Kapitel 27
Am nächsten Tag in der Schule bin ich mehrere Male kurz davor einzuschlafen. Kein Wunder, schließlich habe ich die letzte Nacht kaum ein Auge zugetan. Die Angst vor dem, was kommen könnte, war zu groß.
Was für ein Gegensatz. Erst herrscht Freude, weil Damon anscheinend entkommen und auf dem Weg zu uns ist, und dann funkt Rebekah dazwischen. Und die Tatsache, dass Damon noch nicht aufgetaucht ist, bereitet mir auch ein wenig Sorgen.
"Hey, Kiara!", zischt Olivia, und ich schrecke leicht zusammen. Als sie meine ungeteilte Aufmerksamkeit hat, flüstert sie, da wir noch im Unterricht sitzen: "Alles gut bei dir?"
Ohne mit der Wimper zu zucken, sage ich: "Ja, alles bestens. Warum sollte es auch anders sein?" Blöde Frage, eigentlich ist es ziemlich offensichtlich. Normalerweise bin ich immer sehr konzentriert und heute hänge ich halb über dem Tisch. Von der Energie, die man sich bei einem Vampir vorstellt, spüre ich sehr wenig.
"Na ja, man darf ja mal fragen", meint meine beste Freundin. "Hör zu, eigentlich wollte ich was ganz anderes mitteilen." Bevor sie fortfährt, wirft sie einen Blick auf unsere Lehrerin, die an der Tafel einen Aufschrieb macht. Wenn wir weiterhin flüstern, wird sie nicht merken, dass wir nicht aufpassen und abschreiben. "Es geht um Jeremy."
Sofort werde ich hellhörig. Tatsächlich hat es mich schon gewundert, dass ich diesbezüglich noch nichts von ihr gehört habe. Immerhin ist es nun fast eine Woche her, dass er wieder Single ist, und für gewöhnlich fackelt sie nicht lange und ergreift ihre Chance. Ob das für die andere beteiligte Person so gut ist, ist nicht immer ganz klar.
Dass ich nichts sage und sie stattdessen nur neugierig anschaue, scheint für sie ein eindeutiges Zeichen zu sein, mir ihr Anliegen zu schildern. Wie immer verstehen wir uns ohne Worte. "Also, es wäre möglich, dass ich ihn gefragt habe, ob er sich mit uns beiden treffen möchte, um... keine Ahnung, einen Kaffee trinken zu gehen oder so."
"Mit uns beiden? Du meinst also, mit dir und mir?", vergewissere ich mich. Das hatte ich nämlich gar nicht erwartet. Als sie daraufhin unschuldig nickt, kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. "Und du willst mich jetzt fragen, ob ich dich begleiten könnte."
"Ja", antwortet Olivia, "aber du musst nicht lange bleiben. Ich brauche dich nur zu Beginn, danach kannst du gehen. Sag dann einfach, dass du eigentlich einen wichtigen Termin hättest, den du vollkommen vergessen hast."
Aha, daher weht der Wind. Wahrscheinlich wollte sie Jeremy nicht ganz offensichtlich um eine Verabredung zwischen ihm und ihr bitten. Eigentlich ganz untypisch für sie, aber womöglich hat sie aus ihren vergangenen Erfahrungen gelernt.
Ich überlege nicht lange und gebe zur Antwort: "Lass mich wissen, wo und wann ich erscheinen soll, und ich bin da."
Daraufhin lässt sie ein Quieken verlauten und bedankt sich vielmals bei mir. Unsere Lehrerin steht noch immer konzentriert an der Tafel, doch eine Reihe hinter uns meint Mike, einer unserer Mitschüler, dass wir endlich leise sein sollen, nachdem die Sache mit Jeremy ja nun geklärt ist, weil unser Gequassel ihn offenbar nervt. Wir tun ihm den Gefallen.
***
Der restliche Schultag verläuft sehr entspannt. In den Fächern, in denen wir unsere Prüfungen schon geschrieben haben, schauen wir Filme, die auch nur in der kleinsten Weise etwas mit dem jeweiligen Thema zu tun haben, und in den Fächern, in denen die Prüfungen noch anstehen, klären wir die letzten Fragen.
