Kapitel 19

Ein wenig später befinden wir uns im Anwesen der Salvatores. Olivia, die seither kein einziges Wort gesprochen hat, sitzt auf der Couch, während ich ihr ein Glas Wasser besorge. Gegen den Schock würde eine heiße Schokolade zwar besser helfen, aber leider gibt es hier weder Milch noch Kakaopulver.

Als ich ihr das Glas überreiche, trinkt sie gleich einen Schluck und ich setze mich neben sie. Die Wunde an ihrem Hals ist bereits verheilt, sodass man meinen könnte, es sie absolut gar nichts passiert.

"Wo sind wir hier eigentlich?", erkundigt sich meine Freundin nun, wobei ihre Stimme sehr zittrig klingt. Nebenbei schaut sie sich im Raum etwas um.

"Im Haus von Stefan und seinem Bruder", antworte ich und füge schnell noch dazu, "aber keine Angst, du bist hier in Sicherheit! Stefan ist unten im Keller eingesperrt und noch bewusstlos. Er kann dir also nichts mehr anhaben."

Daraufhin erwidert Olivia erst einmal nichts. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie meine Worte überhaupt wahrgenommen hat, weil sie sehr in Gedanken vertieft zu sein scheint.

Im nächsten Moment erscheinen Caroline und Jeremy im Wohnzimmer und informieren uns darüber, dass Alaric, den wir uns zur Hilfe geholt haben, unten Wache schiebt und darauf wartet, dass Stefan aufwacht, um mit ihm zu reden. Wenn er denn mit sich reden lässt.

"Warum hat er das getan, Kiara?", reißt Olivia die Aufmerksamkeit mit ihrer leichten und immer noch leicht verängstigten Stimme auf sich. "In der Schule war er immer so nett. Er erweckte auf jeden den Eindruck, als könnte er nicht einmal einer Fliege etwas zu leiden tun. Warum ist er plötzlich so anders?"

Im Kopf lege ich mir daraufhin eine Erklärung zurecht, doch diese letztendlich auszusprechen, fällt mir unheimlich schwer. Anstelle richtiger Worte kommt aus meinem Mund nur ein mühseliges Gestottere. Glücklicherweise muss das nicht so weiter gehen, denn Care springt für mich ein.

Nachdem sie sich ebenfalls auf die Couch gesetzt hat, sagt sie: "Weißt du, es ist so, dass er mit einem Verlust zu kämpfen hat, mit dem er nur sehr schwer umgehen kann. Er - er versucht, sich irgendwie abzulenken."

"Aber da geht man dann doch nicht auf ein Mädchen los!", ruft Olivia nun verzweifelt aus und in ihren Augen sammeln sich Tränen. Und wie als ob sie sich an ein neues Detail erinnern würde, fährt sie fort: "Oh mein Gott, seine Zähne... Die waren nicht normal, und seine Augen auch nicht. Sie waren ganz rot und unter ihnen sind schwarze Adern hervorgetreten. Was ist er?!"

Im Gegensatz zu ihr setze ich leise an: "Da gibt es etwas, das du wissen solltest..." Doch weiter komme ich nicht, da auch Alaric zu uns stößt und sich an mich wendet.

"Stefan ist aufgewacht und er will dich sprechen", sagt er mit einem ernsten Blick, der bewirkt, dass ich sofort aufstehe und ihm in den Keller folge. Folglich muss Olivia entweder auf ihre Aufklärung warten oder ein anderer übernimmt diesen Part.

Während ich durch den Gang laufe, frage ich mich, was mich wohl erwarten wird. Wird er wütend sein? Oder wird er Verständnis zeigen? Die Antwort erhalte ich in dem Moment, in dem ich vor die Gitterstäbe trete.

Als er mich nämlich dort erblickt, taucht er im Nu vor mir auf. Da ich nicht damit gerechnet habe, schrecke ich auf und mache sofort einen Schritt zurück. Wären da nicht das Metall zwischen uns, das uns voneinander trennt, und Alaric, der sicherlich eingeschritten wäre, hätte er mich wahrscheinlich wieder überwältigt.

"Wen haben wir denn da? Das Mädchen, das törichterweise versucht hat, mich aufzuhalten", räumt Stefan ein. Seine Lippen umspielt ein böses Grinsen. "Hast du etwa im Ernst geglaubt, dass du mich aufhalten kannst? Du bist ein Frischling in der Welt der Vampire und im Gegensatz zu mir ein Schwächling."

