22. Kapitel

Als ich meine Augen wieder aufschlage befinde ich mich nicht mehr in Jofans Armen. Ich muss wohl in seinen Armen eingeschlafen sein, denn ich habe keinerlei Erinnerung daran was danach passiert ist oder wie ich hier her gelangt bin. Also habe ich wahrscheinlich geschlafen. Ein mulmiges Gefühl breitet sich in meinem Magen aus bei dem Gedanken daran das er mich wahrscheinlich schlafend hier her getragen hat. Was wenn er es gar nicht war, sondern irgendeine Wache?

Schnell verdränge ich diese Gedanken, die führen nämlich zu rein gar nichts, und verschaffe mir erstmal ein Bild der Lage. Ich liege in einem großen Bett, mit den weichesten Kissen, auf denen ich jemals gelegen habe, eingekuschelt in eine Decke überzogen von weißem angenehm duftenden Baumwollstoff.

Ich setze mich etwas auf und sehe mich um, denn das hier ist definitiv nicht mein Bett. An dieses herrlich vanillig duftende Waschmittel und diese weiche Matratze würde ich mich erinnern. Seit wann hat der Palast ein solch gutriechendes Reinigungsmittel? In meinen Schichten im Waschraum habe ich so eines nie gesehen, gibt es etwa einen geheimen Vorrat? Ein Grinsen lässt sich bei dem Gedanken daran, das der Palast vielleicht super krasses vanille Waschmittel versteckt nicht vermeiden.

Ich kann wirklich nicht sagen wo ich mich hier befinde, es ist nämlich weder mein Zimmer, noch der Salon, noch Jofans Zimmer, noch sonst irgendein Zimmer das ich kenne. Es ähnelt zwar ein bisschen den Zimmern der Offiziersfrauen oder adligen, weiblichen Gäste, was ich daher weiß das ich schon ungefähr jeden Raum hier geputzt habe, allerdings hat dieses Zimmer hier noch ein bisschen mehr Luxus als die eben genannten. Also wo bin ich? Und noch wohl eher die Frage, was mache ich in einem solchen Zimmer? Wie kann es sein das ich dieses Gemach nicht kenne?

Ich liege in einem weißen Himmelbett mit einem verschnörkeltem Holzgestell, neben mir zwei kleine Nachttische die von kleinen weißen Lampen und jeweils einer weinroten Rose in einer kristallenen Vase geziert werden. Einige Schritte links von mir ist ein großer Kleiderschrank, welcher die selben schönen Schnitzereien aufweist wie der Traum von Bett, in dem ich mich gerade aufhalte. Daneben steht ein kleines Regal, in welchem ich mehrere alte Bucheinbände entdecken kann. Was sich wohl für Geschichten hinter ihnen verbergen?

Ich habe schon so ewig keines mehr zum lesen in der Hand gehabt, zwar zum entstauben, aber das zähle ich mal nicht mit. Also egal wie bekannt die Titel der Bücher auch sein mögen, wenn überhaupt erkenne ich sie nur aus Aroons Sammlung wieder. Jedoch muss ich sagen das ich an Aroons Bücherregal nur noch wenige Erinnerungen habe. Leider sind diese Einbände hier schon so alt und abgenutzt das ich von dieser Entfernung nur schwer ein paar Buchstaben erkennen kann. Ich werde sie mir später aufjedenfall etwas genauer anschauen! Vielleicht sind ja wirklich ein paar identische Stücke zu denen von Aroon dabei. Es war früher für mich immer eine Verlockung gewesen mir mal eins aus Aroons Bibliothek zu nehmen, aber selbst ich war nicht so töricht gewesen etwas so dummes zu tun, denn er liebte seine Bücher und wurde man mit einem gestohlenen Gegenstand, auch wenn es nur ein Buch ist, erwischt wäre darauf die Todesstrafe. Wer will schon einen Dieb in seinem Haus? Jetzt aber scheine ich ja die Chance zu haben mal ein Buch zu lesen. Dieser Gedanke zaubert mir ein schwaches Lächeln auf die Lippen.

Ich schiebe die Gedanken an meinen vergangenen Herr zur Seite und inspiziere den Raum weiter. Zu meiner rechten befindet sich ein großes Fenster unter dem eine kleine Sitzecke aus Kissen und Decken eingerichtet ist. Sie sieht wirklich sehr bequem aus, der perfekte Platz um eines dieser Bücher zu lesen!
Ich lasse meinen Blick weiter schweifen und bemerke zwei Türen und ein großes Gemälde, an dem mein Augenmerk erstmal hängenbleibt. Das in gold gerahmte Ölgemälde zeigt ein kleines Landhaus mit Strohdach in mitten von goldgelben Weizenfeldern, im Hintergrund die aufgehende Sonne und der unendliche Horizont. Es sieht so friedlich, so still und so frei aus, einfach wunderschön. Da ist nur dieses Haus umgeben von friedlicher Schönheit. Augenblicklich wünsche ich mir nun dort zu sein. Wie viel ich dafür jetzt geben würde... Ob der Künstler wohl dort war und einfach das Bild das sich ihm bot festgehalten hat, oder er es einfach rein mit seiner Vorstellungskraft erzeugt hat? Eine interessante Frage, aber wie kann man sich denn eine solche Schönheit in so einer Präzesion nur vorstellen?

