Kapitel 1 - Rote Kleider und Lampions

Einige Wochen zuvor...

"Naaa, ist da jemand verliebt?"

Die Stimme ihrer Freundin riss June aus den Gedanken. Blinzelnd richtete sich ihr Blick auf den Boden und sie spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg.

"Was? Wieso denkst du das denn?", entgegnete June schnell.

"Hallo? Das ist doch nicht zu übersehen!" Deine Augen kleben förmlich an ihm. Und diese Röte in deinem Gesicht sagt doch wohl alles!"

Prompt lief das Zimmermädchen noch ein Stückchen röter an. Man hätte sie leicht mit Prinz Thors rotem Umhang verwechseln können. Junes Hand griff nach ein paar Strähnen ihrer kurzen, kastanienbraunen Haare, die sie dann vor ihr Gesicht fallen ließ.

"Du kannst dich nicht vor mir verstecken. Ich weiß genau, was du über unseren Prinzen denkst. Für dich ist er der Stern im Dunkelgrau des Alltags. Der Samaragd, der dich zum leuchten bringt. Der-"

Der Kissenbezug, den June hatte aufhängen wollen, landete im Gesicht ihrer besten Freundin.
"Schhht, jetzt sprich doch nicht so laut!", zischte June, konnte sich ein Grinsen jedoch nicht verkneifen.

Tilda hob nur beschwichtigend die Hände. An ihren zusammengepressten Lippen sah das Zimmermädchen, dass es ihrer Freundin schwer fiel, einen weiteren Kommentar zu unterdrücken. Unbehelligt setzte June ihre Arbeit fort. Aber Tilda hatte Recht. June hatte schon seit längerer Zeit ein Auge auf Loki geworfen. Na gut, zwei, doch es würde wohl immer nur bei Blicken und Träumen bleiben.

"Jetzt guck nicht so, als hättest du einen Dunkelelfen gesehen. Die Hoffnung stirbt zuletzt!", versuchte Tilda das Zmmermädchen aufzumuntern. June warf ihr nur einen hoffnungslosen Blick zu.

"Du weißt, dass ich bei ihm erst eine Chance haben werde, wenn wir die einzigen Personen in diesem Universum sind. Ich meine, er ist der Prinz Asgards!", stellte June klar und befestigte ein Bettlaken ander Wäscheleine. Das Stück Stoff sah aus wie sie sich fühlte: Schlaff und trist.

Tilda schüttelte unbeeindruckt ein weiteres Laken aus, bevor sie es über die Leine warf. "Man braucht nur die richtigen Kontakte!"

"Gute Idee, ich gehe einfach zu Odin und bitte ihn, dass er mich seinem Sohn vorstellt." June verdrehte die Augen Für sie war die Lage absolut aussichtslos und doch konnte sie nicht anders, als einen kurzen Blick auf Lokis gut gebauten Rücken zu werfen.

"Ich hätte eher an heute Abend gedacht."

June stockte mitten in der Bewegung und drehte den Kopf schnell zu ihr um. "Was meinst du? Soll ich etwa an seine Tür klopfen und mich ihm anbieten?"

Jetzt war es an Tilda, die Augen zu verdrehen. Mit einem Seufzer hob sie den leeren Wäschekorb auf und wandte sich zum gehen. Hastig warf June den letzten Kissenbezug über die Leine, nahm ebenfalls ihren Korb und eilte Tilda hinterher.

"Da, siehst du die Lampions?", fragte Tilda.

"Ja?", meinte June mit gerunzelter Stirn, "Was soll damit sein?"

"Heute Abend wird es ein Fest zu Gedenken an Ostara die Frühlingsgöttin geben, worüber schon seit mehreren Wochen die Rede ist. Du liebesblindes Huhn hast natürlich nur Augen für deinen Prinzen."

June konnte nur verlegen lächeln. Stimmt, da war etwas gewesen. Mit langen Schritten eilte sie ihrer kleineren Freundin nach, die wieder vorausgegangen war.

"Und wie ist dein Plan?", wollte June wissen, ihre Herz pochte wild gegen ihre Brust.

"Mein Plan? Solltest du dir nicht selber Gedanken darüber machen, wie du deinen Angebetenen an die Angel bekommst?" Sie sah June vielsagend an. Diese warf ihr jedoch nur einen bittenden Blick zu. Mit einem weiteren Seufzer erbarmte sich Tilda: "Wir schmuggeln dich unter die Diener, dann kannst du ihm heute Abend leckeres Essen servieren und schöne Augen machen."

"Und dann? Er wird doch wohl kaum auf eine einfache Dienerin achten!"

"Das sehen wir dann, doch zuerst müssen wir dir die passende Kleidung besorgen und dich etwas aufhübschen."

