XVIII

L U K E

Genervt verschwand ich hinter der Ecke und blieb anschließend stehen. Bens Freunde waren da. Ihre lauten Stimmen hallten durchs ganze Haus und waren teils verantwortlich für meine Anspannung.

Fremde Menschen waren eben nicht mein Ding.

Wenn es nach Ida ging, dann sollte Ben mich seinen Freunden vorstellen und mir beim Integrieren helfen. Das hatte er auch versucht. Erfolglos wie man sah. Ich hatte mich von Anfang an gesträubt und auch Bens Freunde waren nicht bereit, mich bei sich aufzunehmen. Wir passten einfach nicht zusammen.

Und das hatten alle ziemlich schnell begriffen und auch akzeptiert. Außer Ida. Als Bens Mutter sah sie es wohl als ihre Aufgabe an, mich zu unterstützen.

Natürlich war ich ihr in vielerlei Hinsicht unglaublich dankbar. Sie hatte mich aufgenommen und behandelte mich wie einen Sohn. Aber mit meinen 17 Jahren war ich schon alt genug, um alleine Entscheidungen zu treffen und für diese Verantwortung zu übernehmen. Und wenn ich halt Bens Freunde nicht in meinem Leben brauchte, dann war das meine Sache. Außerdem wusste ich auch gar nicht, worüber ich mit solchen Menschen sprechen sollte. Von mir konnte ich ja fast nichts erzählen und die meisten Dinge, die ihre Gespräche ausfüllten, verstand ich einfach nicht. 

Missmutig lief ich in den großen Flur und sah mich kurz um. Hier war zum Glück niemand. Nur ich. Und mein Freund die Stille.

Was sollte ich jetzt machen? Ins Bens Zimmer, welches ich mir noch immer mit ihm teilte, konnte ich nicht, dort würden sie nachher vielleicht hingehen. Außerdem brauchte ich eine langfristige Lösung, denn das Treffen würde bestimmt bis heute Abend gehen.

Plötzlich klingelte es an der Tür und ich zuckte heftig zusammen. An das Geräusch, welches es bei mir Zuhause nicht gab, würde ich mich wohl nie gewöhnen.

„Luke, kannst du mal aufmachen?", rief Ben aus dem Wohnzimmer und genervt bejahte ich dies.

Wenn jemand klingelte, dann bedeutete dies eigentlich immer, dass eine fremde Person ins Haus wollte. Denn alle, die reindurften, hatten einen Schlüssel. Naja, außer ich, aber ich brauchte auch nicht unbedingt einen.

Irgendeine fremde Person stand also vor der Tür. Woher wollte Ben wissen, wer das war? Was, wenn es eine feindlich gestimmte Person war, die uns schaden wollte? Oder-

Es klingelte wieder.

„Luke?!", schrie mein Mitbewohner nochmal und mein Blick glitt feindselig zur Tür.

Dann würde ich mich halt drum kümmern müssen. Mit gestrafften Schultern und leicht zusammengekniffenen Augen, machte ich die wenigen Schritte zur imposanten Haustür und öffnete sie. Ich war schon bereit, mich und das Haus zu verteidigen, als mein Blick zu der Person vor mir ging.

Ein Mädchen. Oder besser gesagt, ein Mädchen mit definitiv zu freizügigen Kleidern, unglaublich langen Krallen und zu viel Farbe im Gesicht.

Aber so viel war doch nicht gesund? Bei uns im Stamm bemalten sich die Frauen jedenfalls nur zu besonderen Anlässen. Und das hier war doch nichts Besonderes. Ich legte den Kopf schief und musterte sie weiter. Ihre Haare waren höchstwahrscheinlich gefärbt, weil blaue Haare hatte ich noch nie gesehen. Nur in Bens Handy.

„Was schaust du so?", wollte sie knurrend wissen und ihr kalter Blick sorgte wieder dafür, dass ich meine Mission, das Haus zu beschützen, aufnahm.

Ich verschränkte die Arme vor der Brust. „Was willst du hier? Und wer bist du?"

„Was geht dich das an?"

„Ziemlich viel, immerhin wohne ich hier", murrte ich. Kurz sah sie mich perplex an, ehe sie sich einfach an mir vorbei ins Haus drängelte und nach Ben rief. Genervt packte ich sie von hinten und drückte sie an die gegenüberliegende Wand im Flur. Erschrocken kreischte sie auf und ich verzog das Gesicht. Echt ein nervtötender Eindringling.

Ich hörte Schritte hinter mir und ohne mich umzudrehen, wusste ich schon, dass Ben hinter mir stand. „Luke! Lass sie los, man."

„Aber sie-", fing ich an, doch die Fremde unterbrach mich.

„Ben, dein bescheuerter Türsteher gehört doch in die Klapse!", schrie sie und wand sich weiter in meinem Griff.

Ben seufzte und ich legte den Kopf schief. Klapse war scheinbar doch nichts Positives. Auch, wenn ich das immer gedacht hatte. Ida hatte das am Frühstückstisch mal zu Ben gesagt und als dieser daraufhin nichts erwidert hatte, hatte ich mir meinen Teil halt dabei gedacht.