Nach kurzer Betrachtung jedoch reiße ich mich von dem wundervollen Anblick los und beende damit meine Analyse der Innenausstattung. Ich schäle mich mühsam aus dem Bett, es wird Zeit sich mal ein genaueres Bild der Sachlage zu machen. Ich trage ein kurzes Schlafkleid aus zart rosanem Satin mit einigen Spitzendetails. Nach kurzer Bewunderung des edlen Kleidungsstücks kehrt aber wieder das mulmige Gefühl zurück. Irgendjemand muss mich ungezogen haben, und weder die Vorstellung das ein fremder Wachmann mich ausgezogen hat noch das es Jofan war machen es besser. Eine Gänsehaut überzieht mich, ich hoffe einfach das Kleid hat sich von selbst hinfort bewegt... Ich schüttele auch diese Gedanken ab, darum kümmere ich mich später.

Ich gehe Richtung der ersten Tür, welche sich genau gegenüber des Bettes befindet, verschlossen, ich vermute mal das sie zu den Korridoren führt. Das würde zumindest erklären warum sie abgeschlossen ist.
Hinter der zweiten Tür verbirgt sich ein kleines Badezimmer, eingerichtet mit einer Badewanne, einer kleinen Kommode, einem Waschbecken darüber ein großer beleuchteter Spiegel und einem kleinen Fenster, welches kühles Tageslicht in den Raum wirft. Der Anblick der Badewanne lässt mein Herz einen kleinen Satz machen, ich war schon so lange nicht mehr baden!

Ich springe förmlich zum Kleiderschrank und erschaffe mir kurz einen Überblick über seinen Inhalt, es wundert mich schon längst nicht mehr das alles was sich in ihm befindet meiner Größe entspricht, denn das ist mir ja schon bekannt. Ich fische mir wahllos irgendwelche Klamotten heraus und gehe dann zurück ins Badezimmer. Ich trete zur Badewanne und drehe das Wasser voll auf. Während sie sich langsam und mit einem beruhigend plätscherndem Geräusch füllt suche ich mir in der Kommode einen passenden Badezusatz heraus.
Letztendlich entscheide ich mich für ein Lavendel-Zitronen Salz, welches ich in großzügiger Menge in mein Badewasser gebe. Sofort füllt sich der Raum mit betörend gutriechendem Dampf und das Wasser färbt sich in einen zarten lavender Ton. Sobald der bitter süße Duft in meine Nase kommt ist es als wären alle Gedanken wie weg gefegt und alle meine Sorgen, meine Zweifel und Ängste fallen wie eine Hülle von mir ab.
Ich steige in die Wanne und lasse mich vom warmen Wasser und dem Lavendelzitrusduft betören. Ich schließe die Augen, schalte den Kopf aus und horche einfach in die Stille.

Ich trockne mir die Haare schnell mit einem Handtuch und lasse das Wasser ab. Ich habe sicher weit mehr als eine Stunde in der Badewanne verbracht und dies zeigt sich nun an meiner schrumpeligen Oma Haut an Händen und Füßen. So entspannt wie heute war ich schon Ewigkeiten nicht mehr, und für den Moment muss und will ich das alles auch gar nicht Hinterfragen, ich will es einfach genießen solange es andauert.

Nach dem anziehen, ich habe mich im übrigen für ein bequemes zart gelbes Sommerkleid entschieden, das kurz vor den Knien endet und einen wundervollen Rückenausschnitt aufweist, schlendere ich zum Bücherregal. Ich lasse meine Finger über die alten Einbände streichen bis ich an einem smaragdgrünen mit goldenen Verzierungen hängenbleibe. Ich ziehe es rasch heraus und versuche mit Mühe die teilweise schon abgekratzten Buchtstaben des Titels zu entziffern. Es stellt sich als eine der ersten Fassungen von Goethes "Die Leiden des jungen Werthers" heraus. Von Goethe hatte auch Aroon eine sehr große Sammlung, weshalb ich es für eine interessante Idee halte dieses Buch zu lesen.

