auch furchteinflößend und auf irgendeine Art und Weise hatte ich Respekt vor ihm.

„Was hast du eigentlich im Wald gemacht?"

„Das selbe könnte ich dich fragen."

„Ich hab aber zuerst gefragt", motzte ich und versuchte mich demonstrativ wieder umzudrehen, was durch das blöde Seil aber nicht so einfach war. Stattdessen ruderte ich sinnlos mit den Armen durch die Luft und hoffte insgeheim meinem Gegenüber dabei eine zu verpassen. Doch meine Hoffnungen brachten nichts. Darryl sah mich nur mit hochgezogener Augenbraue an und so langsam glaubte ich, dass das seine einzige Art der Kommunikation war.

„Du bist komisch", meinte er irgendwann.

„Ich?! Du!"

„Wollen wir jetzt weiter streiten?"

„Wer hat denn angefangen?"

Böse sahen wir uns an und ich wurde das Gefühl nicht los, dass mein Hass wegen der Falle sich immer mehr gegen Darryl richtete. Wahrscheinlich hätten wir uns irgendwann noch mit Ästen abgestochen, statt uns gegenseitig zu befreien, doch ein knacksendes Geräusch nicht weit von uns weg, ließ uns aufhorchen.

„Was war das?", traute ich mich leise zu fragen und verfluchte meine aufkeimende und unerwartete Angst.

Der Schwarzhaarige starrte finster in die Richtung des Geräuschs. „Wenn du einfach mal still wärst, würde ich es vielleicht wissen!"

Erwartend sah ich in besagte Richtung. Weitere Geräusche folgten und es war mittlerweile unverkennbar, dass sich jemand näherte. Das konnte natürlich vorteilhaft sein, vielleicht ein möglicher Befreier, oder eben auch ein potentieller Angreifer. Was genau wusste ich auch wenig später nicht als mehrere Gestalten vor uns standen. Die Dunkelheit machte ein Erkennen nicht besonders einfach und kopfüber war das ohnehin nicht so leicht.

„Na sieh mal einer an!", lachte eine der Gestalten und machte einen Schritt auf uns zu.

Darryl neben mir spannte sich sichtlich an und automatisch stempelte ich die Fremden als Feinde ab. Super!

„Der eine ist doch Malcoms Blut!", spottete eine andere Gestalt.

Noch immer standen sie etwas weiter weg im Schatten und mit zusammengekniffenen Augen starrte ich in ihre Richtung. Ich hatte keine Ahnung, wovon sie da sprachen, aber mich meinten sie ja scheinbar nicht.

„Und der ist neu", meinte die erste Stimme und trat langsam auf mich zu.

Doch ein anderer zog sie energisch zurück. „Nein, ist er nicht", fauchte er und bei dem Klang seiner Stimme lief es mir eiskalt den Rücken runter. Die Stimme, die sich mit unglaublichem Schmerz in mein Gedächtnis gebrannt hatte, würde ich wohl überall wiedererkennen. Langsam trat er aus der Dunkelheit näher an uns herum und ich konnte sofort seine Kapuze und den dunklen Umhang erkennen.

Wie war das möglich?! Er war doch tot! Zain hatte ihn erschossen!

Er zog sich die Kapuze vom Kopf und beim Anblick seines Gesichts hätte ich kotzen können. Doch beim näheren Hinsehen wurde mir klar, dass er nicht Kodis Mörder war. Wer auch immer er war, es war nicht der Mann von der Schlucht. Vielleicht sein Bruder? Schließlich sahen sie sich unglaublich ähnlich.

„Wir hatten schon mal das Vergnügen miteinander, hm?" Grinsend drehte er mein Kinn von einer Richtung in die andere. Wütend biss ich die Zähne zusammen und riss meinen Kopf aus seiner Hand, was ihm nur zum Lachen brachte. Dieser dreckige Kapuzenträger! Wieder wollte er mich anfassen, da spuckte ich ihm einfach ins Gesicht und fluchend machte er einen Schritt zurück. „Genauso dumm wie beim letzten Mal!", schimpfte er und wischte sich übers Gesicht.

„Du kennst ihn?", fragte einer seiner Begleiter und musterte mich kritisch.

Er nickte. „Ja, hätte ihn zu gern erschossen. Hatte nur keine Waffe dabei und konnte nur zusehen. Aber unsere Begleiter haben sich auch so gegenseitig getötet, nicht wahr?"

„Begleiter?!", fauchte ich sauer. „Er war mein Bruder und konnte rein gar nichts dafür!"

„Mir doch egal. Mein Bruder starb auch an dem Tag. Das spielt keine Rolle. Du müsstest das doch als Geschöpf des Waldes ebenfalls wissen. Einer büßt für den anderen. So ist das Gesetz und ihr habt die Grenze nicht respektiert", entgegnete er völlig gleichgültig und während ich ihn noch mit meinen Blicken tötete, bemerkte ich Darryls Blick auf mir gar nicht. Mein Gegenüber sah wieder zu seinen Begleitern. „Wir sollten sie töten, oder zumindest ihn", verachtend sah er mich an, „Bringen beide nichts als Unglück."

Bestätigend nickten sie und ich konnte gar nicht so schnell schauen, da wurde uns auch schon ein Tuch auf Mund und Nase gedrückt.

Ich konnte kaum etwas erkennen. Das Tuch vor meinem Gesicht, die Dunkelheit und der dichte Wald. Zudem der beißende Gestank des Tuchs. Meine Sinne wurden zunehmend schwächer und ein Gefühl der absoluten Hilfslosigkeit machte sich in mir breit. Zappelnd versuchte ich mich zu befreien, nur ohne Erfolg. Eine Ohnmacht konnte ich jetzt nicht gebrauchen!

Doch der fremde Stamm sah das scheinbar genauso, denn kurz bevor wir völlig wegdämmerten, wurde das Tuch entfernt.

Unscharf sah ich unsere Gegenüber an, blinzelte oft, doch ich hätte genauso gut blind sein können. Ich fühlte mich taub. Mein Körper schwer und doch so leicht. Alles betäubt. Das Ziehen an meinen Beinen wurde weniger und ein entferntes Geräusch bestätigte mir, dass das Seil durchgeschnitten wurde. Einer der Männer fing mich auf und warf mich über seine Schulter. Von da an bekam ich kaum etwas mit.

Der Weg durch den Wald war endlos und als ich das Plätschern von Wasser hörte, machte mein Herz einen beinahe unmöglichen Satz. Sie würden doch nicht-

Eisiges Wasser umspülte plötzlich meinen Körper und ich riss meine Augen auf. Und wie sie das tun würden! Ertränken wäre wohl die einfachste Methode. Geschwächt von irgendeinem Mittel mitten im Wald ersoffen. Was für ein geiler Todesgrund. Sie mussten nicht viel tun. Würde man uns finden, gab es dafür eine einfache Erklärung. Zwei junge Erwachsene hatten etwas genommen und anschließend nicht die Kraft dem Zug des Wassers zu trotzen.

Ich hörte irgendwo entfernt Darryls Stimme. Doch all das entfernte sich immer mehr und als der Mond über der Wasseroberfläche erschien, wusste ich, dass es wohl keine Rettung gab.

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