Bei diesen Worten kommt eine Wut in mir auf, sodass ich den Schritt, den ich vorhin nach hinten gemacht habe, wieder nach vorne gehe, um mutiger zu wirken. "Das mag vielleicht sein", erwidere ich, "aber wenn du glaubst, dass ich meine beste Freundin nicht vor dir verteidige, hast du dich geschnitten. Eigentlich will ich nicht gegen dich kämpfen, doch wenn das nötig ist, um meine Freunde zu beschützen, werde ich es tun."

"Schön. Dann wundere dich aber bitte nicht, wenn ich dir einen Holzpfahl durch's Herz jage", meint er daraufhin mit gerissener Stimme und zuckt mit den Schultern, als wäre es ihm vollkommen gleichgültig, als wäre ich ihm vollkommen gleichgültig.

Aufgrund dieser Aussage bin ich erst einmal sprachlos, und Rick scheint es ähnlich zu gehen. Allerdings finde ich meine Sprache relativ schnell wieder und sage deswegen leise: "Mein bester Freund hätte so etwas niemals gesagt..."

"Tja, so wie du ihn kanntest, existiert den bester Freund nicht mehr", antwortet er ohne Umschweife, woraufhin ich mich von ihm wegdrehen muss, weil mir erneut Tränen in die Augen steigen und ich ihm nicht noch einen Grund mehr dafür geben möchte, mich als Schwächling zu sehen.

Am liebsten würde ich sagen, dass der alte Stefan bestimmt noch irgendwo in dem Ripper ist, doch ich kann es nicht, da ich mir im Moment selbst nicht sicher bin. Also gebe ich gar nichts von mir, sondern mache mich auf den Weg zurück zu den anderen.

Währenddessen versuche ich, mich zu beruhigen und die Tränen wegzublinzeln. Ich hasse es, dass ich nun noch emotionaler bin, als ich es sowieso schon war.

Oben im Wohnzimmer angekommen, nehme ich auf der Stelle die unangenehme Stimmung wahr. Keine Frage, Caroline und Jeremy haben Olivia über die grundlegenden Dinge aufgeklärt.

"Stimmt es?", fragt Olivia, die jetzt von der Couch aufsteht, an mich gewandt. Sie hört sich leicht verzweifelt an. "Stimmt es, dass Stefan ein Vampir ohne sämtliche Gefühle ist? Dass alle deine neuen Freunde Teil einer übernatürlichen Welt sind? Und dass du ein Vampir bist?"

Etwas überrumpelt weiß ich zunächst nicht, wie ich darauf reagieren soll. Leicht stockend bringe ich dann aber ein "Ja" über meine Lippen. "Die ganzen Mythen sind wahr", füge ich hinzu.

"Wow, unfassbar", äußert sie sich. Ich denke, das bezieht sich einfach nur auf die Tatsache, dass keine der Geschichten erfunden ist, doch im nächsten Moment werde ich eines Besseren belehrt. "Meine beste Freundin ist ein Vampir und ich wusste nichts davon. Hattest du je vor, mir davon zu erzählen?"

Ich mache einen Schritt auf sie zu und strecke meine Hand nach ihr aus, aber sie vergrößert den Abstand nur. Das versetzt meinem Herzen einen Stich. Auf ihre Frage antworte ich: "Natürlich hätte ich es dir irgendwann gesagt. Es war nur eine Frage der Zeit -"

"Und was ist, wenn du innerhalb dieser Zeit auch deine Menschlichkeit ausgeschaltet hättest? Du hättest mich töten können, verdammt!", ruft Olivia aus. Während sie langsam rückwärts in Richtung Haustür geht, sagt sie: "Tut mir leid, aber ich will nichts mehr mit dir zu tun haben. Weder mit dir noch mit euch." Dabei richtet sie ihren Blick auf Care und Jeremy. "So bin ich sicherer."

Folglich dreht sie sich um und verlässt rennend das Grundstück. Im Vergleich dazu waren Stefan's Worte noch gar nichts, denn so wie es aussieht, habe ich gerade meine beste Freundin verloren.

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Merry Christmas everyone!✨🎄
Ich weiß, es ist kein besonders weihnachtliches Kapitel, aber ich hoffe, es ist ein schönes Geschenk für euch🙈❤️

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