Ich bin ehrlich, ich habe keine Ahnung von Literatur oder Geschichte, wie auch? Seit ich ein kleines Kind bin habe ich die Schule nicht mehr besucht und hatte nie die Möglichkeit mich weiter zu bilden, als Sklave ohne Eigentum und Freizeit auch ein Ding der Unmöglichkeit. Vielleicht ist das auch der Grund wieso ich so angetan davon bin eines dieser alten Bücher zu lesen. Zwar kann ich lesen und auch schreiben, ebenso beherrsche ich einige Grundthemen der Mathematik, aber damit ist es dann auch gewesen. Ich schäme mich irgendwie, kaum etwas über die Welt zu wissen, allerdings macht es mich ebenso sehr traurig, gerne hätte ich die Erfahrung gemacht wie es ist auf eine Highschool zu gehen oder überhaupt etwas normales zu tun und etwas zu lernen. Doch zusätzlich zürnt es meine Wut auf diese Monster. Was mich wieder zu dem Punkt bringt, das ich mit meiner Rache immernoch kein Stück weiter gekommen bin, ich scheine mich statt vorwärts nur rückwärts zu bewegen.

Mit dem Buch in der Hand lasse ich mich unter dem Fenster in die Kissen nieder und betrachte kurz gedankenverloren die Landschaft die sich vor mir erstreckt: Etliche Quadratkilometer Wald und ab und zu kann man die Spitzen von ein paar Häusern und sogar ganz weit in der Ferne Städten sehen. Ich wäre jetzt gerne da draußen. Wie lange ist es jetzt bloß schon her seit ich das letzte mal frische Luft auf meiner Haut gespürt habe? Oder Gras und Erde unter meinen Füßen? Wann habe ich das letzte mal Regentropfen aus der Nähe sehen können oder der Sonne ungeschützt entgegen schauen können? Ich bemerke gar nicht wie ich anfange zu weinen, bis meine Sicht verschwimmt. Ich habe mich jetzt so viel mit meinen Problemen herumgeschlagen, das ich völlig vergessen habe, wieso ich überhaupt hier bin um mich zu rächen. Ich vermisse es einfach nur frei zu sein.

Die Nachmittagssonne legt sich wie ein Schleier über meine Haut als ich mich letztendlich voll und ganz der tragischen Liebe von Werther und Lotte hingebe.

Als ich auch die letzte Seite beende ist die Sonne schon fast untergegangen und taucht das Zimmer und seine Ausstattung in einen dunkel violetten Schimmer. Ich lege das Buch neben mich auf die Decken und lasse meinen Kopf zurück in die Kissen fallen. Das Buch war wirklich wundervoll und ein paar Tränen konnte ich mir nicht verkneifen, kein Wunder das Aroon eine so große Sammlung von Goethes Werken besitzt, dieser Mann ist einfach atemberaubend. Er hat es geschafft mich komplett aus meiner Welt zu entführen, und mich für einige kurze Momente wie ein ganz normales Mädchen zu fühlen.

Zwar habe ich es einigermaßen geschafft mich den ganzen Tag vor meinem Kopf zu verstecken, allerdings kommt dafür nun doppelt so viel hoch. Die eben noch so mühsam getrockneten Tränen scheinen wieder an die Oberfläche zu kommen, jetzt wo nichts mehr zwischen mir und meinen Gedanken liegt, keine Ablenkung mehr.
Ich bin verzweifelt, keine Frage. Ich habe das Gefühl das alles was ich tue dazu verdammt ist an die Wand zu fahren und mich Kilometer zurück wirft. Ich weiß nicht was das mit mir und Noah ist, noch weiß ich was mit mir und Jofan ist. Bei dem Gedanken an den letzten Abend zieht sich etwas in mir zusammen, ich hätte ihm nicht zuhören sollen, mich nicht von ihm trösten lassen sollen, aber ebenso wenig hätte ich Noah küssen sollen. Ich weiß nicht wann es passiert ist, aber ich weiß das es das ist: Ich habe die Kontrolle verloren. Jedoch stellt sich mir jetzt die Frage, wie habe ich es nicht merken können und was hat meinen völligen Kontrollverlust ausgelöst? War es Noah? War es Jofan? War ich es selbst oder meine Handlungen? War es dieser Junge im Waschraum?
Was es auch war, ich muss etwas dagegen tun. Denn ohne Kontrolle besitze ich gar nichts mehr. Keine Hoffnung, keine Freiheit. Doch wie komme ich wieder an den Punkt an dem ich angefangen habe? Unschuldig, bereit alles dafür zu tun um zu gewinnen, entschlossen, furchtlos.
Wie bekomme ich all das wieder? Wie kriege ich die Kontrolle zurück?

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Mal heute ein entspanntes Kapitel, ohne viel Action oder Liebe, einfach nur ein Tag in Catalinas völlig aus den Fugen geratenem Leben. Ich hoffe es hat euch gefallen❤

Wie immer kommentieren und Voten mehr als erwünscht!^^

Vergesst nicht euren Favoriten in die Kommentare zu schreiben, #Nolina #Jolina

Ich wünsche euch allen einen wunderschönen Donnerstag meine süßen ♡♡♡

Bella :*

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