Der Braunhaarige kam auf mich zu und zog mich an der Schulter leicht nach hinten. „Luke, das ist Lea. Lea, das ist Luke, mein...", Ben sah mich nachdenklich an, „Mein Mitbewohner oder Adoptivbruder, such es dir aus."

Das Mädchen schnaubte nur, richtete ihre Klamotten und entfernte sich schnell von mir. „Der ist doch geisteskrank!"

„Ich bin kerngesund, bei dir bin ich mir da aber nicht so sicher", widersprach ich und deutete auf ihr, meiner Meinung nach, räudiges Aussehen.

Sie wollte etwas Bissiges erwidern, doch Ben stellte sich schnell zwischen uns. „Das reicht jetzt", stellte er klar. Warf mir einen bedeutenden Blick zu und nahm Lea mit ins Wohnzimmer zu seinen Freunden. Dabei murmelte er nur noch etwas, was sich wie lebende Alarmanlage und übervorsichtiges Verhalten anhörte.

Als sie außer Sichtweite waren, stieß ich frustriert die Luft aus. Das war einfach nicht meine Welt. Zu vieles war neu und unbekannt für mich. Wenige Wochen reichten da nicht zum aufarbeiten! Immer wieder machte ich etwas falsch, missverstand etwas oder brachte dadurch Ben in eine unangenehme Situation.

Wie gern wäre ich nur wieder Zuhause? Würde Zain wieder sehen? Trotz der Verbannung.

Das war einer der Momente, in denen ich schrecklich Heimweh hatte und mich so einsam wie noch nie fühlte. Ida und Ben halfen mir wo sie konnte. Aber das reichte nicht. Ich redete mir also wie immer ein, dass ich noch Zeit brauchte und ignorierte die Tatsache, dass ich niemals zurückkonnte und fokussierte mich auf mein Leben hier.

So schluckte ich den Klos in meinem Hals runter und drehte mich wieder um, um die Haustür zu schließen, die ich aufgelassen hatte.

Doch meine Aufmerksamkeit wurde von dem Wald, der hinter den anderen Häusern verborgen lag, anzogen. Bisher hatte ich mich nicht getraut, mal die Naturreiche Umgebung zu erkunden, meine Rippen hatten dies auch nicht zugelassen, doch jetzt hatte ich die Chance dazu.

Mit einem letzten zweifelnden Blick ins Haus, stand mein Entschluss fest. Eine kleine Erkundung würde nicht schaden, mich auf andere Gedanken bringen und von Bens Freunden ablenken.

Es war schon beinahe befreiend als ich den luxuriösen Garten hinter mich gelassen hatte, die Straße überquert und den Wald betreten hatte.

Das Grün der Bäume war nicht mehr wirklich da. Es war ja schon Herbst, aber die bunten Blätter auf dem Boden und die dichten Nadelbäume gaben mir ein wohltuendes heimatliches Gefühl. Auch, wenn es nicht mein Wald war. Der Wald hier war dunkler und dichter. Seine mysteriöse Aura unterschied ihn von dem Wald, in dem ich aufgewachsen war. Und dennoch gefiel es mir.

Nur scheinbar etwas zu gut, denn ich lief immer weiter hinein und irgendwann hatte ich das Gefühl, als würde mich jemand verfolgen. Mein ständiges Umsehen machte dies nicht besser, aber ich konnte niemanden sehen.

Wie spät es war, wusste ich schon lange nicht mehr. Die Orientierung hatte ich aber zum Glück noch. So schnell konnte ich mich in einem Wald nicht verlaufen.

Mein ungutes Gefühl wurde aber schließlich bestätigt, als ich einen Pfeil im Baum stecken sah. Wie altmodisch war das denn? Benutzten Jäger nicht modernere Waffen?

Schulterzuckend zog ich ihn aus dem Baum und drehte ihn in meiner Hand hin und her. Der steckte wohl schon ziemlich lange da drinnen. Er war abgenutzt und das Holz war alt. Solche ähnlichen hatten wir immer beim Training benutzt. Töten konnte man damit kaum jemanden, aber Schmerzen konnte dieser verursachen. Das wusste ich nur zu gut.

Aber wenn hier jemand mit Pfeilen im Wald trainierte, dann hieß das ja, dass ich nicht der Einzige hier war.

Ich wollte den Pfeil gerade achtlos wegwerfen und mich lieber vom Acker machen, da knackste es hinter mir und erschrocken drehte ich mich um. Doch da war niemand. Vielleicht ein Tier? Mein schneller schlagendes Herz ignorierte ich und konzentrierte mich auf meine Umgebung.

Solche Situationen hatte ich im Training schon oft gehabt. Das war nichts Neues. Nur war das hier kein Training.

Eine Weile lang hörte ich nichts und wollte mich schon wieder entspannen, da knackste es wieder. Diesmal von der anderen Seite. Und noch bevor ich mich dem Geräusch zuwenden konnte, wurde ich gegen den Baum gedrückt, indem der Pfeil gesteckt hatte.

*****

Hey liebe Leser! Ich wollte mich auch nochmal bei jedem von euch, fürs Lesen, Voten und Kommentieren bedanken. Das motiviert echt beim Weiterschreiben❣️

Was denkt ihr, wer der Angreifer ist? 💗

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