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Tilda tauschte Junes weißes Dienstkleid, das vor lauter Asche aus dem Küchenofen grau geworden war, gegen das Dunkelrot der Diener. Die junge Frau fragte sich schon, wie lange Tilda noch an ihren Haaren werkelte, doch als sie schließlich in den Spiegel sah, erkannte sie sich kaum selbst wieder.

Ihre sonst verstrubbelten Haare waren in einer aufwendigen Flechtfrisur gebändigt worden. June hatte keine Ahnung, wie Tilda das bei ihrer kurzen Haarlänge geschafft hatte. Ihre Wangen hatten einen rosigen Schimmer, ihre Lippen leuchteten in einem satten Rot, das perfekt zu dem Kleid der Diener passte.

"Was findest du eigentlich an ihm?", unterbrach Tilda June aus ihrer Betrachtung.
"Wie? Von wem?"
Tilda schüttelte verzweifelt den Kopf: "An Loki natürlich! Wer sonst?"

"Na, er sieht verdammt heiß aus", entgegnete June, als wäre es das Selbstverständlichste von Asgard.
"Und da lässt du einfach außer Acht, dass er manchmal echt ein Dreckskerl sein kann", murmelte Tilda und brachte sich noch früh genug vor Junes Schlägen ins Sicherheit.

"Er ist gar kein Dreckskerl, wieso denkst du das?", meinte June beleidigt und verschränkte die Arme. Tilda war nur voreingenommen, weil sie einmal durch einen Streich von Loki Thors Zimmer von Eselkötteln hatte befreien müssen.
Tilda guckte sie nur bedeutungsschwanger an.

"Jaja ich erinnere mich an die Eselköttelgeschichte, aber das war nur einmal!", verteidigte June ihn.
"Und was ist mit seinen anderen Streichen? Hast du etwa ganz vergessen, wie er einem armen Zimmermädchen einen riesen Schrecken eingejagt hat, als er sich in eine Schlange verwandelt hat?"
June versuchte krampfhaft, ihr Schmunzeln zu verbergen. Tilda sah es natürlich trotzdem.

"Das ist nicht lustig!"
"Doch das ist es!"
"Okay, vielleicht etwas. Aber du weißt, was ich meine! Ich halte Loki für keinen guten Umgang", erklärte ihre beste Freundin. Sie hört sich ja fast an wie meine Mutter!, dachte June bei sich, doch sprach es nicht laut aus. Das hätte ihr widerum einen Schlag auf den Oberarm von Tilda eingebracht. Tildas Schläge waren hart.

Stattdessen fragte June kokett: "Wen hälst du denn für einen guten Umgang?"
Tildas Ohren verfärbten sich augenblicklich leuchtend rot und ein Lächeln sprang auf ihre Lippen, bevor sie es hätte verbergen können. June musste lachen.
"Verschweigt mir da jemand etwas?"
Tilda schoss ihr nur einen genervten Blick zu. "Ist ja gut. Ich meine nur, Prinz Thor sieht nicht schlecht aus" murmelte sie und knetete verlegen ihre Finger.
"Nicht schlecht? Er ist nach Loki der bestaussehenste Mann in Asgard!"
"Hmmm. Eigentlich ist er der Bestaussehenste", erwiderte Tilda, nun nicht mehr ganz so verlegen.
"Nach Loki. Und außerdem: Thor ist auch nicht immer nur ein Goldjunge! Ich meine, sein Auftreten zeugt nicht gerade von Bescheidenheit", fügte June hinzu.

Tilda schien, als wollte sie wiedersprechen. Sie klappte ihren Mund auf und zu, bevor sie sich anders entschied und nach einem schlichten, flachen Karton griff. Mit flinken Fingern klappte sie den Deckel auf und holte eine Maske zum Vorschein. June sah nur stirnrunzelnd auf die filigrane, rötlich schimmernde Maske, die aus hunderten winziger Drähten zusammengeflochten schien.

"Die Feier ist doch wohl kein Maskenball?", wollte sie wissen, "Wie soll Loki auf mich aufmerksam werden, wenn er mich nicht mal richtig sehen kann?"
"Dann muss er sich eben in deine Augen verlieben. Wäre eh besser wenn er dich nicht wirklich sieht", kicherte Tilda und trat vorsichtshalber einen Schritt von June zurück.
"Was soll das denn heißen?", empörte diese sich schmunzelnd und versuchte mit einem glücklicherweise leeren Nadelkissen nach ihr zu werfen.
"Nichts, nichts", meinte Tilda nur und stellte sich mit einer Unschuldsmine hinter June, um ihr die Maske um den Kopf zu binden.

Als June wieder in den Spiegel blickte, musste sie insgeheim zugeben, dass die Maske vorteilhaft ihre grün-grauen Augen betonte. Ein zufriedenes Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht, als sie an den kommenden Abend dachte. Das war ihre Chance, dem Prinzen näherzukommen. So unwahrscheinlich es auch sein mochte...

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Ich hoffe euch hat das erste Kapitel gefallen! :)

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