Da wir uns vorher nicht mehr gesehen haben, teilt mir Olivia auf dem Heimweg den Treffpunkt und die Zeit mit. Das musste sie erst noch mit Jeremy abstimmen. In meiner Einfahrt angekommen, bedanke ich mich wie immer für's Mitnehmen und rufe ihr lächelnd ein "Bis später" zu.
Das Lächeln vergeht mir leider ziemlich schnell, als ich vor der Haustür stehe. Bis zum gestrigen Tag hat diese Tür jeglichem Vampir - von mir natürlich abgesehen - den Eintritt verwehrt und für die gesamte Familie Sicherheit in diesen vier Wänden garantiert. Nun ist das nicht mehr der Fall. Am sichersten fühle ich mich nun nur noch in Gesellschaft anderer, aber auch die habe ich im Moment nicht, weil meine Eltern wieder arbeiten sind und Shane im Mystic Grill aushilft, solange er keine feste Stelle gefunden hat.
Am liebsten würde ich mich jetzt sofort mit Olivia und Jeremy treffen und am besten dortbleiben, denn auch wenn sie mich vorher hätte fragen können, wäre ich ganz froh über einen Nachmittag mit den beiden gewesen, weil er für Ablenkung gesorgt hätte. Allerdings möchte ich meiner besten Freundin nicht den Tag versauen, indem ich ihren Plan durchkreuze.
Letztendlich öffne ich doch die Tür und trete über die Schwelle, als mir eine innere Stimme sagt, dass ich mich nicht so blöd anstellen solle. Ein Vampirmädchen, das sich nicht traut, ins eigene Haus zu gehen... Wie lächerlich. Außerdem muss ich wieder Gebrauch von meinem Vorrat an Blutkonserven machen.
Nachdem ich mich also in meinem Zimmer gestärkt habe, sind es noch ungefähr eineinhalb Stunden bis zu der Verabredung. Da wir keine Hausaufgaben bekommen haben und ich auch nicht das Bedürfnis habe zu lernen, schaue ich mir einen Film über mein Handy an. So lange, bis mich eine Nachricht von Olivia erreicht.
"Hey, ich brauche mal schnell deine Hilfe", schreibt sie und schickt mir zwei Bilder, auf denen verschiedene Outfits zu sehen sind. "Das erste oder das zweite? Was, denkst du, würde ihm mehr gefallen?"
Das erste Outfit besteht aus einer blauen Jeans, einem schwarzen Top mit Spitze und einem etwas längeren, grauen Cardigan, während auf dem zweiten Bild ein schwarzer Lederrock, der bis knapp über die Knie reichen müsste, und ein weißes T-Shirt mit dem Aufzug "Happy" zu erkennen sind. Nach nur kurzer Überlegung teile ich ihr mit, dass ich mich an ihrer Stelle für Nummer eins entscheiden würde.
Als ich auf die Uhr sehe, fällt mir auf, dass es nur noch wenige Minuten sind, bis ich beim Mystic Grill erscheinen soll. Von dort aus werden Olivia und Jeremy dann zu einem Café laufen. Da ich zu Fuß gehe, ist es also an der Zeit, dass ich mich auf den Weg mache. Kurz überlege ich, ob ich mich noch schnell umziehen soll, aber entscheide mich dann dagegen. Ich mache mich ja eh wieder vom Acker.
Ich greife nach einer kleinen Handtasche, in die ich mein Handy und mein Portemonnaie stecke, und gehe in den unteren Flur, wo ich mir meine Schuhe anziehe. Dabei meine ich ein Rascheln wahrzunehmen und halte in meiner Bewegung inne, um zu lauschen, doch es ist kein erneutes Geräusch zu hören. Entweder ich habe es mir eingebildet oder es kam aus der Nachbarschaft.
"Gehe jetzt los. Bin in null Komma nichts da." Eine letzte Nachricht an meine Freundin, bevor ich das Haus verlasse.
Ich möchte mich gerade um neunzig Grad drehen, um meine Hand an den Türgriff zu legen, da werde ich plötzlich mit einer starken Wucht nach hinten gerissen.
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Wie die Zeit schon wieder vergeht. Noch ein letztes Kapitel um halb 11🙈
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